Orosius, Historiae adversum paganos
Seeon, Benediktinerkloster (?) — 11. Jh., 1. Viertel
Provenienz: 93v Besitzeintrag: fratribus minoribus in Traiecto (Utrecht, Minoritenkloster, 14. Jh. [?]; , 223). Die Handschrift befand sich vermutlich im Besitz von Bernhard Rottendorf, der sie eventuell aus der Benediktinerabtei Liesborn erhalten hatte ( , Mitteilungen aus Handschriften, Teil 5 [Sitzungsberichte der der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung. Jg. 1938, H. 4], München 1938; , 62f.). 1710 gelangte sie zusammen mit den anderen gudischen Handschriften in den Besitz der Herzog August Bibliothek (zur Sammlung Gude in Wolfenbüttel vgl. , 445–516).
Pergament — 93 Bl. — 28 × 22 cm
Lagen: Vorsatzblatt Papier. I (2). IV (10). V (20). 9 IV (193). Lagenbezeichnungen in römischen Ziffern auf dem letzten Blatt der Lage, Blattmitte unten. Neuzeitliche/moderne Foliierung. Schriftraum: 22,5 × 14,5 cm, einspaltig, 35 Zeilen. Karolingische Minuskel von drei ähnlichen Händen. Hand A: 1r–5v Z. 11, 12v–13r Z. 30, 14r Z. 9–18r Z. 7, 18r Z. 12–77v Z. 11, 77v Z. 32–78r Z. 14, 82r Z. 18-Z. 33, 82v–88r Z. 11, 88v–93r Z. 22. Hand B: 5v Z. 12–8r Z. 17, 8r Z. 24–12r, 13r Z. 21–14r Z. 9, 18r Z. 7-Z. 11, 77v Z. 11-Z. 32, 78r Z. 14–82r Z. 18, 82r Z. 33-Z. 35, 93r Z. 23–93v. Hand C: 8r Z. 22f. Hand A auch in einem Lektionarsfragment aus Kremsmünster, wobei Hoffmann zuerst paläographische Parallelen zum Lorscher Evangelistar Wien, ÖNB, Cod. 1140 (Lorsch, Mitte 11. Jh.) sah, später jedoch in Zusammenhang mit dem Fragment aus Kremsmünster, eine südostdeutsche Schriftheimat nicht ausschloss (zur Händescheidung und Einordnung vgl. und ). Zahlreiche interlineare Nachträge (zeitgenössisch bis spätmittelalterlich). Explicits und Incipits in Capitalis Rustica, rubriziert. Die Textanfänge zu den Büchern in den Schriftarten Capitalis Quadrata, Unzialis und Capitalis Rustica (Schrifthierachie in Gold und Blau). Initial- und Satzmajuskeln zu den Satzanfängen, meist in Gold, teils blau hinterlegt. Am Rand Kapitelzählung in Rot, Seitentitel in Capitalis Rustica (ausgeschrieben).
Weißer Pergamenteinband (17. Jh.).
INHALT
Historiae adversum paganos. (1r–8r) Liber I (zu Beginn unvollständig); (8r–16v) Liber II. (16v–27r) Liber III. (27r–41r/v) Liber IV. (41v–56v) Liber V. (56v/57r–72r) Liber VI. (72r–93v) Liber VII. (zum enthaltenen Text vgl. , 1229; Edition: 31, Sp. 663B-1174B, hier Sp. 688A-1174B; , Orose, Histoires [Contre les Païens], 3 Bde. [Collection des Universités de France], Paris 1990–1991). 19r und 38r zu Kap. II, 5.4 und IV, 18,12 althochdeutsche Marginalglossen ( , 977e).
:AUSSTATTUNG
6 Zierinitialen. 1 Initialzierfeld.Zierinitialen: Zu Beginn der Bücher auf 8r, 16v, 27r, 41v, 57r, 72r goldene Rankeninitialen (4,5–7,5 cm). Die Initialstämme gespalten und die Randbänder an den Gliederungsstellen verknotet (vgl. 2v, 57r). Gelegentlich werden die Leisten durch genagelte Spangen gehalten (vgl. 2v, 41v). In den Binnenfeldern befindet sich dicht verlaufendes, bewegtes Ranken- und Blattwerk. Die Rankenenden mit lebhaft ausfahrenden Pfeilblättern, flankiert von paarweise angeordneten kleineren Blättchen. Einige Endungen weisen keulenförmige Knollenblätter, Trifolien und Herzblätter auf, wobei kleinere Kelchblüten farbig hervorgehoben werden (vgl. 8r, 16v, 27r). Auf 27r als Initialstammendung ein Tierkopf (Fabelwesen) mit blattartig lappigen Ohren.
Initialzierfeld: 2v zu Beginn des Buches I, cap. 4 ein Initialzierfeld mit Leistenrahmen in der unteren Blatthälfte (11 × 15,5 cm). Die Binnenfläche mit Purpur grundiert mit Zierinitiale in Gold und anschließenden Sätzen in Gold und Weiß. Der goldenen Leistenrahmen rot konturiert und gefüllt mit einem Blattfries.
Farben: Initialen und Leistenrahmen mit reichem Goldauftrag. Binnengründe der Initialen in Blau und Grün. Der Blattfries im Leistenrahmen (2v) ebenfalls ausgeführt mit Grün und Blau, letzteres sowie Blütendetails der Initialen (vgl. 8r) mit akzentuierenden Weißhöhungen.
STIL UND EINORDNUNG
Die frühe Provenienz der vorliegenden Orosius-Handschrift bleibt weitestgehend unklar. Durch Textverlust zu Beginn der Handschrift gingen eventuelle Besitzvermerke verloren. Indizien sprechen für frühe Stationen in Utrecht und Liesborn (s. Provenienz). Nach Hoffmann zeigt die Schrift südostdeutsche Elemente ( , 182). Seine frühere Einordnung der Handschrift nach Lorsch wurde von ihm verworfen ( , 223f.). Für die Initialausstattung des Wolfenbütteler Orosius zieht Hoffmann Vergleiche zu einer Handschrift aus Bamberg mit einem Widmungsgedicht des Seeoner Abtes Gerhard für Kaiser Heinrich II., entstanden zwischen 1012 und 1014 (Bamberg, SB, Msc. Lit. 143, Seeon, 11. Jh., 1. Viertel; , Nr. 71, Abb. 413–417) und zum Hillinius-Codex aus Köln (Köln, Dombibliothek, Cod. 12 (Hillinus-Codex), Reichenau/Seeon, 1010–1020, hier die kleineren Initialen; zur Handschrift vgl. , Nr. 76; , Der Hillinus-Codex der Kölner Dombibliothek und die Reichenauer Buchkunst, in: , Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Zweites Symposium der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-Manuskripten, 1. bis 2. Dezember 2006, Köln 2008 [Libelli Rhenani, 24], 251–300). Beide Handschriften zeigen sehr ähnliches lebhaftes Rankenornament. Hierbei gleichen sich besonders die in Deckfarbe aufgetragenen Kelchblüten. Hoffmann ordnete dem Seeoner Skriptorium, das erst unter Abt Gerhard im 1. Viertel des 11. Jh. dezidiert nachweisbar ist, paläographisch insgesamt 16 Handschriften zu ( , 415f.; Zusammenstellung und Beschreibung vgl. Das Kloster Seeon und sein Skriptorium. Katalog zur Ausstellung im Kloster Seeon, Seeon 2010 [Reprint der Katalogausabe von 1994], 56ff.). Während ein nicht geringer Teil der Seeoneser Handschriften später in den Besitz des Bamberger Doms übergingen (zu den heute noch in Bamberg befindlichen Seeoneser Handchriften vgl. , Nr. 68–72), sind, wie der Hillinius-Codex auch, weitere Seeoneser Handschriften in den Besitz des Kölner Doms gelangt (vgl. auch Köln, Dombibliothek, Cod. 144, Seeon (?), 1. Drittel 11. Jh. oder Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, AE 681). Dieser Weg über Köln in die Hände des Humanisten Bernhard Rottendorf (vgl. Provenienz) wäre auch für die Wolfenbütteler Handschrift denkbar. Für die Wolfenbütteler Theophilus-Handschrift Cod. Guelf. 69 Gud. lat., die sich ebenfalls im Besitz von Rottendorf befand, ist die Kölner Provenienz gesichert (vgl. , Kodikologische Beobachtungen an den Wolfenbütteler Exemplaren der "Schedula", in: , Zwischen Kunsthandwerk und Kunst: Die "Schedula diversarum artium", Berlin/Boston 2014 [Miscellanea Mediaevalia 37], 11–21, hier 15f.)., Nr. 4384. — , 223, 407, 410. — , 182. — , Nr. 977e. — , Lorscher Glossenhandschriften, in: ders. und , Die althochdeutsche und altsächsische Glossographie. Ein Handbuch, 2 Bde., Berlin/New York 2009, Bd. 2, 1301–1305, hier 1304. — , Bd. 2, 1227–1229.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).