Isidorus Hispalensis, Etymologiae sive Origines (Fragment). Beda Venerablis, In Marci evangelium expositio
Fleury, Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire (?) — 9. Jh., 2. Viertel
Provenienz: Die Handschrift stammt aus dem Besitz des Matthias Flacius. 1r Fußsteg Bedanus presbyter super marcum Evangelistam (dieselbe Hand wie in 442 Helmst., 1r) und die Signatur Nr. 73 der flacianischen Bibliothek. Durch Herzog August den Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg am 20.4.1597 zusammen mit den anderen Handschriften der Bibliothek für Wolfenbüttel erworben. 1614 im Gesamtkatalog des Liborius Otho (Cod. Guelf. A Etrav., p. 172 (167) als Nr. L 21 verzeichnet. 1618 gelangte die Handschrift aus Wolfenbüttel in die Universitätsbibliothek Helmstedt, dort 1644 im Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek unter der Helmstedter Signatur T. 36 geführt (27.2 Aug. 2°, 1v und 3v). Im Handschriftenverzeichnis von 1797 unter 41 verzeichnet (BA III, 51). Auf dem Vorsatzblatt Notiz des Wolfenbütteler Bibliothekars C. P. C. Schönemann: Bedae expositio euang. S. Marci. Cod. membr. Saec. X. olim Flacii.
Pergament — 142 Bl. — 28 × 18 cm
Lagen: IV+1 (9). 12 IV (105). IV-1 (112). IV-2 (118). 3 IV (141)! Moderne Tintenfoliierung. Mitgeheftetes Vorsatzblatt, gezählt als Blatt 1. Zählfehler: auf 120 folgt 120a. Bei Neubindung Papierbl. vor- und nachgesetzt. Guter Zustand. Schriftraum: 20,5–21 × 13–13,5 cm, einspaltig, 28–30 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Die kommentierten Bibelstellen in roter oder zeilenweise wechselnd in roter und schwarzer Unzialis. Buchanfänge in wechselnd roter und schwarzer Capitalis Quadrata. Leicht vergrößerte Satzmajuskeln, teils mit farbigen Binnenfeldern. Die patristischen Zitate gekennzeichnet durch das von Beda entwickelte Majuskel-Zitiersystem (vgl.
, Quotations in the Venerable Bede's Commentary on St. Mark, in: Biblica 7 [1926], 428–439 und , Source-marks in Bede manuscripts, in: Journal of Theological Studies 34 [1933], 350–354).Halbledereinband (18. Jh.) mit dunkelbraunem Kiebitzpapierüberzug (vgl. 452 Helmst.) aus der Helmstedter Werkstatt des Buchbinders Anton Friedrich Wirck.
INHALT
1r–1v : Etymologiae sive Origines (Fragment, mitgeheftetes Vorsatzblatt s.u.). 2r Versus de vinea evangelica ( 171, 1440A, Nr. CXXXII; , 20357). 2v–141v : In Marci evangelium expositio (genaue Textabfolge, vgl. ; 92, 131D-302D; 120, 431–648; 1613; 1355; , 72 Nr. 152.16; 1, 175 Nr. 20).
AUSSTATTUNG
Zahlreiche Zierinitialen.Initialen: Die Textanfänge mit verzierten Initialen in Größe und Ausstattung dem Bedeutungscharakter des folgenden Textes entsprechend stark variierend. Das Spektrum reicht von reich verzierten Randleisteninitialen bis hin zu einfachen, zum Teil farbig gefüllten Federinitialen bzw. -majuskeln (Übergänge sind fließend). Besonders hervorgehoben sind die Initialen zu den Buchanfängen auf 2v, 5r und 11r. Zum Textbeginn auf 2v, den Text flankierend, eine große Zierinitiale (16 cm) mit einem dachförmigen Kegelaufsatz. Dieser gefüllt mit bogenförmigen Mustern und bekrönt mit einem Stierauge. Darüber, neben der Rubrik, ein lateinisches Kreuz (Chrismon) mit trapezförmig erweiterten Enden und mittiger Vierpassblüte (5,8 cm). Auf 133r als Füllmotiv ein weiteres Kreuz. Als Füllmotive dienen das Flechtband, das Seilband, Dreiecke, Rauten, kachelartige Rechtecke und Quadrate. Rauten und Dreiecke werden zudem häufig als Initialstammersatz eingesetzt (vgl. 111r). Als weitere Gliederungselemente des Initialstamms finden sich dreidimensional angelegte Schlingen oder Ringe sowie architektonisch aufgefasste Gesimse (vgl. 71v, 74v). O- und Q-Initialen zeigen im Binnenfeld Rosetten (vgl. 98v, 106v). Auf 72r wird der Buchstabe durch eine Blüte ersetzt. Im Besatz unterschiedliche Palmetten- und Blattformen: doppelt konturierte Halbpalmetten mit zurückgebogener Spitze und gelegentlichem Spiralansatz (vgl. 2v, 71v), gestaffelte Vollpalmetten (vgl. Zeilenfüller 2v) und tropfenförmige Blätter (vgl. 138v), nicht selten mit einer Schlaufe dem Buchstaben angefügt (vgl. 133r und 72r). Im Binnenfeld dieser Initialform findet sich häufig eine springender Vierbeiner (Löwe?, 85v , auf 124r im Kampf mit der Schlange). Neben dem Vierbeiner kommt der Vogel (Pfau) vor. Er findet sich 71v stehend auf einem Zepter (Blindzeichnung/Vorzeichnung), häufiger aber als Buchstabenersatz (vgl. 114v zum Osterfest, Mc 14,1). Bemerkenswert regelmäßig tritt die menschliche Gestalt im Initialzusammenhang auf. Dies geschieht entweder als ein dem Buchstaben am unteren Initialstamm zwischen Palmetten hinzugefügtes Gesicht (vgl. 111r, 87r, 5r), als Buchstabenersatz (Büste mit Schreibfeder in der Rechten, 82v ) oder in Form von Zeigehänden, die ebenfalls der Initiale angefügt erscheinen (vgl. 74v). Auf 138v zur Auferstehung (Engel am Grab Mc 16,5) eine Engelsbüste als Initialkrönung. Hier im Buchstabenschaft die lateinische Inschrift in griechischen Buchstaben ΔΙΔѠΝΙ CΙΤ ΟΗΡΑ ΛΟΧ.
Farben: Hell- und Dunkelbraun, Orange und Dunkelgrün.
STIL UND EINORDNUNG
Nach , Nr. 7334 entstand die Handschrift im (1.) oder 2. Viertel des 9. Jh. in Frankreich (ohne nähere Lokalisierung). , 55 vermerken sie als um 850 im östlichen oder nordöstlichen Frankreich entstanden. 455 Helmst. wurde bereits von Lowe paläographisch einer Gruppe von Codices zugeordnet, die aller Wahrscheinlichkeit nach um 800 oder in der 1. Hälfte des 9. Jh. im Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire in Fleury entstanden sind (zur Gruppe vgl. VI, Nr. 19). Zugehörige Handschriften: Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1597 ( V, Nr. 687), Bern, BB, Cod. 207 ( , 32–39; , Nr. 23), Paris, BnF, lat. 7520 ( V, Nr. 568); Bern, BB, Cod. 280 ( , 45–46) und Orléans, Médiathèque, Ms. 17 ( , 17, 18). Als übereinstimmendes paläographisches Merkmal nennt Lowe die tur-Endung mit nahezu rundem Komma und einem anschließenden Punkt 455 Helmst., 114v zweitletzte Zeile). Insbesondere der Vergleich mit der für Fleury gesicherten und um 800 datierten Handschrift Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1597 ( , Bibliothèque Nationale. Catalogue des manuscrits des fonds libri et barrois, Paris 1888, Nr. XX, Taf. V) ergibt ergänzend Parallelen in der Initialausstattung. So findet sich hier das in 455 Helmst. so beliebte Motiv des menschlichen Antlitz. Genau wie in der Wolfenbütteler Handschrift (vgl. 5r) erscheint es dem Initialstamm unten angefügt zwischen zwei Palmetten (hier jedoch nicht wie in Wolfenbüttel auf dem Kopf stehend, sondern in aufrechter Position). Zudem kommen ähnliche Halbpalmetten mit spiralartigen Ansätzen vor (vgl. 71v). Das in 455 Helmst. immer wiederkehrende Gliederungsmotiv des um den Initialstamm gelegten Ringes (vgl. 74v) ist in Bern, BB, Cod. 208, 37v und Bern, BB, Cod. 49, 133v ( , Abb. 25 und 35) ebenso zu finden, wie in 97 Weiss. (Fleury [?], 3. Viertel 8. Jh., 58v). Die recht fortschrittliche Gestaltung der Schmuckelemente, insbesondere die zum Teil geschickte Andeutung von Räumlicheit (vgl. die um den Initialstamm gelegten Ringe), sowie das Zurücknehmen des Fisch-Vogelornaments (es finden sich nur Vögel) sprechen für eine Entstehung im 2. Viertel des 9. Jh. Die von Lowe vorgeschlagenen Identifikation des in der Inschrift auf 138v genannten ΔΙΔѠ (Dido) mit dem Bischof von Laon (886–895; IX, Nr. 1380) und eine entsprechend späte Datierung der Handschrift ist aufgrund der paläographischen Bestimmung (s.o.) und der kunsthistorischen Einordnung nicht haltbar., Nr. 489 (Heinemann Nr.). — , 289 BF1539. — , 99, 233. — , Nr. 7334.
Vorsatzblatt (Fragment)
Pergament — 1 Bl. — 2,5 × 17,5 cm — Fleury, Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire (?) — um 800
Pergament — 1 Bl. — 2,5 × 17,5 cm
Fragment mit Leimresten und abgelöster Schrift, vermutlich ehemals gegen den Einbanddeckel geklebt. Schriftraum: 20,5–21 × 13–13,5. cm Übergangsschrift zwischen insularer und frühkarolingischer Minuskel (vgl.
, Irische Schreiber im Karolingerreich, in: Jean Scot Erigène et l'histoire de la philosophie, Paris 1977 [Colloques du CNRS 561], 47–58 zitiert nach dem Nachdruck in: , Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1981, 39–55); zu den in Fleury um 800 gebräuchlichen Schriftformen vgl. , Manuscripts and Libraries in the Age of Charlemagne, Cambridge 1994 (Cambridge Studies in Palaeography and Codicology 1), 32, 33. Rote Kapitelüberschriften in insular beeinflusster Unzialis. Rote Satzmajuskeln.AUSSTATTUNG
Zwei Initialligaturen.Initialligaturen: 1v Initialligatur EB über 6 Zeilen (4,7 cm). Unkolorierte E-Initiale, in deren Binnenflächen die Bogenschläge des B eingefügt wurden. Hier als Füllmotiv ein Fries mit gegenständigen Spiralmotiven und Palmetten sowie einem angefügten Flechtknoten. Im Besatz Halbpalmetten mit eingerollten Enden. Initialligatur MENSIS über 4 Zeilen (3 cm). Unkolorierte, unziale M-Initiale im Zirkelschlag mit doppelt gezogener Konturlinie. Die unteren Ecken mit tropfenförmigen Schlaufen, der Zwickel mit ausgespartem Flechtbandknoten. Im linken Kreisbogen die äußeren Balken des E am inneren Kreisbogen angedeutet. In der Mitte der Mittelbalken gefüllt mit ausgespartem Flechtbandknoten. Darunter ein N als Hohlbuchstabe. Im rechten Kreisbogen die Buchstaben SIS als Hohlbuchstaben, teils einfach braun gefüllt.
STIL UND EINORDNUNG
Die Merkmale der Hybridschrift des Fragments lassen, wie bei der Trägerhandschrift, auf eine Entstehung im Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire in Fleury nahe Orléans um das Jahr 800 schließen. Als paläographische Parallele aus demselben Skriptorium nennt , Bd. 3, 53: Bern, BB, Cod. 207, Fleury, um 800 ( , 32–39) und dazugehörig Paris, BnF, lat. 7520 ( V, Nr. 568; , Nr. 23). Homburger nach Lowe ( V, Nr. 568) fügt hinzu: Bern, BB, Cod. A 91.7, Frankreich, Loiregegend (Fleury?), Anfang 9. Jh. ( , 40, 41) und die dazugehörige Handschrift Paris, BnF, lat. 9332 (vgl. , 40 Anm. 1). Der für Fleury in diesem Zeitraum bekannte, stark insular geprägte Buchschmuck (vgl. insb. Bern, BB, Cod. 207 und Orléans, Médiathèque, Ms. 17, Bl. 6–265) steht, im Gegensatz zum paläographischen Befund, nicht im Zusammenhang mit dem hier vorliegenden Fragment. Vielmehr sprechen das den Initialen zugrunde liegende Zirkelschlagornament, sowie der als Füllmotiv verwendete Fries und die der Initiale angefügten Halbpalmetten für eine kontinentale Tradition. Ein Bibelkommentar mit ähnlich konstruierter M-Initiale liegt mit Orléans, Médiathèque, Ms. 56 vor. Er stammt laut Exlibris aus dem Bestand der Bendediktinerabtei Fleury (Ex libris monasterii Sancti Benedicti Floriacensis [18. Jh.]; , 60, 61) und wurde von , Nr. 3668 mit der Datierung Anfang 9. Jh. nach Ostfrankreich (?) gegeben. Dass in Fleury um 800 gleichzeitig in beiden Stilen, insular und vorkarolingisch/karolingisch kontinental, gearbeitet wurde, belegt die Handschrift Orléans, Médiathèque, Ms. 17 ( , 17, 18). Hier begegnen in demselben Text eine insular (fol. 6–265) und eine kontinental arbeitende Hand (fol. 266–493), wobei bei der zweiten, ebenso wie auf dem Vorblatt zu 455 Helmst., eine Vorliebe für spiralartige Blattansätze und geometrische Zirkelschlagformen zu erkennen sind.vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
, Nr. 489 (Heinemann Nr.). — , Isidor-Studien, München 1913 (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 4,2), 17. — IX, Nr. 1380. — , 34. — , 16. — , 314. — , Die Rolle von Einflüssen in der Schriftgeschichte, in: Paläographie 1981. Referate, hrsg. von , München 1982 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 32), 93–105, hier 98. — , Bd. 3, 53. — , 289 BF1538. — , Manuscripts and Libraries in the Age of Charlemagne, Cambridge 1994 (Cambridge Studies in Palaeography and Codicology 1), 32, 33 — , The diffusion of insular culture in Neustria between 650 and 850. The implicarions of the manuscript evidence, in: , Books, Scribes and Learning in the Frankish Kingdom, 6th-9th Centuries, Aldershot u.a. 1994 (Collected studies series 452), Nr. 3, 395–432, hier 418. — , 233. — , Nr. 7333. — (Abgekürzt zitierte Literatur
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B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 2: Laon-Paderborn, Wiesbaden 2004 | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).