Sammelhandschrift
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial — um 1000/11. Jh., Anfang
Provenienz: Auf der Innenseite des VD: anno gratie. Mo. cc. xx. iii. ii. jdus iulii obijt philipus rex quadragesimo quarto regni sui anno. etatis sue quinquagesimo octavo Regnavit ludovicus filiu[sic] eius pro eo. xxxiiii annorum. L. Regnare cepit cum Philipo fratre suo qui ipso anno cingulum milicie a ludovico acceperat (Notiz zum Thronwechsel nach dem Tod Philipp Augusts II. von Frankreich 1223). Bischoff identifiziert die Schreiberhand aus dem 13. Jh. mit der des Bernardus Iterius, einem Limoger Bibliothekar aus St. Martial (1163–1225; , Bd. 3, 308). Itier war vermutlich für die Zusammenstellung dieser Schriften, die vermutlich unter Ademar von Chabannes (988–1034) in Limoges erstellt worden sind, verantwortlich (vgl. , 472, Anm. 18). 1710 gelangte die Handschrift nach Wolfenbüttel (zur Sammlung Gude in Wolfenbüttel vgl. , 445–516).
Pergament — 97 Bl. — 28,4 × 18 cm
Lagen: Aus 8 Teilen zusammengesetzt: A Vorsatzblatt + 1r–20v, B 21r–28v, C 29r–38v, D 39r–58v, E 59r–62v, F 63r–77v, G 78r–93v, H 94r–97v (vereinfachte Aufteilung vgl. , 471–472). Vorderes Schutzblatt (Pergament) nicht mitgezählt. VI (11). V-1 (20). IV (28). V (38). VI (50). IV (58). II (62). IV (70). IV-1 (77). 2 IV (93). II (97). Lagenbezeichnungen am unteren Blattrand: 12r II (Lagenanfang), 21r 1H mit darüber gezeichnetem Kreis, 39r und 51r Bezeichnungen in römischen Ziffern (aufgrund von Blattbeschnitt unkenntlich), 50v.I, 59r VII, 63r VIII, 71r VIIII, 86r XI (59r–86r von einer Hand). Moderne Tintenfoliierung. Frei eingelegter Pergamentfalz mit vorkarolingischer Minuskel (8. Jh., Norditalien). Der Streifen gehört zu einem Homiliar, dessen zugehörige Handschrift in späterer Zeit in Saint Martial in Limoges zu Bindezwecken zerteilt wurde. Zugehörig: Paris, BnF, lat. 2367, fol. 111; Paris, BnF, nouv. acq. lat. 2479 [4 Bl.] ( V, Nr. 553; , Nr. 4277).
Roter Schafsledereinband (17. Jh.).
STIL UND EINORDNUNG
A. van Els gelang es, die vorliegende Handschrift als Autograph des ca. 988–1034 in St. Martial in Limoges als Schreiber und Lehrer tätigen Mönches Ademar von Chabannes zu identifizieren (weitere Ademar-Autographen in Limoger Schulhandschriften: Paris, BnF, lat. 7321 und Leiden, UB, Cod. VLO 15 (olim. Voss. lat. oct. 15); , 466f., 471, 473, 498). Handschriften, die in diesem Zeitraum in Limoges entstanden, nachweislich oft unter der Mitwirkung Ademars, weisen einen Buchschmuck auf, der ältere Vorbilder desselben Skriptoriums aufgreift. Als Vorlage diente hierbei Paris, BnF, lat. 5 [1] und [2] (Erste Bibel von Saint Martial von Limoges), die um 1000 von einem Bonibertus geschrieben wurde, der sich im im Kolophon selbst nennt (zur Bibel vgl. , 42–52). Aufgrund der hier verwendeten Vielzahl von Initialtypen und Formen erscheinen die Limoger Handschriften um 1000 im Buchschmuck eher heterogen (eine Zusammenstellung der Handschriften bei , 53–58). Ein ähnlicher Initialtyp mit Endgeflechten und gleiche Farbpalette zeigt Paris, BnF, lat. 5321, 24r, Anfang 11. Jh. ( , 206f.). Die ausgesparte Palmettenranke, ebenfalls in Anlehnung an die erste Limoger Bibel, kommt sehr häufig vor (vgl. Paris, BnF, lat. 5301, 270v, um 1000, Anfang 11. Jh.; , 206, Abb. 58). Die in der Wolfenbütteler Handschrift als Endmotive verwendeten Knospenfomen zeigt das Tropar Paris, BnF, lat. 1120, 106r, um 1029 ( , 186f.)., Nr. 4383. — , Bd. 3, 308. — — , 103f. — , Nr. 88 ( ). — , Nr. 977d. — , 467, 471, 473, 498.
A
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial — um 1000
Schriftraum: 22,2 × 12,4 cm, einspaltig, 19 Zeilen. Karolingische Minuskel von zwei Händen. Satzmajuskeln, teils geringfügig verziert als Hohlbuchstaben, mit Punktverdickungen und ausgesparter Blattverzierung (5v). Neumen auf den unteren Blatträndern (5r, 10v und 15r) und interlinear.
INHALT
1r–20v Alleluia-Prosulae (Edition: ; Literatur: , 103f.; , und , La parole chantée. Invention poétique et musicale dans le Haut Moyen Âge occidental, Turnhout 2014, 197 Anm. 11 und 12; , Le son de la lyre des vertus. Sur la musique dans la poésie liturgique médiévale, in: La place de la musique dans la culture médiévale, hrsg. von , Turnhout 2007, 64, Anm. 17 und 18).
STIL UND EINORDNUNG
Der von Heinemann noch als lateinische Sequenzen bezeichnete Text, wurde bereits von Bischoff als beträchtlicher Schatz von Tropen des Limousiner Stils erkannt ( , Bd. 3, 308). Die nur geringfügig verzierten Auszeichnungsschriften stehen der Initialornamentik in den Teilen D und F sehr nahe.B
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial — 11. Jh., Anfang
Schriftraum: 24,0 × 13,0 cm, einspaltig, 36 Zeilen. Karolingische Minukel von einer Hand. Textüberschriften in roter oder schwarzer Capitalis Rustica. Zum Textbeginn auf 22r eine rote einzeilige Initialmajuskel mit ausgesparter Achterschlinge.
INHALT
21r–28v : Rudimenta Grammaticae ( 2, 667; 1069; 40, XLVf. und 46–75 Z. 54; , 467, 471, 473, 498).
AUSSTATTUNG
1 Initiale.Initiale: 21r zum Textbeginn eine Flechtbandinitiale (9,0 cm). Dunkelkonturierter Initialstamm mit End- und Gliederungsgeflecht. Der Initialstamm gefüllt mit ausgespartem Flechtband und Palmettenranke. An den Endungen Knospen mit seitlich abgewinkelten Spitzblättern. Die Gründe der End- und Gliederungsgeflechte mit Punktfüllungen. In den freien Flächen des Binnenfeldes wurden zwei Tierköpfe (Fabelwesen) und ein Gesicht eingezeichnet (zeitgleiche Hand). Der Bogen der P-Initiale ist mit dem Initialstamm nicht direkt verbunden (oben in das Endgeflecht eingehakt).
Farben: Die Initiale ist mit schwarzer Feder gezeichnet und mit Rot nachgezeichnet und ausgefüllt worden.
C
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial (?) — um 1000
Schriftraum: 22,5 × 15,8 cm, einspaltig, 28 Zeilen. Karolingische Minuskel Haupttext mit Glossentext von einer 2., zeitgleichen Hand. Kalenderüberschriften in roter Capitalis Rustica. Zahlreiche rot gezeichnete Tabellen 30r–v ganzseitig, 31r–37v auf der rechten Blatthälfte.
INHALT
29r–30v : De institutione musica ( , Boèce. Traité de la musique, Turnhout 2004; 2, 430 Nr. 13). 29r–38v Martyrologium de circulo anno. 31r–37v Calendarium.
D
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial — um 1000
Schriftraum: 23,0 × 12,5 cm, einspaltig, 21–23 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand Zu den Versabschnitten 1–3 zeilige Initialmajuskeln, zum Teil verziert (s.u.). Die Überschriften in Capitalis Rustica. 43v rubriziert.
INHALT
39r–56r : De arte metrica ( 1565; 123A, 81–141). 56r–58v : De schematibus et tropis (Edition: 1567; 123A, 142–151 Z. 149; 2, 176 Nr. 31).
AUSSTATTUNG
7 verzierte Initialmajuskeln.Zu den Versanfängen verzierte, unkolorierte Initialmajuskeln (51v, 52v, 53v, 54r - 2x, 54v - 2x; 0,8–2,0 cm). Das ausgesparte Ornament mit federartig angelegten Profilpalmetten (vgl. 51v, 54r), gelängte Achterschlaufen (51v) und Punktverdickungen (52v).
E
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial — um 1000
Schriftraum: 21,4 × 11 cm, einspaltig, 37 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand.
INHALT
59r–61v : Schematibus et tropis ( 123A, 151 Z. 149–171). 61v–62v : De Arte grammatica. De accentibus ( 1543a; , Bd. 6, 192, 14–193, 27).
F
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial — um 1000
Schriftraum: 24,0 × 17,0 cm, zweispaltig, 44 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Zu Beginn jeder Zeile der Anfangsbuchstabe in Capitalis Rustica. Die Versanfänge mit 1–3zeiligen Initialmajuskeln, einige verziert (s.u.). Incipits und Explicits in Capitalis Rustica.
INHALT
63r–77v : De actibus apostolorum ( 1504).
AUSSTATTUNG
10 verzierte Initialmajuskeln.Zu den Versanfängen verzierte, unkolorierte Initialmajuskeln (63v, 64r, 66r, 67v, 68r, 68v, 70r, 71v, 73r, 75v; 0,9–2,0 cm). Das ausgesparte Ornament mit federartig angelegten Profilpalmetten. Das ausgesparte Ornament wie in Teil D (39v–58v).
G
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial (?) — um 1000
Schriftraum: 23,9 × 15,5 cm, zweispaltig (78r–v einspaltig), 44 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Zu Beginn jeder Zeile der Anfangsbuchstabe in rubrizierter Capitalis Rustica.
INHALT
78r–89v : Opera ( 1447–1449; 10 [2007]). 89v–93va : Saturae (Edition: Aulus Persius Flaccus, Satiren, hrsg. von , Heidelberg 1990). 93vb Vita Persi (A. Persi Flacci et D. Iuni luvenalis Saturae, hrsg. von W.V. Clausen, Oxford 1968, 30–34).
H
Limoges, Benediktinerabtei Saint Martial (?) — um 1000
Schriftraum: 21,5 × 13,0 cm, einspaltig, 35 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Hervorgehobene Textabschnitte in Capitalis Rustica. Interlineare Neumen.
INHALT
94r–97v Brevierfragment. Officium beatae Valeriae Cemavicensis (teilweise mit Neumen).
Abgekürzt zitierte Literatur
Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften, bearbeitet von R. Bergmann und S. Stricker, Bd. 4, Teil C. Katalog Nr. 780–1070, Berlin 2005 | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
B. Bischoff, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, 3 Bde., Stuttgart 1966/1967/1981 | |
C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999– | |
Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, Bd. 1–, Turnhout 1971– | |
Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954– | |
Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971 | |
D. Ó Corráin, Clavis Litterarum Hibernensium. Medieval Irish Books & Texts (c. 400 – c. 1600), Turnhout 2017 | |
Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina) | |
Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Bd. 1–, Wien 1866– | |
Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Wolfenbüttel 28. November - 31. Juli 2005, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83) | |
D. Gaborit-Chopin, La décoration des manuscrits à Saint-Martial de Limoges et en Limousin du IXe au XIIe siècle, Paris 1969 | |
A. Haug, Neue Ansätze im 9. Jahrhundert, in: Die Musik des Mittelalters, hrsg. von H. Möller und R. Stephan, Laaber 1991 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 2), 94-128 | |
H. Keil, Grammatici latini, Bd. 1–7, Supplementum, Leipzig 1855–1880 | |
B. Lesser, Longe maximum vero Bibliothecae Augustae ornamentum, in: Retter der Antike, Marquard Gude (1635-1689) auf der Suche nach den Klassikern, hrsg. von P. Carmassi, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Forschungen 147), 445-516 | |
E. Odelman, Les prosules limousines de Wolfenbüttel. Edition critique des prosules de l'alleluia du manuscrits Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 79 Gud. lat., Stockholm 1986 (Corpus Troporum VI, 2) | |
R. Sharpe, A Handlist of the Latin Writers of Great Britain and Ireland before 1540, Turnhout 1997, Additions and corrections (1997–2001), Turnhout 2001 (Publications of the Journal of medieval Latin 1) | |
A. van Els, Transmitting Knowledge by Text and Illustration. The Case of Ms. Leiden, UB, VLO 15, in: The annotated book in the early Middle Ages. Practices of reading and writing, hrsg. von M. Teeuwen und I. van Renswouden, Turnhout 2017 (Utrecht Studies in Medieval Literacy 38), 465-499 | |
Die Gudischen Handschriften, beschrieben von F. Köhler und G. Milchsack, Wolfenbüttel 1913, ND 1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 9) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).