Grimmelshausens Werke - Einleitung

Rosenberger Sebastian

1. Vorbemerkung
[arrow up]

Die Digitale Grimmelshausen-Edition ist ein von der Fritz Thyssen Stiftung gefördertes Kooperationsprojekt des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Ihr Ziel ist es, eine philologisch zuverlässige elektronische Edition des Gesamtwerks Grimmelshausens zu erarbeiten. Projektleiter sind Jörg Riecke (Heidelberg) und Jochen A. Bär (Vechta, vormals Heidelberg). Die Textbeschaffung, die technische Bearbeitung der Texte und die zuletzt erfolgende Katalogisierung und Langzeitarchivierung auf dem Server der Herzog August Bibliothek leitet Thomas Stäcker (Wolfenbüttel). Die wissenschaftliche Annotation und textkritische Bearbeitung der Texte sowie die Qualitätssicherung wurde durch Heidelberger Mitarbeiter (Sebastian Rosenberger sowie nacheinander Marie-Luise Sessler, Maria Mioduszewski und Maren Wagner) geleistet. Außerdem waren als Hilfskräfte Derya Durdu, Alexandra Novara, Julia Reiche, Eva Zimmermann und Julius Zint beteiligt.

Als Mitbegründer und Koordinator des Projekts sowie als Hauptbearbeiter der Texte bin ich - neben den bereits genannten Personen - folgenden Institutionen und Personen zu Dank verpflichtet:

Der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, der Universitätsbibliothek Tübingen, der Staats- und Universitätsbibliothek Leipzig, der Landesbibliothek Coburg, der Österreichischen Nationalbibliothek Wien und der Yale University Library New Haven, Conn. für die Digitalisierung der Erstdrucke der Grimmelshausen-Texte bzw. dafür, dass uns die Digitalisate zur Verfügung gestellt wurden.

Torsten Schaßan (Wolfenbüttel), der mich in das Codierungsprogramm XML einführte und der immer für Fragen zur Verfügung stand.

Unserer Heidelberger Institutssekretärin Irene Kohlhaas, die mich immer wieder in organisatorischen und rechtlichen Fragen beriet.

2. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Leben und Werk
[arrow up]

Wer über Grimmelshausen eine Biographie schreiben will, der muss sich mit dem Problem auseinandersetzen, dass über die ersten zwei Jahrzehnte im Leben des Simplicissimus-Dichters nur wenige Dokumente überliefert sind. Daher war die Forschung lange Zeit auf Spekulationen angewiesen und nutzte Grimmelshausens berühmtesten Roman als Ersatzquelle, um die erste Lebensphase des Autors rekonstruieren zu können. Dabei setzte man aber voraus. dass die Darstellungen im Simplicissimus autobiographisch seien. Als jedoch die Quellenforschung nachweisen konnte, dass selbst Schilderungen, die als Augenzeugenberichte authentisch zu sein scheinen, etwa die im 27. Kapitel des zweiten Buchs des Simplicissimus> geschilderte Schlacht bei Wittstock, kunstvolle Montagen von Passagen anderer Texte wie dem Theatrum Europaeum sind (vgl. Meid 1984, 78), wurde man mit biographistischen Interpretationen des Simplicissimus vorsichtiger. Die quellenkundlichen Arbeiten Gustav Könneckes (1926/28) sowie neuere Forschungen (vgl. die in Breuer 1999 genannte Literatur) ermöglichen jedoch mittlerweile ein einigermaßen rundes Bild von Grimmelshausens Biographie.

Die wichtigsten Stationen im Leben Grimmelshausens beschreiben Meid 1984, 76–87, Breuer 1999, 7–22 sowie Rosenberger (in Vorber.). Eine ausführliche Biographie legten Boehnke/Sarkowicz 2011 vor.

Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen wurde im Jahre 1621 oder 1622 in der Freien Reichsstadt Gelnhausen geboren. Das genaue Geburtsdatum ist in keinem erhaltenen Dokument vermerkt. Grimmelshausen selbst gibt einen Hinweis, eine vermutlich autobiographische Erzählung in der Dritten Materia des Ewig-währenden Calenders, die sich aufgrund der militärischen Angaben auf den Winter 1638/39 datieren lässt. In dieser Erzählung schreibt er, dass er sich damals in „meinem sibenzehenden jährigen Alter“ befunden hätte (EC, 3. Materia, S. 106). Wenn man die Angabe als autobiographisch versteht und zurückrechnet, kommt man auf das Jahr 1621 oder, wahrscheinlicher, 1622 (vgl. Breuer 1999, 13).

Grimmelshausen entstammte einem thüringischen Adelsgeschlecht, das seit 1177 urkundlich belegt ist. Die Familie stand als Ministeriale in Diensten der Grafen von Henneberg und seit dem 16. Jahrhundert der Grafen von Isenburg-Büdingen. Der Rentmeister Georg Christoph von Grimmelshausen, möglicherweise der Urgroßvater des Dichters, erwarb 1571 in Gelnhausen Grundbesitz (zur Familiengeschichte der Grimmelshausens vor 1600 vgl. Boehnke/Sarkowicz 2011, 88–109).

Spätestens seit 1597 war Melchior Christoffel, zünftiger Bäckermeister und Gastwirt, Bürger der Stadt Gelnhausen. Weil er einer gewerblichen Tätigkeit nachging, musste er den Adelstitel und damit den Namen Grimmelshausen ablegen, erst seine Enkel Caspar und Hans Jacob, der Simplicissimus-Dichter, nahmen ihn wieder an. Melchior Christoffel hatte zwei Söhne, nämlich Caspar Christoffel, dessen Leben recht gut dokumentiert ist, und Johann Christoffel. Letzterer ist der Vater des Dichters, wie aus dem Kirchenbuch der Pfarrei zum Heiligen Kreuz in Offenburg hervorgeht, wo Grimmelshausen 1649 heiratete: Er wird darin als „Herrn Johannis Christoffen Grhsn.-Burger zu Gelnhaußen hinderl. Ehel. Sohn“ bezeichnet (zitiert nach Meid 1984, 78). Johann Christoffel wurde um 1595 geboren und absolvierte eine Bäckerlehre bei seinem Vater. Er starb 1626 oder 1627, das genaue Todesdatum sowie die Todesursache sind nicht überliefert. Seine Ehefrau Getraud, die Mutter des Dichters, über die sonst so gut wie nichts bekannt ist, heiratete 1627 den Frankfurter Buchhändler Johann Burck und zog mit diesem nach Frankfurt a. M.. Hans Jacob Christoffel, damals vermutlich fünf Jahre alt, blieb in der Obhut seines Großvaters Melchior Christoffel in Gelnhausen, wo er wahrscheinlich die dortige Lateinschule besuchte.

Im Spätsommer 1634 jedoch veränderte sich Grimmelshausens Leben durch die Ereignisse des Dreißigjährigen Kriegs für immer. Am 5./6. September erlitten die Schweden in der Schlacht bei Nördlingen eine vernichtende Niederlage, durch die sie die Vormachtstellung im Süden Deutschlands verloren. Die nachrückenden kaiserlichen Truppen rückten um den 15. September in der lutherischen Stadt Gelnhausen ein und plünderten sie. Auch in den folgenden Monaten wurde die Stadt immer wieder geplündert und gebrandschatzt und erreichte ihre alte Einwohnerzahl erst mehr als ein halbes Jahrhundert später wieder. In seinem Simplicissimus lässt Grimmelshausen seinen Titelhelden die verwüstete Stadt betreten:

„DA es taget / füttert ich mich wieder mit Waitzen / begab mich zum nächsten auff Gelnhausen / und fande daselbst die Thor offen / welche zum theil verbrennet / und jedoch noch halber mit Mist verschantzt waren: Jch gieng hinein / konte aber keines lebendigen Menschen gewahr werden / hingegen lagen die Gassen hin und her mit Todten überstreut / deren etliche gantz / etliche aber biß auffs Hemd außgezogen waren. Dieser jämmerliche Anblick war mir ein erschröcklich Spectacul, massen ihm jederman selbsten wol einbilden kan / meine Einfalt konte nicht ersinnen / was vor ein Unglück das Ort in einen solchen Stand gesetzt haben müste. Jch erfuhre aber ohnlängst hernach / daß die Käiserliche Völcker etliche Weymarische daselbst überrumpelt. Kaum zween Steinwürff weit kam ich in die Statt / als ich mich derselben schon satt gesehen hatte / derowegen kehrete ich wieder umb / gieng durch die Au neben hin / und kam auff ein gänge Landstraß / die mich vor die herrliche Vestung Hanau trug“ (ST, S. 64 f.).

Grimmelshausen floh vermutlich wie viele andere Überlebende in die von den Schweden besetzte Stadt Hanau, deren Gouverneur zu dieser Zeit der schottische Generalmajor Jakob Ramsay (1589–1639) war, den Grimmelshausen im Simplicissimus zum Onkel des Protagonisten macht, den er aber auch als genussüchtigen und tendenziell despotischen Menschen beschreibt.

Im Gegensatz zu seinem Romanhelden war der etwa zwölfjährige Grimmelshausen nur einer von vielen tausend Flüchtlingen, die sich in Hanau vor den kaiserlichen Truppen in Sicherheit gebracht hatten. Er blieb nur wenige Monate in der durch die Besatzungstruppen und Flüchtlinge übervölkerten Stadt, die mit Lebensmittelknappheit und Seuchen zu kämpfen hatte (vgl. vor diesem Hintergrund die Schilderung der Fress- und Saufgelage am Hanauer Hof am Ende des ersten und zu Beginn des zweiten Buchs des Simplicissimus). Anfang 1635 wurde er wahrscheinlich von herumziehenden kroatischen Truppen entführt, ähnlich wie Simplicissimus. Zumindest ist urkundlich belegt, dass Kroaten für Hanauer Kinder, die beim Spielen auf dem zugefrorenen Festungsgraben entführt worden waren, Lösegeld verlangt hatten. Für den Waisenjungen Hans Jacob Christoffel zahlte jedoch niemand ein Lösegeld, so dass er von den Kroaten als Trossbube eingesetzt wurde (vgl. Breuer 1999, 12).

Was mit Grimmelshausen in den folgenden Jahren geschah und wohin es ihn verschlug, kann nur vermutet werden. Möglicherweise nahm er an der Belagerung der Stadt Magdeburg im Mai 1636 auf kaiserlicher Seite teil, ziemlich sicher verbrachte er eine Zeit seines Lebens im westfälischen Kriegsgebiet, wie die detaillierten Schilderungen dieser Region im zweiten und dritten Buch des Simplicissimus zeigen. 1637 und 1638 war er vermutlich Leibdragoner im Regiment des kaiserlichen Feldmarschalls Graf Hans von Götz. Dieses wurde im März 1638 zum Entsatz der Festung Breisach am Oberrhein gesandt, nachdem Bernhard von WeimarFreiburg und Rheinfelden erobert hatte und Breisach belagerte. Grimmelshausen nahm an diesem Feldzug wohl als Musketier teil. Der Entsatz schlug fehl, Breisach fiel am 9. Dezember.

In dieser Zeit lernte Grimmelshausen vermutlich Hans Reinhard von Schauenburg kennen, der ihn wenig später als Schreiber in die Regimentskanzlei von Offenburg aufnahm. Seit 1644 sind Schriftstücke in Grimmelshausens Handschrift in dieser Funktion überliefert (vgl. Meid 1984, 78). Diese Tätigkeit übte er bis kurz vor Kriegsende aus, bevor er noch einmal als Sekretär der Regimentskanzlei des Obristen Johann Burkhard von Elter an einem Feldzug nach Bayern teilnahm.

Im Juli 1649 endete Grimmelshausens Militärzeit. Zu dieser Zeit konvertierte er wohl auch zum Katholizismus, um am 30. August 1649 in Offenburg Catharina Henninger, die Tochter eines Wachtmeisters beim Schauenburgischen Regiment und späteren Ratsherrn in Zabern, heiraten zu können (vgl. Breuer 1999, 15).

Nur eine Woche nach der Hochzeit, am 7. September 1649, begann Grimmelshausen seine Tätigkeit als Schaffner (Verwalter) für die Vettern Hans Reinhard und Carl Bernhard von Schauenburg in Gaisbach in der Ortenau. In dieser Funktion verwaltete er die Wirtschaftsangelegenheiten seiner Herren und vertrat deren Interessen bei Geschäften oder der Eintreibung von Schulden. Zu seinen Pflichten gehörte es auch, die durch den Krieg und seine Folgen verwilderte soziale Ordnung wiederherzustellen, wozu auch Aufgaben wie die Organisation der Rodung der von Gestrüpp zugewachsenen Wege und Straßen zu zählen sind. Die Tätigkeit eines Schaffners erforderte viel Geschick und umsichtigen Umgang mit Geld und Gütern (vgl. dazu Boehnke/Sarkowicz 2011, 306–320). Grimmelshausen wurde eine Dienstwohnung gestellt und er wurde durch Naturalleistungen und ein Jahresgehalt von 50 Gulden bezahlt (vgl. Meid 1984, 79). Er nutzte seinen bescheidenen Reichtum, um Grundstücke zu erwerben und in den Jahren 1657/58 betrieb er zusätzlich das Gasthaus Silberner Stern, um seine mittlerweile siebenköpfige Familie ernähren zu können.

In dieser Zeit war an eine literarische oder gar gelehrte akademische Tätigkeit gar nicht zu denken. Dennoch muss er bereits in diesen Jahren jede freie Minute, die ihm seine Verwaltungstätigkeit, die mit vielen zeitraubenden Reisen in der Umgebung verbunden war, seine Tätigkeit als Gastwirt und seine Verantwortung als Familienoberhaupt ließen, mit Lesen und Exzerpieren verbracht haben, um die Grundlagen für seine späteren literarischen Werke zu schaffen. Seine durch den Krieg abgebrochene Schulausbildung und die fehlende universitäre Laufbahn ersetzte er autodidaktisch durch ungeheuren Fleiß und Hartnäckigkeit. Nur so ist es zu erklären, dass Grimmelshausen trotz ungünstigster Voraussetzungen zu einem der wichtigsten Autoren der deutschen Literaturgeschichte werden konnte.

Am 7. September 1660, also genau elf Jahre nach dem Beginn seiner Tätigkeit als Schaffner, wurde Grimmelshausen aus dem Dienst im Hause Schauenburg entlassen. Den Grund dafür machen Boehnke/Sarkowicz 2011, 334 f. daran fest, dass Grimmelshausen bei seinen Herren Schulden machte, die nach einem komplizierten System mit seinem Lohn verrechnet wurden. Letztlich überwogen jedoch die Ausgaben die Einnahmen beträchtlich, was zu seiner Entlassung führte. Seine Schulden beglich er teilweise durch Verkauf, teilweise durch Rückgabe seines erworbenen Grundbesitzes. Dennoch blieben seine Beziehungen zum Haus Schauenburg gut, wie seine Widmungen diverser Schriften an Mitglieder der Familie zeigen.

Erst zwei Jahre später, im Oktober 1662, fand Grimmelshausen wieder eine geregelte Arbeit als Verwalter und Vogt auf der Ullenburg oberhalb des nahegelegenen Dorfes Tiergarten, die der Straßburger Arzt Johann Küffer (1614–1674) vom Haus Württemberg als Pfandlehen erhalten hatte. Diese Stellung behielt er bis zum Frühjahr 1665. Seine Aufgaben ähnelten denen, die er bereits für das Haus Schauenburg geleistet hatte; weil sie sich aber auf die Burg und die nähere Umgebung, etwa die zugehörigen Weinberge beschränkten, fand er vermutlich mehr Zeit zum Lesen und Schreiben. Sicher konnte er auch die Bibliothek seines Dienstherrn benutzen.

Bis 1667 betrieb Grimmelshausen erneut ein Gasthaus mit dem Namen Zum Silbernen Stern, bevor er sich erfolgreich um die Stelle des Schultheißen zu Renchen bewarb, ein Verwaltungsbezirk, der dem Straßburger Fürstbischof Franz Egon von Fürstenberg (1626–1682) unterstellt war. Diese Position hatte er bis zum Ende seines Lebens inne und konnte die Existenz seiner vielköpfigen Familie (bis 1670 wurden ihm zehn Kinder geboren) sichern. Als Schultheiß war es seine Aufgabe, im Verwaltungsbezirk für Ordnung zu sorgen, Befehle des Fürsten zu vollziehen, Abgaben einzutreiben, niedere Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt auszuüben und als Mittler zwischen Herrschaft und Untertanen zu fungieren. In diese knapp zehn Jahre fallen auch fast alle seine Publikationen, wenn man vom Satyrischen Pilgram und vom Keuschen Joseph absieht.

Gerade die Funktion als Mittler zwischen Obrigkeit und Volk brachte Grimmelshausen in Konflikte mit seinem Dienstherrn, der ein Parteigänger Ludwigs XIV. war und dessen Politik die französischen Machtinteressen unterstützte. Als 1673 französische Truppen in die Ortenau einrückten und Kriegsabgaben (Kontributionen) von der Bevölkerung einforderten und der Oberrhein somit wieder Kriegsgebiet wurde, ergriff Grimmelshausen Partei für die Untertanen und schrieb als Schultheiß Petitionen an den Bischof, in denen er darauf hinwies, dass die Bevölkerung die Last der Abgaben nicht länger tragen könne. In dieser Zeit erschien auch seine anonyme Flugschrift Der stoltze Melcher, ein scharfer Angriff auf den Krieg und seine Befürworter, insbesondere auch auf die französische Machtpolitik; anonym erschien die Schrift deshalb, weil Grimmelshausen es offensichtlich nicht wagen konnte, offen gegen den Bischof Partei zu ergreifen. Er befand sich in dieser Situation in „einem Geflecht sozialer Abhängigkeit und gesellschaftlicher Hierarchien“ (Meid 1984, 80), denn obwohl er sich für die Untertanen einsetzte, war er diesen gegenüber doch ein Vertreter der Obrigkeit.

Der Konflikt zwischen dem Reich und den Franzosen sowie dem Straßburger Bischof spitzte sich immer weiter zu (für Details vgl. Boehnke/Sarkowicz 2011, 441–448), so dass Grimmelshausen als vermutlich 54-Jähriger sich noch einmal gezwungen sah, in den Kriegsdienst einzutreten. Ob er tatsächlich noch einmal Waffendienst versah, ist nicht bekannt. Er starb am 17. August 1676 in Renchen, ob an einer Krankheit oder aus anderer Ursache, lässt sich nicht mehr ermitteln. Der Pfarrer von Renchen machte noch am gleichen Tag folgenden Eintrag ins Kirchenbuch:

„Obiit in Domino Honestus et magno ingenio et eruditione Johannes Christophorus von Grimmelshausen praetor huius loci et quam vis ob tumultus belli nomen militiae dederit et pueri hinc inde dispersi fuerint, tamen hic casu omnes convenerunt, et parens sacramento Eucharistiae pie munitus obiit et sepultus est cuius anima requiescat in sancta pace.“

„Es verstarb im Herrn der ehrenwerte Johannes Christoph von Grimmelshausen, ein Mann von großem Ingenium und von gelehrter Bildung, Bürgermeister dieses Ortes. Obgleich er wegen der Kriegswirren wieder Soldat geworden und seine Kinder hierhin und dort verstreut waren, kamen doch alle in diesem Fall zusammen; der Vater starb, fromm gestärkt mit dem Sakrament der Eucharistie, und wurde begraben. Seine Seele möge in heiligem Frieden ruhen“ (zitiert und Übersetzung nach Breuer 1999, 16).

Zumindest im Tode erhielt er also die Anerkennung als Gelehrter, die ihm zu Lebzeiten versagt geblieben war.

Grimmelshausens Ehefrau Catharina starb am 23. März 1683, also fast sieben Jahre nach ihrem Mann (vgl. Meid 1984, 79). Von den zehn Kindern lebten zum Zeitpunkt seines Todes wahrscheinlich nur noch vier. Einer seiner Söhne starb am 15. Dezember 1675, zwei weitere vermutlich bereits im Kindesalter. Über das Schicksal der anderen Söhne und Töchter gibt es keine gesicherten Informationen (vgl. Boehnke/Sarkowicz 2011, 449).

3. Eine Charakterisierung von Grimmelshausens Gesamtwerk
[arrow up]

Das Gesamtwerk Grimmelshausens besteht aus insgesamt 22 Einzeltexten: 10 Romane, eine Kalendeschrift, acht meist kürzere und primär narrative Satiren und drei Traktate, in denen sich narrative und argumentative Elemente mischen, wobei jedoch letztere den Hauptteil der Texte ausmachen.

Zu den zehn Romanen sind zum einen der simplicianische Zyklus (Simplicissimus, Continuatio, Courasche, Springinsfeld und die beiden Vogelnest-Romane) zu zählen, der den Kern von Grimmelshausens Werk bildet, zum anderen der biblische Roman Keuscher Joseph samt dessen Fortsetzung Musai und die beiden Legendenromane Dietwalt und Amelinde, der in der Zeit der Merowinger angesiedelt ist, und Proximus und Lympida, der im Byzanz des 6. nachchristlichen Jahrhunderts spielt.

Der Ewig-währende Calender spiegelt die zeitgenössischen Kalender wider, die neben dem Kalendarium auch allerlei Anekdoten, Wundergeschichten, Bauernpraktiken, Erläuterungen zum Wetter, Hinweise zu Aussaat und Ernte, zur medizinischen Behandlung von Erkrankungen bei Mensch und Tier usw. erhalten, hebt sie aber auf eine satirische Ebene. Die vorliegende Edition beinhaltet, abgesehen von Klaus Haberkamms Faksimile-Ausgabe (1967), die einzige vollständige Edition des Textes.

Die kürzeren Satiren umfassen eine Reihe verschiedenster Schriften mit satirischem Gehalt, der sich in unterschiedlichen Textsorten äußert. Es gibt ein Gesprächsspiel, das nach dem Vorbild von HarsdörffersFrauenzimmer Gesprächspiele (1641–1649) gestaltet ist (Rathstübel Plutonis), einen märchenhaften Text (Beernhäuter), ein Gauklerbuch (Gauckel-Tasche), eine Neujahrsgabe (Bart-Krieg), eine anonyme Flugschrift (Stoltzer Melcher), eine Moralsatire, die als Reise durch die Hölle gestaltet ist (Die Verkehrte Welt), einen von einem fiktiven Herausgeber kommentierten fiktiven Brief des Simplicissimus an seinen Sohn (Galgen-Männlin) und eine Sammlung von Apophthegmen (Anhang und Extract). Bei Anhang und Extract wird Grimmelshausens Autorschaft aber neuerdings wieder angezweifelt (vgl. unten).

Die Traktate sind der Satyrische Pilgram, der die Zweideutigkeit verschiedenster Gegenstände satirisch beleuchtet, der Zweyköpffige Ratio Status, der die an der christlichen Lehre orientierte legitime Herrschaft vom „gottlosen“ Machiavellismus abgrenzt, und der Teutsche Michel, der den sprachpatriotischen Diskurs sowie den zeitgenössischen Sprachgebrauch aus satirischer Perspektive kritisiert (ausführliche Inhaltsangaben und bibliographische Hinweise finden sich unten).

Das Werk Grimmelshausens bietet somit einen Querschnitt durch die Themen, Motive und Textsorten, um die sich die literarischen und gelehrten Diskurse des 17. Jahrhunderts drehen. Es wirft, da die meisten Texte als Satiren angelegt sind, einen beabsichtigt verfremdeten Blick auf die Gesellschaft und ihre Diskurse während und nach dem Dreißigjährigen Krieg, der für Literaturwissenschaftler, Sprach- und Sozialhistoriker, kurz: für alle historisch orientierten Wissenschaften höchst aufschlussreich und in seiner Vielfalt noch nicht annähernd erfasst ist. Diese Erfassung soll die vorliegende Edition erleichtern.

Grimmelshausens Gesamtwerk weist zudem eine Besonderheit auf, die innerhalb der deutschen Literatur einmalig ist und die als Autordiskurs beschrieben werden kann (vgl. zu diesem Abschnitt ausführlich Rosenberger in Vorber.). Grimmelshausens literarische Texte stehen in vielfältigen intertextuellen Beziehungen zueinander, die eine polyphone Gesamtstruktur ergeben, in der verschiedenste Meinungen, Ideologien und Lebenseinstellungen zu Wort kommen, einander bestätigen, modifizieren, ergänzen und widersprechen, kurz: die in diskursiven Beziehungen zueinander stehen.

Diskurse lassen sich als eine Anzahl von Texten beschreiben, die in thematischer und semantischer Beziehung zueinander stehen. Sie entstehen nicht per se, sondern sie werden vom Diskursanalytiker als solche konstituiert, indem dieser sein Untersuchungskorpus zusammenstellt und bestimmte Texte als zum Korpus gehörig und andere als nicht zum Korpus gehörig erklärt und zudem plausibel macht, welche Texte er aus welchen Gründen (arbeitsökonomische, sprachliche usw.) nicht in sein Korpus aufgenommen hat, obwohl sie hätten dazugehören können. Mit anderen Worten: Ein Einzeltext ist nicht aus sich heraus eine Konstituente eines bestimmten Diskurses, sondern er wird durch den Diskursanalytiker zu einer gemacht, was dieser durch plausible Gründe rechtfertigen muss (angesichts der vielfältigen Literatur zur Diskursanalyse, deren Auflistung den Rahmen sprengen würde, sei hier nur auf eine einführende Darstellung in die linguistische Diskursanalyse verwiesen: Spitzmüller/Warnke 2011; dort weitere Literatur).

Ein Sonderfall des Diskurses ist der Autordiskurs. Während Diskurse normalerweise durch ihre Vielstimmigkeit geprägt sind, d. h. durch viele verschiedene Autoren mit unterschiedlichen Meinungen, Weltanschauungen, Kommunikations- und Wirkungsabsichten usw. konstituiert werden, wird der Autordiskurs von einem einzigen Autor geschaffen. Dieser legt die verschiedenen von ihm produzierten Einzeltexte bewusst diskursiv an, d. h. er stellt Beziehungen her, durch die die Einzeltexte aufeinander verweisen. Der Autordiskurs bildet somit einen vom Autor als solchen intendierten Mikrokosmos, der durch das Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Texten entsteht.

Um diesen Sachverhalt deutlicher zu machen, sei zunächst einmal der Autordiskurs von andern Formen der Beziehungen zwischen Einzeltexten ein und desselben Autors abgegrenzt.

Der Autordiskurs beschränkt sich nicht auf bloße Motivgleichheit zwischen einzelnen Texten eines Autors. In verschiedenen Romanen und Erzählungen Thomas Manns wird etwa die Künstlerproblematik in Auseinandersetzung mit dem Bürgertum (z. B. Buddenbrooks) oder in Verbindung mit Krankheit (z. B. in Der Tod in Venedig oder im Doktor Faustus) thematisiert. Diese motivlichen Verbindungen zwischen den Texten machen Thomas Manns literarisches Werk jedoch nicht zu einem Autordiskurs.

Ebenso wenig ist darunter die explizite Bezugnahme eines Textes auf andere zu verstehen. So ist etwa Oskar Matzerath der Protagonist in Günter Grass'Die Blechtrommel und tritt in Die Rättin noch einmal auf, in Katz und Maus wird er darüber hinaus erwähnt. Doch auch dieses Merkmal reicht nicht aus, um von einem Autordiskurs zu sprechen.

Der Autordiskurs ist zudem kein in sich geschlossener Zyklus wie Thomas MannsJoseph-Tetralogie oder RilkesDuineser Elegien, die jeweils nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Gesamtwerk ihrer Autoren repräsentieren. Vielmehr umfasst der Autordiskurs (nahezu) das gesamte Oeuvre eines Autors.

Alle diese Merkmale sind in Grimmelshausens Gesamtwerk nachzuweisen: Seine Einzeltexte bilden ein komplexes Geflecht von expliziten und impliziten Beziehungen zu den anderen Einzeltexten und integrieren nahezu alles, was Grimmelshausen an literarischen Texten produzierte. Durch die interne Polyphonie werden Themen aus unterschiedlichsten Perspektiven erörtert und diskutiert, nahezu jede mögliche Position kommt zu Wort. Grimmelshausens Gesamtwerk ist damit ein in der deutschsprachigen Literatur in dieser Form einmaliger Autordiskurs.

Insgesamt sind mindestens sieben verschiedene diskurskonnektive Elemente zu unterscheiden (wobei davon auszugehen ist, dass die Liste erweiterbar ist). Diese sind:

a) Autorpseudonyme

b) Fiktive Verfasserschaft

c) Figuren

d) Perspektivität

e) Motive

f) Diskurstranszendente Intertextualität

g) Diskursimmanente Intertextualität

Autorpseudonyme: Nur drei Texte (die beiden historischen Legendenromane Dietwalt und Amelinde und Proximus und Lympida sowie den Traktat Zweyköpffiger Ratio Status) publizierte Grimmelshausen unter seinem richtigen Namen, einige blieben anonym, für den Rest benutzte er Autorpseudonyme. Fast alle diese Autorpseudonyme sind Anagramme von Christoffel von Grimmelshausen:

Nun stellt sich die Frage, warum Grimmelshausen den Großteil seiner Texte anonym oder unter Pseudonymen publizierte. Der Verweis auf die allgegenwärtige Zensur, die Autoren zwang, ihre Texte mit der politischen und konfessionellen Linie konform zu halten oder die Anonymität zu suchen, greift zu kurz, weil Grimmelshausen in seinen Werken selbst Hinweise zur Entschlüsselung der Autorpseudonyme liefert. Vielmehr ist anzunehmen, dass das anagrammatische Verwirrspiel mit Grimmelshausens Satireauffassung zusammenhängt: Die Leser sollen den Simplicissimus und die anderen satirischen Texte nicht einfach zur Unterhaltung lesen, sondern sie sollen den satirischen Kern und die dahinterstehende Norm erkennen. Indem die Satire einen kontinuierlichen Lesefluss durch Brüche und Stolpersteine verhindert, zwingt sie den Leser zur Reflexion des Gelesenen. Grimmelshausens Mittel, solche Lesehemmnisse zu produzieren, sind vielfältig, teilweise sehr subtil (vgl. dazu Rosenberger in Vorber.). Die Anagrammatik gehört zu den eher subtilen Mitteln, denn es braucht Scharfsinn, ihre Problematik überhaupt zu erkennen. An prominenter Stelle, am Schluss der Continuatio, gibt Grimmelshausen jedoch einen expliziten Hinweis, wie seine anagrammatischen Autorpseudonyme zu lesen sind:

„Hochgeehrter großgünstiger lieber Leser / etc. dieser Simplicissimus ist ein Werck vom Samuel Greifnson vom Hirschfeld / massen ich nicht allein dieses nach seinem Absterben unter seinen hinderlassenen Schrifften gefunden / sonder er bezeugt sich auch selbst in diesem Buch auff den keuschen Joseph den er gemacht / und in seinem Satyrischen Pilger auff diesen seinen Simplicissimum, welchen er in seiner Jugend zum theil geschrieben / als er noch ein Mußquetirer gewesen; auß was Ursach er aber seinen Namen durch Versetzung der Buchstaben verändert / und German Schleifheim von Sulsfort an dessen statt auff den Titul gesetzt / ist mir unwissent; sonsten hat er noch mehr feine Satyrische Gedichte hinderlassen / welche / wann diß Werck beliebt wird / wol auch durch den Truck an Tag gegeben werden köndten; so ich dem Leser zur Nachricht nicht verbergen wollen; diesen Schluß habe ich nicht hinderhalten mögen weil er die erste fünff Theil bereits bey seinen Lebzeiten in Truck gegeben. Der Leser leb wol. dat. Rheinnec den 22. Apprilis Anno 1668. H. J. C. V. G. P. zu Cernhein“ (Cont, fol. G 10r).

Die Abkürzung in der Unterschrift ist unschwer als Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Praetor (= Schultheiß) zu Renchen zu entschlüsseln. Demnach ist Samuel Greifnson vom Hirschfeld Autor des Keuschen Joseph, des Satyrischen Pilgram und des Simplicissimus samt der Continuatio. Die beiden letzteren Texte hat er unter dem Namen German Schleifheim von Sulsfort herausgegeben, der Grund für die Namensänderung wird ironisch verschwiegen, wohl aber mit der Versetzung der Buchstaben auf die anagrammatische Technik verwiesen. Indem die Titelfigur im ersten Kapitel des II. Buchs des Simplicissimus als fiktiver Autor des Satyrischen Pilgram und im 19. Kapitel des III. Buchs als Autor des Dietwalt und Amelinde identifiziert wird, lässt sich auch Simplicius' Taufname Melchior Sternfels von Fuchsheim, der zugleich fiktiver Autor des Ewig-währenden Calenders ist, in das anagrammatische System einordnen. In Dietwalt und Amelinde gibt sich Grimmelshausen zudem als Autor von Courasche und Springinsfeld zu erkennen, in der Vorrede zu Vogelnest II auch als Autor der beiden Vogelnest-Romane.

Auf diesem hier nicht vollständig nachvollzogenen Pfad lassen sich die Autorpseudonyme systematisch auflösen. Die Spuren, die zur Entschlüsselung der Anagramme führen, hat Grimmelshausen selbst gelegt. Es war also keineswegs seine Absicht, seine Autorschaft zu verbergen, sondern die Anagramme sind eine Herausforderung an den Scharfsinn des Lesers und auch ein Weg, ihn auf falsche Fährten zu locken. Dadurch, dass der Taufname des Simplicissimus selbst ein Anagramm des Namens seines Schöpfers darstellt und Simplicissimus als fiktiver Verfasser einiger Texte Grimmelshausens auftritt (vgl. den nächsten Punkt), ist er Hauptfigur, Nebenfigur, fiktiver Verfasser und Alter Ego des Autors zugleich. Verwechslungen zwischen Grimmelshausen und Simplicissimus sind offenbar gewollt. Die literaturwissenschaftliche Praxis, strikt zwischen Autor und Hauptfigur, zwischen Autor und Erzähler zu trennen, lässt sich oft nicht aufrechterhalten, weil an vielen Stellen nicht klar ist, ob nun Simplicissimus spricht, ob er Sprachrohr Grimmelshausens ist oder ob sich Grimmelshausen selbst an den Leser wendet. Zudem werden mit Philarchus Grossus von Trommenheim, dem fiktiven Schreiber der Courasche und des Springinsfeld oder dem anonymen Verfasser des Bart-Krieg Gegenfiguren zu Simplicissimus geschaffen, die aber wiederum mit Grimmelshausen in Beziehung gesetzt werden können (im Bart-Krieg etwa wendet sich ein Rotbärtiger gegen den Schwarzbart Simplicissimus). Die Anagrammatik unterstützt damit das Verwirrspiel, das Grimmelshausen mit seinen Texten veranstaltet, und ist zugleich diskurskonnektives Element.

Fiktive Verfasserschaft: Wie bereits erwähnt, publizierte Grimmelshausen nur drei seiner Texte unter seinem richtigen Namen. Die Autorpseudonyme bei den anderen Texten dagegen fingieren fiktive Verfasserschaften. Der wichtigste fiktive Verfasser ist, wie schon angedeutet, Simplicissimus. Für den Autor Simplicissimus lassen sich mindestens drei Rollen unterscheiden:

Erstens wird er selbst als Schriftsteller tätig. Am Ende der Continuatio berichtet er, wie er seine eigene Lebensgeschichte niederschreibt:

„Endlich fandt ich / daß ich Praesilien Safft deren es vnderschiedliche Gattung auff dieser Jnsul gibt / wann solche mit Citronen-Safft vermischt werden / gar wol auff eine Art grosser Palmblätter zuschreiben seye / welches mich höchlich erfreute / weil ich nunmehr ordenliche Gebett concipirn und auffschreiben kondte; zuletzt als ich mit hertzlicher Reu meinen gantzen geführten Lebens-Lauff betrachtete / und meine Bubenstück die ich von Jugend auff begangen / mir selbsten vor Augen stellte / und zu Gemüth führete / daß gleichwohl der barmhertzige GOtt unangesehen aller solchen groben Sünden / mich bißher nit allein vor der ewigen Verdambnuß bewahrt / […] beschriebe ich alles was mir noch eingefallen / in dieses Buch so ich von obgemelten Blättern gemacht“ (Cont, fol. F 9r).

Nach eigener Aussage begann er jedoch schon früher zu schreiben: An verschiedenen Stellen des Simplicissimus wird der Eindruck erweckt, er sei auch der Autor des Satyrischen Pilgram (=Schwartz und Weiß) und des Keuschen Joseph:

„JN meinem Gäns-Stall concipirte ich / was beydes vom Tantzen und Sauffen ich im ersten Theil meines Schwartz und Weiß hiebevor geschrieben“ (ST, S. 122).

„Jn Summa / es ist nicht außzusprechen / was das liebe Geld vermag / wie ich dann hiebevor in meinem Schwartz und Weiß etwas darvon geschrieben / wenn mans nur recht zu brauchen und anzulegen weiß“ (ST, S. 324).

„Jch gieng offt zum ältesten Pfarrer derselbigen Statt / als der mir auß seiner Bibliothec viel Bücher lehnete / und wenn ich ihm eins wieder brachte / so discurirte er von allerhand Sachen mit mir / dann wir accommodirten uns so miteinander / daß einer den andern gern leiden mochte: Als nun nicht nur die Martins-Gäns und Metzelsuppen hin und wieder / sondern auch die H. Weyhnacht-Feyertäge vorbey waren / verehrte ich ihm eine Flaschen voll Straßburger Brandtewein zum Neuen Jahr […] und kam darauff hin ihn zu besuchen / als er eben in meinem Joseph lase / welchen ihm mein Wirth ohne mein Wissen geliehen hatte: Jch entfärbte mich / daß einem solchen gelehrten Mann meine Arbeit in die Hände kommen solte / sonderlich weil man darvor hält / daß einer am besten auß seinen Schrifften erkennet werde; Er aber machte mich zu ihm sitzen / und lobte zwar meine Invention, schalte aber / daß ich mich so lang in der Seliche (die Potiphars Weib gewesen) Liebes-Händeln hätte auffgehalten; Wessen das Hertz voll ist / gehet der Mund über / sagte er ferners / wenn der Herr nicht selbsten wüste wie einem Buler umbs Hertz ist / so hätte er dieses Weibs Passiones nicht so wol außführen / oder vor Augen stellen können: Jch antwortet / was ich geschrieben hätte / das wäre mein eigene Erfindung nicht / sondern hätte es auß andern Büchern extrahirt / mich umb etwas im Schreiben zu üben“ (ST, S. 352 f.).

Zweitens ist Simplicissimus fiktiver Autor von Schriften, die er an seinen gleichnamigen Sohn richtet. Dies sind der Ewig-währende Calender und das Galgen-Männlin. In der Vorrede zum Calender heißt es:

„MEin liebes Kind: Wann du über kurtz oder lang nach meinem Hintritt über diesen Calender kommst / so sey ermahnet / daß ich ihn allein vor dich / und zwar mir und dir zu Nutz geschrieben; Mir / daß ich in so langweiliger Zeit auf meinen solchen einzelen Bauern-Hof den Müssiggang vermitten / und die Wunder Gottes desto besser betrachtet; dir aber / daß du ihn auch zu müssigen Zeiten gebrauchen sollest / in Durchlesung desselben deinen Verstand zu üben und aufzumuntern“ (EC, Vorrede, S. 3).

Beide Texte wurden zur Ermahnung und Erbauung des jungen durch den alten Simplicissimus verfasst. Außerdem erwähnt Simplicissimus in Rathstübel Plutonis den Roman Proximus und Lympida, den er gerade geschrieben habe: „Jch habe diese schöne Histori erst neulich zu meiner Zeitvertreibung mit allen ihren Umbständen zu Papier gebracht / und werde sie villeicht der gantzen Welt durch den Edlen Truck gemein machen“ (RP, 86).

Schließlich taucht Simplicissimus im Titel einiger Texte auf, die inhaltlich nicht zwingend in den simplicianischen Kosmos gerückt werden müssen, was aber durch die Nennung der Zentralgestalt dieses Kosmos dennoch naheliegt. Es handelt sich um folgende Texte:

Simplicissimi Wunderliche Gauckel-Tasche

Des Abenteuerlichen Simplicissimi Verkehrte Welt

Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status

Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel

Die fiktiven Verfasser stehen in einem äußerst komplexen und in sich widersprüchlichen Verhältnis zueinander (vgl. dazu Rosenberger in Vorber.). So entsteht an manchen Stellen der Eindruck, Simplicissimus und Grimmelshausen seien ein und dieselbe Person, an anderen Stellen ergreift Grimmelshausen hinter der Maske eines Anderen Partei gegen Simplicissimus, wiederum an anderen Stellen scheint sogar die Kunstfigur Simplicissimusrealer zu sein als die historische Person Grimmelshausen. So ergibt sich ein Vexierspiel, in dem Grimmelshausen mal selbst als Autor erscheint, mal sich hinter der Maske des Simplicissimus versteckt. Auch hier wird der interpretatorische Fleiß und Scharfsinn des Lesers herausgefordert, die inneren Widersprüche verrätseln das Verhältnis von Grimmelshausen und Simplicissimus. So wirken auch die fiktiven Verfasserschaften diskurskonnektiv.

Figuren: Auch durch die Figuren entsteht Diskurskohärenz, denn eine nicht unerhebliche Anzahl an Personen tritt in zwei oder mehr Texten auf oder wird zumindest erwähnt. Dies ist insbesondere bei Simplicissimus, der Zentralfigur des Autordiskurses, der Fall: Er ist Protagonist des Simplicissimus und der Continuatio, tritt als Person in Courasche, Springinsfeld, Vogelnest I, Rathstübel Plutonis und Ewig-währenden Calender auf; letzterer sowie Galgen-Männlin wurden der Fiktion nach von ihm verfasst. Zudem ist er, wenn man obiger Interpretation folgt, der fiktive Autor der Verkehrten Welt, des Satyrischen Pilgram, des Keuschen Joseph, des Musai, des Beernhäuters und der Gauckel-Tasche sowie des Ratio Status und des Teutschen Michel. In Vogelnest II und Bart-Krieg wird er erwähnt. Somit ist Simplicissimus in Grimmelshausens Werk nahezu allgegenwärtig und hält die Einzeltexte unter anderem auch durch diese Präsenz zusammen.

Auch andere Figuren treten in mehreren Texten auf, als Haupt- und als Nebenfigur, doch nicht so omnipräsent sind wie Simplicissimus. Springinsfeld etwa ist die Hauptfigur im Springinsfeld und Nebenfigur in Simplicissimus, Courasche und Rathstübel Plutonis. Außerdem findet er Erwähnung in beiden Vogelnest-Romanen. Ähnliches lässt sich für den Knan und die Meuder, für Courasche, für Joseph, Asaneth und für Musai nachweisen.

Eine solche Häufung von Figuren, die mehrfach in verschiedenen Texten ein und desselben Autors auftreten, spricht für absichtlich herbeigeführte Diskurskohärenz. Insbesondere der simplicianische Zyklus weist eine hohe Dichte an immer wiederkehrenden Figuren auf. So kann man sagen, dass die Figuren als diskurskonnektive Elemente fungieren.

Perspektivität: Eine grundlegende Eigenschaft von Diskursen ist die Multiperspektivität, die Vielstimmigkeit konträrer Meinungen. In den Diskursen finden Aushandlungsprozesse statt, in denen verschiedenste Positionen aufeinanderprallen; diese enden im Konsens oder im Dissens. Diese Eigenschaft erfüllt auch Grimmelshausens Gesamtwerk, in diesem Autordiskurs kommen praktisch alle gesellschaftlichen Stände und Positionen zu Wort, der Adel ebenso wie der Bauernstand, der Klerus, die Kaufleute, Handwerker, Gelehrten, Soldaten, es treten auch Repräsentanten aus dem Rand der Gesellschaft auf wie Bettler, Zigeuner und Juden. Beispielhaft vorgeführt ist diese Multiperspektivität in Rathstübel Plutonis, wo alle Stände gleichberechtigt über die Frage diskutieren, wie man am besten reich wird. Dieser Text ist ein Musterbeispiel für die Diskursivität von Grimmelshausens Werk.

Verschiedene Ereignisse werden bei Grimmelshausen aus unterschiedlicher Perspektive erzählt. Auffällig ist etwa die Schilderung der Begegnung des Simplicissimus mit Courasche in Sauerbrunnen im sechsten Kapitel des V. Buchs des Simplicissimus. Courasche wird zwar nicht mit Namen genannt, dennoch fühlt sie sich durch diese Schilderung so sehr beleidigt, dass sie ihre Lebensgeschichte „dem Simplicissimo zu Trutz“ aufschreibt und im 24. Kapitel der Courasche die Begegnung in Sauerbrunnen aus ihrer Perspektive erzählt, die einen völlig anderen Ablauf der Ereignisse suggeriert. Beide beschreiben und bewerten den Sachverhalt höchst unterschiedlich. Eine neutrale, objektive Schilderung der Begegnung gibt es nicht, es ist Sache des Lesers zu entscheiden, welcher Darstellung er mehr Glauben schenkt. Der Streit wird auf literarischer Ebene ausgetragen, die Schilderung des Simplicissimus ruft unmittelbar die Abfassung der Courasche hervor. In den Anfangskapiteln des Springinsfeld wird der Streit schließlich weitergeführt, die Auseinandersetzung bleibt aber einseitig, weil Courasche die Möglichkeit zur Partizipation am Diskurs (hier ein Diskurs im Diskurs!) fehlt.

Dieser Streit zwischen Simplicissimus und Courasche ist nur ein Beispiel für die unzähligen Meinungen, Positionen und Perspektiven, die in Grimmelshausens Schriften gegenübergestellt, miteinander kombiniert und gegeneinander ausgespielt werden. Ein und derselbe Sachverhalt wird aus unterschiedlichsten Perspektiven geschildert, bewertet und kommentiert. Zu dieser Multiperspektivität tragen die verschiedenen Autoranagramme, das Verwirrspiel der fiktiven Verfasserschaften und das Auftreten einzelner Figuren in verschiedenen Texten bei. Die Perspektivität ist daher ein wichtiger Baustein des Autordiskurses.

Motive: Der Autordiskurs konstituiert sich auch durch ein dichtes Netz von Motiven, Metaphern und Gedankenfiguren. Konstanten in Grimmelshausens Werk sind etwa die Ablehnung des Krieges, die kritische Haltung zu Geld und Wirtschaftswesen, die – im Vergleich zur moralisch-didaktischen Literatur der Zeit – relativ unaufdringlich präsentierten Dogmen des Katholizismus, die Vorstellung von der Unbeständigkeit der Welt, Bildmotive wie die Kröte, die körperliche Krankheit und/oder Verstümmelung, die als Gottesstrafe ausgelegt wird, oder die rätselhaften, sich aber stets erfüllenden Prophezeiungen.

Dieses Geflecht von Themen, Motiven und Gedankenfiguren wirkt diskurskonnektiv, weil diese sich stets aufeinander beziehen lassen, einander bestätigen oder auch in Frage stellen. Auf diese Weise tragen sie auch zur Multiperspektivität bei und fungieren somit als diskurskonnektive Mittel.

Diskurstranszendente Intertextualität: Unter dem Terminus diskurstranszendente Intertextualität wird solche Intertextualität gefasst, die über den Autordiskurs hinausverweist. Grimmelshausens montiert in seine Texe etwa ganze Passagen aus Werken anderer Autoren ein, etwa aus Garzonis Piazza Universale oder dem Theatrum Europaeum. Grimmelshausen ist jedoch kein einfacher Plagiator, sondern er gibt den fremden Textbausteinen durch das Einfügen in einen anderen Kontext neue semantische Beziehungen und schafft so neue Verknüpfungen. Auf diese Weise wird etwa aus dem Simplicissimus

„ein rätselhafter Bilderbogen, der durch die dissonante Welt des 17. Jahrhunderts führte, ein Narren- und Satyrspiel, das sich zwischen abgründiger Chaotik und Heilsgeschichte bewegte, und schließlich das Produkt einer Erzählkunst, die man angesichts ihrer wuchernden alchimistisch-astrologischen, mythologischen, biblischen, emblematischen und allegorischen Intertexte mit einem Begriff Michail Bachtins als polyphon bezeichnen könnte“ (Schmitt 1993, 69).

Auf diese Weise reiht sich Grimmelshausen in die verschiedenen Diskurse seiner Zeit ein und wird selbst zu einem Teil dieser Diskurse. Er greift auf diskursive Versatzstücke zurück, auf Lexeme, Syntagmen, Phraseologismen, Topoi oder Metaphern, rückt sie in neue Kontexte, gibt ihnen neue semantische Beziehungen und trägt auf diese Weise zur Etablierung, Perpetuierung und Modifizierung der Diskurse bei. Grimmelshausens literarisches Verfahren zeigt, dass der spielerische Umgang mit Zitaten, Anspielungen und intertextuellen Verweisen keine Erfindung der Postmoderne ist.

Die transdiskursive Intertextualität kann auch für innerdiskursive Kohärenz sorgen, indem verschiedene Texte gemeinsam auf dieselben externen Quellen oder Konzepte Bezug nehmen. So wird etwa in vier verschiedenen Texten das politische Konzept des Machiavellismus auf argumentativer Ebene diskutiert oder auf narrativer Ebene dargestellt, nämlich einerseits im Satyrischen Pilgram und im Ratio Status und andererseits in Dietwalt und Amelinde und im Simplicissimus. Diese Konnexion trägt ebenfalls zur Konstitution des Autordiskurses bei. Dieser zeigt sich als „zum Netzwerk verknüpftes Agglomerat von Büchern, die durch eine bestimmte oder unbestimmte Anzahl von Verweisen auf jeweils andere Bücher miteinander verflochten sind“ (Schmitt 1993, 73). So gesehen sind Grimmelshausens Texte „aus Literatur gemachte [...] Literatur“ (ebd.).

Diskursimmanente Intertextualität: Im Gegensatz zur transdiskursiven Intertextualität beschränkt sich die diskursimmanente Intertextualität auf den Autordiskurs. Dieses diskurskonnektive Mittel hat insofern einen etwas anderen Charakter, als es alle bisher beschriebenen diskurskonnektiven Mittel mit einbezieht. Sie ist somit einerseits den anderen übergeordnet, ihnen andererseits aber auch nebengeordnet, da sich auch Intertextualität nachweisen lässt, die nicht ohne Weiteres unter eine der anderen sechs Kategorien gefasst werden kann. Diese Intertextualität besteht vor allem in impliziten und expliziten Querverweisen in Grimmelshausens Gesamtwerk. Ein expliziter Querverweis liegt etwa vor, wenn zu Beginn von Vogelnest I auf das letzte Kapitel des Springinsfeld verwiesen wird, wo über die Tötung der Leyrerin und das Verschwinden des Hellebardiers berichtet wird. Später verweist der Protagonist ausdrücklich auf den Simplicissimus: „Gibt mich dannoch nicht Wunder / daß der alte Simplicissimus in alle Kupfferstück so sich in seiner Lebens-Beschreibung befinden / gesetzt hat: Der Wahn betreugt!“ (WV I, S. 105). Mit der Literaturkritik des Simplicissimus an Philipp von Zesens Assenat wird auf den Keuschen Joseph verwiesen, der hier Simplicissimus selbst zugeschrieben wird. Am Schluss des Romans Vogelnest II ist der erste Teil der Vogelnest-Romane gerade erschienen (vgl. WV II, S. 340).

Mehr Interpretation erfordern die impliziten Verweise, auch wenn einige von ihnen offensichtlicher sind als andere. Zu den offensichtlichen Verweisen gehört z. B. Springinsfelds Reaktion auf die Nennung der Courasche durch Philarchus Grossus von Trommenheim: „Er antwortet ach die Blut Hex! schlag sie der Donner; lebt das Teuffelsvihe noch? es ist kein leichtfertigere Bestia seit Erschaffung der Welt von der lieben Sonnen niemahl beschienen worden!“ (Spr, S. 43). Wer die Courasche kennt, kann diese Reaktion nachvollziehen. Philarchus erinnert Simplicissimus außerdem daran, dass dieser selbst von Courasche berichtet habe: „mein hochgeehrter Herr wird sich bald müd gehört haben / dann dies ist eben die jenige deren er im sechsten Capitul des fünfften Buchs seiner Lebens-Beschreibung selbst gedacht hat“ (ebd., S. 45).

Deutlich subtiler ist eine andere Form intertextueller Verweise. In der kurzen Inhaltsangabe des Keuschen Joseph ist davon die Rede, dass die Josephsgeschichte „einfältig erzehlt“ werde (KJ, S. 2). Das Adverb einfältig ist das deutsche Heteronym zum lateinischen simplex und verweist direkt auf Simplicissimus. Die Anspielung kündigt einen Roman im simplicianischen Stil und damit einen satirischen Roman an.

Im Musai spricht Joseph von einer Geheimlehre und kündigt einen Menschen an, der alle Menschen vor dem Tod retten werde. An dieser Stelle unterbricht der Erzähler seinen Bericht, um Josephs Worte zu erläutern: „Hier redet Joseph ohne Zweiffel von Christo / dem allgemeinen Heiland / und verstehet durch die heilige Geheimnüß nichts anders / als die Göttliche Cabalam, von deren und der verworffenen Cabala ich vielleicht an einem andern Ort zu schreiben Ursach haben werde“ (M, S. 67 f.). Hier wird möglicherweise auf das vierte Kapitel des Teutschen Michel angespielt, wo von der Kabbala die Rede ist.

Im 9. Kapitel des Teutschen Michel zitiert Grimmelshausen aus Vogelnest I, wobei er eine exakte Quellenangabe gibt und nahezu wörtlich zitiert, aber verschweigt, dass beide Texte von ihm selbst stammen:

„Der Autor des wunderbarlichen Vogelnests hat pag. 72. eine Histori von einen Bauern / der ebenmässig ein dergleichen Sprichwort an sich gehabt / der aber hingegen seinen Renntmeister damit beschlagen gleichwie diser König obgemelten Stattschreiber abgefertigt; vnd weil sie sich hieher schickt / will ich sie auch von Wort zu Wort hieher setzen“ (TM, S. 85).

In der Vorrede zu Vogelnest II schließlich gibt Grimmelshausen explizite Hinweise, dass die fünf Bücher des Simplicissimus, die Continuatio, die Courasche, der Springinsfeld und die beiden Vogelnest-Romane als simplicianischer Zyklus zu verstehen seien und so diese Romane eng miteinander zusammenhingen, so eng, dass die einzelnen Bücher nur im Zusammenhang verständlich seien:

„Sonsten wäre dieses billich das zehende Theil oder Buch deß Abentheuerlichen Simplicissimi Lebens-Beschreibung / wann nemlich die Courage vor das siebende / der Spring ins Feld vor das achte / und das erste part deß wunderbarlichen Vogel-Nests vor das neundte Buch genommen würde / sintemahl alles von diesen Simplicianischen Schrifften aneinander hängt / und weder der gantze Simplicissimus, noch eines auß den obengemeldten letzten Tractätlein allein ohne solche Zusammenfügung genugsam verstanden werden mag“ (WV II, S. 20).

Grimmelshausen macht hier das alte hermeneutische Prinzip stark, nach dem der Teil aus dem Ganzen und das Ganze aus seinen Teilen zu verstehen sei. Dies gilt, so die These, nicht nur für den simplicianischen Zyklus, sondern für Grimmelshausens gesamtes Werk.

Die hier vorgestellte Typologie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Exhaustivität. Sie soll lediglich die auffälligsten Mittel der Herstellung von Konnexion im Autordiskurs Grimmelshausens aufzeigen und beschreiben sowie die Annahme der Existenz eines Autordiskurses im Gesamtwerk Grimmelshausens plausibel machen. Es ist nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr wahrscheinlich, dass sich noch weitere Typen der Konnexion finden lassen.

4. Textkonstitution und Kodierung
[arrow up]

4.1. Vorgehensweise und Korpus
[arrow up]

Die Erarbeitung der Edition wird in drei Schritten vollzogen (vgl. dazu prinzipiell Bär et al. 2010 und Rosenberger 2012): Im ersten Schritt wurden die Textgrundlagen in Form von digitalen Faksimiles beschafft. Textgrundlage sind, der gängigen Praxis der Grimmelshausen-Philologie folgend, stets die Erstdrucke, da die späteren Drucke zahlreiche sprachliche und z. T. auch inhaltliche Überarbeitungen aufweisen, für die Grimmelshausen wahrscheinlich nicht verantwortlich ist, so dass nur die Erstdrucke einen - von den aufgrund fehlender Handschriften nicht mehr nachweisbaren Eingriffen der Verleger und Setzer abgesehen - authentischen Text Grimmelshausens wiedergeben (vgl. dazu Bär et al. 2010, 459 f.). Die Erstdrucke wurden durch Mitarbeiter der folgenden Bibliotheken digital faksimiliert und uns zugesandt:

Auf der Grundlage dieser Faksimiles wurden durch Abtippen Volltexte erstellt. Dabei wurden einige prinzipielle Änderungen im Schriftfbild vorgenommen, v. a. die Umstellung von Fraktur auf Antiqua, bzw., bei fremdsprachigen Ausdrücken und Passagen, von Antiqua auf Kursive. Bei der graphischen Gestaltung der Edition wird außerdem darauf verzichtet, die verschiedenen 'r'- und 's'-Varianten abzubilden, ebenso auf die Wiedergabe des überschriebenen 'e' bei Umlauten und andere für die Schriftlichkeit der Zeit spezifische Zeichen wie Ligaturen; Abkürzungen wie z. B. Nasalstriche wurden aufgelöst. Dies ist der besseren Handhabbarkeit bei der elektronischen Datenverarbeitung geschuldet, da etwa der Aufwand, den die Codierung des überschriebenen 'e' erfordert, durch den Ertrag unseres Erachtens nicht gerechtfertigt würde.

Im zweiten Schritt wurden Abschreibfehler in den Volltexten ausgebessert und Druckfehler im Faksimile markiert (vgl. dazu unten, 4.8). Anschließend werden die Texte nach den in Abschnitt 4 beschriebenen Richtlinien annotiert, d. h. unter der Textoberfläche mit Lemmata und linguistischen Kommentaren angereichert. Die fertige Annotation wurde abschließend noch einmal kritisch durchgesehen, um Annotationsfehler und Unregelmäßigkeiten zu korrigieren.

Im dritten Schritt schließlich wurden die annotierten Texte auf dem Server der Herzog August Bibliothek publiziert und archiviert.

In dieser Edition werden alle in Breuer 1999 behandelten Texte berücksichtigt. Inzwischen ist die Autorschaft Grimmelshausens seit den Arbeiten Jan Hendrik Scholtes (z. B. Scholte 1912) und Manfred Koschligs (v. a. Koschlig 1939)in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei den meisten Texten gesichert. In einigen Fällen ist sie jedoch zweifelhaft; dies muss in einer Edition, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll, berücksichtigt werden. Es gehört zu den Aufgaben der Herausgeber, die Auswahl der in die Edition aufgenommenen Texte zu begründen und ggf. zu rechtfertigen. Die Streitfälle betreffen vor allem zwei Texte bzw. Textkomplexe:

Koschlig hatte Grimmelshausens Verfasserschaft im Falle den beiden Kurztexte Anhang und Extract für bewiesen erklärt (vgl. Koschlig 1939, 56–65), mehr als ein halbes Jahrhundert wurde ihm nicht widersprochen, seither wurden sie in jede Gesamtausgabe integriert. In jüngerer Zeit wurden jedoch neue Zweifel an der Annahme geäußert, dass man die beiden Texte ohne weiteres Grimmelshausen zuschreiben könne. Namentlich Italo Michele Battafarano und Hildegard Eilert verweisen auf den erst 1979 wiederentdeckten anonymen Kurztext Spezification der Antiquitäten, der 1665 erstmals publiziert wurde und frappierende Ähnlichkeiten mit Anhang und Extract aufweist. Auf der Grundlage detaillierter Textvergleiche weisen sie Koschligs Urteil, dass an der Echtheit des Anhang und Extract kein Zweifel mehr bestehen könne (Koschlig 1939, 65), zurück. Vielmehr müsse die Spezification der Antiquitäten als Vorlage für die beiden Kurztexte angesehen werden. Daraus schließen sie, dass Grimmelshausen nicht der Autor von Anhang und Extract sein könne (vgl. Battafarano/Eilert 2001, 358). Dass Grimmelshausen die Texte bearbeitet und in der bekannten Form am Ende des Fliegenden Wandersmann platziert haben könnte, schließen sie allerdings nicht aus.

Die beiden Texte Anhang und Extract werden trotz der begründeten Zweifel, die Battafarano und Eilert an ihrer Echtheit hegen, und auch trotz der Tatsache, dass sie sich als einzige Grimmelshausen zugeschriebene Texte nicht in das dichte Netz von fiktiven anagrammatischen Autor- und Figurennamen, Querverweisen und intertextuellen Bezügen, die oben als Autordiskurs beschrieben wurden, einfügen lassen, in die Edition aufgenommen. Dies erfolgt nicht nur deshalb, weil die Autorschaft Grimmelshausens nicht völlig ausgeschlossen werden kann, sondern auch, um diesbezügliche weitere Forschungen durch ein elektronisches Hilfsmittel zu erleichtern.

Anders ist der Fall bei den Kalenderschriften gelagert. Die Frage nach der Verfasserschaft Grimmelshausens im Falle der verschiedenen im Hause Felßecker erschienenen Kalender, vor allem des Simplicianischen Jahreskalenders, des Europäischen Wundergeschichten-Kalenders und des vor einigen Jahren entdeckten Schreib-Kalenders ist seit vielen Jahren ein Streitpunkt in der Grimmelshausen-Forschung. Bis heute konnte nicht geklärt werden, ob, und wenn ja, in welchem Umfang Grimmelshausen an diesen Kalenderschriften beteiligt war. Eine elektronische Edition der überlieferten Kalender könnte helfen, Aufschluss über diese komplexe Frage zu gewinnen.

Es erscheint uns, den Herausgebern, jedoch fragwürdig, Texte, bei denen die Verfasserschaft Grimmelshausens derart unsicher ist, in eine Gesamtausgabe aufzunehmen und somit ihre Echtheit indirekt und ohne hinreichende Begründung zu bestätigen. Wir halten es für sinnvoller, wenn diese Texte zunächst gesondert ediert werden. Sie nachträglich in die Digitale Grimmelshausen-Edition zu integrieren, ist in einer Online-Ausgabe leichter möglich als in einer Printausgabe. Zudem bedeutete die Aufnahme der Kalenderschriften eine Überforderung der personellen und zeitlichen Ressourcen, die dem Projekt zur Verfügung standen. Daher beschränkt sich die Digitale Grimmelshausen-Edition auf den einzigen Kalender aus dem Hause Felßecker, der zweifelsfrei aus der Feder Grimmelshausens stammt, den Ewig-währenden Calender.

In Falle von Anhang und Extract begründet sich die Aufnahme in die Edition also dadurch, dass beide Texte lange Zeit als originale Grimmelshausen-Werke angesehen wurden und ihre Authentizität erst in jüngerer Zeit wieder bezweifelt wurde. Im Falle der Kalenderschriften dagegen ist die Echtheit seit jeher umstritten. Diese Sachverhalte rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung der beiden Textkomplexe (vgl. zu diesen Fragen auch Breuer 2010 mit weiterer Literatur).

Auf diese Weise kommt die Edition auf insgesamt 22 Einzeltexte. Dabei ist anzumerken, dass die Continuatio als eigenständiger Text gewertet wird, da sie erstens durch ein eigenes Titelblatt und Titelkupfer von den fünf Büchern des Simplicissimus abgetrennt ist, sie zweitens erst ab der zweiten Ausgabe des Simplicissimus als dessen sechstes Buch angehängt wurde und so das Prinzip der Erstausgabe gewahrt bleibt und sie drittens den Simplicissimus inhaltlich zwar fortsetzt, durch die größtenteils auf allegorischer Ebene angesiedelte Erzählweise sich aber deutlich von diesem absetzt. Wir folgen hier der Editionspraxis, die bereits Scholte angewandt hatte.

Insgesamt wurden ca. 4800 Faksimileseiten (das entspricht ca. 800 000 Ausdruckseinheiten (token)) in die elektronische Edition aufgenommen.

4.2. Annotation
[arrow up]

Diese elektronische Edition ermöglicht eine schnelle und zuverlässige Volltextrecherche, wobei die Suchmaschine nach Eingabe eines Stichworts alle Belege für dieses Stichwort im vorher festgelegten Suchrahmen samt seiner syntagmatischen Umgebung anzeigt. Auf diese Weise können Forscher verschiedener Disziplinen je nach ihrem Interesse und ihren Fragestellungen semantische Zusammenhänge, Kollokationen, Motivzusammenhänge, Schreib- und Darstellungsvarianten usw. mit relativ wenig Aufwand untersuchen. Per Mausklick ist es möglich, Transkription und Faksimile nebeneinanderzulegen und zu vergleichen. Angaben zur syntaktischen Funktion von Hilfsverben, Artikeln und Pronomen sowie zur Herkunft von Fremdwörtern oder zu nicht mehr gebräuchlichen oder okkasionellen Wörtern erleichtern das Textverständnis auf der rein sprachlichen Ebene und können zudem als Ausgangspunkt für weiterreichende Untersuchungen dienen.

Damit elektronische Editionen diesen Anforderungen gerecht werden können, müssen die Texte vorher annotiert werden. Dies geschieht durch Anreicherung und Codierung der Texte durch Attribute und Kommentare, die es der Maschine ermöglichen, die Texte in einer der Fragestellung des Benutzers angemessenen Weise darzustellen. Im Falle der Digitalen Grimmelshausen-Edition erfolgt die Annotation durch die Text Encoding Initiative (TEI) in XML. Um eine den oben formulierten Zielen der Edition angemessene und in sich einheitliche Annotation gewährleisten zu können, wurden auf das Korpus zugeschnittene Standards entwickelt. Die zentralen Annotationsrichtlinien sollen im Folgenden vorgestellt werden (vgl. zum gesamten folgenden auch Rosenberger 2012).

4.2.1. Lexikalische Annotation
[arrow up]

Aus linguistischer Sicht sind mehrere Typen der Annotation möglich:

Eine morphologische Annotation ist für eine elektronische Edition wenig sinnvoll, weil hier nur die Interessen eines sehr engen Kreises potentieller Benutzer wahrgenommen und die Bedürfnisse des anvisierten Benutzerkreises ignoriert würden. Semantische oder syntaktische Annotationen wären mit einem enormen theoretischen und zeitlichen Aufwand verbunden gewesen, der weder durch die Ressourcen des Projekts noch durch den Nutzen für die Benutzer gerechtfertigt wäre: Man hätte nämlich zunächst auf der Grundlage einer bestimmten, noch zu erarbeitenden grammatischen bzw. semantischen Theorie komplexe Annotationsrichtlinien entwerfen müssen, um alle in den Texten vorkommenden grammatischen Funktionen und semantischen Relationen abbilden zu können. Ein solches Vorgehen ist nur für entsprechende Fragestellungen und Forschungsinteressen sinnvoll. Diese Edition richtet sich jedoch an einen allgemeinen, möglichst wenig spezialisierten Benutzerkreis, d. h. sie soll Literaturwissenschaftler ebenso ansprechen wie Linguisten, Historiker oder Soziologen. Dies kann sie nur, wenn die Daten möglichst wenig vorstrukturiert werden. Genau dies geschähe aber, wenn man etwa die syntaktische Funktion von Partikeln in der Edition vorgeben würde. Vielmehr soll die Edition als Basis für weitergehende Forschungen dienen. Aus diesem Grund sind wir davon überzeugt, dass die lexikalische Annotation der für die Zwecke dieser Edition angemessene Typ ist. Bei diesem Typ werden Worteinheiten, gelegentlich auch semantische Einheiten (vgl. unten, 4.9.), einzeln annotiert, was am stärksten den Ziel einer Edition, die Volltextrecherchen ermöglichen soll, entspricht.

4.2.2. Lemmatisierung
[arrow up]

Das Kernstück der lexikalischen Annotation ist die Lemmatisierung. Die älteren Sprachstadien des Deutschen zeichnen sich durch eine enorme Vielfalt an graphischer, flexions- und wortbildungsmorphologischer Varianz aus. So listet Oskar Reichmann, Mitbegründer und Hauptherausgeber des Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs (FWB), etwa für das Verb abkommen 25 Varianten auf, darunter abe qwam, abkomen, afkompt, abkumben oder afqueme (Reichmann 1989, 64).

Eine solche Varianz ist für Grimmelshausen als Autor aus dem frühen Neuhochdeutschen nicht mehr zu erwarten. Dennoch sind auch bei ihm mehrere Varianten für ein und dieselbe lexikalische Einheit belegt, z. B. und, vnd, unnd, vnndt für das Lexem und. Hinzu kommt die Flexion der Verben, Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomina. Diese Vielzahl an Schreibvarianten und Flexionsformen muss für die Annotation vereinheitlicht werden, damit durch einen Suchbefehl tatsächlich alle Belege für ein Lexem unabhängig von seiner graphischen Gestalt oder der Flexionsform gefunden werden können. Hierfür wurde der Begriff des Lemmas, ursprünglich aus der Lexikographie stammend, adaptiert. Das Lemma ist eine vom Belegmaterial abstrahierte, auf Konventionen beruhende konstruierte Flexions- und Schreibform eines Wortes, die als Stichwort in einem Wörterbuch oder Lexikon dient und dem Benutzer die Auffindung erleichtert. Im Folgenden soll in der Digitalen Grimmelshausen-Edition angewandte Lemmatisierungspraxis vorgestellt werden.

Wie in der Lexikographie wird auch bei der Annotation digitaler Korpora die Varianz der Schreib- und Flexionsformen auf eine einheitliche Basisform, das Lemma, zurückgeführt. Das Lemma ist, wie in der Lexikographie, eine möglichst unmarkierte Form. Dabei folgen wir den in der deutschsprachigen Lexikographie etablierten Konventionen der Lemmatisierung, d. h. es werden für die einzelnen Wortarten spezifische Lemmaformen angesetzt. Diese sind:

Aufgrund dieser Regeln werden die Lemmaformen angesetzt. Die Lemmatisierung wird wie folgt kodiert:

nahm

Bevor ein Einzelwort lemmatisiert werden kann, muss es zunächst als zu dieser Lemmaform gehörig identifiziert werden. Dies ist in den allermeisten Fällen unproblematisch. In seltenen Fällen bedarf es aber einiges philologischen Scharfsinns und der Hilfe früherer Editionen und Arbeiten, um schwierige Textstellen zu entschlüsseln (vgl. dazu Rosenberger 2012, 348-350).

4.2.3. Satzzeichen, Seitenwechsel, Zahlen und Tabellen
[arrow up]

Die Satzzeichen, die in Grimmelshausens Texten üblicherweise verwendet werden sind Virgel, Punkt, Komma, Doppelpunkt, Semikolon, Fragezeichen, Ausrufezeichen und die runden Klammern. Sie werden mit dem Tag <pc> (punctuation character) annotiert:

<p><pc>/</pc></p> <p><pc>.</pc></p>

Seitenwechsel werden mit dem Tag <pb> (page break) annotiert. Das Attribut @facs (facsimile) gibt die URL an, unter der das entsprechende Faksimile zu finden ist. Es kann per Mausklick aufgerufen und auf den Bildschirm neben den Volltext gelegt werden. Das Attribut @n (number) gibt die Seitenzahl an. Im folgenden Beispiel wird auch gezeigt, wie mit Worttrennungen bei Seitenumbrüchen verfahren wird:

<w lemma="wenig">we<pb facs="1336382" n="193"/>nig</w>

Zahlen werden wie Wörter annotiert und mit dem Attribut @type versehen:

<w type="num">1000.</w>

Darüber hinaus werden auch die astrologischen Zeichen und die Tabellen im Ewig-währenden Calenders codiert. Für die astrologischen Zeichen wird der Unicode verwendet (z. B. U+2468 für das Tierkreiszeichen "Widder" oder U+2643 für den Planeten "Jupiter").

<figure><p>♈</p><figDesc>Widder</figDesc></figure>

Als Beispiel für die Kodierung der Tabellen dient die Tafel der Mansiones auf S. 177 im Calender:

<table rend="boxed" rows="31" cols="13">...</table>

Dies bedeutet: Die Tabelle ist in einzelne Kästchen unterteilt und enthält 31 Zeilen und 13 Spalten.

Danach werden die einzelnen Zeilen von links nach rechts und von oben nach unten kodiert, so dass das Kästchen links oben das erste und das Kästchen rechts unten das letzte ist:

Signa

Widder

Stier

Zwillinge

Krebs

Löwe

Jungfrau

Waage

Skorpion

Schütze

Steinbock

Wassermann

Fische
1 27 1 4 6 8 11 13 15 18 20 22 25 [...]

4.2.4. Ansätze einer syntaktischen Annotation
[arrow up]

Die Lemmatisierung der Wörter ist die Grundlage der lexikalischen Annotation. In der Digitalen Grimmelshausen-Edition werden darüber hinaus auch in eingeschränkter Weise syntaktische Funktionen kodiert. Dies ist aufgrund der Häufigkeit bestimmter Homonyme notwendig. So können die Verben haben, sein und werden sowohl als Vollverben mit lexikalischer Bedeutung oder als Hilfsverben mit syntaktischer Funktion (zur Anzeige des Tempus, Modus oder Genus verbi) gebraucht werden. Wörter wie der/die/das oder sein/ihr können als Artikel oder als Pronomen gebraucht werden. Für die Annotation wird das Attribut @function angewandt, für den Artikel wird das Kürzel 'Art', für das Pronomen 'Pron' verwendet. Die Kodierung sieht dann so aus:

<w lemma="der" function="Art">den</w>

<w lemma="ich" function="Pron">mich</w>

Die Entscheidung, ob ein Artikel oder ein Pronomen vorliegt, wird grundsätzlich auf Parole-Ebene, getroffen d. h. anhand der jeweils konkreten Funktion im Satz, die das betreffende Wort einnimmt.

Die syntaktische Annotation betrifft auch der Sonderfall des teilbaren Verbs bzw. Partikelverbs, das im Deutschen keineswegs selten ist. Dabei wird die Verbform lemmatisiert, die zugehörige abgetrennte Partikel wird mit dem Attribut @corresp (correspondence) versehen:

<w lemma="aufhalten">hielte</w> er sich gar nicht <w corresp="aufhalten">auff</w>

4.2.5. Annotation von Eigennamen
[arrow up]

Fiktive und historische Eigennamen werden eigens annotiert. Diese werden in den Tag <rs> (referencing string) gesetzt. In das Attribut @ref (reference) wird die Nennform des Namens gesetzt; die Namen werden hier wie die übrigen Wörter behandelt. Zur Identifizierung der Namensform dient das Zeichen #. Durch das Attribut @type werden drei Typen von Eigennamen unterschieden: Personennamen (Kürzel 'person'), Orts-, Landschafts- und Gewässernamen (Kürzel 'place') und Bezeichnungen von Institutionen, etwa Staatskonstrukte wie die Spanischen Niederlande (Kürzel 'corporate'):

<rs ref="#Hans" type="person">Hanns</rs>

<rs ref="#Venedig" type="place">Venedig</rs>

<rs ref="#Zum_Rappen" type="corporate">zum Rappen</rs> (Gasthaus in Vogelnest I)

Als Sonderform des Eigennamens können Buchtitel angesehen werden. Sie werden zunächst in die Tags <bibl> (bibliography) und <ref> (reference) gesetzt. Der Tag <bibl> zeigt an, dass es sich um eine bibliographische Angabe handelt, der Tag <ref> gibt durch das Attribut @target nähere Angaben, anhand derer der Titel identifiziert werden kann:

<bibl><ref type="bibliography" target="#Der_keusche_Joseph">Joseph</ref></bibl>

In ausgebauter Form können auch Angaben zum Autor gemacht werden:

<bibl xml:id="Der_keusche_Joseph"><author>Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen</author><title>der keusche Joseph</title></bibl>

4.2.6. Vorgehensweise bei untergegangenen Wörtern und Okkasionalismen
[arrow up]

Grimmelshausen publizierte seine Werke zwischen 1666 und 1675, also vor fast 350 Jahren. Seit dieser Zeit hat sich der Wortschatz des Deutschen stark verändert, viele Wörter veralteten und verschwanden schließlich, andere wurden in die Dialekte abgedrängt, wo sie heute noch regional gebraucht werden, viele kamen seitdem neu hinzu. Daher bedarf es eigentlich keiner Erwähnung, dass Grimmelshausen viele Wörter verwendete, die heutzutage ungebräuchlich sind und teilweise nicht mehr verstanden werden.

Diesem Umstand wird in der Edition Rechnung getragen. Wenn der Verdacht besteht, dass ein Wort heute nicht mehr gebräuchlich ist, wird dies anhand der üblichen Wörterbücher zur deutschen Gegenwartssprache (Duden Universalwörterbuch, Wahrigs Deutsches Wörterbuch sowie das online verfügbare Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS )) überprüft. Ist das betreffende Wort in keinem der genannten Wörterbücher als Lemma aufgelistet, so gilt es als ausgestorben. Ein Beispiel hierfür ist das von Grimmelshausen nicht selten verwendete Adverb derohalben.

Als Romancier und Satiriker verwendete Grimmelshausen auch immer wieder Okkasionalismen, also Gelegenheitsbildungen, die Wortspielcharakter haben und durch die ein satirischer oder komischer Effekt erzielt wird, z. B. in Simplicissimus I, 24: Ehebieger. Um festzustellen, ob es sich wirklich um einen Okkasionalismus handelt, empfiehlt es sich, das Deutsche Wörterbuch zurate zu ziehen. Das Substantiv Ehebieger ist dort nicht gebucht, was vermuten lässt, dass es sich in der Tat um eine einmalige Bildung handelt. Meist handelt es sich bei diesen Wörtern um Hapaxlegomena.

Ausgestorbene Wörter und Okkasionalismen werden in der Digitalen Grimmelshausen-Edition in gleicher Weise behandelt. Beide werden wie oben beschrieben lemmatisiert. Die Schreibung des Lemmas richtet sich nach den heute geltenden Rechtschreibregeln, aus denen abgeleitet werden kann, wie das jeweilige Wort heute geschrieben würde. Danach werden die Wörter mit dem Tag <index> versehen, im Attribut @indexName wird angegeben, dass es sich um ein ausgestorbenes oder okkasionelles Wort (aow) handelt. Im Tag <term> schließlich wird die Schreibform des Wortes noch einmal wiedergegeben. Alle auf diese Weise indizierten Wörter werden in einer eigenen alphabetisch geordneten Liste der Edition mitgegeben, so dass Benutzer anhand dieser Liste feststellen können, welche heute nicht mehr gebräuchlichen Wörter von Grimmelshausen verwendet wurden. Dies ist etwa für wortgeschichtliche Untersuchungen von Relevanz. Das Schema sieht so aus:

<w lemma="Stocknarr">Stock-Narr<index indexName="aow"><term>Stocknarr</term></index></w>

4.2.7. Umgang mit Fremdwörtern
[arrow up]

Die Unterscheidung von indigenen Wörtern, Fremd- und Lehnwörtern ist außerordentlich schwierig und aus lexikologischer Sicht kaum zufriedenstellend zu treffen. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass der deutsche Sprachraum Teil der lateinisch geprägten europäischen Sprach- und Kulturgemeinschaft ist. Wortentlehnungen aus dem Lateinischen gab es bereits in voralthochdeutscher Zeit (etwa Pfalz von lat. palatium; dieses Lehnwort ist noch von der zweiten Lautverschiebung (/p/ --> /pf/ und /t/ --> /ts/ (= z)) betroffen). Viele Lehnwörter sind vollständig in das System des Deutschen integriert, so dass sie nicht mehr als fremd wahrgenommen werden, z. B. Grenze (aus poln. granica) oder Fenster (aus lat. fenestra). Andere sind noch deutlich als Lehnwörter erkennbar, da sie nicht oder nicht vollständig in das deutsche Sprachsystem integriert wurden, z. B. Rendezvous (Fremdphonem), Varieté (Fremdgraphem) oder Indices (Fremdmorphem). Im Bereich der Lehnwortbildung können exogene Wörter und Morpheme durch Komposition oder Derivation mit indigenen Elementen verbunden werden. Durch diese Weiterverwertung des Lehnwortschatzes ergibt sich im Laufe der Zeit eine Situation der deutschen Sprache, „auf die – synchronisch gesehen – die Klassifizierung als Fremdwort oder Lehnwort nicht mehr zutrifft“ (von Polenz 1994, 78). Diese und viele andere Beobachtungen führten Horst Haider Munske zu der These, dass es sich bei der deutschen Sprache um eine Mischsprache handle (Munske 1988, 69).

In der patriotisch geprägten Sprachreflexion des 17. Jahrhunderts spielt die Fremdwortfrage eine sehr wichtige Rolle, da im sprachpatriotischen Diskurs das Fremdwort als Bedrohung nicht nur der deutschen Sprache, sondern vor allem der deutschen Sitten und Tugenden, der deutschen Kultur angesehen wurde. Der kulturelle und sprachliche Einfluss aus Frankreich, Spanien und Italien wurde fast durchweg negativ bewertet, obwohl von dort auch wichtige Impulse aufgenommen wurden, etwa durch Opitz' Dichtungsreform. Die Kritik am Fremdwortgebrauch vor allem des Adels war letztlich auch ein Vehikel für die Kritik an der sozialdistanzierenden Gesellschaftspolitik, die mit dem aufkommenden Absolutismus immer mehr Raum gewann. Sprachsatiren, in denen die Alamode-Sprache, die deutsch-französische Sprachmischung aufs Korn genommen wurde (z. B. der anonmye Vnartige Teutsche Sprachverderber (1643) oder Johann Rists Rettung der Edlen Teütschen Hauptsprache (1642)), erfreuten sich großer Beliebtheit und Philipp von Zesen versuchte, mit wechselhaftem Erfolg, Fremdwörter durch deutsche Entsprechungen zu ersetzen (gelungene Verdeutschungen sind etwa Anschrift für Adresse oder Bücherei für Bibliothek; bereits von Zeitgenossen kritisiert und verspottet wurden Tageleuchter für Fenster oder Jungferzwinger für Nonnenkloster) (vgl. dazu Rosenberger in Vorber.).

Die scharfe Unterscheidung zwischen indigenem und Fremdwort spiegelte sich auch in den Drucken wider: Für deutschen Text wurden Frakturtypen verwendet, für fremdsprachige Wörter Antiqua. Dies ging sogar so weit, dass deutsche Flexionsendungen bei sonst in Antiqua gesetzten Fremdwörtern in Fraktur gesetzt sind.

Diese graphische Trennung bildet auch die Grundlage für die Behandlung von Fremdwörtern in der Digitalen Grimmelshausen-Edition. Alles, was in den Originaltexten in Antiqua gedruckt ist, wird als Fremdwort angesehen. Diese pragmatische Entscheidung bringt einige Inkonsistenzen mit sich, da in den Drucken Wörter manchmal als fremd angesehen und deshalb in Antiqua gesetzt werden, in anderen Fällen aber die gleichen Einheiten in Fraktur stehen. Auch hier wird strikt nach der konkreten Textgestalt vorgegangen.

Die Fremdwörter werden zunächst wie die anderen auch lemmatisiert. Zur Bestimmung der Herkunft der Fremdwörter werden das Duden Universalwörterbuch sowie das Etymologische Wörterbuch von Friedrich Kluge benutzt. Insbesondere in der Frage, ob ein Wort aus dem Lateinischen oder dem Französischen entlehnt wurde, sind die Nachschlagewerke oft widersprüchlich. Häufig zeigt aber die Behandlung des Wortes im Text an, aus welcher Sprache es in diesem Fall entlehnt wurde, wenn es z. B. lateinisch flektiert wird. Griechische Lehnwörter werden, sofern sie nicht, was nur in wenigen Fällen vorkommt, in griechischen Buchstaben wiedergegeben werden, als durch das Lateinische vermittelt angesehen und damit als lateinische Lehnwörter behandelt. Dies ist auch dadurch gerechtfertigt, dass sie meist lateinisch flektiert werden, so etwa Philosophia. Die Herkunft wird durch das Attribut @xml:lang angegeben. Durch den Tag <hi> (highlightet) wird der Schriftartwechsel markiert, das Attribut @rend (rendition) zeigt an, welche Schriftart in den mit <hi>-Tags versehenen Passagen verwendet wird. Auf diese Weise kann auch Schriftartwechsel innerhalb eines Wortes angezeigt werden. Die Kodierung hat damit folgende Gestalt (im vorliegenden Fall ist die Buchstabenfolge 'contentir' in Antiqua, die Endung 'en' in Fraktur gesetzt):

<w lemma="kontentieren" xml:lang="la"><hi rend="antiqua">contentir</hi>en</w>

4.2.8. Umgang mit Druckfehlern
[arrow up]

Die Frage, ob ein Druckfehler vorliegt oder nicht, ist aufgrund der graphischen und morphologischen Varianzen oft nur schwer zu beantworten. An anderer Stelle werden zwei interessante Beispiele dafür diskutiert (vgl. Rosenberger 2012, 348-350). Daher werden in dieser Edition nur dann korrigierende Texteingriffe vorgenommen, wenn ein offensichtlicher Fehler vorliegt, d. h. nur dann, wenn die im Druck vorgefundene Version keine sinnvolle Aussage ergibt oder eine Schreibweise ohne ersichtlichen Grund vom Usus abweicht. Beim Verdacht auf einen Druckfehler wird folgendes Prüfschema angewandt:

Druckfehler werden folgendermaßen annotiert: Das betreffende Wort wird mit dem Tag <choice>, das eine alternative Codierung anzeigt, und dann mit dem Tag <corr> (correction), das die korrekte Form anzeigt, versehen. Innerhalb des <corr>-Tag wird mit dem Attribut @resp (responsibility) der Bearbeiter angezeigt, der für diesen Texteingriff verantwortlich ist (in meinem Fall meine Initialen: 'sr'). Es folgt die ggf. lemmatisierte korrekte Form, bevor im Tag <sic> die im Original zu findende fehlerhafte Form dokumentiert wird. Das Schema sieht damit so aus:

<choice><corr resp="sr"><w>und</w></corr><sic>uud</sic></choice>

4.2.9. Virtuelle Univerbierung
[arrow up]

Die Digitale Grimmelshausen-Edition steht bei der lexikalischen Kodierung vor einem Problem, das durch die sprachlichen Verhältnisse der Zeit vor der Etablierung der neuhochdeutschen Schriftsprache bedingt ist. Im 17. Jahrhundert sind - neben anderen Vereinheitlichungen auf phonologischer, graphematischer, morphologischer und syntaktischer Ebene - zahlreiche Wortbildungsprozesse noch nicht abgeschlossen. Dies betrifft insbesondere Kompositionen, die in dieser Zeit bereits belegt, aber noch nicht allgemein durchgesetzt, aber aus heutiger Sicht als solche zu behandeln sind. Insbesondere das pränominale (vorangestellte) Genitivattribut bewirkte eine Ambivalenz des Artikels, da dieser sich sowohl auf das Attribut als auch auf das regierende Substantiv beziehen konnte (vgl. dazu ausführlich Pavlov 1995). Dies hat dazu geführt, dass Substantiv und Attribut schließlich auch zusammengeschrieben wurden. Dieser Prozess ist insbesondere im 17. und frühen 18. Jahrhundert zu beobachten. „Durch Einschränkung der Voranstellung des Genitivattributs, durch strengere Setzung des Artikels und durch Zusammenschreibung wurde der Kompositionsstatus im Laufe des 17./18. Jh. eindeutig“ (von Polenz 1994, 283 f.).

Auch bei Grimmelshausen sind solche Ambivalenzen feststellbar. In diesen Fällen ist es eine Frage der Auslegung, ob man das linke Glied noch als Attribut interpretiert (dafür spricht die Getrenntschreibung) oder bereits als Bestimmungswort eines Kompositum (dafür spricht, dass diese Elemente häufig bereits nicht mehr flektiert werden). Beispiele im Korpus sind etwa folgende (die durch die Schreibung verursachten Ambiguitäten sind markiert):

In den Sätzen (1) und (3) lassen sich die Beispiele als Nominalphrasen mit Adjektivattribut lesen, in (4) und (5) mit Genitivattribut, in (2) und (5) mit Artikel und in (6) ließe sich eine Umstellung zu Erhaltung deiner selbst rechtfertigen, wodurch das Genitivattribut deutlicher wird. Auch (7) kann als artikelloser pränominaler Genitiv gedeutet werden. Somit können die markierten Fälle stets auch als Einzellexeme lemmatisiert werden. Eine Ausnahme bildet lediglich Beispiel (8), wo sich die Deutung als Kompositum trotz getrennter Schreibung geradezu aufdrängt.

Diachron betrachtet sind alle diese Fälle durch Wortbildung univerbiert worden. Und zumindest in den Sätzen (4), (5), (7) und (8) ist durch das Fehlen des Artikels die Möglichkeit, hier eine Vorform des Kompositums zu sehen, nicht ausgeschlossen. Theoretisch spricht nichts dagegen, analog zu der bei Grimmelshausen vielfach belegten Lebensbeschreibung auch die Lebensgröße als Kompositum anzusetzen.

Eine elektronische Edition mit lexikalischen Annotationen steht nun vor der Frage, wie sie mit dem Dilemma umzugehen hat. Einerseits soll durch die Annotation in aktueller Rechtschreibung die Edition auch für fachfremde Benutzer problemlos handhabbar sein, andererseits soll der historische Sprachstand in der Edition gewahrt und in der Lemmatisierung abgebildet werden. Im konkreten Fall heißt das: Aus gegenwärtiger Perspektive wäre bei Beispiel 3 das Kompositum Schwarzbrot als Lemma anzusetzen, dann müsste das Syntagma schwartz Brod als ein Wort behandelt werden. Aus historischer Perspektive dagegen liegt eine Nominalphrase mit substantivischem Kern und unflektiertem Adjektivattribut vor, die, im Sinne der lexikalischen Annotation, getrennt annotiert werden müsste.

Eine exemplarische quantitative Erhebung hat ergeben, dass sich für die Texte Grimmelshausens keine brauchbaren Kriterien finden lassen, die die Entscheidung für eine polylexikalische Annotation oder für die Univerbierung erleichtern. Der Konnektor nachdem etwa ist in der univerbierten Form weitaus häufiger belegt als das Syntagma nach dem. Umgekehrt verhält es sich mit sobald, das fast nur in der Form so bald zu finden ist. Zudem zeigen sich regionale Unterschiede. In den bei Felßecker in Nürnberg gedruckten Texten finden sich die univerbierten Formen weitaus häufiger als in den beim Straßburger Verleger Dollhopff gedruckten Texten, die Nürnberger Drucke sind also, nach teleologischen Maßstäben gemessen, fortschrittlicher als die Straßburger Drucke.

Aus diesem Befund ergibt sich, dass ein quantitatives Verfahren zur Lösung des Problems wenig sinnvoll wäre, da sich unweigerlich für den Benutzer kaum nachvollziehbare Inkonsequenzen ergäben, was die Benutzung der Edition unnötig erschweren würde. Auch andere Kriterien, die man ansetzen könnte, sind unbefriedigend, weil eben nicht eindeutig entschieden werden kann, ob es sich bei Fällen wie in den obigen Beispielen um Wortgruppen oder um Vorstufen der univerbierten Komposition handelt.

Die in der Digitalen Grimmelshausen-Edition angewandte Lösung ist ein Kompromiss, der versucht, beide Interpretationsmöglichkeiten offen zu halten und so versucht, Vereindeutigungen zu vermeiden, wo keine Eindeutigkeit vorhanden ist. Theoretische Basis für den Lösungsansatz ist die Wortdefinition von Oskar Reichmann:

„Das Wort ist die bilateral aus Inhalt und Ausdruck konstituierte kleinste signifikative und damit notwendigerweise sprachlich-kognitive und kommunikative, d. h. nicht als Verbindung signifikativer, sprachlich-kognitiver und kommunikativer Einheiten beschreibbare Einheit der Sprache, sofern sie als syntagmatisch isolierte Substitutionseinheit einem Sprechpartner unabhängig von anderen solcher Einheiten sprachlich etwas über einen Sachverhalt zu wissen gibt“ (Reichmann 1976, 9).

Aus dieser Definition leitet die Digitale Grimmelshausen-Edition einige Folgerungen ab:

Für die Praxis der Annotation ergibt sich der Schluss, dass semantisch offensichtlich eng zusammengehörige, ausdrucksseitig aber getrennte Einheiten als phrasematische oder idiomatisierte Wortgruppen aufzufassen sind, die als solche Substitutionseinheiten darstellen und damit Wörter im Sinne der Definition Reichmanns sind. Daher werden diese Fälle so annotiert, dass die ausdrucksseitige Trennung in der Edition gewahrt bleibt und die Einzelelemente bei der Volltextsuche auch gefunden werden können und trotzdem die Univerbierung erkennbar wird. Für diese Art der Lemmatisierung möchte ich den Terminus virtuelle Univerbierung einführen. Virtuell ist die Univerbierung deshalb, weil die Ausdruckseinheiten im Schriftbild der Edition weiterhin getrennt bleiben, das Endprodukt im Wortbildungsprozess jedoch durch die Suchmaschine gefunden werden kann. Die Annotation für Lebens Grösse (vgl. oben, Beispiel 4) erfolgt auf folgende Weise:

Lebens Grösse

Aus dieser Annotation ergibt sich, dass der Benutzer zu diesem Beleg geleitet wird, wenn er die Wörter Lebensgröße, Leben und Größe in die Suchmaschine eingibt.

Mit dieser Annotationspraxis sind sowohl die historische Gestalt des Textes als auch der gewohnte Standard des heutigen Benutzers berücksichtigt, auch die Ambiguität der Textstelle bleibt gewahrt. Der Benutzer kann auch ohne sprachhistorische Kenntnisse auf die Edition zurückgreifen. Zudem legt diese Lemmatisierungspraxis nicht fest, ob, wie in Beispiel 3, schwartz ein Adjektivattribut oder das attributive Bestimmungswort eines semantisch zwar vorliegenden, ausdrucksseitig aber nicht ausgeführten Kompositums (*Schwartzbrod) ist. Beide Interpretationen sind möglich und die Lemmatisierung lässt beide Möglichkeiten offen: Für die erste spricht, dass nach dem Deutschen Wörterbuch (Bd. 15, Sp. 2324) das Kompositum Schwarzbrot erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts belegt ist und mit dem Attribut schwartz auch nur die Farbe des Brotes gemeint sein könnte, zumal da sich schwartz problemlos durch weiß substituieren ließe, womit das Syntagma keine Substitutionseinheit im obigen Sinne darstellt. Für die zweite Interpretation dagegen spricht, dass eine Idiomatisierung zu aus Roggenmehl gebackenes Brot nicht ausgeschlossen ist, sondern durch das Kompositum Küh-Käß in unmittelbarer Nachbarschaft eine Parallelkonstruktion nahegelegt wird. Durch das beschriebene Verfahren wird es vermieden, dass der Herausgeber durch die Lemmatisierung einer der Interpretationsmöglichkeiten einseitig folgt und die andere dadurch ausschließt. Es bleibt dem Benutzer überlassen, wie er solche und ähnliche Stellen verstehen will.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass mit diesem Verfahren auch der bei Grimmelshausen nicht seltene Fall der Proklise annotiert werden kann. Proklisen liegen in Fällen wie dem folgenden vor:

GOtt seiner milden Güte nach / zuvergelten (WV I)

Die Kodierung sieht in diesen Fällen so aus:

zuvergelten.

5. Kurze Inhaltsangaben von Grimmelshausens Schriften
[arrow up]

5.1. Satyrischer Pilgram (Teil I 1666, vollständig 1667)
[arrow up]

Grimmelshausens Erstlingsschrift wurde unter dem Pseudonym Samuel Greifnson vom Hirschfeld veröffentlicht, wie die meisten anderen Verfassernamen ein Anagramm von Christoffel von Grimmelshausen.

Bereits im Titel wird der Aufbau des Textes deutlich: „Satyrischer Pilgram / Das ist: Kalt und Warm / Weiß und Schwartz / Lob und Schand / über guths und böß / Tugend und Laster / auch Nutz und Schad vieler Ständt und Ding der Sichtbarn und Unsichtbarn der Zeitlichen und Ewigen Welt“. Aus diesem Titel ist zu schließen, dass der Satyr und der Pilgram als Gegensatzpaar aufzufassen sind, wie schon das Titelkupfer nahelegt. Der Titel nimmt Bezug auf ein Meisterlied des Hans Sachs, in der ein Pilgram sich im Wald verirrt, von einem Satyr in dessen Haus eingeladen und dann wieder hinausgeworfen wird, weil er erst auf seine kalten Hände geblasen hat, um sie zu wärmen und dann in die heiße Suppe, um sie abzukühlen. Der Satyr verweist ihn seines Hauses, weil er dem Pilgram Doppelzüngigkeit vorwirft, indem er kalt und warm blasen könne. Wie in vielen anderen Texten betont Grimmelshausen das Horazische Diktum des prodesse aut delectare, nach dem Texte unterhaltsam und lehrreich sein sollten.

Dem Text sind drei Vorreden vorangestellt, die bereits die triadische Struktur der folgenden Kapitel widerspiegeln: In einem Satz werden die positiven Seiten eines Gegenstandes beschrieben, in einem Gegensatz die negativen Aspekte des gleichen Gegenstandes beleuchtet, bevor in einem Nachklang eine Synthese versucht wird; die einzelnen Kapitel haben also eine dialektische Struktur. Die Vorreden kehren diese Struktur um: In der ersten Vorrede greift Momus, der antike Kritiker der Götter und Menschen, Autor und Text massiv an, rückt also die negativen Aspekte in den Vordergrund: Das Buch sei ein „liederlichs Geplauder“, ein „nichtiges Gewesch und lehres Wortgeplerr“ (fol. A ij v). Man könne aber auch nichts anderes von jemandem erwarten, der im Alter von zehn Jahren Musketier geworden sei und der ohne Ausbildung als ein „unwissender Esel / Ignorant und Idioth“ kaum richtig schreiben könne (fol. A iij r). Der Titel sei eine „schändliche Mißgeburt“ und der Text als solcher ein „erschrecklichs Monstrum“ (A viiij v). Es werde nicht deutlich, warum der Autor das Buch geschrieben habe: Geld würde er für diese „Thorheit“ (ebd.) keines zu erwarten haben und Ruhm und Ehre könne er damit auch nicht gewinnen. Aus einem ungebildeten Musketier könne eben kein guter Schriftsteller werden, er solle besser Soldat bleiben.

In der Gegenschrifft des Authors verteidigt sich dieser gegen die Angriffe: Er könne nichts dafür, dass er Soldat hätte werden müssen und nicht hätte studieren können. Dies dürfe man ihm nicht zum Vorwurf machen. Außerdem verschwendeten viele Gelehrte ihr Talent und ihre Bildung. Er habe auch weder Geld noch Ehre oder Ruhm mit dieser Schrift gewinnen wollen. Seine Absicht sei es, den Leser zu lehren, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Zudem sei die Behauptung, aus einem Soldaten könne kein guter Schriftsteller werden, nicht stichhaltig, denn sonst hätte man Paulus dazu auffordern müssen, wieder zum Saulus zu werden und Plautus müsste wieder ein Müller werden. Wenn man ihn dennoch von der Richtigkeit dieses Arguments überzeugen könne, so wolle er wieder Musketier werden. Auch den Titel verteidigt er. Schließlich fordert er die Kritiker auf, ihn in Ruhe zu lassen und die Leser, das Werk freundlich aufzunehmen und gut zu gebrauchen.

In der dritten Vorrede wendet sich Samuel Greifnson vom Hirschfeld an den Leser, sie ist auf den 15. Februar 1666 datiert. Der Autor gibt dem Leser Erläuterungen zum Aufbau der einzelnen Kapitel: Jedes Ding habe eine gute und nützliche Seite, aber auch eine schlechte und schädliche. Daher habe er

„einer ieden Materi drey Satzstück zugeordnet; Jm Ersten Satz wird erzehlet eines Wesens Lob / Güthe / Nutz / Ehr / Nothwendigkeit / Tugend und was des guten Dinges mehr ist; Jm andern Stück oder Gegensatz erzehle ich eben desselbigen Wesens Schädlichkeit / Laster / Mißbrauch und alles schlimm übel so ihme anhängt und mir zu Gedächtniß kommen; Jm dritten Stück oder Nachklang sage ich meine Unmäßliche Meinung auch darzu“ (A 11 r).

Die Intention des Textes sei es, dass der Leser lerne, das Gute zu gebrauchen und das Schlechte zu meiden.

Die drei Vorreden sagen viel über das Selbstverständnis Grimmelshausens als Schriftsteller aus. Die erste Vorrede spiegelt, verkörpert durch den Erzkritiker Momus, den zeitgenössischen literarischen Diskurs wider, der gelehrte Bildung zur Voraussetzung für die Anerkennung als Dichter macht. Als Ungelehrter und Unwissender (Ignorant und Idiot) kann er nicht damit rechnen, jemals als Schriftsteller ernstgenommen zu werden. Die erste Vorrede reflektiert also die isolierte Situation des literarischen Außenseiters Grimmelshausen, an der sich bis zu seinem Lebensende nichts ändert. In der zweiten Vorrede dagegen gibt sich Grimmelshausen selbstbewusst und erkennt seine schlechten Voraussetzungen für eine Karriere als Schriftsteller nicht als Grund zur Aufgabe dieser Ambitionen an, sondern zeigt sich als von seinen literarischen Qualitäten überzeugt. Die beiden Vorreden diskutieren also das Für und Wider der Frage, ob ein Ungelehrter Schriftsteller werden könne. Die dritte Vorrede ist keine Synthese in dieser Streitfrage, sondern behandelt praktische Aspekte, nämlich Struktur und Intention des Buches. Sie überlässt das Urteil dem Leser.

Der Text ist in zwei Teile mit je zehn Kapiteln gegliedert. Der erste Satz handelt von Gott. Gott ist weder zu begreifen, noch kann man seine Güte, Barmherzigkeit, Liebe, Weisheit und andere Eigenschaften der Vollkommenheit, die zusammen seine Göttlichkeit ergeben, begreifen oder auch nur annähernd loben. Im Gegensatz erinnert der Autor an sein Versprechen aus der Vorrede, von jedem Ding die guten und die schlechten Eigenschaften darzustellen. Dieses Versprechen könne er hier aber nicht halten, weil Gott völlig makel- und fehlerlos sei. Hypothetisch wird zwar Gottes Allmacht in Frage gestellt durch die Behauptung, dass Gott nichts schaffen könne, was vollkommener sei als er selbst. Doch diese Hypothese wird als Hyperbolie behandelt: Eine Steigerung der Vollkommenheit sei unmöglich, weshalb Gott das Höchste und Allerheiligste sei. Der Nachklang fordert den Leser auf, Gott immer zu ehren und niemals etwas zu tun, was ihm missfallen könnte, spielt also auf die christliche Ethik an.

Der zweite Satz handelt von den „vier Zeiten der Welt. Und sonderlich von der Letzteren“ (S. 6). Zunächst wird die antike Lehre von den vier Weltzeiten (goldenes, silbernes, kupfernes und eisernes Zeitalter) referiert. Augenblicklich befinde sich die Menschheit im eisernen Zeitalter, das eine Steigerung des kupfernen darstelle. Der Autor widerspricht dieser Theorie: Die gegenwärtigen Menschen lebten im goldenen Zeitalter und nicht die Alten. Zum Beweis nennt er verschiedene Ereignisse aus dem Buch Genesis, in denen die Menschen Gottes Zorn heraufbeschworen und dafür bestraft wurden (die Erbsünde, Kains Mord an Abel, die Sintflut, die Zerstörung von Sodom und Gomorra). In diesen Zeiten hätten die Menschen in Höhlen gelebt, seien fast nackt gewesen und hätten wenig zu essen und zu trinken gehabt. Heute dagegen lebten sie in Palästen, trügen reiche Kleidung, ernährten sich reichhaltig und selbst die heutigen Bettler besäßen mehr Gold als die Fürsten in den alten Zeiten. Das wichtigste sei aber, dass es heute die christliche Religion gebe, während die Alten ohne Hoffnung auf ein ewiges Leben sterben mussten.

Im Gegensatz wird der These, dass die Gegenwart das goldene Zeitalter sei, vehement widersprochen: Die Menschen seien durch Kriege und anderes Unglück schwer gebeutelt und jeder Stand, von den Fürsten bis zu den Bauern habe eine schwere Last zu tragen oder werde durch viele Missstände unterdrückt. Zudem wird ein Lasterkatalog vorgestellt, den die Alten nicht gekannt hätten: „Hoffart / Geitz / Ehrgeitz / Verschwendung / Bauch- und Seckel-Sorg / Neid / Haß / Hader / Zanck / Mord / Zwispalt / Untreu / Arglist / Betrug / Diebstahl / Falschheit / Ehebruch / Secten / Ketzerey / &c.“ (S. 16 f.). Im Nachklang legt der Autor den Sachverhalt so dar: Zu allen Zeiten hätte es gottvergessene Menschen und viel Leid gegeben. Die Menschen sollten nicht über die Zeit klagen, in der sie lebten, sondern vielmehr ihre Zeit nutzen, ein gottgefälliges Leben zu führen: Wer Gott erkannt habe, solle beständig sein, wer reich sei, solle barmherzig sein und wer arm sei, sich in christlicher Geduld üben. Wer auf Gott vertraue, für den verlören alle Zeiten ihre Schrecken.

Das zweite Kapitel legt also zwei gegensätzliche geschichtsphilosophische Konzepte dar: Die Verfallshypothese, die den Weg vom goldenen zum eisernen Zeitalter nimmt, und die Aufstiegshypothese, nach der die Menschen kontinuierlich besser und glücklicher lebten. Der Nachklang gibt keiner der beiden Theorien recht, sondern verweist auf die von den Zeiten und Geschichtstheorien unabhängige christliche Ethik, die zum einzigen Wertmaßstab wird.

Der dritte Satz handelt von den Menschen und beginnt mit einem hyperbolischen Lob: Die Sonne sei das „Aug der Welt“, der „König der Planeten“, der „Schmaragd der Fixsternen“ und die „Regentin der Geschöpfe“ (S. 25). Doch im Vergleich zu den Menschen sei sie nichts, denn Gott habe sie um der Menschen willen erschaffen. Der Mensch sei Ebenbild Gottes und durch die Fähigkeit zu reden unterscheide er sich von allen anderen Geschöpfen. Er sei der Herr über die Erde und habe sich die Welt untertan gemacht, er könne Kräuter, Wasser und die Steine beherrschen, besäße Vernunft und könne die Geheimnisse der Gestirne ergründen. Von seinem Erfindungsreichtum zeugten die sieben Weltwunder, der Babylonische Turm und viele weitere Kunsterzeugnisse. Schließlich sei Gott selbst Mensch geworden und der Mensch werde einst das ewige Reich bewohnen.

Dieses Lob wird im Gegensatz zurückgenommen: Der Mensch sei an Leib und Seele gebrechlich, am Leib, weil er verschiedenste Krankheiten bekommen könne, an der Seele, weil sich die Menschen gegenseitig mehr Schaden zufügten als die wildesten Tiere. Er werde von Sorgen und Leidenschaften geplagt und müsse stets vor dem Teufel auf der Hut sein. Die glücklichsten Geschöpfe seien die Menschen, die gottgefällig lebten. Wer dies nicht tue, der sei armseliger als die Tiere, weil diese die ewige Verdammnis nicht fürchten müssten. Diesen letzten Punkt nimmt der Nachklang für die vermittelnde Position auf: Der Mensch müsse sein Streben auf die Erkenntnis Gottes richten. Gotteserkenntnis und Gottesliebe setzt der Autor gleich. Wer Gott liebe, der könne das Elend des irdischen Daseins besser ertragen und werde mit der ewigen Seligkeit belohnt. Wer Gott aber nicht liebe, für den wäre es besser gewesen, wenn er niemals geboren worden wäre. Erneut bildet also die christliche Ethik den Konnex, der die gegensätzlichen Positionen verbindet.

Der vierte Satz handelt von den Bauern. Diese seien eigentlich viel edler als die Adligen, denn bereits Adam sei nach der Vertreibung aus dem Paradies Bauer gewesen. Der Autor zählt antike Persönlichkeiten auf, die die Bauern lobten oder selbst Bauern gewesen seien. Bauern würden eher zum Kriegsdienst herangezogen als andere Menschen, weil sie robuster und stärker seien als die „Waichling in Stätt: und Schlössern“ (S. 42). Die Bauern seien einfache und ehrliche Arbeiter, die mit ihren Erzeugnissen die übrigen Menschen ernährten und Material für ihre Kleidung lieferten, ohne daraus mehr Gewinn ziehen zu wollen als ihnen zustünde. Die Bauern lebten ruhiger und gesünder als die Menschen in der Stadt.

„Jch dörffte sagen ein Bauer lebe besser als ein Printz / und hab nicht Ursach mit einem Fürsten zudauschen / Dann ob schon ein Fürst mit Essen / Trincken / Kleydung / Dienern / und in Summa allein dem was zur Wollust dienet / bein allerherrlichsten versehen; So hat Er hingegen jedoch ein solch großen hauffen Sorgen / Gedancken Begierten und künfftige schwere Verantwortung uff sich liegen / daß unmüglich seyn kan / daß den Bauren / seyn Speck / Käß und Brodt nit besser als dem Fürsten Seine allerbeste Schlecker-Bißel / schmeckt / sonderlich auch weil beydes Jhr gewöhnliche Speise ist“ (S. 45).

Im Gegensatz werden die Sorgen und Nöte der Bauern thematisiert: Neben der schweren Arbeit auf dem Feld müssten sie viele weitere Mühen ertragen: Unwetter und Ungeziefer könnten die Ernte vernichten und so die Erzeugnisse ihrer mühevollen Arbeit. Im Krieg nähmen ihnen die Soldaten ihre Güter weg und Raubtiere, Bettler und Zigeuner seien eine weitere Plage. Zu Martini verlangten die Landesherren und Schaffner ihren Anteil an ihren Produkten und bei deren Verkauf erlösten sie oft nicht genug, um den Aufwand zu decken.

Neben diesen äußeren Problemen des Bauernstandes seien auch charakterliche Defizite zu beobachten, wobei der Autor jedoch betont, dass dieses Urteil nicht auf alle Bauern zutreffe. Er beschreibt den Schmutz, in dem sie lebten, zudem seien sie betrügerisch, unhöflich, gotteslästerlich, unfromm, untreu, lügnerisch und abergläubisch. Er zitiert eine längere Passage aus Garzonis Piazza Universale, dessen Urteil für die Bauern alles andere als schmeichelhaft ausfällt:

„Garzonius sagt […] die Bauren seyn meistentheils listig wie die Füchs / boßhafftig wie ein Wolff / voller Bubenstück / verflucht wie der Teuffel selbst / von deme sie auch gemeiniglich regiert werden; Jn summa wann jemand einen argen Bauren schilt / so ist es eben so viel / als wann man ihn einen abgescheumbten durchtriebenen Essig und Kernbösewicht nennet; dann bey ihnen ist gemeiniglich weder Gewissen / noch Treu / noch Verstand / sonder lauter List / Betrug / Falschheit und Boßheit mit denen er vom Scheitel an biß unter die Fußsohlen durchsaltzen ist; und was das allerärgste seyn mag / ist daß sie solche schöne Tugenden gahr artlich unter den Schein der vorscheinenden Einfalt verbergen können / biß sie ein ehrlichen Mann der sich eines bessern zu ihnen versiehet / fein meisterlich betrogen haben. Sonst aber ist er gantz thumb / und zu allen vortrefflichen Geschäfften ungeschickter als ein Esel zum Lautenschlagen“ (S. 53).

Im Nachklang bestätigt der Autor, dass die Bauern gleichermaßen gelobt und getadelt werden könnten. Deshalb empfiehlt er ihnen, wahre Gottesfurcht zu üben und ein reines Gewissen anzustreben, dann würden sie von Gott gesegnet.

Der fünfte Satz handelt vom Geld. Die Verachtung, die dem Geld entgegengebracht werde, sei nicht gerechtfertigt, denn wer kein Geld besäße, könne nicht heiraten und eine Familie gründen und sei gesellschaftlich ausgeschlossen. Er könne vor Gericht keinen Rechtsbeistand bezahlen und auch keine Ärzte, die seine Krankheiten heilen. Und wenn er gestorben sei, würden keine Leichpredigt und keine Seelmesse für ihn gehalten. Wer dagegen Geld besitze, der genieße Ehre und Unabhängigkeit und habe ein sorgloses Leben. Zudem gebe es ihm die Macht, über andere zu bestimmen und Menschen sogar zu kaufen. Nach einer persischen Weisheit seien der König, der Wein und die Weiber mächtig, am mächtigsten aber sei das Geld. Man könne sogar durch Geld seine Seele aus dem Fegefeuer erlösen.

Dem Gegensatz zufolge muss derjenige, der Geld besitzen will, viele Sorgen und Mühe auf sich nehmen und auch den Lastern des Geldes folgen. Dadurch gerät er leicht in Versuchung und verstrickt sich in die Netze des Teufels. Wer also nach dem Geld strebt, setzt seine Seligkeit aufs Spiel. Er kann dem Laster des Geizes verfallen und in Wollust versinken. Wenn er stirbt, muss er sich dennoch vom Geld trennen und gefährdet die Seligkeit seiner Erben. Wer kein Geld besitzt, strebt nach ihm und gerät in Versuchung, Sünde und Laster auf sich zu laden, um es zu bekommen. Kaufleute setzen sich den Gefahren des Meeres aus, Soldaten setzen ihr Leben aufs Spiel und Wucherer ihre Seligkeit, Frauen opfern ihre Keuschheit. „Des Gelds wegen erhebt sich Krieg / Gotteslästerung / Mainayd / Mord / Zanck / Hader / Ehebruch / Diebstal / böß Gewissen / Abgötterey / schwere Rechts-Händel / und in summa alles Ubel“ (S. 72). Das Geld wird zum Abgott, der nur deshalb nicht angebetet, wird, weil ihm noch kein Altar gebaut wurde. Um des Geldes willen betrügt man sogar seine Eltern und lässt sich vom Teufel einfangen. Niemals sei gehört worden, dass Gott oder ein Heiliger mit Geld gehandelt hätten und niemand könne Gott und dem „Mammon“ dienen (S. 74).

Im Nachklang nimmt der Autor eine neutrale und als realistisch erscheinende Position ein: Das Geld an sich sei weder gut noch schlecht, es komme darauf an, wie man es gebrauche. Es im Meer zu versenken, um seinen schlechten Einfluss zu bannen sei genauso töricht wie es zu verprassen oder zu schändlichen Zwecken zu verwenden. Auf keinen Fall solle man „Teiffelische Abgötterey“ mit dem Geld betreiben (S. 76). Man solle vielmehr Gott Rechenschaft über den Gebrauch seines Geldes ablegen können. Der Arme solle sich an den christlichen Spruch erinnern, dass ein Reicher schwerlich in den Himmel komme und der Reiche solle Gott für diese Gunst danken und sein Geld für seine Mitmenschen gebrauchen.

Der sechste Satz handelt vom Tanzen. Der Autor weist auf die Struktur der Darstellung, von jedem Ding das Gute und das Schlechte aufzuzeigen. An diesem Gegenstand fällt es ihm jedoch sichtlich schwer, etwas Gutes zu finden. Er verweist auf den harmonischen Tanz der Himmelskörper und zitiert Stellen bei Xenophon und Platon, die den Tanz loben. Er verweist auf die Korybanten, auf die Brahmanen und auf David sowie auf den Brauch, bei christlichen Prozessionen zu tanzen. Damit habe er aber den Tanz schon mehr als genug gelobt.

Im Gegensatz verbindet er den Tanz mit vielen Lastern, er verleite die Menschen zu Unzucht, Schamlosigkeit und sei „ein treffliche invention, nicht allein dem Menschen zur Verstellung: sondern auch GOTT selbsten zur Schmach vom Teuffel erfunden“ (S. 80). Zur Begründung verweist er auf den Tanz um das goldene Kalb. Der Tanz bringe die Menschen um ihre Vernunft, Männer benutzten ihn, um auf sich aufmerksam zu machen und Frauen, um schamlos mit sich handeln lassen zu können. Er zählt einige Bibelstellen auf, in denen der Tanz zu Unglück geführt habe, die Kirche habe ihn nicht ohne Grund verboten. Auf heidnischen Gottesdiensten werde viel getanzt und auch die Hexen und Zauberer tanzten auf ihren höllischen Zusammenkünften. Im Nachklang wird, anders als in den vorherigen Kapiteln, keine vermittelnde Position bezogen, sondern Grimmelshausen schlägt sich auf die Seite des Gegensatzes: Er habe sich bereits geschämt, überhaupt etwas zum Lob des Tanzes zu sagen.

Der siebente Satz handelt vom Wein. Dieser sei gesund für Körper und Seele, mache die Schwachen kräftig und ermuntere die Mutlosen. Er sei die edelste aller Flüssigkeiten und nicht ohne Grund spiele er beim christlichen Abendmahl eine entscheidende Rolle. Dem „Ertz-Ketzer Mahomet“ (S. 100) habe Gott den Genuss des Weines verboten und den Türken sei er nicht erlaubt, weil solche „Bestien“ (ebd.) dieses Getränks unwürdig seien.

Der Gegensatz betont, dass der übermäßige Genuss des Weines Körper und Seele schade. Der Mensch verliere durch den Wein Ehre, Verstand, Geld und Gut, Gesundheit, Freunde, Freiheit, das Leben und schließlich sein Seelenheil. Lot hätten weder die Welt noch der Teufel in Sodom zu Fall gebracht, sondern der Wein. Es folgt eine drastische Schilderung der Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums:

„so bald er aber truncken / ist er unversehens überwunden worden / dann wann der Wein eingehet / so gehet der Witz auß / als dann ist der gescheide ein Narr / der Verstand wird verfinstert / die Sinne werden stumpff / die Sprach wird verhindert / die Zunge stamlet / das Gesicht vergehet / das Gehör wird betäubet / die Empfindligkeit verlohren / die Kräffte werden geschwächt / die Geberde verstellet / der Beutel wird erschöpfet / der Vorrath verthan / die Zeit verlohren / die Heimligkeiten geöffnet / und der gantze Leib des Menschen nicht allein verderbet / sondern auch zu allerhand Uppigkeit / bösen Lüsten / Thorheiten und Unzucht gereutzet; Dann gehet es an ein wüten und toben / springen und tantzen [!] / fluchen und schweren / rauffen und schlagen / kotzen (mit Gunst) und speyen / biß endlich eine solche Bestia / [wann sie anderst in solcher Gefahr das Leben durchbringt] dorthin fält wie ein Ploch und alle Würckung der Seelen verlohren hat; sich in eignen Unflat und Gespey umbwaltzende“ (S. 104).

Trunksüchtige verspielen ihr Hab und Gut, prügeln sich, töten einander, auch die Gefahr der Abhängigkeit wird genannt. Im Nachklang wird anhand der Abfolge der Tierkreiszeichen der Weg der Trunkenheit nachgezeichnet mit all ihren Folgen für den Trinker, die symbolisch in den Tierkreiszeichen dargestellt werden. Die Folgen der Trunksucht werden also in astrologischer Metaphorik nachgezeichnet.

Der achte Satz widmet sich der Schönheit. Diese sei eine „Himmlische Gabe GOttes“ (S. 113), was schon daran zu erkennen sei, dass die Engel eine sehr schöne Gestalt besäßen, während der Teufel und die höllischen Geister hässlich seien. Es werden antike Autoren und Rechtsquellen zitiert, nach denen eine hässliche Gestalt Ausdruck einer „ungestalten Seelen“ (ebd.) sei. Daraus sei die Wissenschaft der Physiognomie entstanden, wenn auch der Autor zugibt, dass noch mehr dazugehöre, um sich ein Urteil über einen Menschen zu bilden. Daraus schließt er, dass das Schöne zuträglich und das Hässliche schädlich sei. Schönheit bringe Glück und Vorteile im Leben und sie mache alles „Thun und Lassen / Handel und Wandel / Reden und Geberden anmütiger und angenehmer“ (S. 118).

Dem Gegensatz zufolge hat jedoch die Schönheit besonders bei den Frauen auch das Laster zur Folge: „Hoffart / Müssiggang / Kleider-Pracht / Vermessenheit / Muthwillen / Frevel / Schamperkeit / Neid / Unkeuschheit und Faulheit“ (S. 119). Zudem verweist er auf die Vergänglichkeit der Schönheit. Es sei außerdem ein Fehler, von äußerer Schönheit auf eine schöne Seele zu schließen, vielmehr seien die Schönen oft die Lasterhaftesten, denn die schönen Frauen und Männer hätten es am schwersten, keusch zu bleiben. Keuschheit und Schönheit stünden in immerwährendem Kampf miteinander, der umso heftiger werde, je größer die Schönheit sei. Die Schönheit bringe auch sonst viel Unglück. Als Beispiele nennt er die Schicksale Absalons und Davids, der wegen der Schönheit der Bathseba zum Ehebrecher und Mörder wurde. Deshalb sei die Schönheit sowohl für die Schönen als auch deren Betrachter gefährlich, da sie Ehre, Besitz, Vernunft, das Leben und die Seligkeit in Gefahr brächte.

Im Nachklang empfiehlt der Autor allen, einen Spiegel zu benutzen, nicht, um sich zu schminken und so schöner zu machen, sondern um das Innere zu erkennen: Man solle sich selbst erkennen und dieser Erkenntnis folgen. Er spielt auf das Orakel von Delphi und das Hohelied an. Wenn man schön sei, solle man diese Schönheit nicht mit Laster besudeln. Wenn man hässlich sei, so solle man sich um Weisheit und Tugend bemühen.

Der neunte Satz handelt von den Priestern, die von Gott auserwählt seien, seine Stellvertreter auf Erden zu sein. Sie seien keinem Fürsten untertan und müssten ihren Lebensunterhalt nicht durch harte Arbeit verdienen. Ihre Sonderstellung in allen Gesellschaften wird anhand vieler Bibelzitate belegt. Sie fungieren als Wegweiser für die Menschen, ermahnen die Sünder und erteilen die Absolution. Zudem erhalten sie das menschliche Geschlecht, da ohne die Eheschließung, die sie alleine vollziehen dürfen, das Chaos herrschen würde. Im Gegensatz heißt es, dass man, da sie Auserwählte Gottes und dessen Stellvertreter seien, keine Kritik an ihnen üben dürfe, selbst wenn es einzelne gebe, die dem hohen Anspruch an ihren Stand nicht gerecht würden. Dem Nachklang zufolge soll man sich um diese Verfehlungen einzelner Priester nicht kümmern und ihren Worten, nicht ihren Taten folgen. Dem Laien stehe es nicht zu, über die Priester zu urteilen.

Der zehnte und letzte Satz des ersten Teils handelt „von den Weibern“. Diese seien, wenn man dem Schöpfungsbericht der Bibel folge, von edlerer Herkunft als die Männer, da diese aus „dem schweren Element und faulen Treck der Erden“ (S. 134) stammten, jene aus dem Fleisch des Mannes. Es sei zu mutmaßen, dass ihr im Paradies die Herrschaft oblag, denn sonst sei es nicht zu erklären, dass sie Adam hatte überreden können, von dem Apfel zu essen. Weil sie aber in ihrer Herrschaft versagt hätte, sei die Herrschaft daraufhin dem Mann übertragen worden. Christus sei von einer Frau ohne männliches Zutun geboren worden und er sei von Männern verurteilt und gekreuzigt worden. Nach seiner Auferstehung hätte er sich zuerst den Frauen gezeigt. Der Autor nennt die Privilegien, welche die Frauen in den alten Gesellschaften genossen hätten und dass sie aufgrund ihres Verstands von den Juden und Heiden oft als Prophetinnen geschätzt worden seien. Es werden berühmte antike Frauen genannt und einige Erfindungen werden antiken Göttinnen zugeschrieben, etwa der Ackerbau (Isis) oder das Weben der Leinwand (Pallas). Er wehrt den Einwand ab, dass die Erfindungen der Frauen zu hoch bewertet würden. Er nennt gebildete Frauen und rühmt ihre Tapferkeit, für die beispielhaft die Amazonen stünden. Er weist darauf hin, dass Könige und Generäle von Frauen getötet worden seien, etwa Holofernes und Sisera (Richter 4,21). Die höchste Tugend der Frauen sei jedoch die Keuschheit, die allein den Frauen Ruhm und Ehre beschere. Während dem männlichen Vorbild der Keuschheit, Joseph, nur wenige nachfolgten, handelten viele so wie das weibliche Vorbild Lucretia. Zum Abschluss wird auch das Frauenbild der Männer thematisiert: Die „Weiberfeinde[]“ (S. 144) hielten jede Frau, solange sie jung und keusch sei, für eine Göttin, wenn sie aber keine Jungfrau mehr sei, würden ihr alle Laster angehängt. Daraus könne man schließen, dass die Frauen durch den sexuellen Verkehr mit den Männern deren Laster „gleichsam Erbsweiß“ (ebd.) empfangen. Durch diese Wendung, die den Männern die Schuld an den Lastern der Frauen gibt, wird zugleich auch das Frauenbild der Männer einer kritischen Reflexion unterzogen.

So positiv die Beschreibung der Frau im Satz ist, so „erschreckend misogyne[] Züge“ (Kühlmann 2008, 28) trägt der Gegensatz: Das „Weibisch Geschlecht“ wird als „zänckisch / forchtsam / frevel / ungezähmt / hinlässig / gifftig / unerträglich / unbeständig etc. allzeit wanckelhafftig / geitzig“ beschrieben (S. 145). Der Autor betont jedoch, dass er damit nicht die tugendhaften Frauen meine, sondern nur die bösen, weil er sich nicht dem Vorwurf aussetzen wolle, ein „Weiberfeind“ zu sein (ebd.). In der Folge werden einige der Argumente, die im Satz für die Frauen eingesetzt worden waren, gegen diese verwendet. Die Frau des Pilatus hätte beinahe die Verurteilung und damit die Kreuzigung Christi abgewendet und damit auch beinahe verhindert, dass Christus die Leiden der Welt auf sich nahm. Dass nach seiner Auferstehung zuerst die Frauen Christus gesehen hätten, beweise nichts, denn schließlich seien auch Ochse und Esel die ersten Geschöpfe gewesen, die ihn nach seiner Geburt gesehen hätten. Es werden auch verschiedene Männer genannt, die durch Frauen ins Verderben geführt worden seien, etwa Samson, David, Petrus oder Hiob. Wenn der Teufel den Menschen schaden wolle, dann tue er dies mittels einer Frau. Die Untugenden Leichtfertigkeit, Hoffart, Habgierigkeit und List, die man vielfach bei den Frauen finden könne, würden nicht weiter abgehandelt, da sie als bekannt vorausgesetzt werden könnten. Wenn die Frauen herrschen könnten, dann würden sie zu blutgierigen Tyrannen und es gebe mehr Beispiele weiblicher Unkeuschheit als Frauen, die der Lucretia gefolgt seien. An der Unkeuschheit hängt schließlich ein weiterer Vorwurf, der der Zauberei. Da diese mittels des Beischlafs durch den Teufel zu erlangen sei, würden erheblich mehr Frauen zu Hexen als Männer zu Zauberern.

Im Nachklang scheint der Autor mehr dem Gegensatz zu folgen, schwächt diesen aber ab: Frauen seien notwendig, weshalb man sich mit ihnen arrangieren müsse. Fromme Frauen seien selten, doch wenn man eine habe, solle man sich glücklich schätzen. Manchmal sei eine böse Frau auch von Nutzen, was man an Sokrates sehen könne, der bei seiner Frau Geduld gelernt habe. Der Autor gibt Ratschläge zur Erziehung der Frauen und bedient sich dabei einiger Vergleiche aus der Erziehung von Tieren. Und für den Fall, dass auch dies nichts helfe, hat er noch einen besonderen Ratschlag:

„Spangenberg erzehlet in seinen teutschen Sprichwörter-Außlegung ein sondere Gattung welche er vor die beste hielt / das Weib zu bannen / nehmlich man soll ihr alle Jahr einen jungen Erben zweigen und also etwas zu thun geben / so würden sie vieler anderer Thorheit vergessen / dabey wirs wollen bleiben lassen und hiemit dieses beschliessen“ (S. 154).

Auch wenn er es im Satz reflektiert und problematisiert, folgt Grimmelshausen dem zeitgenössischen Frauenideal, das von den Frauen Sittsamkeit, Tugendhaftigkeit und vor allem Keuschheit erwartet. Frauenfiguren in seinem Werk, die diesem Ideal entsprechen (z. B. Asaneth, Amelinde, Lympida oder Esther), bleiben von der satirischen Kritik verschont. Der Gegenentwurf zu diesem Typ ist Courasche, doch auch sie erscheint nicht als völlig verworfen (vgl. unten), so dass Grimmelshausen tatsächlich nicht als Weiberfeind erscheint.

Im ersten Satz des zweiten Teils, der von der Poeterey handelt, wird die Poesie als eine Kunst dargestellt, die nicht durch Übung und Unterricht erlernt werden kann, sondern durch göttliche Eingebung entsteht. Diese göttliche Inspiration hätte aus dem Bauernknaben Hesiod einen Dichter gemacht, ähnlich sei es mit „unserem Altfränckischen Teutschen Hans Sachsen“ (S. 5) gewesen. Anhand antiker Quellen (z. B. dem Kratylos Platons) wird gezeigt, dass die Poesie die Dinge richtig benennen könne und der Autor erwähnt, dass die Sprüche des Delphischen Orakels in Versform vorgetragen worden seien. Auch die Bibel weise poetische Stellen auf (die Psalmen, die Sprüche Salomons, die Klagelieder des Jeremias oder die Klagen Hiobs), woraus zu schließen sei, dass die Poesie „auch dem wahren Gott nicht zu wider“ sein könne (S. 7). Die Poeten verdienten großes Lob und sie seien von den Fürsten immer auch geschätzt worden. Besonders gebühre aber „unsere[n] Teutschen Poeten“ Lob, „welche ihre Muttersprach / die beynahe alle Ausländer vor hart und unärtig gehalten und ausgeschrihen / durch ihre Sinnreiche Kräfte dermassen auspolirt / daß sie keiner fremden im geringsten nichts nachgiebt“ (S. 9). Am höchsten seien jedoch jene Poeten zu loben, die ihre Begabung zum Preis Gottes nutzten.

Unter Berufung auf Platon (zehntes Buch der Politeia) und Augustinus (erstes Buch der Confessiones) beginnt der Autor den Gegensatz mit dem Vorwurf, nach dem die Poeten Verderber der Jugend seien und deshalb auch aus den Städten gejagt wurden. Damit hängt der Vorwurf zusammen, dass sie „alle ihre Geschickligkeiten uff lauter Fabuln / Lügen und Narrentheydung gelegt / dabey dan viel untüchtige und unzüchtige Possen mit untergeloffen“ seien (S. 10 f.). Der Autor verweist auf MoscheroschsGesichte Philanders von Sittewald, wo beschrieben werde, warum sich viele Unbegabte für Poeten hielten. Zudem gebe es „Sprachhelden“, die „gantz Nagelneue Wörter uff die Bahn […] bringen / deren sie sich nicht allein in ihren Schrifften gebrauchen / sonder auch in ihren täglichen Reden vernemmen lassen; und ob sie zwar deßwegen offt so kahl damit bestehen / daß sie auch die Wald-Bauern verlachen und corrigiren, so vermeinen sie iedoch / das Vaterland sey ihnen umb solcher ihrer närrischen Witz halber hoch verbunden“ (S. 12). Auch die Grammatiker und Sprachreformer werden bereits sechs Jahre vor dem Erscheinen des Teutschen Michel kritisiert:

„Andere wollen eine neue Grammatica und Orthographiam der teutschen Sprach vorschreiben / die so Phantastisch beschaffen / daß die Schüler Knaben / wann sie darmit ufgezogen kämen / bey den Schulmeistern übel anlauffen würden; und dennoch schämen sie sich nicht / sich solcher Thorheit halber zu rühmen“ (ebd.).

Den Dichtern wird weiter eine gewisse Entrückung oder, moderner ausgedrückt, Weltfremdheit vorgeworfen, weshalb man sie für wahnsinnig halten könne. Schließlich machten sie auch oft „leichtfertige Lieder und Gedichte […] / damit sie auch andere anstecken / verführen und verderben“ (S. 13).

Im Nachklang betont der Autor die Macht der Poeten, diejenigen, denen sie gewogen sind, in den höchsten Himmel zu loben und andere, denen sie nicht freundlich gesinnt sind, in die Hölle zu stoßen. Wenn sie aber ihre Talente nutzen, um Gott zu loben, dann solle man mit ihnen wie mit Petrarca verfahren und sie mit Lorbeeren bekränzen und in höchsten Ehren halten. Grimmelshausen übt also deutliche Kritik an der Dichtung seiner Zeit, es klingen zudem schon Elemente an, die im Teutschen Michel entfaltet werden. Auch hier steht letztlich der religiöse Aspekt der Dichtung im Vordergrund.

Der zweite Satz handelt vom Geschütz mit dem von Barthel Schwartz erfundenen Schießpulver und Kugeln. Die ausländischen Geschichtsschreiber seien Schwartz nicht wohlgesinnt, weil er etwas erfunden habe, das Hunderttausende das Leben gekostet habe. Dabei sei das Schießpulver bereits lange vor Schwartz von den Chinesen benutzt worden und die Römer hätten Ähnliches gekannt. Der Autor wendet gegen die Geringschätzung Schwartz' ein, dass das Schießpulver zwar viele Menschen das Leben gekostet und dass es viele Städte in Schutt und Asche gelegt habe. Doch den üblen Gebrauch könne man nicht dem Erfinder anlasten. Der erste Mord Kains an Abel sei auch ohne Schusswaffen verübt worden und auch in der Gegenwart würden Meuchelmorde in aller Stille geschehen, weil man mit Schusswaffen nicht heimlich handeln könne. Deshalb seien „die Rohr [= Gewehre, S. R.] oder das Büchsengeschoß weith ehrlicher als ein ander Mörderisch Gewehr“ (S. 19).

Die Schusswaffe habe aber auch ihre guten Seiten: Vor ihrer Erfindung hätte man in den Schlachten mit Schwertern, Äxten und Spießen aufeinander eingeschlagen, bis kaum noch jemand lebte und es ein gewaltiges Blutbad gegeben habe. Durch Kanonen und Geschütze seien heute aber die Schlachten schneller entschieden, so dass nicht mehr Menschen als notwendig sterben müssten. Man könne auch den Geschützen nicht anlasten, dass mit ihrer Hilfe Städte erobert würden, da man sie auch zur Verteidigung einsetze.

Das Schießpulver habe aber auch außerhalb des militärischen Bereichs seinen Nutzen: Störende Felsen könnten weggesprengt oder Tiere ohne Gefahr geschossen werden. Bei Prozessionen und Festen gebe es Feuerwerke und es hätte den Spaniern bei der Eroberung des Inkareiches wertvolle Hilfe geleistet. Ein einfacher Musketier könne viel stärkere Feinde besiegen und Saul hätte sich nicht so lange von Goliath verspotten lassen müssen, wenn er über einen Heckenschützen verfügt hätte. Zuletzt bedauert der Autor, dass die Deutschen nicht so klug wie die Chinesen gewesen seien und die Kunst des Schießpulvers für sich behalten hätten. Dann wären ihre Feinde jetzt leichter zu bekämpfen.

Der Nachteil des Schießpulvers ist dem Gegensatz zufolge der Umstand, dass ehrliche Menschen durch „liederliche[] Lumpen“ erschossen werden könnten, ohne dass sie imstande seien, sich zu wehren (S. 24). Zudem könnten viele Menschen durch Unfälle oder Unachtsamkeit ihr Leben durch das Schießpulver lassen. Im Nachklang heißt es, dass das Büchsenschießen „nicht vor Kinder und Narren erfunden“ worden sei (S. 26), sondern von kundigen Leuten vollzogen werden müsse. Das Schießpulver habe die Erfindung weiterer Künste nach sich gezogen, etwa das Festmachen oder den Büchsenbann. Der Autor berichtet von phantastischen Schießkünsten, die aber ans Magische grenzten und besser geheim blieben.

Der dritte Satz handelt von der Liebe. Der Autor verweist auf antike Quellen (u. a. Platon), nach denen die Liebe zu den höchsten Gütern gehört, unter den Menschen für Frieden und Freundschaft sorgt und auch die Harmonie der Elemente ermöglicht. Verliebte Menschen gäben ihre Laster auf und bemühten sich, im besten Licht zu erscheinen, um keinen Anlass zum Tadel zu geben. Die Liebe fördere also die Tugenden der Menschen. Die großen Helden hätten ihre Kraft aus der Liebe geschöpft und der allerweiseste Mann, Salomo, hätte viele Frauen geliebt.

Im Gegensatz heißt es, dass die Liebe eine der schwersten Krankheiten des Menschen sei, wer von ihr ergriffen werde, komme nicht mehr von ihr los und sei bereit, Leid und Tod für sie zu erdulden. Die traditionelle bildliche Darstellung der Liebe als Amor oder Cupido wird zum Ausgangspunkt für eine negative Darstellung des Charakters der Liebe:

„und wann wir ihn betrachten / wie er gemeiniglich sonst abgemahlt wird / so können wir ohnschwer judiciren was er vor Gaben mit sich bringt / nackend / bedeut / daß weder Ehr noch Guths an ihm zu erjagen / blind / daß er seine Anhänger blendet / daß sie wie obgedacht ihren aignen Jammer nit sehn; Er wird gemahlt als ein Kind von wegen seiner Leichtfertigkeith / und daß er die Seinige zu Kindern: ja wohl gar zu Narren mache; mit kleinen Flügeln / zu bedeuten / daß seine Freude kurtz / unbeständig und flüchtig sey; Er hat Pfeil / Bogen / Fackeln / damit nichts anders als Wunden / Unglück und Hertzleid anzurichten“ (S. 37).

Die verliebten werden von Amor getäuscht und bilden sich ein, an gebrochenem Herzen zu leiden. Die dichterischen Anwandlungen der Verliebten und ihre Hyperbolie werden verspottet und die zeitgenössischen petrarkistischen Muster des Frauenlobs ins Lächerliche gezogen:

„Solche arme Gecken wissen von nichts anders zu dencken / zu sagen noch zu schreiben / als der eine von seiner Philis, der ander von seiner Chloris, der dritte von seiner Galataeae, und der vierdte von seiner Amarilis, darauff sie dann allerhand Reumen / Devisen und künstliche / zwar lustige / doch phantastische Possen dichten; da werden ihre Haar nit nur der Seiden oder dem Golde: sonder den Straalen der Sonnen: ihre Augen den Sternen: ihre Augenbrauen dem Ebenholtz: ihre Wangen denen uffgehenden Rosen: ihre Leffzen den Corallen: die Zähn den Perlen: die Stirn dem Helffenbein: die Farb der Hand dem Schee: der Hals einem Alabaster / und die Brüste zweyen Zuckerballen verglichen; da werden die ahnmuthige Geberden: die Göttliche Sitten: die holdselige Gestalten / und die liebreiche Reden beydes in Prosen gelobt und mit Reumen besungen; da mueß die schöne Helena / die keusche Lucretia und die muthige Cleopatra: ja die Venus selbst ihren Göttinnen weichen / und gehet alles uff lautern Hyperbolis weit über die Schnur daher“ (S. 39 f.).

Verliebte erscheinen für den Betrachter in ihrem Gebaren höchst lächerlich, wenn sie nachts um die Häuser der Geliebten streifen und dabei Regen und Kälte ignorieren, ihrer Angebeteten ein Ständchen bringen, was ihnen manchmal einbringt, dass sie „mit einer frischen Camerlaugen begossen“ werden (ebd.), sie staffieren sich mit neuer Kleidung aus und laufen „als wann sie uff Eyern giengen“ (S. 41). Verliebte setzen sich damit Hohn und Spott aus. Doch wenn ihr Wunsch erfüllt wird, setzen sie sich der Gefahr aus, in den schlechten Einfluss der Frauen zu gelangen, was anhand antiker Beispiele belegt werden soll: Helden wie Samson, Odysseus oder Theseus hätten sich zu Sklaven ihrer Frauen gemacht und alles vergessen, was sie zu Helden gemacht habe. Im Nachklang wird der Gegensatz fortgeführt: Wer einmal von der Liebe befallen sei, der könne schwerlich wieder geheilt werden, weshalb der Autor empfiehlt, sich vor der Buhlschaft zu hüten.

Der vierte Satz handelt vom Tabak. Nachdem die Herkunft und die Ausbreitung des Tabaks in Deutschland während des Dreißigjährigen Krieges dargelegt wurden, wird betont, dass der Genuss des Tabaks über alle Stände verteilt sei. Der Tabak werde von vielen aus medizinischen Gründen genossen. Am Beispiel der Indianer könne man lernen, dass er auch zur Friedens- und Gemeinschaftsstiftung eingesetzt werden könne. Darüber hinaus seien Anbau, Weiterverarbeitung und Handel mit Tabak ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Selbst wenn einige Fürsten versuchen würden, ihn zu verbieten, würde man den Tabak nicht mehr aus Deutschland entfernen können.

Unter Verweis auf MoscheroschsGesichte Philanders von Sittewald, der dem Tabak einen eigenen Teufel zuordnete, werden die Raucher als Menschen beschrieben, denen unentwegt Rauch aus dem Mund komme, weshalb sie den Teufeln ähnlich sähen. Sie erfüllten die Luft mit Gestank und beschmutzten den Boden mit Unrat. Wie schon beim Wein weist der Autor auf die Suchtgefahr hin: Wer sich einmal an den Tabak gewöhnt habe, komme nicht mehr von ihm los, und weil er stinke, würde er von anderen Menschen gemieden. Auch der Kautabak sei nicht besser:

„nit daß er ihn hinunter schlucke / dann solches würde ihm wie dem Hund das Graß bekommen / sonder er müffelt dran wie eine Gaiß die wiederkeuet / und in dem er also die Krafft aus dem Tabackh sauget / zeugt er auch die Flüsse und Phlegmatische Feuchtigkeiten im Munde zusammen / speyet solche den gantzen langen Tag aus / und macht damit ein solches unflätig Geifferwerck umb sich herumer / daß einem kotzen möchte“ (S. 55).

Der Autor schildert drastisch seinen Ekel, den er empfunden habe, wenn er morgens in das Wachthaus gekommen sei, in dem in der Nacht die Soldaten geraucht hätten: Der Raum stinke so sehr, dass man in Ohnmacht fallen könnte und der Boden sei mit Speichel und Schleim bedeckt gewesen. Insbesondere die niederen Stände wie Bettler und Zigeuner, aber auch Bürger und Bauern, am allermeisten aber die Soldaten verfielen dem Tabakkonsum. Schließlich macht der Autor auf eine weitere Gefahr des Tabaks aufmerksam: Durch das Hantieren mit Feuer könnten durch unvorsichtige Menschen Brände entfacht werden. Auf diese Weise sei schon manche Stadt abgebrannt. Deshalb solle man jungen Leuten das Rauchen ganz verbieten, vielleicht würde diese Torheit dann wieder verschwinden.

Im Nachklang empfiehlt der Autor den Rauchern, sich den Tabak allmählich wieder abzugewöhnen. Den Nichtrauchern empfiehlt er aber, den Tabak gar nicht erst zu versuchen. Wer dennoch nicht von ihm lassen könne, dem empfiehlt er den Genueser Tabak, der sei von allen der beste.

Dieses Kapitel scheint nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Gleichwohl nimmt die ironische Empfehlung am Schluss der Darstellung etwas von ihrer Schärfe und ist möglicherweise ein Indiz dafür, dass Grimmelshausen dem Genuss des Tabaks selbst nicht abgeneigt war.

Der fünfte Satz handelt vom „Stand grosser Herren“ (S. 61). Gott habe den Menschen zum Herren über die Erde gemacht und einige dieser Menschen zu den Herren über die übrigen. Dieser sei der glückseligste auf der Erde, weshalb viele diese Stellung begehrten. Der Autor zitiert Julius Caesar, der gesagt habe, er würde Treu und Glauben um der Macht willen brechen, und der „Gottlose Machiavellus“ (ebd.) forderte von den Herrschern den Verzicht auf die christliche Seligkeit, was scharf getadelt wird: Machiavelli sei ein Christ mit völlig unchristlichen Gedanken gewesen. Durch Gottes Gebot habe der Herrscher das Recht, vom Unterhalt seiner Mitarbeiter und Untertanen leben zu können und sie im Krieg für sich kämpfen zu lassen. Der König sei keinem Gesetz unterworfen, sondern Herr über die Gesetze. Seine Wünsche müssten stets erfüllt werden und er habe das Recht, die besten Speisen und Getränke zu sich zu nehmen und die feinsten Kleider zu tragen. Wegen ihrer großen Macht sei es kein Wunder, wenn sich manche heidnische Könige selbst für Götter oder Söhne der Götter hielten, wie etwa der türkische Kaiser. Die christlichen Herrscher seien bescheidener, als Vorbild wird Kaiser Maximilian I. genannt, der mit eigener Hand an eine Wand geschrieben habe, er sei ein Mensch, dem Gott die Ehre gegönnt habe.

Nach dem Gegensatz ist aber die Verantwortung in der Regierung mit solch großen Sorgen und Mühen verbunden, dass viele Herrscher ihr Amt niedergelegt hätten, etwa Kaiser Karl V. Zwar könnten sie edle Speisen, die besten Kleider und Zerstreuungen wie die Jagd genießen, doch diese Zerstreuungen würden oft nicht als solche wahrgenommen, weil sie sich jederzeit um die Staatsgeschäfte kümmern müssten. Zudem hätten sie häufig Vertraute und Ratgeber, die ihnen nicht die Wahrheit sagten aus Furcht, in Ungnade zu fallen. Sie seien oft von Schmeichlern umgeben, die ihren eigenen Vorteil im Sinn hätten und schwer zu entlarven seien. Sie seien häufiger Gegenstand der Kritik und des Spotts und ihre Laster würden deutlicher herausgekehrt als die Laster einfacher Leute. Der Autor verweist auf das 11. Kapitel im zweiten Buch des Simplicissimus: „wie ich dan hiervon auch von andern Sachen mehr / so hieher gehörten / in meinem Simplicissimo Anregung gethan / als ich dem Gubernator zu Hanau wahrsagte“ (S. 71). Zu den Aufgaben des Herrschers gehört es, für die Wirtschaft seines Reiches zu sorgen und den Frieden zu erhalten. Er muss das Reich vor Feinden schützen und alles für seine Erhaltung tun. Neben dem Glauben muss er viele Tugenden besitzen: Wahrhaftigkeit, Tapferkeit, Standhaftigkeit, Gerechtigkeit, Weisheit, Freundlichkeit, Vorsichtigkeit und Bescheidenheit. Aus all dem könne man sehen, dass die Fürsten viele Sorgen und Nöte hätten und nur selten ein geruhsames Alter genießen könnten. Häufig komme es daher vor, dass Könige aus Furcht, Gier oder anderen Gründen von diesen Tugenden abwichen und zu Tyrannen würden. Dadurch seien sie mehr gefährdet als einfache Menschen.

Im Nachklang spricht sich Grimmelshausen mit Verweis auf Paulus klar gegen den Tyrannenmord aus: Man müsse auch einem schlechten König Gehorsam leisten. Ein guter und frommer König werde von seinen Untertanen geliebt, ein schlechter König werde gehasst und empfange seine Strafe nach seinem Tode. Dem einfachen Volk stünde ein Urteil über den Herrscher aber nicht zu. Insgesamt entfaltet Grimmelshausen also ein absolutistisches Herrscherbild, das im Ratio Status weiter ausgeführt wird.

Der sechste Satz handelt von „der Philosophia und den Philosophis“ (S. 77). Es werden Platon, Sokrates und Cicero zitiert, nach denen die Philosophie das höchste sei, was die Götter den Menschen gegeben hätten. Sie sei für das Denken und die Sitten von höchster Wichtigkeit und der Sokrates zugeschriebene, tatsächlich aber von Platon (Politeia 473 cd) stammende Satz, dass die Philosophen regieren oder die Regenten philosophieren sollten, wird genannt. Die Philosophie sei die Wissenschaft von himmlischen und irdischen Dingen, sie sei Betrachtung des Todes und Liebe zur Weisheit und sie vertreibe die Irrtümer des Verstandes. Die frühesten Philosophen wie Pythagoras seien Weise (Sophi) gewesen, dies sei der höchste Titel gewesen, den man Menschen verleihen könne. „Socrates aber hielte diesen Titul vor sich zu hoch / wolte derowegen nit Sophos sonder Philosophus genant werden / daran er und alle seine Nachkommen sich genügen lassen“ (S. 80). Für Augustinus sei ein wahrer Philosoph ein echter Liebhaber Gottes. Anhand einiger Beispiele wird das hohe Ansehen der Philosophen belegt und zuletzt erwähnt der Autor, dass einige Philosophen, etwa Platon, die Geburt Jesu Christi vorausgesehen hätten, was mit entsprechenden Zitaten belegt wird.

Im Gegensatz kritisiert der Autor, dass der philosophische Streit um die Meinungen meist nicht um der Wahrheit willen geführt werde, sondern um „nichtswürdige Spitzfünde“ (S. 85). Diese nenne Platon in seinem Gorgias, dem Dialog, in dem dieser sich mit den Sophisten auseinandersetzt, „Leutverführer“ (ebd.). Hinzu komme der Verdacht, dass die Philosophie nur „Fabelwerck“ sei, weil die ersten Philosophen Dichter gewesen seien und die späteren Philosophen die Ideen dieser „lügenhafftigen Poeten“ (S. 86) übernommen hätten. Die moralische Integrität einiger Philosophen wird angezweifelt. Die Deutschen seien den Philosophen gegenüber immer skeptisch gewesen und hätten die verschiedenen Meinungen über die Prinzipien der Natur oder das Summum Bonum verachtet. Für sie seien die Philosophen „seltzame Abendteurer / Gauckler und Possen-reisser“ (S. 88).

Der Nachklang gibt beiden Positionen recht: Jene Philosophie, welche die christliche Theologie verfälsche und in ein „Sophistisch Geschwätz“ verwandle (ebd.), sei zu verwerfen. Weil jedoch die Kirchenväter sich der Philosophie bedient hätten, um die Ketzer zu widerlegen und den christlichen Glauben zu stärken, sei sie zu loben. In vielen Ländern seien Philosophen als Verderber der Jugend des Landes verwiesen worden und es seien viele Spott- und Streitschriften gegen sie geschrieben worden, genannt wird u. a. die Komödie Die Wolken des Aristophanes. Daher seien viele Philosophen zu verachten, nicht aber die Philosophie als solche.

Der siebente Satz behandelt die „Mummerey“ (S. 91). Die Verkleidung sei nichts Schlechtes, Christus habe sich etwa verkleidet, als er „unser schwaches Menschliches Fleisch angenommen“ habe (ebd.) und auch David habe sich verkleidet. Durch Verkleidung könnten die Makel der Schönheit verdeckt werden und ein König könne sich verkleidet unter sein Volk mischen und hören, was es über ihn und seine Regierung denke. Die Perücke sei dem Haupthaar insofern überlegen, als sie nach Bedarf aufgesetzt oder abgenommen werden könne und Adlige, die inkognito reisten, seien besser geschützt und verursachten so weniger Kosten.

Im Gegensatz erscheint die Verkleidung in anderem Licht: Der erste, der sich verkleidet habe, sei der Teufel gewesen, als er in Gestalt einer Schlange Eva betrog und damit das Unglück über die Menschen brachte. Seither streife er in allerlei Verkleidungen umher und suche die Menschen zu verführen. Auch boshafte Menschen kleideten sich in die Maske der Ehrbarkeit, um ehrliche Menschen zu betrügen. Die Frauen kennen „siebenhunderterley“ Arten, sich durch Schminke und Kleidung zu verstellen (S. 96), doch auch die Männer hätten diese Kunst erlernt, so dass „Treu / Glaube und Uffrichtigkeit so schwerlich mehr zu finden“ seien (ebd.). Die Fastnacht sei kein harmloser Spaß, sondern eine „unehrliche Ergetzung“, durch die „Zucht / Scham und Erbarkeit“ abgelegt würden und durch die „Hurerey / Dieberey / Mord und Todtschlag“ gefördert würden (S. 99). Die Verkleidungen der Fastnacht dienten nur dazu, „sich in aller läppischen Uppigkeit herumb zu weltzen / und so unerkandt allerhand Leichtfertigkeiten und Unfläterey zu begehen“, die man sonst nicht begehen könnte, ohne seine Ehre zu verlieren (ebd.).

Auch Masken und Verkleidungen sind dem Nachklang zufolge nicht prinzipiell gut oder schlecht, sondern nur der Gebrauch, den man von ihnen macht. De Autor warnt noch einmal vor dem Teufel, der viele Maskeraden benutze, um die Menschen zu verführen und seiner Hexenschar einzuverleiben.

Der achte Satz handelt von der „Medicin und den Medicis“ (S. 102). Weil die Gesundheit zu den höchsten Gütern gehört und die Ärzte Krankheiten heilen und die Gesundheit wiederherstellen können, werden sie von allen geachtet. Für den Mediziner seien fünf der sieben freien Künste, nämlich Logik, Rhetorik, Arithmetik, Musik und Astrologie wichtig; Grammatik und Geometrie werden nicht genannt, dafür aber die Theologie, weil der Arzt seine Patienten bei Bedarf an ihre Sterblichkeit erinnern und sie mahnen müsse, ihren Frieden mit Gott zu machen. Wegen der vielen Kenntnisse, die zum Beruf des Arztes gehören, seien die Ärzte hoch zu achten.

Der Gegensatz verweist auf die Fehlbarkeit der Ärzte. Viele seien einfach Scharlatane, die nicht wüssten, was sie tun, keine Ahnung von den Krankheiten und niemals ein medizinisches Buch gelesen hätten, sich aber stets als große Mediziner präsentierten. Für Menschen, die an solche falschen Ärzte gerieten, ende die Behandlung meist tödlich. Auch viele echte Ärzte betrögen ihre Patienten, indem sie die Heilung hinauszögerten und teure Medikamente verschrieben, um möglichst viel Geld zu verdienen. Zudem seien sie in großer Gefahr, hoffärtig zu werden, mit dem Ziel, nur noch Fürsten zu behandeln. Diese benutzten ärmere Patienten bestenfalls als Versuchskaninchen für noch nicht erprobte Medikamente.

Der Nachklang konstatiert, dass es sowohl Ärzte gebe, die Seuchen besiegen als auch solche, die die Friedhöfe füllten. Guten Ärzten solle man ihre Fehler verzeihen, schlechten das Handwerk legen. Allgemein erscheine der Arzt dem Patienten in dreierlei Gestalt: Als Engel, wenn er zu ihm komme, als Gott, wenn er ihn geheilt habe und als Teufel, wenn der Patient ihn bezahlen müsse. Der Autor empfiehlt, die guten Ärzte gerne zu bezahlen, da man sein Geld nicht besser als in seine Gesundheit anlegen könne.

Der neunte Satz handelt von den Bettlern. Diese seien reicher und freigebiger als ein Kaiser, denn dieser müsse, um seinen Reichtum und seine Freigebigkeit zu beweisen, selbst zum Bettler werden. Einem ehrlichen Leben sei jedoch die Armut entgegengesetzt, weil den Armen oft die Wahl bleibe zu stehlen oder vor Hunger zu sterben. Wenn ein ehrlicher Mensch durch Unglück Haus und Hof verliere, so finde sich schwerlich ein Reicher, der ihm seinen Verlust ersetze. Die Bettler dagegen gäben ihm so viel, dass er sich ein schöneres Haus bauen könne als zuvor. Das Betteln sei gottgefällig, weil es die Reichen zur Freigebigkeit aufrufe und sie an das Gebot des Mitleids erinnere. Daher hätten viele Heilige ihren Reichtum verschenkt und Bettelorden gegründet, um Gott in Armut zu dienen. Weil der Bettler nicht arbeiten müsse und keine Sorge um sein Hab und Gut zu haben brauche, sei er freier als ein Fürst. Wenn er reisen wolle, brauche er keine Wechselbriefe oder ein Heer. Er lebe von anderer Leute Arbeit, ohne selbst zu arbeiten und ihm werde gegeben, ohne das er selbst etwas geben müsse.

Der Gegensatz betont, dass jedoch die meisten Bettler nicht aus Armut, sondern aus Faulheit und Schamlosigkeit bettelten. Die meisten könnten ihr Geld durch Arbeit verdienen. Daher solle man solche Bettler zur Arbeit zwingen oder sie bestrafen. Viele Bettler erschwindelten sich ihre Almosen durch Betrügereien, indem sie Krankheiten oder Gebrechen vortäuschten, wobei sie eine ausgefeilte Technik entwickelt hätten. Nur die Pest oder die Syphilis täuschten sie nicht vor, weil sich ihnen dann niemand nähern würde. Sie hätten sogar eine eigene Sprache entwickelt, die nur Eingeweihte verstünden. Die erbettelten Almosen verprassten sie. Die vielen „Spenglern / Schleiffern / Storgern oder Quacksalbern / Schornsteinfegern / Zigeunern / Comödianten / Neuen-Zeitung-singern / und andern umblauffenden Strolchen / Landstörtzern und Landbetriegern“ (S. 129) seien eine große und unnütze Last für die Lande. Viele von ihnen ließen sich nicht mit einem Almosen abspeisen, sondern verlangten noch Butter und Eier dazu. Und wer das Almosen verweigere, riskiere, dass der „rothe Hahn […] ihm zum Dach hinaus gejagt“ werde (ebd.). Das Schlimmste aber sei, dass sie durch das Verprassen der milden Gaben Gott verspotteten und ihr gotteslästerliches Leben nicht aufgeben wollten.

Dem Nachklang zufolge ist es unchristlich, einem alten oder kranken Mann, der sich anders seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen könne, das Almosen zu verweigern. Doch jungen und kräftigen Bettlern solle man nichts geben, denn diese verstießen gegen die Gebote Gottes. Diese sollten zur Zwangsarbeit verpflichtet werden. Ein Herr aus Venedig wird lobend erwähnt, weil er Bettler mit unterschiedlichen Gebrechen als Betrüger entlarvt hätte; seinem Beispiel solle man folgen.

Der letzte Satz des Werks handelt vom Krieg. Egal, ob man Macht, Ehre, Rache oder Reichtum für die besten Güter halte, das beste Mittel, diese zu erreichen, sei der Krieg. Zudem habe der Krieg auch eine Schutzfunktion, er sei zur Verteidigung des Landes notwendig. Für den Krieger gebe es großen Ruhm zu gewinnen, wenn er sich tapfer zeige. Verschiedene Völker, etwa die Schweiz oder die Vereinigten Niederlande, hätten ihre Freiheit von anderen Nationen durch Krieg erreicht und würden, wenn sie es darauf anlegten, noch mehr Macht erlangen. Zu allen Zeiten seien die Kriegshelden hoch angesehen gewesen. Es werden viele antike Beispiele genannt, etwa Scipio, Sulla, Caesar oder Marcus Antonius in Rom, Pyrrhus, Alexander der Große, Leonidas oder Themistokles in Griechenland oder die Sagenhelden Hektor, Achilles, Ajax oder Odysseus, in späterer Zeit Artus, Chlodwig, Attila, Karl Martell oder Karl der Große, in jüngerer Zeit der türkische Kaiser Sulaiman, Karl IV. oder Heinrich I. und in jüngster Zeit Gustav Adolf von Schweden, Tilly, Pappenheim, Torstenson, Wrangel oder Johann von Werth.

Der Autor betont, dass ein Gegensatz angesichts des Dreißigjährigen Krieges eigentlich gar nicht notwendig sei, da jeder seine Schädlichkeit erfahren habe. Doch inzwischen sei eine junge Generation herangewachsen, die nicht mehr wisse, was Krieg sei. Das Leben eines Soldaten wird als hart und entbehrungsreich beschrieben, der Soldat habe viele Pflichten, sein Sold sei kärglich und er müsse jederzeit bereit sein zu töten oder zu sterben. Er habe keine Ruhe und bis er die Feinheiten des Kriegshandwerks erlernt habe, sei er meist schon tot. Im Hinblick auf seine eigenen Kriegserfahrungen betont Grimmelshausen, dass es „nichts unsinnigers uff der Welt“ gebe als den Krieg (S. 146). Tiere kämpften mit ihren natürlichen Waffen, mit Zähnen und Krallen und sie töteten nur, wenn sie Hunger hätten oder gereizt würden. Die Menschen töteten aber durch Metall und Stahl andere Ebenbilder Gottes, für die Christus sein Leben gegeben habe. Der Krieg wird also als gotteslästerlich dargestellt. Als Soldat töte man Menschen, denen man nie zuvor begegnet sei und die einen niemals beleidigt hätten und die Überlebenden würden mit „Blueth / Hirn / Jngeweid und gantzen Gliedmassen gantz abscheulicher Weise getroffen / besprengt und besudelt“ (ebd.). Es gebe drei Hauptstrafen, doch vor Hunger und Seuchen sei der Krieg die schlimmste von ihnen. Er setze das Gemeinwesen außer Kraft, befördere das Chaos und brächte unermessliches Leid über die Menschen. Die Bewohner, sofern sie körperlich ungeschoren blieben, litten unter den hohen Kriegsabgaben, mit denen Ausrüstung und Sold finanziert werden müssten. Am Ende gebe es zwei oder drei Menschen, die von dem Krieg profitierten, aber Tausende, die unter ihm zu leiden hätten.

Im Nachklang sagt der Autor, dass er nur einen kleinen Teil des Krieges geschildert habe, doch es sei deutlich, was er „vor ein erschreckliches und grausames Monstrum seye“ (S. 151). Für weiteres verweist er erneut auf den Simplicissimus, in dem er auf lustige Weise vom Krieg erzählt habe. Für Christen sei der Krieg unziemlich, weil jeder Krieg Verlierer auf der anderen Seite habe. Das Buch schließt mit der Hoffnung, dass Gott den Frieden noch möglichst lange erhalten möge oder die Kriegstreiber wenigstens ihren Zorn gegen die Feinde der Christenheit richteten.

5.2. Histori vom Keuschen Joseph (1666)
[arrow up]

Der fiktive Verfasser dieses biblischen Romans ist identisch mit dem des Satyrischen Pilgram und des Musai: Samuel Greifnson vom Hirschfeld.

Auf der Titelseite wird Grimmelshausens erster Roman als „Exempel“ bezeichnet, das die „unveränderliche[] Vorsehung Gottes“ zeige. Die Geschichte des biblischen Joseph wird anhand von hebräischen, ägyptischen, persischen und arabischen Quellen zum ersten Mal in deutscher Sprache nacherzählt. Die Vorrede "An den Leser" berichtet, dass die Josephsgeschichte in anderen außerbiblischen Quellen weitläufiger erzählt werde. Der Autor hätte daher diese Quellen zusammengetragen und mit einbezogen, solange diese nicht der Bibel widersprächen oder „gar zu fabelhafftig“ (S. 1) seien. Wenn es aber gewünscht sei, dass auch diese Geschichten erzählt würden, dann könnten sie in die Fortsetzung, die Lebensgeschichte des Musai, des ägyptischen Schaffners Josephs, eingebracht werden. Der Musai wird damit bereits angekündigt.

Es folgt eine kurze Inhaltsangabe, welche die Geschichte als göttlichen Plan interpretiert: Gott habe beschlossen, das Geschlecht Jacobs nach Ägypten zu versetzen, damit es von dort durch Moses wieder herausgeführt werden und sich vermehren könne. Zu diesem Zweck hätte er Jacob und seine Familie durch eine Hungersnot zwingen müssen, ihre Heimat Kanaan zu verlassen und nach Ägypten zu ziehen. Damit sie dort aber auch Lebensmittel vorfänden, hätte er Joseph, der von seinen Brüdern in die Sklaverei verkauft worden war, vorgeschickt und ihm die Macht gegeben, Jacobs Familie und seine Nachkommen ernähren zu können. All dies werde in diesem Buch „einfältig“ erzählt (S. 2). Der Hinweis auf die einfältige Erzählweise ist bereits ein Hinweis auf den gerade in der Entstehung befindlichen Simplicissimus und fungiert als Signal auf satirische Elemente in diesem biblischen Roman.

Der eigentlichen Erzählung ist eine weitere Vorrede „Joseph an Momum und Zoilum“ vorgeschaltet, in der sich die Hauptfigur Kritik an diesem Roman verbittet. Die beiden Erzkritiker werden bereits in den Vorreden des Satyrischen Pilgram und in der Vorrede zu Proximus und Lympida angesprochen, ein weiteres Intertextualitätssignal.

Joseph wird als außerordentlich schöner junger Mann mit weitreichenden Kenntnissen in verschiedenen Wissenschaften und als sehr tugendhaft beschrieben: „Darbey ware er sehr demütig / fromb / auffrichtig / redsprechig / freundlich und holdseliger Geberden / von den Lastern wuste er so gar nichts / daß er auch ihre Namen nicht verstunde“ (S. 8). Wegen dieser Eigenschaften, weil er seinen Vater stets unterstützt und seiner Mutter Rahel sehr ähnlich sieht, wird er von Jacob mehr geliebt als jeder andere seiner Brüder. Deshalb schenkt Jacob ihm einen „bundgestickten Rock“ (ebd.). Diese übermäßige Liebe ruft den Neid der älteren Brüder Josephs hervor, die nach und nach zu seinen Feinden werden. Als Joseph mehrere prophetische Träume hat, werden diese von Jacob als Ankündigungen großer Ehre, die Joseph erhalten werde, und als Beweis für Josephs Tugend gedeutet, während die Brüder dem Laster anheimfallen würden.

Die Brüder sind wütend über diese Träume und die Auslegungen Jacobs. Bei ihnen reift die Erkenntnis, dass Joseph von ihrem Vater mehr geliebt werde als sie alle zusammen. Sie befürchten, Joseph könne sie um ihren Erbteil betrügen, wie einst ihr Vater Isaak und Esau und später seinen Schwiegervater Laban betrogen habe, und beschließen, nach Sichem zu ziehen und abzuwarten, wie sich die Sache weiterentwickle. Notfalls hätten sie dort einen Großteil der Herde in ihrer Gewalt und könnten sie als Pfand benutzen. „Also liessen sich diese Gebrüdere durch Eifer / Neid / Haß / Mißgunst / Zorn und Mißtrauen umbtreiben / und zogen mit ihren Herden in das Waidreiche Land Sichem“ (S. 21).

Währenddessen wird Joseph, der sich trotz der Prophezeiungen demütig zeigt, von seinem Vater in der Kunst des Traumdeutens unterwiesen. Als nach einiger Zeit die Brüder mit ihren Herden immer noch nicht zurückgekehrt sind, befürchtet Jacob, ihnen könnte etwas zugestoßen sein, und er schickt den siebzehnjährigen Joseph aus, sie zu suchen.

Als er sie gefunden hat, ist er froh, sie gesund wiederzusehen. Bei den Brüdern jedoch, die ihn schon von weitem in seinem bunten Rock erblicken, wird der Hass so groß, dass sie Mordpläne schmieden. Doch der besonnene Ruben kann sie davon abbringen, Joseph sofort totzuschlagen. Als Joseph sie erreicht hat, begrüßt er sie freundlich und erklärt ihnen den Grund seines Kommens. Simeon packt ihn jedoch, bevor er die Begrüßung beenden kann, und fesselt ihn. Sie werfen ihn in eine Grube, um ihn seinem weiteren Schicksal zu überlassen. Dann zerreißen sie das bunte Kleid und besudeln es mit dem Blut eines Bocks, den sie zu diesem Zweck geschlachtet haben. So rächen sie sich an dem Kleid, das den Anfang der Feindschaft symbolisiert, „wie die Hund an den Steinen zu thun pflegen / wann sie den / so sie damit geworffen / nicht beschädigen mögen“ (S. 36 f.). Ruben aber, der vorhat, Joseph heimlich zu befreien und ihn zum Vater zurückzuschicken, entfernt sich von den Brüdern, um die Nacht abzuwarten. So bemerkt er nicht, dass diese Joseph für dreißig Silberlinge an zufällig vorbeiziehende ismaelitische Kaufleute verkaufen. Um ihre Untat vor dem Vater zu verbergen, täuschen sie ihm vor, ein wildes Tier habe Joseph getötet und zeigen diesem den blutbefleckten bunten Rock. Jacob betrauert seinen Sohn bitter und verflucht die Sterne, Vorzeichen und Träume, die ihn so sehr getäuscht hätten. Der Erzählerkommentar jedoch bewertet diese Täuschung als Ausgleich für den Betrug Jacobs an Isaak, als er dem blinden alten Mann mit einem Tierfell starke Behaarung vortäuschte: „Also würde Jacob mit seines liebsten Sohns Rock betrogen / weil er hiebevor seinen Vatter auch mit seines liebsten Sohns Rock betrogen hatte“ (S. 47).

Die ismaelitischen Kaufleute bemerken schnell Josephs Schönheit und wundern sich, dass sie ihn für so wenig Geld hatten kaufen können. Es kommt zum Streit zwischen ihnen, denn jeder erhebt Anspruch auf seinen Besitz, und es wäre zu Blutvergießen gekommen, wenn nicht Räuber, die weit in der Überzahl sind, die Karawane angegriffen hätten. Als die Kaufleute verzweifeln, hat einer von ihnen, der Elamit Musai, die rettende Idee: Er steckt Joseph in ein kostbares Gewand, dass sie eigentlich dem Pharao hatten schenken wollen, setzt ihm eine Krone auf und schmückt ihn mit Geschmeide. Den abergläubischen Räubern erzählt er, der Gott Apollo sei auf die Erde herabgestiegen und habe menschliche Gestalt angenommen. Weil Joseph mit Gewand und Krone tatsächlich göttlich aussieht, gelingt die List. Als die Räuber verschwunden sind, muss Joseph die Kostbarkeiten wieder zurückgeben. Er hatte ihnen zuvor noch das Versprechen abgenommen, die Hirten in der Gegend zu verschonen und so seinen Brüdern Sicherheit verschafft. Joseph wird damit bereits zu diesem Zeitpunkt als fürsorglich und nicht nachtragend beschrieben.

Musai, der in der Chiromantie bewandert ist, sagt Joseph voraus, dass er in dreizehn Jahren Vater und ein mächtiger Mann sein werde. Dann werde er, Musai, zu ihm kommen und ihn um Gnade und Verzeihung bitten, weil er ihn jetzt nicht freilasse. Zudem sagt er ihm voraus, dass diese Verehrung als vermeintlicher Gott nur der Auftakt für noch viel größere Verehrung sei, die ihm entgegengebracht werden werde.

Als die Kaufleute in Theben angekommen sind, wollen sie dem Pharao Joseph zum Geschenk machen. Der Pharao ist jedoch ein „abgelebter eyfersichtiger Herr“ (S. 61), der Joseph wegen seiner Schönheit hasst und fürchtet, neben ihm noch älter und hässlicher zu wirken. Zudem fürchtet er um die Keuschheit seiner Frau und seiner Töchter. Deshalb lehnt er das Geschenk ab und gibt Joseph den Kaufleuten zurück.

Potiphar allerdings, der Küchenmeister des Pharaos, zeigt reges Interesse an Joseph und zahlt einen hohen Preis für ihn. Er ist ein fünfzigjähriger Witwer, der seine Frau bei der Geburt seiner Tochter verloren hat und der sich aufgrund einer Prophezeiung entschlossen hat, nicht mehr zu heiraten. Er braucht einen zuverlässigen Verwalter für seine Güter und setzt Joseph als solchen ein. Zu diesem Zweck lässt er ihn auch im Lesen und Schreiben der Hieroglyphen unterrichten.

Joseph fügt sich in seine neue Aufgabe sehr schnell ein und verzehnfacht innerhalb eines Jahres die Einkünfte seines Herrn. Die ägyptische Sprache lernt er schnell und erweitert seine Kenntnisse. So wird Potiphar bald klar, dass er sein Geld gut angelegt hat. Joseph bleibt trotz seiner Stellung in Potiphars Haus, in der er nur seinem Herrn gehorchen muss, demütig und bescheiden und ist freundlich zu den ihm untergebenen Sklaven.

Weil sein Geschäft floriert, entschließt sich Potiphar, doch noch einmal zu heiraten. Seine Wahl fällt auf Selicha, die Tochter eines königlichen Hofmeisters. Diese ist viel jünger als er und nicht glücklich, einen mittlerweile sechzigjährigen Mann heiraten zu müssen. Joseph wird beauftragt, die Brautwerbung auszuführen, obwohl er ahnt, dass auf dieser Ehe kein Segen liegen werde. Selicha nimmt den Heiratsantrag nicht wegen des Bräutigams an, sondern wegen des Brautwerbers, weil sie hofft, mit diesem heimliche Stunden verbringen zu können.

Schon bald nach der Hochzeit beginnt sie, ihm Avancen zu machen. Er tut so, als bemerke er ihre Annäherungsversuche nicht. Um den Anschein zu wahren, täuscht sie Potiphar innige Liebe vor, welche dieser genießt, ohne zu ahnen, dass er sich selbst zum „Hanrey“ macht (S. 71). Auf vielfache Weise versucht sie immer wieder, Joseph zu verführen, scheitert jedoch an seiner Treue zu seinem Herrn. Die bestürzte Selicha beklagt ihr Schicksal, dass sie sich in einen Sklaven verliebt habe, über dessen Leben sie gebieten könnte und der nun ihr „grausamer Tyrann“ sei (S. 78). Da bemerkt sie, dass sie nicht alleine ist. Sie wird von Asaneth belauscht, der Tochter ihrer Schwester und eines heliopolitanischen Priesters, eine „schöne und unvergleichliche Jungfrau“ (S. 80). Asaneth, die als tugendreich und ehrlich beschrieben wird, macht Selicha Vorwürfe, weil sie mit ihrer Liebe zu einem Sklaven die Ehre ihres Geschlechts beschmutze. Als sie jedoch Josephs Schönheit und Tugendhaftigkeit erkennt, verliebt sie sich selbst in ihn.

Später wird Selicha wieder zudringlich und versucht Joseph dazu zu bewegen, ihre Begierden zu erfüllen. Er ist in Gewissensqualen, weil er einerseits seine Herrin nicht weiter erzürnen, andererseits aber seine Treue zu Potiphar einhalten will. Durch Schmeichelworte gelingt es ihm noch einmal, ihr zu entkommen. Selicha beklagt sein „Diamantines Hertz“ (S. 92) und beschließt, nicht aufzugeben. Ein letztes Mal setzt sie all ihre körperlichen Reize ein, um ihn zu verführen. Joseph versucht, sie zur Vernunft zu bringen und täuscht, als dies nichts fruchtet, Impotenz vor. Selicha jedoch packt ihn am Mantel und versucht, ihn in ihr Bett zu ziehen. Joseph reißt sich los und flüchtet aus ihrem Zimmer. Selicha bleibt zurück, zerreißt wütend den Mantel, den er zurückgelassen hat, und zerkratzt sich „wie ein höllische Furi“ (S. 109) das Gesicht. Voller Zorn schwört sie Rache.

Als am Abend Potiphar nach Hause kommt, beschuldigt sie Joseph, er habe versucht, sie zu vergewaltigen. Zum Beweis zeigt sie Josephs zerrissenen Mantel vor. Potiphar hat zunächst Zweifel an ihrer Beschuldigung, weil er die Blicke bemerkt hat, die sie Joseph zugeworfen hatte. Dann jedoch erinnert er sich an die Prophezeiung, die er nach dem Tod seiner ersten Frau erhalten hatte, nach der er in seiner zweiten Ehe betrogen würde, ohne dass er es bemerke; aufgrund dieser Prophezeiung hatte er ursprünglich nicht wieder heiraten wollen. Nun sieht er die Prophezeiung bestätigt. Er begreift nicht, dass der Betrug darin bestand, dass Selicha niemals ihn, sondern nur Joseph geliebt hatte und lässt Joseph als vermeintlichen Betrüger ins Gefängnis werfen.

Im Gefängnis muss Joseph hart als Schmiedeknecht arbeiten. Er sieht darin die Vorsehung und ein gerechtes Urteil Gottes, denn offenbar solle er durch diese Arbeit seine Schönheit verlieren, die ihn in dieses Unglück gebracht habe.

Währenddessen erfährt Asaneth die wahren Hintergründe von Josephs Gefangennahme. Um ihrer Verwandten die Schande zu ersparen, schweigt sie zwar, besticht jedoch den Kerkermeister, damit dieser Joseph von aller schweren Arbeit fernhalte und ihn gut behandle.

Selicha wird inzwischen durch Zorn, unerfüllte Liebe, Eifer, Rachsucht, Reue und die Furcht, dass die Wahrheit ans Licht kommen könnte, ernsthaft krank. Weil Potiphar glaubt, dass sie wegen Josephs Verbrechen in diesem Zustand sei, plant er, ihn töten zu lassen. Dies kann Asaneth jedoch verhindern. Stattdessen schreibt er an Joseph einen Brief, in dem er begründet, warum er Joseph ins Gefängnis habe werfen lassen und dass er ihn am nächsten Gerichtstag als „Nothzwänger / Ehren-Dieb und Mörder“ anklagen werde (S. 127). Er wolle aber Joseph Gelegenheit geben, sich zu verteidigen.

Joseph weist in seinem Antwortschreiben den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung zurück und bezeugt bei Gott seine Unschuld. Asaneth sieht in Josephs Brief einen weiteren Beweis für dessen Tugend, weil er trotz seiner misslichen Lage darauf verzichtet hat, Selichas Verliebtheit zu erwähnen. Dies steigert ihre Liebe zu ihm. Es gelingt ihr, Potiphar zu einer Verschleppung des Prozesses zu überreden und einen Giftanschlag Selichas an Joseph kann sie vereiteln. Joseph wundert sich und rätselt, wer die offenbar hochgestellte Person sein könnte, die ihm hilft und über Selichas Liebe zu ihm Bescheid weiß. Er dankt Gott für diese Fürsorge und bittet ihn, die unbekannte Person zu schützen.

Josephs Gefangenschaft dauert zwei Jahre, in denen er sich weitere Kenntnisse in der Prognostik, der Astrologie und der Traumdeutung aneignet. Anderthalb Jahre nach Josephs Inhaftierung stirbt der alte Pharao und sein Sohn Tmaus besteigt den Thron. Selicha siecht in ihrem Kummer weiter dahin und „verreckt“ schließlich an genau jenem Tag, den Joseph vorhergesagt hatte (S. 138).

Einige Zeit nach dem Wechsel auf dem Thron werden der oberste Bäcker und der Mundschenk des Pharaos ins Gefängnis gebracht. Beiden werden relativ geringfügige Delikte vorgeworfen, doch der neue König bestraft schon kleinere Vergehen hart. Beide haben Träume gehabt, die ihnen Joseph deutet. Dem Mundschenk, der von drei Reben geträumt hatte, die er als Wein in den Becher des Pharaos fließen ließ, sagt er die baldige Begnadigung voraus. Dem Bäcker aber, der geträumt hatte, dass Vögel drei Körbe mit Brot auf seinem Kopf fressen, prophezeit er, dass er als Dieb hingerichtet werde. Beide Prophezeiungen erweisen sich als wahr, vorläufig profitiert Joseph aber nicht davon, sondern er bleibt im Gefängnis.

Weil der neue Pharao im Zuge seiner Krönung viele Häftlinge begnadigt hat und den Werkstätten die Arbeiter fehlen, werden Leibeigene herangezogen. Auf diese Weise gelangt Musai, der einst die Karawane vor den Räubern beschützt hatte, indem er Joseph zu einer Verkörperung Apollos gemacht hatte, in Josephs Gefängnis. Die beiden erkennen sich sofort und schließen Freundschaft. Musai prophezeit Joseph erneut eine große Zukunft: Ohne seine Hilfe werde Ägypten binnen fünfzehn Jahren untergehen. Zudem werde er binnen einer Woche großes Glück erfahren und die Hand der „vortrefflichste[n] Dam in gantz Egypten“ erhalten (S. 146).

Wenige Tage später hat der Pharao Träume, die die höfischen Traumdeuter nicht deuten können. In der allgemeinen Ratlosigkeit erinnert sich der Mundschenk an Joseph und erzählt dem Pharao, dass ein hebräischer Sklave, der ehemals dem Potiphar gehört hätte und der nun im Gefängnis säße, seinen und des Bäckers Traum richtig gedeutet habe. Daher wird Joseph, der entgegen seiner Erwartungen im Gefängnis nichts von seiner Schönheit eingebüßt hat, aus dem Gefängnis geholt und vor den Pharao gebracht. Unterwegs begegnet er zufällig der Asaneth, die zum Pharao gehen wollte, um für ihn zu bitten. Als er sie erblickt, verliebt er sich sofort in sie.

Der Reichskanzler erzählt Joseph die Träume des Pharaos: Sieben magere Ochsen hätten sieben fette einfach aufgefressen, ohne selbst fett zu werden, und sieben magere Ähren hätten sieben reiche Ähren verschlungen, ohne an Umfang zuzunehmen. Joseph antwortet, dass Gott dem Pharao Träume geschickt hätte, damit er sich auf die Ereignisse vorbereiten könne, die in seiner Regierungszeit geschehen würden. Dem Pharao erklärt er, dass die sieben fetten Ochsen und reichen Ähren sieben gute Erntejahre bedeuteten. Die sieben mageren Ochsen und Ähren stünden dagegen für sieben schlechte Jahre, welche die guten Jahre aufzehrten. Deshalb sei es wichtig, dass der Pharao rechtzeitig einen klugen Mann beauftrage, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, damit Ägypten in den schlechten Jahren seinen Wohlstand nicht verliere.

Nach kurzer Beratung mit den Würdenträgern bestimmt der Pharao Joseph selbst zu dem Mann, zu dem er geraten hatte. Joseph soll volle Verfügungsgewalt erhalten und nur dem Pharao unterstellt sein. Joseph bedankt sich beim Pharao und verspricht, alles zu tun, um dessen Vertrauen zu rechtfertigen. Vorher aber will er seine eigenen Angelegenheiten klären, weil er immer noch im Verdacht steht, einen Ehebruch begangen zu haben. Der Pharao lässt daher die Kammerjungfern der Selicha und Potiphar vor Gericht laden, dem er selbst vorsitzt.

In dem Verfahren treten bald Selichas„Boßheit“ (S. 162) und Potiphars„Thorheit“ (S. 163) zutage, mit Asaneths Hilfe kann Joseph seine Unschuld beweisen. Potiphar bekommt einen strengen Verweis, weil er Joseph so lange unschuldig im Gefängnis habe bleiben lassen, und wird seines Amtes als Küchenmeister enthoben. Nach der Verhandlung wird Joseph in sein neues Amt eingesetzt und unter allgemeinem Jubel, in den nur der beschämte Potiphar nicht einstimmt, ihm aber später gratuliert, mit Asaneth verlobt und vermählt.

Joseph, der nun der Stellvertreter des Pharaos ist und den Ehrennamen Psonthom Phanachon trägt, holt Musai aus dem Gefängnis und macht ihn zum Schaffner (Verwalter) seines Hauses. Überall in Ägypten lässt er Getreidesilos und Kornhäuser errichten. Er kauft alles Getreide, das er finden kann und stellt es unter Strafe, gutes Korn an das Vieh zu verfüttern. Alles Korn, das nicht gebraucht wird, muss zu den königlichen Speichern gebracht werden. Auf diese Weise sammelt er in den sieben fetten Jahren ungeheure Mengen an Getreide, während die Schatzkammern des Pharaos sich leeren, zum Verdruss der Reichsräte, die Joseph für einen Schwindler halten. Auch das einfache Volk beginnt über Josephs Handeln zu murren und unzufrieden zu werden. Bald glauben sie, Joseph verschwende die Schätze des Pharaos und verspotten ihn. Die Situation steht kurz vor der Rebellion, als die sieben fetten Jahre vorbei sind und die ersten Missernten eintreten. Schon bald bricht überall ein völlig unerwarteter Mangel über die Bevölkerung herein.

Noch vor Beginn der Dürreperiode hat Asaneth dem Joseph zwei Söhne geboren, die er Ephraim und Manasse nennt. Zudem nimmt Asaneth seinen Glauben an, nachdem sie von ihrem Vater, einem Priester in Heliopolis, erfahren hat, dass es nur einen einzigen wahren Gott gebe und die ägyptischen Götter nur Täuschungen seien, mit denen man dem gemeinen Volk den wahren Glauben verberge. Asaneth gewinnt Joseph nur umso lieber, weil er sie zum wahren Glauben gebracht hat. Unter der geschickten Verwaltung Musais wächst Josephs Vermögen zudem beträchtlich.

Nach sieben Jahren beginnt die Teuerung und nach und nach breitet sich die Hungersnot aus. Eines Tages meldet Musai, dass jene Männer, die Joseph einst als Sklaven an seine Karawane verkauft hätten, vor dem Tor stünden, um Getreide zu kaufen. Er fragt, ob sich Joseph an ihnen rächen wolle. Joseph aber empfindet keine Rachsucht, zudem verweist er auf die göttliche Vorsehung: Hätten ihn seine Brüder nicht als Sklaven verkauft, dann hätte er die Karawane nicht vor den Räubern retten können, dann wäre Joseph niemals in diesen hohen Stand gekommen und dann wäre Musai niemals sein Verwalter geworden. Deshalb solle Musai den Brüdern dankbar sein. Musai lobt die Weisheit, die aus Josephs Worten spreche.

Joseph empfängt seine Brüder, ohne sich ihnen zu erkennen zu geben. Er beschuldigt sie, Diebe und Friedensstörer zu sein und lässt sie verhaften. Er konfrontiert sie mit dem Vorwurf, zwanzig Jahre zuvor einen Jüngling in die Sklaverei verkauft zu haben. Schließlich schickt er sie nach Hause, behält jedoch Simeon als Geisel zurück. Um ihre Unschuld zu beweisen, müssten sie ihren jüngsten Bruder Benjamin bei der nächsten Reise mitbringen. Dann verkauft er ihnen Getreide und lässt ihnen das Geld heimlich zurückgeben.

Nach ihrer Rückkehr schildern die Brüder Jacob ihre Erlebnisse, ohne die Beschuldigung, dass sie einst einen Jüngling in die Sklaverei verkauft hätten, zu erwähnen. Sie bitten ihren Vater, sie mit Benjamin ein zweites Mal nach Ägypten zu schicken, um Simeon auslösen zu können. Jacob aber will Benjamin nicht in Gefahr bringen und verweigert ihnen die Erlaubnis zu reisen. Als aber die Vorräte aufgebraucht sind und sie ihn erneut zu überreden versuchen, schickt er sie schweren Herzens mit Benjamin nach Ägypten. Er gibt ihnen die doppelte Summe an Geld und viele Geschenke mit, die den ägyptischen Verwalter besänftigen sollen.

Als sie wieder bei Joseph ankommen, bieten sie Musai das vermeintlich fehlende Geld an. Musai behauptet jedoch, er wisse nichts von fehlendem Geld. Er lässt Simeon holen und führt sie vor Joseph. Der ist inzwischen beim Pharao, in dessen hoher Gunst er steht, weil er das Land nicht nur klug durch die Hungersnot führt, sondern auch dadurch, dass alle Nachbarvölker in Ägypten Getreide kaufen müssen und damit fremdes Geld in die Staatskassen kommt. Unter Josephs Führung wird Ägypten auf diese Weise zum reichsten und mächtigsten Land der Welt. Die Dankbarkeit des Pharaos kennt keine Grenzen, doch Joseph bleibt bescheiden und lehnt allzu große Ehrungen und Geschenke ab.

Als er nach Hause kommt und durch Musai von der Ankunft seiner Brüder hört, lädt er sie zum Essen ein, da sie ihren jüngsten Bruder mitgebracht hätten und er nun sehe, dass sie ehrliche Leute seien. Die Tischordnung richtet er so ein, dass die Brüder in der Reihenfolge ihres Alters rund um den Tisch sitzen. Das Tischgespräch, an dem Joseph nur wenig teilnimmt, kreist um Jacob und darum, wie schwer es ihm gefallen war, Benjamin mit ihnen ziehen zu lassen. Bald kommen sie auch auf den Schmerz zu sprechen, den Josephs Tod Jacob zugefügt habe. Seither habe es nur wenig Freude in Jacobs Haus gegeben. Asaneth wundert sich, dass diese tugendhaften Männer ihren Ehemann einst „Verrähterlich verkaufft haben solten“ (S. 198). Sie führt dies auf den göttlichen Ratschluss zurück, der Josephs Tugenden aller Welt offenbart habe, indem er Ägypten vor dem Untergang rette.

Musai erklärt den Brüdern, dass er bereits alles veranlasst habe und am nächsten Morgen ihre Säcke mit Getreide gefüllt bereitstehen würden. Außerdem hätten sie die Erlaubnis, jederzeit wieder Korn zu erbitten. In der Nacht steckt Musai erneut das gezahlte Geld in die Säcke zurück und in Benjamins Sack zudem noch Josephs Tischgeschirr. Am nächsten Morgen brechen die Brüder fröhlich auf, am Mittag werden sie jedoch von Josephs Wache eingeholt, die sie beschuldigt, Joseph bestohlen zu haben. Als sie in Benjamins Sack das vermeintliche Diebesgut finden, lässt Musai diesen fesseln und abführen. Er solle noch am gleichen Tag gehängt werden. Die übrigen Brüder lässt er frei, sie könnten dorthin gehen, wohin sie wollten.

Weil es die Brüder nicht wagen, ohne Benjamin zu ihrem Vater zurückzukehren, folgen sie Musai und der Leibwache. Joseph hält Gericht in seinem Haus, er selbst ist der Richter, Musai der Ankläger und die Brüder die Verteidiger. Joseph fällt ein scheinbar gerechtes Urteil: Benjamin wird als überführter Dieb aufgehängt, die Brüder als erwiesenermaßen Unschuldige freigelassen. Da bricht unter den Brüdern ein großes Geheul aus, Judas und Ruben bieten Joseph an, an Benjamins Statt zu sterben und klagen, dass sie Jacob wieder den Verlust eines geliebten Sohnes melden müssten. Als Joseph sich unerbittlich zeigt, behauptet Ruben, selbst das Tischgeschirr gestohlen und es Benjamin untergeschoben zu haben. Joseph erwidert, dass er in diesem Fall beide hinrichten lassen werde.

In diesem Augenblick jedoch kann Joseph seine Fassade nicht mehr aufrecht erhalten und offenbart seinen Brüdern unter Tränen seine wahre Identität. Er hätte prüfen wollen, ob sie Benjamin das gleiche antun würden, wie sie an ihm gehandelt hätten. Er habe nun den Beweis, dass sie nicht bösartig seien und dass er ihnen verzeihen könne. Er sagt, dass es offenbar Gottes Wille gewesen sei, ihn als Sklaven nach Ägypten zu führen und zum Retter des Landes zu machen. Sie hätten also nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern seien der göttlichen Vorsehung gefolgt. Er trägt ihnen auf, auf dem schnellsten Weg zum Vater zurückzukehren und ihm die frohe Kunde zu überbringen.

Als Jacob von Josephs Überleben und von seiner Karriere erfährt, sieht er seine alten Traumdeutungen bestätigt. Er nimmt Josephs Einladung, nach Ägypten zu kommen und dort die Hungersnot zu überstehen, an und nach ein paar Tagen bricht er mit allen auf, die zu seiner Familie gehören. In Ägypten wird er herzlich empfangen und ihm wird ein Land zugewiesen, in dem er seine Herden weiden lassen kann.

Inzwischen wird die Hungersnot in Ägypten immer schlimmer. Die Menschen müssen ihr gesamtes Hab und Gut hergeben, um Essen kaufen zu können, und bald gibt es kaum noch etwas, das nicht dem Pharao gehört. Schließlich sind die Menschen gezwungen, sich als Leibeigene und Sklaven anzubieten. Sie müssen nun für den Pharao Städte, Schlösser und Türme bauen. Nur die Priester und diejenigen, die unter Josephs Schutz stehen, bleiben verschont.

Nach dem Ende der Hungersnot errichtet Joseph ein feudales Wirtschaftssystem: Die Äcker werden zu Meierhöfen aufgeteilt, deren Eigentümer dem Pharao jährlich ein Fünftel des Ertrags als Abgabe entrichten müssen. Die Bauern bewirtschaften ihre Äcker wie früher, sind nun aber Pächter des Pharaos. So profitieren alle von diesem neuen System: Die einfachen Leute haben wieder eine sichere Arbeit und der Pharao ein sicheres Einkommen.

Siebzehn Jahre nach seiner Ankunft in Ägypten stirbt Jacob in hohem Alter. Zuvor hat er seine Söhne gesegnet und ihren Nachkommen das Land Kanaan vermacht, das sie unter sich aufteilen sollen. Joseph und seine Brüder bestatten ihn in Hebron. Den Rest seines Lebens verbringt Joseph tugendhaft und glückselig, bis er im Alter von 110 Jahren stirbt. Weil er befürchtet, dass die Ägypter, die ihn wie einen Gott verehren, seine Gebeine als Abgötter verehren könnten, befiehlt er seinen Angehörigen, seine Gebeine versteckt zu halten und sie erst zu begraben, wenn sie eines Tages nach Kanaan zurückkehrten. So wird Joseph erst 400 Jahre nach seinem Tod neben seinem Vater in Hebron begraben.

5.3. Anhang und Extract (1666)
[arrow up]

Beide Texte weisen weder eine Titelseite noch eine Verfasserangabe auf.

Der vollständige Titel des Anhangs lautet: „Anhang Etlicher wunderlicher Antiquitäten / so der fliegende Wandersmann Zeit seiner wehrenden Reiß / in einer abgelegenen Vestung an dem Meer gelegen / und von den Türcken bewohnet / gesehen und verzeichnet“ (S. 1). Es handelt sich dabei um ein Sammelsurium von insgesamt 89 unterschiedlichsten Gegenständen, die in besagter Festung zu sehen sind und die biblischen oder historischen Persönlichkeiten oder Ereignissen zugeschrieben werden, wodurch sie heilsgeschichtliche Bedeutung erhalten, z. B. Nr. 7: „Ein Stuck von dem Feigenblat / wormit sich die Eva bedecket“ (ebd.). Gelegentlich werden auch Anachronismen eingebaut, so wird etwa in Nr. 10 eine Tabakspfeife Esau zugeschrieben (vgl. S. 2), obwohl der Tabak in Europa erst im 16. Jahrhundert bekannt wurde. Hinzu kommen auch Irrtümer, z. B. in Nr. 14: „Der Schatten des öbern Ackers / worauff Abel seinen Bruder Cain erschlagen“ (ebd.).

Der vollständige Titel des Extract lautet: „Extract. Der ansehnlichen Tractamenten samt deren Expens, welche den Herrn von Hirschau in vergangener Fastnacht aufgesetzt / und von demselben ritu solemni verzehrt worden“ (S. 11). Es liegt hier eine fiktive Rechnung eines Festessens zur Fastnacht vor, das von Narren verzehrt wurde und in der jeweils eine genießbare mit einer ungenießbaren Speise kombiniert ist, samt dem zu zahlenden Preis, z. B. „Vor Salat und Wagenschmier…9. Kreutz“ (ebd.).

Beide Texte sind Anhang der deutschen Übersetzung von Francis Godwins Roman The Man in the Moon (London 1638; deutsch: Der fliegende Wandersmann nach dem Mond, Wolfenbüttel 1659). Der Roman wurde 1667 von Felßecker nachgedruckt. Wahrscheinlich wurden Anhang und Extract als Seitenfüller angefügt, denn in späteren Ausgaben des Romans sind die Texte nicht mehr enthalten.

Breuer 1999, 168 f. interpretiert die beiden Texte als „Argutienreihen“ (ebd., 169), also als Kuriositätenkabinette, in denen alltägliche Gegenstände durch ungewöhnliche Kombinationen einen neuen, oft heilsgeschichtlichen Sinn erhalten. Ziel ist es, bei den „Lesern Verwunderung [zu] bewirken“ und gleichzeitig „einen verborgenen geistlichen Sinn“ aufzudecken (ebd., 168). Als Vorbilder nennt er etwa Fischarts Geschichtklitterung und Harsdörffers Ars Apophthegmatica. Derartiges findet sich auch in anderen Texten Grimmelshausens, wo es aber in die Erzählzusammenhänge integriert ist und nicht isoliert wirkt wie in diesem Fall.

5.4. Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch (1668)
[arrow up]

Der fiktive Verfasser dieses Romans ist German Schleifheim von Sulsfort.

Der junge Simplicissimus lebt mit seinem Knan und seiner Meuder (wie man dort die Eltern nennt) sowie seiner Schwester Ursel und einigen Mägden und Knechten auf einem kleinen Waldbauernhof im Spessart. Die Verhältnisse sind ärmlich und der Junge wird in großer Einfalt aufgezogen. Eines Tages schickt ihn der Knan unter allerlei Ermahnungen aus, das Vieh zu hüten. Dabei lockt Simplicissimus durch das Spiel seiner Sackpfeife marodierende Soldaten an, die der einfältige Junge für Wölfe hält. Die Soldaten plündern den Hof, foltern dessen Bewohner und vergewaltigen die Frauen. Der Junge kann fliehen und versteckt sich im Wald. Aus der Ferne sieht er das Haus seines Knans in Flammen aufgehen und entkommt einigen Reitern nur, indem er sich tot stellt. Es wird deutlich, dass er das Geschehen nicht verstehen und einordnen kann: „Damals stunde ich auß / und empfande (jedoch gantz unvermerckt) die Würckung deß Unverstands und der Unwissenheit / wann ein unvernünfftig Thier an meiner Stell gewesen wäre / so hätte es besser gewust / was es zu seiner Erhaltung hätte thun sollen / als ich“ (S. 23). Im Wald begegnet der Junge schließlich einem alten Einsiedler, der ihn zunächst erschreckt, zu dem er aber bald Vertrauen fasst, als er dessen Lied Komm Trost der Nacht / O Nachtigal hört (S. 26 f.). Als dem Einsiedler deutlich wird, dass der Junge heimatlos ist und zudem in aller Einfalt und ohne christliche Erziehung gelebt hat, nimmt er ihn bei sich auf. Wegen seiner Einfalt gibt er dem Jungen den Namen Simplicius. Der Junge erweist sich jedoch als gelehriger Schüler, lernt sehr schnell lesen und wird vom Einsiedler in christlicher Bescheidenheit und Frömmigkeit unterwiesen. Ihre Lebensweise ist sehr einfach und genügsam, das Wenige, was sie brauchen, bekommen sie vom Pfarrer des benachbarten Dorfes. Der Einsiedler lebt nach dem Prinzip der Benediktinermönche im Gebet und in der Arbeit zur Vermeidung des Müßiggangs. Nach zwei Jahren spürt er seinen nahenden Tod. Er schaufelt sich ein Grab, legt sich hinein und gibt Simplicius drei Ratschläge: Er solle sich selbst erkennen, schlechte Gesellschaft meiden und standhaft bleiben. Danach stirbt er und unter vielen Tränen deckt der Junge das Grab zu.

Gegen den Rat des Pfarrers bleibt Simplicius noch ein halbes Jahr im Wald. Im Winter unterstützt jedoch die Kälte das immer größere Verlangen, die Welt kennenzulernen, weshalb er sich zu dem Dorf des Pfarrers begibt und Zeuge von dessen Plünderung wird. Auch er selbst wird von Soldaten angegriffen. Die „tyrannische [...] Grausamkeit“ (S. 46) der Soldaten schockiert ihn so sehr, dass er seinen Wunsch, den Wald zu verlassen, überdenkt. Doch als er auch seine eigene bescheidene Hütte geplündert vorfindet, hat er keine andere Wahl mehr. Nach einem Traum, in dem ihm das Verhältnis der Stände in der Kriegsgesellschaft vor Augen geführt wurde (Ständebaum-Allegorie), findet er in einem der von den Soldaten zerrissenen Bücher einen Brief des Einsiedlers, in dem dieser ihm rät, nach seinem Tod den Wald zu verlassen. Er befolgt den Rat und zieht fort. Er kommt durch das zerstörte Gelnhausen und gelangt schließlich zur Festung Hanau. Wegen seines wilden Aussehens hält man ihn dort für einen Verräter oder Spion und will ihn ins Gefängnis werfen. Durch die Hilfe des Pfarrers, der ebenfalls nach Hanau geflüchtet ist, wird er wieder befreit. Es stellt sich heraus, dass der Einsiedler, bei dem er gelebt hat, der Schwager des Gouverneurs Ramsay war. Der Pfarrer erzählt, dass in der zweiten Nacht nach der Schlacht bei Höchst, also am 24.6.1622, der Einsiedler, der wie ein Edelmann gekleidet war und große Reichtümer bei sich trug, bei ihm klopfte und den Verlust seiner hochschwangeren Ehefrau beklagte. Er verschenkte all seine Reichtümer und entschied sich für ein Leben als Einsiedler. Durch ein Poträt der verstorbenen Frau des Einsiedlers, das vom Pfarrer an einen Juden und von diesem an den Gouverneur geraten war, erkannte der Gouverneur den Einsiedler als seinen Schwager, den Mann seiner Schwester. Als er vom Tod des Einsiedlers erfuhr und hörte, dass auch ein Junge bei diesem gelebt hatte, hatte er Männer losgeschickt, den Jungen zu suchen. Zu dieser Zeit war Simplicius in Hanau angekommen.

Simplicius wird gesäubert und hergerichtet und als Page des Gouverneurs eingesetzt. Doch es fällt ihm schwer, sich nach dem kärglichen und einfachen Leben im Wald in das Hanauer Leben zu integrieren. Die fetten Speisen verursachen ihm Blähungen und Verdauungsschwierigkeiten und die Umgangsformen der Menschen passen nicht zu den christlichen Moralvorstellungen, die er beim Einsiedler gelernt hatte. Auch die Sauf- und Fressgelage beim Gouverneur stoßen bei ihm nur auf Befremden, und als er in seiner Einfalt einen Tanz verdirbt, wird er endgültig für einen Narren gehalten und in einen Gänsestall eingesperrt. Damit endet das erste Buch.

Nach diesem Vorfall wird Simplicius zu Beginn des zweiten Buchs zum Hofnarrn degradiert und erhält den Namen Simplicius Simplicissimus (der einfältigste Einfältige). Ihm wird vorgegaukelt, gestorben und in der Hölle geläutert worden zu sein. Nach dem Ritual wird er in eine Kalbshaut und eine Kappe mit Eselsohren gekleidet, wodurch er auch äußerlich zum Narren gemacht wird. Durch den Pfarrer darauf vorbereitet, erträgt Simplicius diese Demütigungen. Er beginnt, seine Rolle als Tier und Narr zu nutzen und aus dieser Position heraus seinerseits die Menschen zu verspotten:

„Dieses liesse ich mich umb so viel desto ehender überreden / weil mich hungerte / und nicht darumb / daß ich hiebevor schon selbst gesehen / wie theils Menschen säuischer als Schwein / grimmiger als Löwen / gäiler als Böck / neidiger als Hund / unbändiger als Pferd / gröber als Esel / versoffener als Rinder / listiger als Füchs / gefrässiger als Wölff / närrischer als Affen / und gifftiger als Schlangen und Krotten waren / welche dannoch allesampt menschlicher Nahrung genossen / und nur durch die Gestalt von den Thieren unterschieden waren / zumalen auch die Unschuld eines Kalbs bey weitem nicht hatten“ (S. 146).

Als er bemerkt, dass er als Narr die Freiheit hat, unangenehme Wahrheiten zu sagen, für die er zuvor bestraft worden war, übt er derbe Kritik an den Zuständen am Hanauer Hof und an der Herrschaft im Allgemeinen. Er erklärt Gouverneur Ramsay aufgrund der Mühen und Gefahren, die seine Position mit sich bringt, für den unglücklichsten Mann der Welt. Er stellt Geburtsadel und Tugendadel gegenüber und erweist sich in gelehrten Diskussionen als den Gebildeten der Stadt überlegen. Verwundert über dessen Beredsamkeit kommen dem Gouverneur Zweifel, ob Simplicius wirklich so närrisch ist, wie er dachte: „Jch halte ihn vor einen Narrn / weil er jedem die Wahrheit so ungescheut sagt / hingegen seynd seine Discursen so beschaffen / daß solche keinem Narrn zustehen“ (S. 170). Nachdem er durch den Pfarrer von Simplicius' bäuerlicher Herkunft und Unerfahrenheit unterrichtet worden ist, setzt er ihn wieder als Pagen ein. Er schlägt auch vor, ihm ein Studium zu finanzieren. Doch bevor Simplicius von seiner Kalbshaut befreit werden kann, wird er von den Kroaten entführt. Bei diesen muss er dem Obrist Corpes als Narr dienen und sich an dessen raue Umgangsformen anpassen. Erst im Frühjahr gelingt ihm die Flucht und er lebt wieder als Einsiedler im Wald. Indem er seine Eselsohren zu vermeintlichen Teufelshörnern umfunktioniert, kann er sich vor Überfällen schützen und selbst Beute machen, die sein Überleben sichert. Bald ist er bei den Waldbewohnern ein Schreckgespenst, das in der Nacht in die Höfe einfährt (Teufelsmetaphorik; vgl. S. 186).

Eines Nachts gerät er in ein Haus, dessen Bewohnerinnen offensichtlich Hexen sind. Auf einer Bank, auf die er sich zufällig gesetzt hat, reitet er zum Blocksberg, wo er die Walpurgisnacht miterlebt. Erst als er Gott laut anruft, verschwindet die „höllische Gesellschaft“ (S. 189). An dieser Stelle wird die Handlung von einer Diskussion über die Frage nach der Existenz von Hexen unterbrochen. Allen Argumenten, die gegen deren Existenz sprechen, hält Simplicius schließlich folgenden ironischen Beweis entgegen:

„[…] dann es gilt mir gleich / es mags einer glauben oder nicht / und wers nicht glauben will / der mag einen andern Weg ersinnen / auff welchem ich auß dem Stifft Hirschfeld oder Fulda (dann ich weiß selbst nicht / wo ich in den Wäldern herumb geschwaifft hatte) in so kurtzer Zeit ins Ertz-Stifft Magdeburg marchirt seye“ (S. 192 f.).

Als er sich von seinem Schock erholt hat, befindet sich Simplicius in der Nähe des Feldlagers vor der belagerten Stadt Magdeburg. Auch dort wird er zunächst für einen Narren oder Spion gehalten und der Obhut eines Hofmeisters übergeben, der ihn beobachten soll. Dieser Hofmeister ist ein weiser alter Mann, der schnell bemerkt, dass Simplicius den Narren nur spielt. Die beiden freunden sich an und der alte Mann, der in der Chiromantie und der Astrologie bewandert ist, sagt ihm mehrfach die Zukunft voraus; sämtliche Prophezeiungen erfüllen sich im Laufe des Romans. Der Hofmeister heißt Ulrich Hertzbruder und hat einen gleichnamigen Sohn, dem aus Geldmangel ein Studium nicht möglich ist. Da beide äußerst tugendhaft sind, werden sie zu Simplicius' besten Freunden. Der junge Hertzbruder hat Aussicht auf eine Stelle als Regimentssekretär, doch durch eine hinterhältige Intrige bringen ihn der neidische Olivier und der in schwarzer Magie bewanderte Profos um die Gunst des Obristen, so dass Hertzbruder für einen Dieb gehalten wird und nur knapp der Hinrichtung entgeht.

Der alte Hertzbruder wird durch dieses Unglück schwer krank und prophezeit seinen baldigen Tod, der auch eintritt, als er einen Soldaten in Wut versetzt und dieser ihn ermordet. Da der alte Hertzbruder tot und der junge verjagt und zudem Olivier nun sein Hofmeister ist, ist Simplicissimus das Lager gründlich verleidet. Es gelingt ihm die Flucht, doch um sein Narrengewand loszuwerden muss er in Frauenkleider schlüpfen, was ihn zum Objekt der sexuellen Begierde eines Rittmeisters, dessen Ehefrau sowie eines Knechtes macht. Als er sich mit Müh und Not allen dreien verweigert, wird er zur Strafe der Vergewaltigung durch die Trossbuben ausgeliefert. Als sein wahres Geschlecht offenbart wird, soll er angeklagt werden. Doch bevor er gefoltert werden kann, bricht die Schlacht bei Wittstock aus, die als grausames Gemetzel an Mensch und Tier geschildert wird und in deren Verlauf der junge Hertzbruder, der sich den schwedischen Truppen angeschlossen hat, den Profos erschlägt und Simplicius mit sich nimmt und ihn so rettet.

Simplicius wird als Junge einem Dragoner übergeben. Dieser ist zwar tugendhaft und mäßig, doch auch einfältig und geizig. In seiner Gesellschaft verbringt Simplicius das Winterquartier im Kloster Paradies, wo der Dragoner als Schutzwache fungiert. In diesem Winter besorgt sich Simplicius von seinem angesparten Geld einen grünen Rock, liest viele Bücher und lernt viel über die Wege in Westfalen und die Kriegskunst. Als der Dragoner stirbt, erhält der dessen Hinterlassenschaft, wozu auch ein Pferd und eine stattliche Summe gehören, die dieser angespart hatte. Er stattet sich so prächtig aus, dass er bald für einen Edelmann gehalten wird, und sichert sich das Wohlwollen des Hauptmanns. Durch seine Schläue und Kühnheit im Kampf erwirbt er sich den Respekt seiner Kameraden, zu denen auch Springinsfeld gehört, und Vorgesetzten und bald wird er aufgrund seines grünen Kleids als Jäger von Soest bekannt.

Zu Beginn des dritten Buchs setzt er sich gegen einen Rivalen durch, der sich später als Olivier herausstellt. Er begegnet dem Narren Jupiter, einem Studenten, der sich selbst für den Gott Jupiter hält und im Handstreich und mit Gewalt Frieden in seinem Sinne in das Land bringen will. Im Gespräch bringt SimpliciusJupiter dazu, seine Heilsvorstellungen als brutale und tyrannische Hirngespinste zu entlarven.

Während Simplicius weiter Ruhm als Kriegsheld sammelt, stellt er jedoch schon bald fest, dass Tugend und Glück in umgekehrt proportionalem Verhältnis zueinander stehen: „MEine Hoffart vermehrte sich mit meinem Glück / darauß endlich nichts anders als mein Fall erfolgen konte“ (S. 301). Er bemerkt, dass seine Erfolge Neider hervorgerufen haben, die über seinen Fall nicht traurig wären. Schließlich lässt er sich zu einem Duell hinreißen und schlägt Springinsfelds Warnungen in den Wind. Es gelingt ihm zwar, den Gegner zu besiegen, doch er wird verhaftet, weil Duelle unter Soldaten streng verboten sind. Aufgrund seiner Verdienste wird er aber begnadigt, die Hinrichtung bleibt ihm erspart.

Weil er zunehmend die Nähe der Vorgesetzten sucht und diese mit Geschenken und Gastmählern besticht und gleichzeitig seine Kameraden vernachlässigt, zieht er deren Hass auf sich, weil diese ihn für arrogant und hochnäsig halten. Die Warnungen und Zeichen ignoriert er jedoch. Noch gefährlicher wird seine Situation, als er einen Schatz findet und mit seinem Reichtum prunkt. Weil er um seine Schätze fürchtet, deponiert er diese bei einem Kaufmann in Köln; dort lässt er auch Jupiter zurück.

Schließlich verlässt ihn sein Glück: Er gerät in einen Hinterhalt und wird gefangen genommen. Er erhält eine ehrenvolle Haft und weil ihn sein altes Regiment nicht loskaufen will, wird er verpflichtet, sechs Monate keine Waffen zu tragen. Für diese Zeit lässt er sich in Lippstadt nieder. Dort führt er sein ausschweifendes Leben fort, liest und vervollkommnet seine Kenntnisse in der Kriegskunst. Mit dem Pfarrer von Lippstadt, von dem er sich viele Bücher ausleiht, diskutiert er über den von ihm verfassten Roman Der keusche Joseph. Der Pfarrer rät ihm eindringlich, sein Leben dem Studium und nicht dem Krieg zu widmen. Simplicius hört sich die Ratschläge zwar höflich an, verbittet sich aber im Geheimen die Einmischungen des Pfarrers.

Im Januar 1638 verliebt sich Simplicius in die Tochter eines Obristleutnants und besucht sie in der Nacht. Das Paar wird unsanft geweckt, als ihr Vater sie entdeckt. Simplicius wird gezwungen, das Mädchen zu heiraten. Es gelingt ihm zwar, seinen zornigen Schwiegervater zu versöhnen, doch die Erkenntnis, dass er seine „edle Freyheit verloren hatte / und unter einer Bottmässigkeit“ leben sollte (S. 370), die sein Leben stark einschränken würde, macht ihn äußerst unglücklich. Er will nach Köln reisen, um sein dort deponiertes Vermögen zu holen. Dort muss er jedoch erfahren, dass der Kaufmann das deponierte Geld veruntreut hat, Bankrott ging und die Stadt verlassen hat. Simplicius strengt ein Gerichtsverfahren an, um sein Geld wieder zu bekommen. Da sich jedoch das Verfahren in die Länge zieht, ist er gezwungen, dort Quartier zu nehmen bei einem geizigen Kostherrn, den er mit einigen Scherzen traktiert.

Der geizige Kostherr bittet Simplicius zu Beginn des vierten Buchs, zwei junge Adlige auf ihrer Kavaliersreise nach Frankreich zu begleiten. Weil in nächster Zeit keine neue Entwicklung im Rechtsstreit zu erwarten ist und aus „Fürwitz“ (S. 387) nimmt er den Auftrag an. In Paris wird er jedoch festgenommen unter dem Vorwand, sein Kostherr schulde jemandem Geld. Die beiden Adligen kaufen Simplicius frei und dieser erkennt, dass sein Kostherr dahinter steckte, der seinen ungebetenen Gast auf diese Weise loswerden wollte. Durch die Vermittlung der Adligen kommt Simplicius in die Dienste des Pariser Arztes M. Canard, der als gebildeter und wohltätiger, aber auch eitler und ehrgeiziger Mann beschrieben wird. Bei ihm eignet sich Simplicius allerlei medizinische und pharmazeutische Kenntnisse an. Als Canard eines Tages hohe Hofbeamte als Gäste bei sich hat, singt Simplicius ihnen zu Ehren ein deutsches Lied. Seine äußere Schönheit und seine Stimme gefallen dem Zeremonienmeister so gut, dass er ihn sofort für eine Opernaufführung am Hof engagiert. Simplicius wird in den Kreisen des Pariser Hochadels als „Beau Alman“ bekannt. Die Aufführung, in der er den Orpheus spielt, wird ein großer Efolg. So wird er nur kurze Zeit später auf geheimen Wegen zum Hof gebracht, wo er in mehreren Nächten den Damen als Gespiele dienen soll. Zwar hat er als verheirateter Mann moralische Bedenken, die jedoch zerstreut werden. Dieses erotische Abenteuer dauert insgesamt acht Nächte, dann wird er mit reichem Lohn entlassen und zu M. Canard zurückgebracht.

Da er erstens fürchtet, dass er für seine Dienste an den Damen des Hochadels nachträglich noch bestraft werden könnte, ihm zweitens eine Stelle als Fähnrich in Lippstadt versprochen war und er drittens seiner Frau gegenüber ein schlechtes Gewissen wegen seines langen Ausbleibens hat, will Simplicius nach Deutschland zurückkehren. Er erhält von Canard die Erlaubnis zur Abreise und verlässt Paris im Gefolge eines durchziehenden Heers.

Am zweiten Tag seiner Reise wird Simplicius jedoch krank. Er bekommt hohes Fieber, Hautausschlag und rasende Kopfschmerzen. Er fürchtet, sich bei den adligen Damen die Syphilis eingefangen zu haben und liegt mehrere Tage im Fieberwahn. Als er wieder bei klarem Verstand ist, erfährt er von einem Pfarrer, dass er die Blattern hat, eine Krankheit, die gerade in dieser Gegend grassiert. Zudem bemerkt er, dass ihm sein Geld gestohlen wurde. Er versilbert seine übriggebliebenen Wertgegenstände, mit denen er die Ärzte bezahlt, die ihn gesund pflegen. Simplicius versteht die Krankheit und ihre Folgen als Strafe für seine Hoffart und den Ehebruch: „WOrmit einer sündiget / darmit pflegt einer auch gestrafft zu werden / diese Kinds-Blattern richteten mich dergestalt zu / daß ich hinfüro vor den Weibsbildern gute Ruhe hatte“ (S. 413). Die Krankheit entstellt ihn für immer, er verliert seine äußere Schönheit und seine schöne Singstimme. Zudem befindet er sich in einem fremden Land, hat keine Freunde und versteht die Sprache nicht. Diese ungünstige Lage bringt ihn dazu, über sein bisheriges Leben nachzudenken. Er erkennt, dass seine militärischen Erfolge die Ursache für sein jetziges Unglück waren und er wünscht sich zum Einsiedler oder wenigstens nach Hanau zurück.

Als ihm das Geld ausgeht und er die Zeche nicht mehr bezahlen kann, wirft ihn der Wirt hinaus. Da er noch schwach und durch die Blatternarben entstellt ist, wird er von keinem Regiment aufgenommen und ein Handwerk hat er nicht gelernt. So beschließt er, seine bei Canard erworbenen Kenntnisse zu nutzen und sich als Gaukler und Quacksalber nach Deutschland durchzuschlagen.

In Lothringen wird er schließlich aufgegriffen und als Musketier in die kaiserliche Armee in Philippsburg eingereiht. Dort beklagt er die mangelhafte Verpflegung, doch bald gelingt es ihm, das Vertrauen der Vorgesetzten zu gewinnen, so dass er sein „Soestisch Leben“ (S. 424) wieder beginnen kann. Der Versuch, ein Schiff zu überfallen, misslingt, er fällt in den Rhein und wird ausgerechnet durch das Schiff, das er überfallen wollte, vor dem Ertrinken gerettet. Als das Schiff in Straßburg anlegt, begegnet er dort jenem Soldaten, der ihn einst bei Lippstadt gefangen nahm. Er erzählt ihm seine Erlebnisse mit Ausnahme der Pariser Liebesabenteuer und erfährt, dass seine Frau schwanger ist. Er beschließt, auf eigene Faust nach Lippstadt zurückzureisen, doch wieder wird er aufgegriffen und zum Musketier gemacht.

Den ganzen Sommer über ist Simplicius gegen seinen Willen Musketier, doch eines Tages begegnet er dem jungen Hertzbruder wieder, sie erneuern ihre Freundschaft, und Hertzbruder gelingt es, Simplicius' Entlassung aus dem Musketierdienst zu erwirken. Er bekommt ein Pferd und als vermeintlicher Vetter Hertzbruders wird er zum Freireiter. Doch durch Leichtsinn verliert er sein Pferd, schließt sich marodierenden Soldaten an und wird in der Schlacht bei Wittenweirer gefangen genommen. Er ist nun endgültig davon überzeugt, dass „ich nur zum Unglück geboren“ worden sei (S S. 443), weil er nun erneut als Musketier bei der Belagerung von Breisach helfen muss. Wieder glaubt er, für seine früheren Sünden bestraft zu werden.

Bald jedoch erhält er Urlaub, seine Familie in Lippstadt zu besuchen. Auf der Reise wird er aber von einem kräftigen Kerl überfallen. Er wehrt sich, und so ringen sie eine Stunde lang miteinander, ohne dass einer den anderen besiegen könnte. Endlich schließen sie Waffenstillstand und der Angreifer lädt Simplicius ein, mit ihm zu kommen. Es stellt sich heraus, dass der Wegelagerer niemand anderes als sein alter Feind Olivier ist. Olivier schont Simplicius' Leben, weil er vom alten Hertzbruder die Prophezeiung erhalten hat, dass er einen gewaltsamen Tod haben, Simplicius aber seinen Tod rächen werde. Olivier lebt schon seit geraumer Zeit als skrupelloser Räuber und Wegelagerer und seine vielen Raubmorde und anderen Untaten rechtfertigt er mit der Lehre Machiavellis. Olivier erzählt Simplicius seine Lebensgeschichte, die eine Aneinanderreihung von Verbrechen wie Betrug, Raub und Mord ist, die er begangen hat. Dabei gesteht er auch, dass er den jungen Hertzbruder vor Magdeburg verleumdet und ihm so seine Stelle als Regimentssekretär weggenommen hat. Schließlich sei er von der Armee desertiert und lebe nun als Straßenräuber. Als Olivier seine Geschichte zu Ende erzählt hat, naht eine eskortierte Kutsche. Mit einem Gewehrschuss tötet Olivier die Eskorte und ermordet auch den Kutscher. In der Kutsche befinden sich Frauen und Kinder und Simplicius verhindert, dass Olivier auch diese ermordet. Sie rauben die Kutsche aus und fliehen. Simplicius hat wegen dieses Vorfalls Gewissensbisse, doch er wagt es nicht, Olivier zu verlassen, aus Furcht, von diesem verfolgt zu werden. Eines Tages jedoch werden sie von einem Trupp Soldaten angegriffen. Olivier und Simplicius töten einige von ihnen, doch auch Olivier wird tödlich getroffen und Simplicius erschlägt wiederum den Soldaten, der Olivier getötet hatte. Er bleibt alleine zurück, nimmt das von Olivier erbeutete Gold an sich und flieht.

Er kehrt zu seinem Regiment zurück, erzählt, was vorgefallen ist und erhält erneut die Erlaubnis, nach Lippstadt zu reisen. In einem Wirtshaus begegnet ihm ein zerlumpter und ausgehungerter Soldat, der ihn anbettelt. In diesem erkennt er seinen Freund Hertzbruder, der als Getreuer des Grafen von Götz nach dessen militärischen Misserfolgen ins Unglück stürzte, im Kampf verwundet und ausgeraubt wurde und sich seitdem als Bettler durchschlagen musste. Simplicius hat Mitleid mit ihm und pflegt ihn gesund.

Das fünfte Buch beginnt mit einer Wallfahrt der beiden Freunde nach Einsiedeln in der Schweiz. Das vom Krieg verschonte Land kommt Simplicius wie ein „irdisch Paradis“ vor (S. 499). Doch weil er sich lieber die Landschaft anschaut statt zu beten und die Erbsen, die sie zur Buße in ihren Schuhen tragen, kocht, damit diese nicht schmerzen, muss er sich scharfe Verweise von Seiten Hertzbruders anhören. Diese zeigen Wirkung bei Simplicius, doch er ändert sein Verhalten nicht. Ein vom Teufel Besessener klagt ihn in Einsiedeln wegen seines Lebenslaufs und seiner Lebensführung an. Weil er viele Details aus Simplicius' Leben kennt, ist dieser ernsthaft erschrocken, beichtet in Einsiedeln und konvertiert zum Katholizismus.

Nachdem sie nach Deutschland zurückgekehrt sind, lassen sie sich in Baden nieder, wo sie den Winter verbringen wollen. Die Bekehrung hält nicht lange vor, schon bald gerät Simplicius wieder in sein altes Fahrwasser. Im Frühling reist er mit Hertzbruder nach Wien zum kaiserlichen Hof. Dort werden sie in Gnade aufgenommen, Simplicius erhält ob seiner Verdienste als Jäger von Soest eine Stelle als Hauptmann und sein eigenes Regiment. Doch bereits sein erstes Gefecht in dieser neuen Position wird zum Fiasko: Graf von Götz fällt, Hertzbruder werden die Hoden weggeschossen und Simplicius selbst wird am Bein verwundet. Sie kehren nach Wien zurück und heilen ihre Wunden aus. Doch unabhängig von der Verwundung wird Hertzbruder krank, die Ärzte verschreiben ihm eine Sauerbrunnenkur. Dort erfährt Simplicius, dass Hertzbruder offenbar Opfer eines Giftanschlags wurde, der jedoch nicht tödlich war. Bestochene Ärzte hätten ihn nach Sauerbrunnen geschickt, um ihn vom Hof zu entfernen. Erneut war Hertzbruder also Opfer einer Intrige geworden.

Weil sich sein Zustand stabilisiert, versucht Simplicius erneut, nach Lippstadt zu reisen, was ihm endlich gelingt. In Lippstadt bewegt er sich inkognito und gibt sich auch seiner Familie nicht zu erkennen. Er erfährt, dass seine Schwiegereltern tot sind und dass seine Ehefrau ein halbes Jahr zuvor im Kindbett gestorben ist. Er geht zu seiner Schwägerin und gibt sich als Bote des Simplicius aus. Von ihr erfährt er, dass der Ehemann ihrer Schwester in Köln um sein Vermögen betrogen und mit einem Trick nach Paris geschafft worden sei. Er hätte in Lippstadt ein halbes Dutzend schwangere Frauen hinterlassen, darunter ihre Schwester. Nach deren Tod hätte sie das Kind bei sich aufgenommen und versichert, dass sie es nicht hergäbe, selbst wenn ihr Schwager es persönlich einfordern würde. Er nimmt sein Kind, verbirgt aber seine väterlichen Gefühle. Als er es küsst, beginnt bei Vater und Sohn die Nase zu bluten. Um keinen Verdacht auf sich zu lenken verlässt SimpliciusLippstadt auf dem schnellsten Weg und kehrt zwei Wochen später nach Sauerbrunnen zurück.

Dort angekommen muss er feststellen, dass sich Hertzbruders Zustand „mehr gebösert als gebessert“ hat (S. 519) und er im Sterben liegt. Trotzdem beginnt er sich wieder nach erotischen Abenteuern umzusehen und bandelt unter anderem mit Courasche an, die gerade ebenfalls in Sauerbrunnen Kur macht. Nachdem er genug von ihr hat, fertigt er sie auf derbe Weise ab und zieht so ihren Hass auf sich. Mit Oliviers Geld kann er sich weiter ein Luxusleben finanzieren. Doch bald stirbt Hertzbruder und während vom Tod der Ehefrau in Lippstadt nur mit lakonischer Kürze erzählt wurde, beklagt Simplicius den Verlust des Freundes sehr. Die Trauer hindert ihn jedoch nicht daran, um eine schöne junge Frau zu freien, die er an einem Bach kennenlernt. Er heiratet diese Frau, die sich jedoch schon bald als Missgriff herausstellt, da sie ihn über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse getäuscht hat, schlecht wirtschaftet und obendrein alkoholabhängig ist.

Eines Tages ist er auf einer Landstaße unterwegs, als ihm plötzlich sein Knan begegnet. Von diesem erfährt er endlich seine wahre Herkunft: Er ist nicht der leibliche Sohn des Knans, sondern einer jungen Adligen, die diesen eines Nachts im Wald um Hilfe bat, weil sie hochschwanger und völlig alleine war. Er half ihr mit der Meuder, das Kind zur Welt zu bringen. Nachdem sie ihnen ihren Schmuck geschenkt und sie gebeten hatte, das Kind als ihr eigenes aufzunehmen, sei sie gestorben. Seine Mutter hieß Susanna Ramsay und war die Schwester des Gouverneurs von Hanau. Sein Vater war demnach niemand anderes als der Einsiedler, bei dem Simplicius gelebt hatte. Auch seinen wahren Namen erfährt Simplicius nun: Melchior Sternfels von Fuchsheim. Er ist damit seiner Herkunft nach ein Adliger. Weil Simplicius nun weiß, dass seine leiblichen Eltern tot sind und er keine näheren Verwandten hat, nimmt er den Knan, die Meuder und Ursel bei sich auf und überträgt ihnen den angeheirateten Hof zur Bewirtschaftung.

Seine Ehefrau ist derweil schwanger. Als sie niederkommt, wird Simplicius überrascht, weil das Kind eher dem Knecht ähnlich sieht. Gleichzeitig bekommt die Magd ein Kind, das ihm selbst ähnlich sieht. Außerdem legt ihm Courasche noch ein drittes Kind vor die Tür mit der Behauptung, er habe es mit ihr gezeugt. Diesen Kindersegen führt er wieder auf seinen Lebenswandel zurück:

„[…] also daß ich auff einmal drey Kinder zusammen brachte / und war mir nit anders zu Sinn / als es würde auß jedem Winckel noch eins herfür kriechen / welches mir nit wenig graue Haar machte! Aber es gehet nit anders her / wann man in einem so gottlosen und verruchten Leben / wie ich eins geführt / seinen viehischen Begierden folget“ (S. 536).

Von der schwedischen Obrigkeit wird er deshalb mit einer Geldstrafe belegt. Seine Frau macht ihm wegen der beiden anderen Kinder viel Ärger, so dass er die Magd schließlich besticht, damit sie behauptet, ihr Kind sei von einem fremden Stutzer gezeugt worden. Als ihr Kind durch ihre Schuld stirbt, säuft sich die Ehefrau zu Tode, „welches mir so zu Hertzen gienge / daß ich mich fast kranck hierüber gelacht hätte“ (S. 537). Nach dem Tod seiner Frau beschließt Simplicius, die Landwirtschaft aufzugeben und sich von den Frauen fernzuhalten. Er macht den Knan und die Meuder zu den Verwaltern des Hofes, erkennt das Kind, das ihm vor die Tür gelegt worden war, als seinen Sohn an und gibt ihm den Namen Simplicius.

Als er vom sagenhaften Mummelsee hört, will er dessen Geheimnisse erforschen. Er begegnet den Sylphen, den langlebigen, aber ohne Hoffnung auf die ewige Seligkeit lebenden Bewohnern der Seen, die ohne Laster sind und die Gewässer auf der Welt bewachen. Diese weisen ihn in viele Geheimnisse der Welt ein und er erzählt ihnen von den vermeintlich paradiesischen Zuständen auf der Erde. Nach seiner Rückkehr beschäftigt er sich mit Studien in den sieben freien Künsten, darüber hinaus mit Astrologie, der Kombinatorik des Raimundus Lullus, der Kabbala und den ägyptischen Hieroglyphen und zeigt sich begeistert von der Lebensweise der ungarischen Wiedertäufer, die ihr Leben dem Beten und Arbeiten gewidmet haben, strenge Geschlechtertrennung betreiben, niemandem einen Platz für Müßiggang lassen und jedem einen Platz in der Gesellschaft zuweisen. Er trägt sich mit Plänen, einen eigenen Orden zu gründen, doch aufgrund der Sprunghaftigkeit seines Charakters verwirft er diese Pläne wieder.

Nach einiger Zeit des Friedens ziehen wieder schwedische Truppen ein. Simplicius lässt sich anwerben, überschreibt den Hof dem Knan und der Meuder, setzt den jungen Simplicius als Alleinerben ein und zieht mit dem schwedischen Heer los. Schon bald bemerkt Simplicius, dass er betrogen wurde. Gegen seinen Willen gerät er mit dem Heer nach Moskau, wo ihm angeboten wird, in die Armee des Zaren einzutreten. Als Simplicius dieses Angebot ablehnt, wird er in Moskau gefangen gehalten. Es wird offenbar, dass sein Ruf als Soldat der Grund für seine Gefangenschaft ist und nach gutem Zureden erklärt er sich bereit, das russische Militär mit seinen Kenntnissen zu unterstützen und in der Kunst des Pulvermischens auszubilden. Viele Versprechungen bringen ihn dazu, die russische Armee im Kampf gegen die Tataren zu unterstützen, doch nach der Schlacht muss er erkennen, dass er in Russland niemals frei leben könnte. Endlich handelt er aus, dass er das russische Militär in das Pulvermachen einweise, wenn er danach das Land verlassen dürfe. Bald jedoch wird er von den Tataren entführt und als Sklave nach Korea verkauft. Es folgt eine Odyssee, die ihn von Korea nach Japan, von dort nach Macao, weiter zu türkischen Piraten, die im Chinesischen Meer herumkreuzen und schließlich nach Alexandria führt. Der osmanische Kaiser plant einen Angriff auf Venedig und Simplicius wird Galeerensklave auf einem türkischen Schiff. Als die Galeere versenkt wird, gerät er auf ein venezianisches Schiff, dessen Eigentümer ihn schließlich freilassen. Von Venedig aus macht Simplicius eine Pilgerreise nach Rom, um für seine Rettung zu danken und kehrt über die Schweiz nach dreieinhalbjähriger Weltreise wieder auf seinen Hof zurück. Inzwischen wurde in Deutschland der Westfälische Frieden geschlossen.

Nachdem er sein bisheriges Leben und die Erfahrungen seiner Weltreise überdacht hat, kommt er zu dem Ergebnis, dass man in der Welt nicht fromm und gottgefällig leben könne. Deshalb nimmt er im letzten Kapitel von der Welt Abschied (Adjeu Welt) und zieht sich als Einsiedler in die Wildnis zurück, allerdings mit dem Vorbehalt, dass dieser Abschied nicht für immer sein müsse: „ob ich aber wie mein Vatter seel. biß an mein End darin verharren werde / stehet dahin“ (S. 618).

5.5. Continuatio (1669)
[arrow up]

Auch hier ist German Schleifheim von Sulsfort der fiktive Autor.

Die Continuatio schließt unmittelbar an das fünfte Buch des Simplicissimus an. Der Roman beginnt mit einem Prolog, in dem Grimmelshausen die satirische Schreibart rechtfertigt: Die Satire sei eine überzuckerte Pille, mit der man unangenehme Wahrheiten auf unterhaltsame Weise vermitteln könne und die deshalb erheblich wirksamer sei als eine Predigt. Danach wird die Geschichte des Simplicius Simplicissimus fortgesetzt. Simplicius' Vorsatz, den Rest seines Lebens als Einsiedler zu verbringen, ist nach ein paar Monaten nur noch eingeschränkt vorhanden. Er gibt sich dem Müßiggang hin und vernachlässigt die Pflichten des Ora et labora. War er anfangs noch durch die Gegend gewandert und hatte er sich das Notwendige erbettelt, wobei er die Annahme von Geld strikt abgelehnt hatte, so pilgern die Leute nun zu ihm, teils aus Neugierde, teils auch zur Andacht, weil sie ihn für einen Heiligen halten. Dabei bringen sie ihm Lebensmittel im Überfluss, was seinem Vorsatz, ein eingezogenes und bescheidenes Leben zu führen, schadet.

Er gibt sich „unnützen Gedancken“ (fol. A 5 b) hin, etwa der Frage, ob der Geiz oder die Verschwendung das schlimmere Laster sei. Diese Gedanken führen in einen Traum, der Julus-Avarus-Episode, in der Simplicius Zeuge der verderblichen Kraft dieser höllischen Laster wird, die einen Edelmann und dessen Diener zugrunde richten.

Als Simplicius eines Tages im Wald umhergeht, begegnet ihm Baldanders in Gestalt einer Statue. Dieser stellt sich selbst als Allegorie der Unbeständigkeit dar:

„[…] und köndte es auch wol möglich seyn / daß du mich nicht kennen soltest / da ich doch alle Zeit und Täge deines Lebens bin bey dir gewesen? daß ich aber niemahl mit dir mündlich geredt hab wie etwan Anno 1534. den letzten Julij mit Hanß Sachsen dem Schuster von Nörnberg / ist die Ursach / daß du meiner niemahlen geachtet hast; unangesehen ich dich mehr als ander Leut bald groß / bald klein / bald reich bald arm / bald hoch bald nider / bald lustig bald traurig / bald böß bald gut / und in summa bald so bald anders gemacht hab“ (fol. C 2 b).

Baldanders sagt zu Simplicius, dass er ihn die Kunst lehren könne, die Gegenstände zum Sprechen zu bringen. Simplicius bittet ihn, ihn darin zu unterweisen. Baldanders überlässt ihm eine verschlüsselte Botschaft mit einem Lösungsansatz, verwandelt sich in rascher Folge in verschiedene Lebewesen und Gegenstände und verschwindet in Gestalt eines Vogels. Trotz seiner Zweifel, ob ihm nicht der Teufel in der Absicht, ihn zu versuchen, begegnet sei, beginnt Simplicius die Entzifferung der Botschaft aus Neugierde und weil er ein „zimblicher Zifferant“ ist (fol. C 4). Die dechiffrierte Botschaft lautet: „Magst dir selbst einbilden wie es Einem jeden ding ergangen hernach einen discurs daraus formirn Vnd dauon Glauben was der wahrheit ähnlich ist so hastu was dein närrischeR uorvitz begehret“. Hierin wird eine poetologische Technik vermittelt: Durch die Einbildungskraft kann der Dichter sich in jedes Ding hineinversetzen und dessen Geschichte, wie sie verlaufen sein könnte, erzählen.

Zunächst macht Simplicius von dieser neuen Fähigkeit noch keinen Gebrauch. Er kehrt nach Hause zurück und liest Heiligenlegenden, jedoch nicht zur Erbauung, sondern zum Zeitvertreib.

Bald beschließt er, sein Eremitendasein aufzugeben, weil ihm scheint, dass er Gott besser dienen könne, indem er seinen Mitmenschen helfe. Zudem deutet er das Erscheinen des Baldanders als Aufforderung, sich in die Unbeständigkeit der Welt einzufügen. So beginnt er ein Wanderleben, in dem er seinen Unterhalt erbettelt, aber kein Geld annimmt. In Schaffhausen wird er von einem Bürger in dessen Haus aufgenommen. In der Nacht muss er zum Abort. Beim Betrachten des Klopapiers (Schermesser) erinnert er sich an die Lehre des Baldanders und bringt durch seine poetische Imagination das Schermesser dazu, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Diese Geschichte ist eine Aneinanderreihung von Leiden, die das Schermesser, von seinem Anfang als Hanfkorn über sein Dasein als Kleidungsstück und Schreibpapier bis zum Klopapier in der Abfolge kapitalistischer Produktions- und Weiterverarbeitungsvorgänge erdulden muss. Die Schermesser-Episode lässt sich daher auch als frühe Kapitalismuskritik interpretieren.

Simplicius zieht weiter durch die Lande und wann immer er eingeladen wird, unterhält er seine Gastgeber mit Erzählungen aus seinem Leben, wobei er aber auch aufschneidet, um die Sensationslust der Gastgeber zu befriedigen. So gelangt Simplicius erneut nach Einsiedeln, verrichtet dort seine Andacht und reist nach Savoyen weiter.

Dort wird er von einem Schlossherrn aufgenommen. In der Nacht wird er von Geistern heimgesucht, doch seine Frömmigkeit bewahrt ihn vor Schlimmerem. Es stellt sich heraus, dass die Geister in ihrem Leben großes Unrecht begangen haben, das beglichen werden müsse, wenn sie Frieden finden wollten. Simplicius erzählt dem Schlossherrn davon, der sofort Wiedergutmachung leistet und so die Geister erlöst. Er gesteht Simplicius, dass er ihm vor vielen Jahren schon einmal begegnet und von ihm beleidigt worden sei. Er hätte Simplicius nur in diesem Zimmer übernachten lassen, um sich an ihm zu rächen. Doch nun sei er ihm dankbar, dass er ihn von den Geistern befreit habe. Er bietet ihm Geld, Kleidung und ein Pferd an, doch Simplicius lehnt alles ab. Er bittet deshalb nur darum, dass sein Rock gefüttert werde, damit er vor dem nahenden Winter geschützt sei.

Als er weiterzieht, schließt sich ihm ein Sendbote an, mit dem er gemeinsam nach Italien zieht. Der Bote stellt sich schließlich als Abgesandter des Schlossherrn heraus, der Simplicius auf diese Weise heimlich helfen wollte. Zudem hatte er in den Mantel einige Goldstücke einnähen lassen.

Simplicius entschließt sich, das Geld für eine Pilgerreise nach Jerusalem zu nutzen, was ohne Geld unmöglich ist. In Rom verrichtet er zunächst seine Andacht und besteigt dann ein Schiff, das ihn ins Heilige Land bringen soll. Die Reise verläuft, von einigen Ausweichmanövern, um Piraten zu entkommen, abgesehen, ruhig, doch nach einer Zwischenlandung in Alexandria kann Simplicius nicht weiterreisen, weil der Bassa von Damaskus Krieg gegen den Kaiser angefangen hat und deshalb keine Karawane sicher nach Judäa gelangen kann. Weil in der Stadt zudem eine Epidemie grassiert, reist Simplicius den Nil abwärts nach Kairo und staunt über die Vielfältigkeit der Völker in dieser Stadt. Bald geht ihm das Geld aus, und weil er nicht warten kann, bis der Krieg beendet ist, verdingt er sich bei den Königsgräbern und den Pyramiden als Fremdenführer. Bald wird er jedoch von arabischen Räubern verschleppt und von diesen aufgrund seines Aussehens als Wilder Mann gegen Geld dem Volk vorgeführt. In einer Handelsstadt erblickt er europäisch gekleidete Männer, die deutsch, französisch und italienisch sprechen. Simplicius spricht sie auf Latein an. Die europäischen Kaufleute helfen ihm, die Räuber werden zu Galeerenstrafen verurteilt, er selbst wird belohnt und freigelassen.

Da der Krieg kein Ende zu nehmen scheint, beschließt Simplicius, seine Pilgerreise nach Jerusalem abzubrechen und sie durch eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zu ersetzen. Daher schifft er sich auf einem portugiesischen Handelsschiff ein, das um Afrika herum in den Heimathafen fährt. Vor Madagaskar gerät das Schiff jedoch in einen Sturm, läuft auf Klippen auf und zerbricht. Simplicius klammert sich mit dem Schiffszimmermann an ein Stück Holz und wird ins Meer hinausgetrieben. Bald werden sie an eine fruchtbare, aber unbewohnte Insel gespült. Dank ihrer Fruchtbarkeit müssen sich die beiden Überlebenden keine Gedanken um die Nahrungsbeschaffung machen und richten sich ein. Nach einiger Zeit werden sie jedoch in Versuchung in Gestalt einer Frau geführt, die den Zimmermann beinahe dazu gebracht hätte, Simplicius zu erschlagen. Als Simplicius sich bekreuzigt, verschwindet sie und hinterlässt einen Schwefelgestank.

Sie errichten gemeinsam drei Kreuze auf der Insel, damit der Teufel nicht noch einmal Zutritt bekomme. Sie verleben viele Jahre auf dieser Insel, kleiden sich in Kleider, die sie aus Palmblättern nähen und sorgen für ein gutes und arbeitsames Leben. Simplicius schreibt seine Lebensgeschichte auf Palmblätter auf und führt Kalender. Der Zimmermann verfällt jedoch mehr und mehr dem Palmwein, den er aus der Rinde der Bäume herstellt und stirbt schließlich daran. In der Folge lebt Simplicius mit Arbeiten und Gebeten und lernt, das Buch der Natur zu lesen.

In den letzten Kapiteln erzählt Kapitän Jean Cornelissen seinem Freund German Schleifheim von Sulsfort von seiner Schiffsreise im Indischen Ozean. Sein Schiff war Teil einer Flotte, wurde aber von dieser getrennt und er lief die Insel des Simplicissimus an, weil er Kranke an Bord hatte. Aufgrund der Kreuze nennt er diese Insel Kreuzinsel. Kundschafter berichten von einem Deutschen, der auf dieser Insel lebe. Dieser hatte sich vor den Seeleuten in eine unzugängliche Grotte geflüchtet und kann nur unter viel gutem Zureden dazu gebracht werden, sie zu verlassen. Der Kapitän bietet Simplicius an, auf seinem Schiff wieder nach Europa zu fahren, dieser jedoch lehnt mit einer deutlichen Absage an eine Welt voller Krieg, Unmoral und Gottlosigkeit das Angebot ab:

„mein GOtt was wolt ihr mich zeichen hier ist Fried / dort ist Krieg; hier weiß ich nichts von Hoffart / vom Geitz / vom Zorn / vom Neyd / vom Eyfer / von Falschheit / von Betrug / von allerhand Sorgen beydes umb Nahrung und Klaydung noch umb ehr und Reputation; hier ist eine stille Einsame ohne Zorn / Hader und Zanck; eine Sicherheit vor eitlen Begierden / ein Vestung wider alles unordenliches verlangen; ein Schutz wider die vielfältige Strick der Welt und ein stille Ruhe / darinnen man dem Allerhöchsten allein dienen: seine Wunder betrachten / und ihm loben und preysen kan; als ich noch in Europa lebte / war alles (ach Jammer! daß ich solches von Christen zeugen soll) mit Krieg / Brandt / Mord / Raub / Plünderung / Frauen und Jungfrauen schänden etc. erfüllt; Alß aber die Güte GOTTes solche Plagen sambt der schröcklichen Pestilentz und dem grausamen Hunger hinweck nahm / und dem armen betrangten Volck zum besten den edlen Frieden wider sendete / da kamen allerhand Laster deß Wollusts / als Fressen / Sauffen und Spielen; huren / buben und ehebrechen; welche den gantzen Schwarm der anderen Laster alle nach sich ziehen / biß es endlich so weit kommen / daß je einer durch Unterdruckung deß andern sich groß zumachen / offentlich practicirt, dabey dann kein List / Betrug und Politische Spitzfindigkeit gesparrt wird; und was das allerärgste / ist dieses / daß keine Besserung zuhoffen / in dem jeder vermeinet / wann er nur acht Tagen wanns wol geräth dem Gottesdienst beywohne / und sich etwan das Jahr einmahl vermeintlich mit GOtt versöhne / er habe es als ein frommer Christ / nit allein alles wol außgerichtet / sondern GOtt seye ihm noch darzu umb solche laue Andacht viel schuldig; solte ich nun wider zu solchem Volck verlangen? müste ich nit besorgen wann ich diese Jnsul / in welche mich der liebe GOtt gantz wunderbarlicher weiß versetzt / widerumb quittirte / es würde mir auff dem Meer wie dem Ionae ergehen? nein! sagte er / vor solchen Beginnen wolle mich GOtt behüten“ (fol. G 7 - G 8).

Der Kapitän respektiert diese Entscheidung und nach einer Woche, in der sich die Kranken gut erholt haben, verlässt das Schiff die Kreuzinsel wieder. Der Roman endet mit dem „Beschluß“, in dem der mit German Schleifheim von Sulsfort identische Samuel Greifnson vom Hirschfeld erklärt, er habe den Keuschen Joseph, den Satyrischen Pilgram und den Simplicissimus geschrieben und wolle die Continuatio dem Leser nicht vorenthalten. Er ist auf den 22. April 1668 datiert und unterschrieben mit „H. J. C. V. G. P. zu Cernheim“ (fol. G 10): Die Initialen bedeuten nichts anderes als Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, das P. bedeutet Praetor (Schultheiß) und Cernheim ist ein Anagramm zu Renchen (Renichen). Grimmelshausen gibt sich also trotz aller Anagrammatik nur leicht verschlüsselt als Autor der genannten Texte zu erkennen.

5.6. Ewig-währender Calender (1670)
[arrow up]

Der Autor dieser Schrift ist Simplicissimus selbst, er gibt als Verfassernamen seinen Taufnamen an: Melchior Sternfels von Fugshaim.

Auf dem Titelblatt kündigt Simplicissimus den Inhalt des Kalenders an: Er ist ein Verzeichnis der Namenstage der Heiligen und beinhaltet darüber hinaus „unterschiedliche CurioseDiscursen von der Astronomia, Astrologia“ (EC, S. 1), gibt Informationen über Bauernpraktiken und Anweisungen zur Erstellung von Kalendern und Nativitäten. Außerdem werden „Wahrhaffte Wunder-Geschichten / und andere Merckwürdige Begebenheiten“ (ebd.) erzählt und Auskünfte über verschiedene Künste und Wissenschaften erteilt. So könne der des Lebens und Schreibens kundige Leser nicht nur alles finden, was er von einem Kalender erwarte, sondern darüber hinaus lernen, Nativitäten zu erstellen und „aus fleissiger observation künfftig Gewitter / Krieg / Kranckheit / Frucht- und Unfruchtbarkeit“ vorhersagen (ebd.).

In einer Vorrede wendet sich Simplicissimus an seinen gleichnamigen Sohn: Er habe den Kalender vor seinem Tod geschrieben zu seinem und seines Sohnes Nutzen. Für sich selbst, um sich in dem eintönigen Landleben nicht zu langweilen und für seinen Sohn, damit er die Wunder Gottes besser betrachte und sein Verstand angeregt werde, höheren Dingen nachzusinnen. Es folgt eine Leseanleitung:

„Jch hab zwar nach meiner Gelegenheit und wie mirs nacheinander eingefallen / geschrieben; Aber jedoch mit Fleiß ein und andere Sachen durcheinander gesetzt / damit vermittelst ordentlicher Folg und besonderer Ausführung einer jeden Materi dein Fürwitz nicht auf einmal obenhin befriedigt / Sondern vielmehr genötigt werde / das Lesen zu wiederholen / auf daß du alles desto eigentlicher fassen / und in dein Gedächtnis bringen möchtest“ (EC, S. 3).

Der also mit Absicht kompliziert aufgebaute Text enthalte viel Nützliches und verlange es, aufmerksam gelesen zu werden. Er warnt seinen Sohn davor, zu schnell zu glauben, alles verstanden zu haben: Er müsse mehrfach die Abschnitte lesen, anders, als es gewöhnlich bei Kalendern der Fall sei. Darum sei dies ein „ewigwährender Calender“ (ebd.). Er habe ihn absichtlich in einem „schlechten [d. i. schlichten; S. R.] Stylum“ und einer „ordentlichen Unordnung“ (ebd.) verfasst. Unterschrieben ist die Vorrede mit Melchior Sternfels von Fugshaim, dem orthographisch leicht veränderten Taufnamen des Simplicissimus.

Der Text ist, im Unterschied zu fast allen anderen zeitgenössischen Ausgaben der Werke Grimmelshausens, die fast ausnahmslos im Duodezformat publiziert wurden, im Quartformat gedruckt. Der Grund dafür ist der Aufbau. Der Kalender besteht aus sechs Spalten (Materiae), die nebeneinander auf einer Doppelseite angeordnet sind. Die geraden Seitenzahlen beinhalten die erste, zweite und dritte Materia, die ungeraden die vierte, fünfte und sechste Materia. Von wenigen Ausnahmen abgesehen reicht diese Struktur bis zur Seite 185, wo die sechste Materia endet. Die ungeraden Seiten weisen nun links die schmalere vierte und rechts die breitere fünfte Materia auf. Nachdem auf Seite 201 die fünfte Materia beendet ist, füllt die vierte Materia alleine die ungeraden Seiten bis Seite 207. Weil die dritte Materia auf Seite 204 endet, nehmen ab Seite 208 die erste und zweite Materia die übrigen Seiten bis zum Ende des gesamten Textes auf Seite 234 ein. Die Materiae bestehen nicht nur aus Fließtext, sondern weisen darüber hinaus auch zahlreiche Tabellen und Graphiken auf, die über astronomische und astrologische Daten informieren. Dieser Aufbau erschwert das kontinuierliche Lesen, weil der Text einer Materia erst auf der gegenüberliegenden Seite fortgesetzt wird. Diese Diskontinuität korrespondiert mit der Absicht, die in der Vorrede angesprochene ordentliche Unordnung zu schaffen.

Die erste Materia enthält den Kern des Kalenders. Tag für Tag werden die Heiligen, die an dem jeweiligen Tag gefeiert werden, aufgelistet, meist mit der Funktion, die sie ausübten, etwa „Fausta Jungfraw und martyrin“ (7. Januar). Kirchliche Feiertage sind ebenfalls eingetragen. Gelegentlich werden auch Uneinigkeiten vermerkt: „Apostel Theilung. ETliche setzen diß Fest künfftigen nechsten Tag: nach Bedae Meinung ist diese Theilung geschehen im 12. Jahr nach Christi Himmelfahrt: Den 15. diß theileten sie die Länder in der Welt / darinn jeder predigen solte / und den 16. hernach zogen sie voneinander“ (15. Juli, S. 142). Auch lokale Feste werden eingearbeitet, z. B. am 12. August: „Heut wird zu Cölln am Rhein in S. Ursulae Kirch deren und ihrer Gesellschafft ein sonderliche Gedächtnus gehalten“ (S. 166). Auffällig ist, dass in der ersten Materia die deutschen Monatsnamen verwendet werden: Jenner, Hornung, Mertz, Aprill, May, Brachmonath, Hewmonath, Augustmonath, Herbstmonath, Weinmonath, Wintermonath und Christmonath.

Die zweite Materia teilt sich mit der dritten die gleiche Überschrift:

„Chaos, oder Verworrnes Mischmasch ohne einige Ordnung / darinnen obgleich wie in einem Labyrinth oder besser zu sagen / in einem lustigen Jrrgarten / jedoch allerhand Historien / gewisse Künste / nothwendige Wissenschafften / und ohnzählig andererley Gattungen / seltzame Rariteten sich neben der mit untermischten Bauren-Practick befinden; So von dem alten Simplicissimo schriftlich verfasset: und also seinem Sohn dem jungen Simplicio hinderlassen worden“ (S. 4).

Zumindest für die zweite Materia ist diese Überschrift vollkommen zutreffend. Formal verläuft sie parallel zur ersten Materia: Unter Verwendung des römischen Kalendersystems (der 1. Januar wird etwa als „Calendis Januarii“ bezeichnet), werden jedem einzelnen Tag ein oder zwei kurze Geschichten, Anekdoten und andere epische Kleinformen zugeordnet, die inhaltlich überaus heterogen sind. Gelegentlich werden historische Ereignisse auf den jeweiligen Tag, unter dem sie stehen, datiert, z. B. am 1. Januar: „Diesen Tag thät Ulrich Zwingel sein erste Predig zu Zürich / Anno Christi 1519“ (ebd.). Legendenhaftes steht neben pointierten Witzen und Ratschlägen an die Bauern, etwa am 3. Januar: „Jn diesem Monat dünge das Erdreich / Aecker und Wiesen / tresche die Frucht / laß den Wein ab / beschlage die Pferdt im Neuen Mont oder etliche Tag hernach / sie bekommen gute Hüff / würff das Korn / schau nach den Jmmen“ (S. 6). Astrologische Einflüsse auf das Weltgeschehen werden geschildert und dann ironisch in Frage gestellt:

„Bedeutung der Cometen. VJel Fieber / Kranckheit / Pestilenz und Todt. | Schwere Zeit Mangel und groß Hungers-Noth / | Grosse Hitz dürre Zeit und Unfruchtbarkeit / | Krieg / Raub / Brandt / Mord / Aufruhr / Haß / Neid und Streitt / | Frost / Kälte / Sturm-Wind / Wetter und Wassers-Noth / | Viel hoher Leut Untergang und Todt. | Feuers Noth / Erdbiedem an manchen End / | Und grosser Veränderung der Regiment. | Nota. Gewiß ists / und man hats auch aus langer Erfahrung / daß die Cometen grosser Herren Absterben bedeuten / auf deren Todt der Regierung wegen zu Zeiten Krieg zu folgen pflegen; welcher hernach alles obige Unglück nach sich ziehen / dahero sagt man / wann Gott ein Land straffen wolle / so nehme er demselbigen die Obrigkeit; daß aber allweg auf Absterben grosser Herren / deren Todt ein Comet vorgangen / alles Elend gefolgt / weisen die Historien / es sterben aber auch Herren ohne Cometen / deren Todt Krieg nachfolgt / und fallen Krieg ein ohne Herren Todt“ (ebd.).

Auch über Ereignisse aus jüngerer Vergangenheit, etwa die Ermordung Wallensteins, wird berichtet. Längere Geschichten, etwa die des Gordischen Knotens, erstrecken sich über mehrere Tage. Es gibt Erklärungen für Bräuche, etwa das In-den-April-Schicken, es werden medizinische Hausmittel beschrieben und gleich darauf ihre Wirkung in Frage gestellt. Offensichtlich ironisch ist etwa der Ratschlag, regelmäßig Wacholderbeeren zu essen, weil diese vor vielen Krankheiten schützten. Dieser Ratschlag wird zweimal hintereinander erteilt. Die beiden Versionen enthalten jedoch deutliche Unterschiede, was die Wirkungen betrifft. Der ironische Kommentar des Simplicissimus lautet: „Weistu mein Sohn warumb ich dir diß von den Wacholderbeeren zewymahl hieher geschrieben habe? du vermeynest gewißlich auß Ubersehen! Nein gar nicht / sonder daß du jhren Gebrauch ja nicht unterlassen sollest / wilstu anders lang leben“ (S. 209/211). Biblische Ereignisse werden erzählt und datiert, etwa die Opferung Isaaks durch Abraham auf den 25. März. Manche Erzählungen sind offensichtlich autobiographisch, etwa die vom 25. Februar:

„Anno 1635. wurde ich in Knabenweiß von den Hessen gefangen und nach Cassel geführt / in welche Vestung ein hiesiger Leutenant kam sambt zweyen Knechten / beydes seine Beuth abzulegen / und seine Verwandte zubesuchen. Nach dem er sich nun ein bar Tag vffgehalten und lustig gemacht / und nunmehr auffgesessen sich wider zu seinem Regiment zubegeben / henckte sich sein Wasserhund den Pferdten an Schwantz / und zog zurück was er erziehen vermöchte / stelte sich auch sonst gar letz; Nach seinem Abscheyden kriegten wir in 4. Tagen Zeitung / daß er von den Käys. beschädigt / und sambt den Knechten gefangen worden“ (S. 46/48).

Manche historische Ereignisse, werden, ob beabsichtigt oder nicht ist kaum zu beurteilen, falsch datiert, etwa die Schlacht bei Lützen am 16. November (greg.) 1632 auf den 16. Oktober. Es finden sich auch ironische Ratschläge zur Familienplanung, wobei die Ironie durch die abschließende alchemistische Formel sichergestellt wird: „Wer lieber junge Söhn als Töchter hätte / der bestelle solche gegen Tag / wo aber lieber Töchter / der befleisse sich deß Abends. Probatum est“ (S. 215).

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass weder auf inhaltlicher oder thematischer Ebene noch auf der Ebene der Textsorten irgendeine Systematik in der Anordnung erkennbar ist. Die zweite Materia ist genau das, was sie der Überschrift zufolge sein soll: ein unterhaltsames und abwechslungsreiches Chaos.

Die dritte Materia steht unter der gleichen oben zitierten Überschrift wie die zweite, löst sich aber in ihren Texteinheiten von den einzelnen Tagen der ersten und zweiten Materia. Zunächst besteht die dritte Materia aus allerlei Ratschlägen für den bäuerlichen Alltag, etwa wie Seile oder Tücher vor Fäule bewahrt werden können. Die Länder, Königreiche und Städte werden bestimmten Tierkreiszeichen zugeordnet und andere Wissenselemente werden beschrieben.

Nach diesen Passagen, die an die zweite Materia anzuknüpfen scheinen, folgt „Simplicissimi Discurs mit seiner Mutter die Calender und Bawren oder alter Weiber-Practic betreffend“ (S. 40): Die Meuder macht Simplicssimus Vorwürfe, weil er ständig Kalender und Practicken kaufe. Dieser antwortet: „Liebe Mutter / besser umb Bücher als verspielt: ich hab doch sonst kein Frewd in der Welt als lesen“ (ebd.). Während die Meuder in der Folge die Nützlichkeit der Kalender in Abrede stellt und die alten Bauernpraktiken bevorzugt, die auf der Beobachtung der Tiere und der Natur beruhen, verteidigt Simplicissimus seinen Kauf, kann sie aber nicht überzeugen. Schließlich verspricht er ihr, seine Kalender zu verbrennen, doch sie sagt, dass man das Papier noch als Schermesser (Klopapier) gebrauchen könne, was Simplicissimus aber wegen der Heiligennamen, die auf dieses Papier gedruckt sind und die besudelt würden, ablehnt. Endlich beeindruckt sie ihn mit ihrem guten Gedächtnis, durch das sie viele Details des bäuerlichen Lebens im Kopf behalten kann.

Ihr Gespräch wird durch den Knan unterbrochen, der hereinkommt und die beiden tadelt, weil sie dem Gesinde nicht helfen. Er sagt Regen voraus und vorher müsse noch das Heu eingebracht werden. Die Meuder wird hinausgeschickt, um bei der Arbeit zu helfen. Es folgt „Simplicissimi Discurs mit seinem Pfetter oder Knan / von der Bawrn-Practic“ (S. 62). Simplicissimus bittet den Knan, ihm zu erklären, wie er anhand des Mondes das Wetter vorhersagen könne. Der Knan erklärt ihm, dass man anhand der Farbe des Mondes das künftige Wetter voraussehen könne. Außerdem sei seine Stellung in den verschiedenen Tierkreiszeichen einflussreich für Geschehnisse auf der Erde: „Wann aber der Mond in den Fischen ist wann es donnert / so wird daß Geträid einen kleinen Schaden leyden / und ein gewaltiger Mann mit Todt abgehen“ (S. 68). Auch hier wundert sich Simplicissimus über den Detailreichtum, den der Knan scheinbar mühelos auswendig erklären kann, sagt aber, dass er auch den Gelehrten glaube. Der Knan antwortet, dass er nicht wisse, woher die Bauern und Gelehrten jeweils ihr Wissen hätten, denn beide würden es jeweils vor dem anderen geheim halten. Simplicissimus hält dem entgegen, dass die Gelehrten ihr Wissen in Büchern veröffentlichten, und sie könnten nichts dafür, dass die Bauern ihre Bücher nicht läsen oder verstünden. Der Knan hält die Inhalte der Bücher für unwichtig, so dass es sich nicht lohne, sie zu lesen. Mit folgenden Worten leitet der Knan eine scharfe Gelehrtenkritik ein:

„Ja / ja Herr Sohn: Jhr kombt mir eben recht: Was die alte Bawersleuth / oder unsere Vorfahren hiebevor erfunden / das haben die Gelehrte von jhnen auffgefischt / ein lateinischen Pfeffer darüber gemacht / und solches nachgehents vor jhre eigene Waare der Welt dargeben und verkaufft; Was wolte so ein Kerl der daheimb in der Stuben sitzt zu speculiern / von denen Dingen sagen können damit wir Leuth stündlich umbgehen und selbst Hand anlegen?“ (S. 86).

Simplicissimus antwortet, dass es nicht Aufgabe der Gelehrten sei, die Arbeit der Bauern zu verrichten, sondern den Bauern zu zeigen, wie sie die Früchte am besten anbauen, um den reichsten Ertrag zu erhalten. Weil sie in Streit zu geraten drohen, brechen sie ihr Gespräch ab.

Daran schließt sich der Bericht von der Entstehung des Ewig-währenden Calenders. Der Herausgeber unterrichtet den Leser, dass Simplicissimus den Calender ursprünglich nicht zur Veröffentlichung verfasst hätte, sondern sich einerseits die Zeit hätte vertreiben und andererseits seinen Sohn zum Nachdenken hätte anregen wollen. Er wolle nun erzählen, wie es trotzdem zur Publikation gekommen sei: Im Juli 1669 hätte er eine Kur in Sauerbrunnen angetreten. Bei einem Spaziergang sei er einer alten Bäuerin begegnet, die Butter im nächsten Ort verkaufen wollte. Er habe ihr etwas von der Butter abgekauft und festgestellt, dass auf dem Papier, in das die Butter eingewickelt war, Buchstaben in roter und schwarzer Schrift gestanden hätten. Er hätte sie gefragt, was dies für eine Schrift sei. Sie hätte geantwortet, dies seien Aufzeichnungen ihres Sohnes, der sich nun „in der newen Welt befünde“ (S. 96) und wahrscheinlich nicht zurückkommen werde, so dass die Aufzeichnungen nutzlos seien. Auf seine Frage nach dem Namen des Sohnes antwortet sie, er sei der, den die Leute den „offendürlichen Simplicissimus“ (ebd.) nennen, in Wirklichkeit heiße er aber Melchior. Der Mann, der kürzlich dessen Lebensbeschreibung gelesen hat, ist glücklich, die Meuder getroffen zu haben. Er hätte sie gebeten, ihm die Aufzeichnungen ihres Sohnes zu verkaufen. So sei er in den Besitz des Calenders gelangt. Außerdem hätte er ein Porträt des Simplicissimus abmalen lassen, damit ihn jeder sehen könne. Weil in der dritten Materia noch Platz vorhanden sei, hätte er diesen nun mit Geschichten aufgefüllt, die er von Leuten gehört habe, die Simplicissimus gekannt hätten. An diesen Geschichten könne man erkennen, dass Simplicissimus„von zimblicher Conversation: unnd ein gantz Apophtegmatischer Mensch gewesen seyn muß“ (S. 104).

Diese Ergänzung durch den Herausgeber besteht aus 88 Kalendergeschichten, meist Anekdoten von wenigen Zeilen Umfang, in denen Simplicissimus als scharfsinniger Beobachter und schlagfertiger und ironischer Kritiker an dem Beobachteten erscheint. Die dritte Geschichte mit dem Titel Die verkehrte Welt sagt viel über Grimmelshausens Selbstverständnis als Satiriker aus, die 34. Geschichte, Platteyßlein, wird von der Forschung als autobiographisch gewertet. Exemplarisch sei an dieser Stelle die 81. Geschichte mit dem Titel Jtalianische Gesellschafft zitiert:

„ER sahe bey den Schweitzern unterschiedliche Esell und Maulthier mit Citronen / Lemonen / Pommerantzen und sonst allerhand Wahren auß Jtalia über daß Gebürg kommen; da sagte er zum Hertzbruder / schawet umb Gotteswillen / diß ist der Jtalianer fruchtbringende Gesellschafft“ (S. 176/178).

Diese kurze Geschichte ist als ironische Anspielung auf die Fruchtbringende Gesellschaft zu verstehen, der wichtigsten zweitgenössischen Vereinigung zur Pflege der deutschen Tugenden und der deutschen Sprache und Literatur.

Am Ende meldet sich der Herausgeber noch einmal zu Wort: Er habe den Calender als eine Rarität für sich behalten wollen, Freunde hätten ihn aber überredet, ihn herauszugeben. Er erwähnt, dass er die simplicianische Familie hätte abmalen lassen und deren Porträts auf den Titelkupfer gesetzt habe. Weil immer noch einige Seiten frei seien, fügt er noch weitere komische Geschichten hinzu. Endlich beendet er die dritte Materia mit Datum und Unterschrift: „Grießbach den 29. Jul. 1669. Christian Brandsteller Stattschreiber zu Schnackenhausen“ (S. 204).

Die dritte Materia ist also deutlich strukturierter als die zweite, weist jedoch immer noch eine große Heterogenität der Texte und Textsorten auf: Für zeitgenössische Kalender übliche Ratschläge an die Bauern werden von zwei Diskussionen des Simplicissimus mit der Meuder und dem Knan über Kalender und Bauernpraktiken abgelöst, denen wiederum die Erzählung des Herausgebers folgt. Endlich folgen die Wundergeschichten, die als der eigentlich unterhaltende Teil der Materia fungieren.

Die vierte Materia steht unter der Überschrift „Simplicissimi Discurs mit Zonagrio / die Calender-Macherey und was deme anhängig / betreffend“ (S. 5). Zonagri(us) ist ein Anagramm für Garzoni(us), den Autor des Piazza Universale, den Grimmelshausen als eine seiner Hauptquellen benutzte.

Zonagrius erklärt Simplicissimus auf dessen Bitte die astronomischen Hintergründe der Kalender. Unter anderem werden die Strukturierung der Zeit, das Sonnen- und das Mondjahr, die Mondphasen und die verschiedenen Kalendersysteme der einzelnen Völker erklärt. Zonagrius erläutert die Methode, mit der der Ostertermin berechnet wird und wie man bestimmt, auf welche Jahre die Schaltjahre fallen. Er unterrichtet Simplicissimus über die Geschichte der Kalenderschreiberei und über die Gregorianische Kalenderreform von 1584. Auch die einzelnen Tierkreiszeichen und die Jahreszeiten werden thematisiert. Zonagrius weist Simplicissimus außerdem über den Einfluss der Tierkreiszeichen, die je einem Element zugeordnet werden, auf den Menschen hin. Er spricht über die Erstellung von Nativitäten. Auch der Unterschied zwischen Astrologie und Astronomie und die Geschichte der beiden Wissenschaften werden erörtert. Zonagrius weist seinen Zuhörer auf methodische Probleme der Astronomie hin, die mit den noch mangelhaften Instrumenten und der damit einhergehenden Unsicherheit der Messergebnisse zusammenhängt. Er betont, dass es sich bei der Astrologie um eine ernsthafte Wissenschaft handle, die aber durch Missverständnisse und Missbrauch für Wahrsagerei und Betrug gehalten werde. Ein guter Astrologe lasse sich deshalb nicht dazu verführen, jemandem genaue Vorhersagen über seine Zukunft zu geben, denn dies sei nicht möglich: Der Mensch sei nicht von den Sternen abhängig weshalb es völlig ungewiss sei, ob eine Vorhersage eintreffe. Simplicissimus stimmt ihm zu: Es seien Narren, die glaubten, Himmel und Sterne für „wiederwertige Buhlschafften“ verantwortlich machen zu müssen oder überzeugt seien, unter einem „unglücklichen Stern“ zu leben (S. 207). Es sei Ketzerei zu glauben, dass die Sterne mehr Kraft hätten als Gebete zu Gott. Damit beenden sie das Gespräch.

Die fünfte Materia steht unter folgender Überschrift: „Simplicissimi Discurs mit Joanne Indagine / darinnen er unterrichtet wird / wie vermittelst der Astrologia Naturalis er einem jeden Menschen ohne Kopfbrechung die Nativität stellen könne“ (S. 5). Johannes Indagines ist ein bedeutender Astrologe des 16. Jahrhunderts. Ihn bittet Simplicissimus, ihm zu erklären, wie man Nativitäten stellen könne. Indagines erläutert ihm die Unterschiede zwischen der Astrologia naturalis und der künstlichen Astrologie und weiht ihn in die Eigenschaften der Planeten ein. Er erläutert die verschiedenen Konstellationen der Planeten und der Tierkreiszeichen und ihre Einflüsse auf den menschlichen Körper. Außerdem stehen die Planeten für verschiedene Temperamente, die den Charakter eines Menschen ausmachen. Die Astrologie wird hier mit der Humoralpathologie verbunden. Exemplarisch kann dafür folgende Stelle zitiert werden:

„Diese Geburt / so die Sonn im Wassermann ist / wird von Natur das Wasser schewen / auch kein Glück darinn haben: ist geneigt zu Fiebern / begierig vieler Ding / freundlich und holtselig / umb das 5. und 36. Jahr seines Alters nimbt sein Glück zu / alsdann wandert er und nimbt in Reichthumb zu: doch erlangt er keinen grossen Schatz genugsamer Reichthumb / es seye dann in den letzten Jahren seines Alters; fallen jhm auch solche Reichthumb zu / mehr durch Vermitlung guter Gönner / als wegen eigner Bemühung und Geschicklichkeit. Jndessen hat er underschidliche Widerwertigkeiten außzustehen / sonderlich aber hat er mit eignen und frembten Weibern wenig Glück; Er muß sich nur gedulden biß die erste abspacirt / alsdann laufft Wasser auff seine Mühl“ (S. 87).

Auf vielen Seiten wird der Einfluss der Planeten auf Aussehen und Charakter der Menschen, die unter ihnen geboren werden, beschrieben. Sie werden bestimmten Körperteilen und Krankheiten zugeordnet, die sie hervorrufen können. Darüber hinaus werden Pflanzen, Tiere, Tageszeiten und Tätigkeiten, die man in bestimmten Tätigkeiten tun oder lassen soll, bestimmten Planetenkonstellationen zugeordnet. Bisweilen ironisiert Indagines auch seine Aussagen: „wers nicht glauben will / mags lassen bleiben / und weil ich ihn hierzu nicht zwinge / solches gleichwohl selbst erfahren“ (S. 119). Auch über die Sternbilder verliert er einige Worte. Schließlich klärt er Simplicissimus noch über die Einflüsse der Tierkreiszeichen auf das Aderlassen auf.

Im ersten Teil der sechsten Materia wird die vierte Materia fortgesetzt: „Zonagri Discurs von Waarsagern ins gemein / als Propheten / Sibyllen / Vatibus / Auguribus, und anderem dergleichen / darauf etwan die Alte viel gehalten“ (S. 5). Simplicissimus fragt Zonagrius, wie die ernsthaften Wahrsager von den Quacksalbern zu unterscheiden seien. In langen Ausführungen erläutert Zonagrius, dass wahre Propheten folgende Voraussetzungen erfüllen müssten: Sie müssten stets Wahres über die Zukunft sagen, ihre Prophezeiungen dürften nur geistliche Dinge betreffen und drittens müssten die Prophezeiungen durch göttliche Offenbarungen mitgeteilt worden sein. Der Prophet müsse zudem die Prophezeiungen selbst auslegen können, sei dies nicht der Fall, sei er nur ein Seher. Nachdem Zonagrius über viele Seiten verschiedene Formen der Wahrsagerei, ihre Herkunft, ihren Zweck und ihre Gefahren erläutert hat, fragt ihn Simplicissimus nach der Chiromantie und Physiognomie. Das Urteil des Zonagrius ist aber eindeutig: Dies seien nichts anderes als

„gar geringe ja nichtige Mutmassungen unnd Conjecturas, welche nicht werth seyn das weder du noch andere ehrliche Ingenia sich darmit schleppen; Ja das liederliche und verächtliche Gesindel der Zügeiner / die von Chus dem Sohn Cham herkommen / und zwischen Egypten und AEthiopia wohnen/ oder wie Volateranus vermeinet auß Persia seyn sollen / schämet sich allbereit dieser herrlichen Kunst / damit sie doch hiebevor sich neben dem stehlen ernehrten; Wann sie nemblich den Narren die jhnen nachlieffen / gute Warheit darauß sagten“ (S. 79).

Simplicissimus bedankt sich bei Zonagrius für die Einweisungen und Erläuterungen und sie beenden das Gespräch.

Der Rest der sechsten Materia besteht aus einer Reihe von Wundergeschichten mit legendenhaftem oder anekdotischem Inhalt. Dazwischen befinden sich noch weitere medizinische Ratschläge.

Die vierte, fünfte und sechste Materia sind damit, vom Schluss der sechsten abgesehen, Dialoge des Simplicissimus mit zwei Gelehrten. Von beiden wird er in die Kunst des Kalenderschreibens und der Kenntnisse, die man dafür braucht, eingewiesen. Simplicissimus plant nämlich, selbst einen Kalender zu schreiben. Textimmanent könnte man damit sagen, dass Simplicissimus in den fertigen Calender die Recherchen, die er zu Abfassung des Werkes betrieben hat, eingearbeitet hat und so die Vorstudien zu einem Teil des Textes werden. Gerade diese drei Materiae sind mit ihrer detaillierten, extrem ausführlichen und das Gedächtnis überfordernden Informationsflut möglicherweise eine Antwort Grimmelshausens auf den Vorwurf des Mangels an gelehrter Bildung.

Der Ewig-währende Calender ist Grimmelshausens mit Abstand komplexeste Schrift, sowohl was den Aufbau als auch, was den Inhalt betrifft. Vor allem die letzten drei Materiae fordern die Geduld, die Ausdauer und den Scharfsinn des Lesers heraus mit schier endlosen Aufzählungen und komplizierten Berechnungen. Durch ironische Kommentare wird die Glaubwürdigkeit des Beschriebenen oft untergraben, so dass der Leser entscheiden muss, welche Informationen er für wahr hält und welche nicht. So interpretiert stellt der Ewig-währende Calender auch eine Form der Wissenschaftssatire dar.

5.7. Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche (1670)
[arrow up]

Der fiktive Verfasser dieses Romans ist Philarchus Grossus von Trommenheim auf Griffsberg.

Die alte Courasche beginnt ihre Lebensgeschichte mit der Darstellung ihrer Schreibmotivation: Während die Textsorte Autobiographie seit den Confessiones des Augustinus als Lebensbeichte angelegt ist, stellt Courasche ihre eigene moralische Verworfenheit dar. Man könne erwarten, dass sie jetzt, wo der Tod nahe sei, Reue über ihr früheres Leben erfasst hätte, damit sie „Hoffnung schöpfen könnte noch endlich die himmlische Barmhertztigkeit zu erlangen“ (Werke I,2, S. 12). Man könne auch verlangen, dass sie ihr Leben, das mit „mit mehrern Missethaten als Jahren / mit mehrern Hurenstücken als Monaten / mit mehrern Diebsgriffen als Wochen / mit mehrern Tod-Sünden als Tagen / und mit mehrern gemeinen Sünden als Stunden beladen“ sei (S. 13), bereue. Stattdessen verspottet sie die traditionelle Lebensbeichte und lacht über diejenigen, die glauben, sie sei zu Reue und Umkehr fähig. Sie stecke viel zu tief im Laster, als dass sie bereuen könne: „als worzu ich ein Stück zu wenig / hingegen aber etlicher / vornemblich aber zweyer zu viel habe; das / so mir manglet / ist die Reu / und was mir manglen solte / ist der Geitz und der Neid“ (S. 15). Neben dieser sexuellen Anspielung werden zwei der Todsünden genannt, Geiz (avaritia) und Neid (invidia), und auch die anderen fünf Todsünden, Zorn (ira), Trägheit (acedia), Wollust (luxuria), Maßlosigkeit (gula) und Stolz (superbia) werden genannt oder lassen sich erschließen. Nun sei sie zu alt, um sich noch zu ändern, rät aber, dass man die Jungen ermahnen solle, dass „sie es aus ihrer Unbesonnenheit nimmermehr so weit soll[en] kommen lassen / als die arme Courage gethan“ (S. 17). Courasche präsentiert sich im Anfangskapitel also als negatives Exempel.

Die Frage der Leser nach dem Grund vorwegnehmend gibt sie gleich die Antwort darauf: „Das thue ich dem Simplicissimo zu Trutz!“ (ebd.). Er habe sie in Sauerbrunnen beleidigt, geschwängert und dann in seiner Lebensbeschreibung verspottet (vgl. oben). Sie wolle sich dadurch an ihm rächen, indem sie durch ihre eigene Lebensgeschichte darstelle, „mit was vor einem erbarn Zobelgen er zu schaffen gehabt“ (ebd.). Sie stellt sich also selbst als verworfene Sünderin dar, um den frommen Simplicissimus als selbstgerechten Sünder zu entlarven, da sich doch gleich und gleich gern zueinander geselle.

Courasche wächst mit dem Namen Libuschka in Bragoditz in Böhmen bei einer Kostfrau auf. Um das Jahr 1607 wurde sie geboren, ihre Eltern kennt sie nicht, diese schicken ihr aber immer wieder Grüße und kleine Geschenke. Bei der Kostfrau lernt sie die typischen Frauenarbeiten der Zeit, Nähen, Sticken und Stricken. Als sie gerade dreizehn Jahre alt ist und anfängt, über ihre Herkunft zu grübeln, im Winter 1620/21, verjagt der bayerische Kurfürst den WinterkönigFriedrich V. von der Pfalz. Weil Bragoditz sich weigert, sich den Bayern zu ergeben, wird es belagert. Die Kostfrau will verhindern, dass Libuschka bei der Eroberung vergewaltigt wird, weshalb sie sie in Männerkleider steckt. Als Bragoditz eingenommen und geplündert wird, werden die Männer getötet und die Frauen vergewaltigt. Libuschka wird für einen Jungen gehalten, nennt sich selbst Janko und wird als Pferdeknecht den bayerischen Truppen einverleibt. Sie wird Page eines Rittmeisters und lässt sich von ihm im Fechten ausbilden, weil sie Gefallen an der Waffenkunst gefunden hat.

Als Dienerin dieses Rittmeisters wird sie Zeugin der Schlacht am Weißen Berg und wünscht sich, ein Mann zu sein und ebenfalls in die Schlacht reiten zu dürfen. Allmählich verliebt sie sich in den Rittmeister, fürchtet aber, sich ihm zu erkennen zu geben. Weiterhin versucht sie, ihre weiblichen Körpermerkmale zu verbergen. Eines Tages gerät sie jedoch mit einem Jungen in Streit und sie prügeln sich. Der Junge greift ihr ins Geschlecht und aus Furcht, er könne seine Entdeckung anderen mitteilen, traktiert sie ihn so übel, dass sie ihn beinahe umgebracht hätte. Nun kann sie hoffen, dass die Scham, von einem Mädchen verprügelt worden zu sein, seinen Mund verschließen würde. Vom Rittmeister zur Rede gestellt, antwortet sie aber verschämt: Sie habe ihn so verprügelt „darumb / daß er mir nach der Courage gegriffen hat / wohin sonst noch keines Manns-Menschen Hände kommen seyn“ (S. 34). Matthias Feldges hat gezeigt, dass Courage in diesem Fall eine wohl schamhaft verfremdende Variante von KurschePelz, weibliche Schambehaarung ist (vgl. Feldges 1969, 55 f.). Dieser Vorfall bringt ihr nicht nur ihren Rufnamen ein, der damit eine Doppelbedeutung erhält (einerseits frz. Mut, Tapferkeit, Beherztheit, andererseits weibliches Geschlechtsteil), sondern auch die Gunst des Rittmeisters, denn als ihr wahres Geschlecht offenbart ist, zeigt sie ihm ihre Brüste und bittet ihn, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren, nicht ohne retrospektiv zu bemerken, dass sie diese Verzweiflung nur spielte, um seine sexuelle Begierde zu entfachen.

Während sie hofft, dass der Rittmeister ihr Verhältnis durch eine Hochzeit legitimiert, hält er sie jedoch hin. Schließlich wird er in einer Schlacht schwer verwundet und liegt schon bald im Sterben. Courasche gaukelt ihm vor, sie sei von ihm schwanger, weshalb er sie kurz vor seinem Tod heiratet, um nicht noch mehr Sünde auf sich zu laden. Diesen Vorgang kommentiert sie sarkastisch: „So verkehrt nun gehets in der Welt her / andere nehmen Weiber mit ihnen ehelich zu leben / dieser aber ehelichte mich / weil er wuste daß er solte sterben“ (S. 42). Ihre Hoffnung auf ein finanzielles Auskommen durch sein Erbe zerschlägt sich, als sie feststellt, dass der Rittmeister aus verarmtem Adel stammte und kein Vermögen besaß. So erhält sie nur dessen Pferde, Waffen und Kleider.

Sie will nach Bragoditz zu ihrer Kostfrau zurückkehren, doch weil die Verhältnisse noch zu unsicher sind, lässt sie sich zunächst in Wien bei einer Witwe und ihren beiden Töchtern nieder. Von der Witwe lernt sie, sich modisch zu kleiden, sich zu schminken und alles andere, womit sie die Aufmerksamkeit der Männer erregen kann. Sie studiert vor dem Spiegel Posen und Mimik ein und lernt die Kunst des Komplimentierens, um sich den Schein der Tugendhaftigkeit zu geben. Sie spielt die trauernde Witwe, jedoch nur, um „meine Wahr recht theur an Mann [zu] bringen“ (S. 51). Ihre vermeintliche Keuschheit spricht sich in der Stadt herum und schon bald gilt sie „vor eine halbe Heiliginne“ (ebd.), bis sie endlich die Maskerade aufgibt und die Begierden der Männer erfüllt. Bei der Witwe lernt sie außerdem noch, wie man sich kugelfest macht und anderen die Büchsen zubannt. Sie behauptet, dass sie wahrscheinlich auch das Hexen gelernt hätte, wenn sie noch länger geblieben wäre. Doch als die Wege sicher zu sein scheinen, bricht sie nach Bragoditz auf.

Kurz bevor sie ihre Heimatstadt erreicht, wird sie jedoch von einem Trupp Reiter angegriffen und mehrfach vergewaltigt. Ein kaiserlicher Hauptmann rettet sie aus dieser Gefahr. Sie verliebt sich in ihren Retter und heiratet ihn. Da er sparsam ist und ihre Wünsche respektiert, wird die Ehe harmonisch, sie reitet gelegentlich in die Schlacht und macht Beute, dafür erweist sie sich ihm als gute Haushälterin. Das Paar lebt einige Zeit „glückselig und vergnügt“ (S. 63), obwohl er „unvermöglich“, also impotent ist. Dann jedoch schlägt ihr „Fatum“ (ebd.) zu, der Hauptmann wird vor Wiesloch tödlich getroffen und sie ist wieder Witwe.

Courasche trauert um ihren Mann, wird aber schon bald wieder umworben. In der Schlacht bei Wimpfen nimmt sie einen Kornet gefangen und macht reiche Beute. Schließlich gibt sie dem Werben eines italienischen Leutnants nach und heiratet ihn. Nach der Hochzeitsnacht jedoch lässt er sich Knüppel bringen: Er habe gehört, dass sie in ihrer vorherigen Ehe die Hosen angehabt habe. Er wolle nun die Hierarchie ein für allemal festlegen und fordert sie zum Zweikampf heraus. Courasche will lediglich Gleichberechtigung in der Ehe und sich keinem Mann unterordnen. So versucht sie, den Kampf zu vermeiden, doch als der Mann darauf besteht, schlägt sie ihren Mann mit einem Knüppel nieder. Der Leutnant flieht vor dem Spott seiner Kameraden und wird später als Deserteur hingerichtet.

Weil ihr untersagt wird, wieder in die Schlacht zu reiten, und ihr Mann einen Großteil des Geldes mitgenommen hat, muss sie erneut als Prostituierte arbeiten. Trotz des Verbots kämpft sie in der Schlacht bei Höchst und nimmt einen Major gefangen. Der Major hält sie für eine Hexe, weil die Überlegenheit einer Frau über einen Mann ohne die Hilfe des Teufels nicht möglich sei. Auch von anderen Männern im Regiment wird sie zunehmend gemieden und als „Strahl-Hex“ bezeichnet (S. 79). Bald steht sie in dem Ruf, Männern, die ihr zu nahe kommen Unglück zu bringen und die Soldaten sehen sie als Konkurrentin an. Ihre Versuche, einen neuen Ehemann zu bekommen, schlagen deshalb fehl. Als sie gewahr wird, dass sie in diesem Regiment keine Zukunft hat, nimmt sie ihren Abschied und lässt sich in einer Stadt nieder, die sie trotz ihres schlechten Rufs aufnimmt. Für längere Zeit lebt sie ein ruhiges und zurückgezogenes Leben, um ihre Chancen auf einen neuen Ehemann zu verbessern.

Doch weil sich die Patrizier der Stadt nicht mit einer Soldatenhure abgeben wollen und andere nur auf ihr Geld aus sind, verlässt sie die Stadt wieder und kehrt nach Bragoditz zurück. Dort trifft sie ihre Kostfrau wieder, die ihr ihre wahre Identität enthüllt: Ihr Vater sei ein böhmischer Adliger, der sich gegen den Kaiser gestellt habe und vertrieben worden sei. Nun sei er in Diensten des türkischen Kaisers und habe dessen Religion angenommen. Ihre Mutter sei Hofdame der Gräfin und von einfacher Herkunft gewesen. Courasche sei das Produkt einer außerehelichen Beziehung, ihre Mutter habe sie heimlich zur Welt gebracht und sie ihr, der Kostfrau, zur Pflege übergeben. Ihre Eltern hätten sich heimlich um sie gekümmert und sie sei als junge Adlige einem Edelmann zur Ehe versprochen worden, dieser jedoch sei als Meineidiger aufgehängt worden.

Courasche zieht mit ihrer Kostfrau nach Prag, wo sie einen Hauptmann heiratet. Als er wieder einberufen wird, begleitet sie ihn. Weil sie befürchtet, dass er von anderen über ihr vorheriges Leben informiert werden könnte, weiht sie ihn in ihre Vergangenheit ein, wobei sie aber ihre schlimmsten „Hurenstücke“ (S. 102) und die Herkunft ihres Rufnamens verschweigt. Der Hauptmann wird als bedächtig, vernünftig und ansehnlich beschrieben und die beiden führen eine glückliche Ehe. Erneut erweist sie sich als umsichtige Haushälterin. Als er aber in einer Schlacht von einer Kanonenkugel getroffen wird, wird sie wieder zu einer „unglückseeligen Wittib“ (S. 108).

Sie hat jedoch keine Zeit, ihn zu betrauern, denn sie wird ausgerechnet von jenem Major aufgegriffen, den sie in der Schlacht bei Höchst gefangen hatte. Dieser will sich für die Demütigung rächen und verprügelt und vergewaltigt sie; danach übergibt er sie den anderen Offizieren, die sie ebenfalls vergewaltigen. Und als „diese Hengste sich müd gerammelt hatten“ (S. 111), wird sie den Knechten übergeben. Sie muss sich nackt ausziehen und viele Demütigungen über sich ergehen lassen. Sie glaubt, dass sie diese Behandlung für ihre früheren Sünden verdient habe. Die Überlegungen des Majors, einen Hexenprozess gegen sie anzustrengen, werden verworfen, weil sexueller Kontakt mit einer Hexe den Sexualpartner ebenfalls zum Hexer macht und der Prozess so einem „Selbstvernichtungsverfahren“ (Berns 1990, 430) gleichgekommen wäre. Endlich wird sie von einem dänischen Rittmeister gerettet, der sie zu seinem Schloss bringt.

Auf dem Schloss erholt sich Courasche, und weil sie ein Auge auf ihren Retter geworfen hat, beginnt sie, ihn zu umgarnen und endlich stimmt er der Hochzeit zu. Doch seine Familie ist gegen die Heirat, da er ihretwegen seinen Kriegsdienst vernachlässigt und sie von Courasches schlechtem Ruf erfährt. Mittels einer List wird Courasche nach Hamburg gelockt und dort ausgesetzt. Man gibt ihr zu verstehen, dass sie der Sache besser nicht weiter nachgehe. So sieht sich die „Betrügerin betrogen“ (S. 125), sie muss ihre Pläne für ein herrschaftliches Leben aufgeben und wieder ihrer „nächtlichen Handarbeit“ nachgehen (ebd.), um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Bald wird ein junger Reuter ihr neuer Partner und sie verabreden die Hochzeit. Doch der Korporal des Regiments begehrt Courasche ebenfalls und schickt den Reuter unter einem Vorwand weg. Dieser widersetzt sich dem Befehl des Korporals, verletzt ihn und tötet einen anderen Soldaten. Vor dem Militärgericht wird die Schuld des Korporals zwar anerkannt, doch weil er dessen Befehl dennoch hätte befolgen müssen, wird der Reuter hingerichtet. Courasche wird als Stein des Anstoßes aus dem Lager gejagt.

Kaum eine Stunde nach ihrer Vertreibung wird Courasche von zwei Reutern angegriffen, die sie vergewaltigen und ausrauben wollen. Sie wehrt sich und tötet einen von ihnen. Der andere nennt sie eine „Hure / eine Vettel / eine Hex / und gar einen Teuffel“ (S. 133). Ein junger Musketier hilft ihr und nimmt sie mit in sein Regiment, das gerade nach Italien aufbricht. Der junge Musketier ist der spätere Springinsfeld.

Auf dem Weg nach Italien fasst Courasche den Entschluss, eine Marketenderei zu eröffnen, weil die Marketender mehr verdienen als die Offiziere. Als der junge Musketier ihr seine Liebe gesteht, nutzt sie dessen Leidenschaft für sich aus: Sie setzt einen Vertrag auf, den der verliebte Musketier ohne Zögern unterschreibt. Dieser Vertrag legt fest, dass er zwar scheinbar die Geschäftsleitung innehat, faktisch aber ihr in Geschäftsdingen und im Privatleben untergeordnet ist und ihre Befehle zu befolgen hat. Zudem hat sie das Recht, ihn nach dem ersten Befehl, den sie ihm erteilt, zu benennen.

Der Musketier übertrifft mit seinem Eifer und Gehorsam ihre Erwartungen. Als sie ihm den ersten Befehl erteilt, die Pferde im Gras einzufangen – „Spring-ins-felt / und fange unsern Schrecken“ (S. 150) – hat sie Springinsfeld den Namen gegeben, auf den er für den Rest seines Lebens hört. Doch bald beginnt Springinsfeld, sich gegen Courasche aufzulehnen: Er prahlt damit, dass kein Weibsbild ihn betrügen könne und sie wettet daraufhin mit ihm, dass sie ihn noch vor dem Frühstück neunmal betrügen könne. Seinem Wetteinsatz nach soll er lebenslang ihr Sklave sein, wenn ihr das gelinge. Sie gewinnt die Wette und hat damit Springinsfelds Aufsässigkeit fürs Erste unterbunden.

Die Marketenderei blüht, zumal sie nach eigener Angabe mehrere Sorten Fleisch anbietet, nämlich „rohe / gesotten / gebraten oder lebendig“ (S. 155). In ihrer doppelten Tätigkeit als Marketenderin und Prostituierte erwirbt sie mit der Zeit großen Reichtum. Außerdem reitet sie bei jeder Gelegenheit in die Schlacht, um Beute zu machen. Ihre Erfolge steigern aber auch ihre Gier und so erwirbt sie eines Tages einen Flaschenteufel, einen Spiritus familiaris, der ihr finanziellen Reichtum verspricht, solange sie ihn besitzt, aber ewige Verdammnis einbringt, wenn sie stirbt, solange sie ihn besitzt. Zudem müsse sie ihn billiger verkaufen, als sie ihn gekauft habe. Courasche ist unruhig, als sie von der Bewandtnis des Flaschengeists erfährt, tröstet sich aber mit ihrer Jugend.

Tatsächlich floriert nun ihr Geschäft besser als je zuvor und mit Springinsfelds Hilfe, den sie zu einem geschickten Dieb abgerichtet hat, gelingen ihr auch Diebstähle, Einbrüche und Betrügereien, von denen sie voller Stolz berichtet. Bald jedoch beginnt Springinsfeld erneut aufsässig zu werden, er wird faul und verbringt seine Zeit mit Fressen, Saufen und Spielen. Weil seine Kameraden ihn als Pantoffelhelden verspotten, schlägt er ihr eines Nachts betrunken mit aller Kraft ins Gesicht. Es gelingt zwar eine notdürftige Versöhnung, doch Courasche ist bewusst, dass ihr Geselle unsicher geworden ist, und sie hat Angst um ihr Geschäft, weil er pro forma der Besitzer der Marketenderei ist. Deshalb sucht sie nach einer Gelegenheit, ihn loszuwerden, ohne dabei ihr Geschäft zu verlieren. Diese Gelegenheit bietet sich, als er sie eines Nachts im Schlaf packt und versucht, sie ins Feuer zu werfen. Sie wird jedoch rechtzeitig wach und ruft um Hilfe, so dass das Lager zusammenkommt, bevor Springinsfeld seine Absicht ausführen kann. Er behauptet zwar, er habe geträumt, doch weil er diesmal den Profos gegen sich hat, muss er Courasche die Marketenderei offiziell überschreiben und erhält fast nichts aus dem erwirtschafteten Gewinn. Zudem muss er Courasche den Spiritus familiaris abkaufen, den er, nach einigen Versuchen, ihn loszuwerden, ins Feuer wirft.

Aus Furcht vor Springinsfelds Rache gibt Courasche die Marketenderei auf und lässt sich in Passau nieder. In dieser von Mönchen und Nonnen bevölkerten Stadt fühlt sie sich nicht wohl und zudem stirbt mit der Kostfrau ihre einzige Vertrauensperson. Weil sie aufgrund der Kriegsereignisse um ihren Besitz in Prag fürchtet, reist sie dorthin, um ihn zu retten. Dort merkt sie, dass ihre Schönheit allmählich verblüht, dennoch gelingt es ihr, einen Hauptmann zu heiraten, der jedoch schon kurz nach der Hochzeit fällt. Zudem kann sie keine Beute machen und verfällt aufgrund ihrer Misserfolge in „Melancholia“ (S. 220). Sie zieht in die schwäbische Heimatstadt ihres vierten Mannes und kann eine Weile von dessen Erbe leben. Doch auch hier ist ihr das Glück nicht hold: Erstens ist die Verwandtschaft des vierten Mannes keineswegs erfreut über ihre Ankunft und zudem erreicht der Krieg auch bald diese Stadt: Sie muss Soldaten bei sich einquartieren und schon nach kurzer Zeit ist in ihrem Haus „Tag und Nacht nichts als Fressen und Sauffen / Huren und Buben“ (S. 224). Die Stadtverwaltung duldet ihr Treiben, weil die Soldaten auf diese Weise die Frauen und Töchter der Stadt in Ruhe lassen. Dieses ungezügelte Leben bleibt nicht ohne Folgen: Sie fängt sich die Franzosen (Syphilis) ein und muss sich einer Kur in Sauerbrunnen unterziehen.

In Sauerbrunnen begegnet sie Simplicissimus, schildert die Begegnung jedoch völlig anders als dieser: Während dieser nur an einem erotischen Abenteuer interessiert gewesen sei, wollte sie ihn zum Ehemann gewinnen und habe sich sich entsprechend verhalten. Als er sie verlässt und sie zudem noch der Lächerlichkeit preisgibt, werden ihre Rachegelüste geweckt: Als ihre Magd ein Kind bekommen habe, habe sie es ihm als ihren von ihm gezeugten Sohn untergeschoben. Sie hätte sich sehr darüber amüsiert, als er Strafe zahlen und viel Ärger mit seiner Frau erdulden musste. Sie sei bei der Begegnung bereits vierzig Jahre alt gewesen und ihre Unfruchtbarkeit sei mehr als genügend erwiesen.

Courasche erzählt nun einige weitere Erlebnisse, wobei aber, da der Zweck ihrer Lebensbeschreibung nun erfüllt ist, der komische Aspekt im Vordergrund steht. Sie beschreibt, wie sie beim Geschlechtsverkehr mit einem verheirateten Mann erwischt und aus der Stadt gejagt wurde, nicht ohne dass vorher ihre Habseligkeiten konfisziert wurden. Sie erzählt von ihrem sechsten Ehemann, einem Musketier, der sie heiratet, obwohl sie ihre besten Jahre hinter sich hat. Nach einer Burleske mit diesem Mann als Hauptfigur verliert dieser in einer Schlacht sein Leben. Schließlich gerät sie an eine Horde Zigeuner, von denen sie aufgenommen wird. Sie heiratet den Hauptmann und zieht nun als Zigeunerfürstin mit diesen durch die Lande, wobei sie mehr „Schelmenstück und Diebsgriff ersonnen“ hat (S. 262), als auf ein Ries Papier (= ca. 500 Blatt) passen würde. Mit einer erneuten Spitze gegen Simplicissimus endet ihre Erzählung.

In der „Zugab des Autors“ meldet sich der Schreiber Philarchus Grossus von Trommenheim zu Wort: Er warnt die Männer vor Frauen wie Courasche und vergleicht sie mit mythologischen Frauenfiguren wie der Chimäre, Medusa, den Sirenen und den Danaiden. Von solchen Frauen sei nichts anderes zu erwarten als „allerhand Unreinigkeit / Schand / Spott / Armuth und Elend / und was das meiste ist / ein böß Gewissen“ (S. 263). Wie schlimm eine solche Frau sei, merke man aber erst, wenn es zu spät sei.

5.8. Der seltzame Springinsfeld (1670)
[arrow up]

Der fiktive Autor auch dieses Romans ist Philarchus Grossus von Trommenheim.

Der Schreiber Philarchus Grossus von Trommenheim hat sich bei einem vornehmen Herrn vergeblich um eine Stelle als Sekretär beworben und bereut, dass er studiert hat, statt Bauer zu werden. Da er stundenlang in eisiger Kälte auf Antwort des Herrn gewartet hat, geht er nun in ein Wirtshaus, um sich aufzuwärmen. Im Wirtshaus sitzt ein stattlicher Mann in altmodischer Kleidung, langem Bart und langen Haaren, der einen Pilgerstab trägt und einen gesegneten Appetit hat. Er sieht aus, als sei er erst vor kurzem von einer Reise zurückgekehrt. Er spricht den Mann an und dieser bestätigt seine Vermutung: Er sei erst vor kurzem aus Indien heimgekehrt. Als die beiden ins Gespräch kommen, tritt ein zerlumpter, ausgehungerter Bettler mit einem Stelzbein ein. Sein Aussehen lässt darauf schließen, dass er mehrere schwere Krankheiten hinter sich hat. Er zieht eine Diskantgeige aus seinem Sack und versteht es, sie so zu spielen, dass es scheint, als seien mehrere Instrumente beteiligt. Der stattliche Mann spricht den Bettler als Springinsfeld an. Der Bettler antwortet, dies sei er gewesen, nun aber sei er „der Stelzvorshaus / nach dem gemeinen Sprichwort / junge Soldaten alte Bettler“ (fol. A 11 r). Auf Philarchus' Frage, wie er ihn erkannt habe, antwortet der stattliche Mann, er sei vor dreißig Jahren in Soest dessen Kamerad gewesen. Nun gibt er sich als Simplicissimus zu erkennen.

Philarchus freut sich, bei diesem Wiedersehen dabei sein zu dürfen. Er habe die Lebensbeschreibung des Simplicissimus gelesen und erzählt, dass er erst vor kurzem die Lebensbeschreibung der Courasche aufgeschrieben habe. Springinsfeld reagiert auf diesen Namen höchst aggressiv: „ach die Blut Hex! schlag sie der Donner; lebt das Teuffelsvihe noch? es ist kein leichtfertigere Bestia seit Erschaffung der Welt von der lieben Sonnen niemahl beschienen worden!“ (fol. B 8 r). Simplicissimus beschwichtigt Springinsfeld und fordert Philarchus auf, zu erzählen, wie er an Courasche geraten sei. Dieser berichtet, wie er auf dem Weg in seine Heimat, die Schweiz, im Schwarzwald von einem Trupp Zigeuner angegriffen wurde. Als er umzingelt war, habe sich ihm eine prächtig gekleidete Zigeunerin auf einem Maulesel genähert, die etwa sechzig Jahre alt gewesen sei. Offenbar sei diese in ihrer Jugend nicht hässlich gewesen. Bei dieser Zigeunerin handelte es sich um Courasche. Sie hätte ihm einen Taler pro Tag angeboten, wenn er das aufschreibe, was sie ihm diktiere. Nach einigem Zögern hätte er sich auf dieses Angebot eingelassen. In einer Arbeitspause hätte sie ihm von ihrer Begegnung mit Simplicissimus in Sauerbrunnen und den Demütigungen erzählt, die er ihr zugefügt hätte. Sie hätte ihm das Kind ihrer Magd als seinen Sohn untergeschoben und sich sehr über seine Strafe gefreut. Zudem sei es ihr eine Genugtuung gewesen, dass „dieser Banckert des betrognen Betriegers einiger Erb seyn werde“ (fol. B 12 v).

An dieser Stelle unterbricht Simplicissimus die Erzählung: Ihm sei zwar Schadenfreude fremd, doch er wolle erwähnen, dass er tatsächlich bei dieser Magd gelegen habe und daher nun sicher sein könne, dass der junge Simplicius tatsächlich sein Sohn und dass dessen Mutter eine einfache Kammermagd und keine „lose [...] Zigeunerin“ sei (ebd.).

Philarchus setzt seine Erzählung fort: Courasche habe ihre Lebenserzählung „dem Simplicissimo zu Trutz“ aufschreiben lassen, „damit iederman seine begangene Thorheit belache“ (ebd.). Mehrere Tage hätte er bei den Zigeunern verbracht, bis seine Arbeit beendet gewesen sei. In dieser Zeit sei er Zeuge geworden, welch ein „unordentliche[s] Gesindel“ die Zigeuner seien (fol. C 2 v) und welch einen „leichtfertigen Lebenswandel“ die „Gottlose Courage“ führe (ebd.). Schließlich erzählt er noch, wie sie ihn um seinen Lohn betrogen habe.

Als Simplicissimus fragt, was Springinsfeld mit ihr zu tun habe, erzählt Philarchus über das Verhältnis zwischen den beiden. Springinsfeld gerät erneut in Wut und greift Philarchus an. Simplicissimus kann mit Hilfe des Wirts den Streit schlichten. Nachdem SimplicissimusSpringinsfeld einige Gauklertricks mit seiner Gaukeltasche gezeigt hat, die zum Betteln besser geeignet seien als die Geige, gibt Simplicissimus ihm den Rat, sich zur Ruhe zu setzen und den Rest seines Lebens in Andacht zu verbringen, sein Leben zu überdenken und sich zu bekehren. Schließlich sei er schon siebzig Jahre alt. Springinsfeld zeigt sich jedoch an Umkehr und Buße zu seinem Seelenheil nicht interessiert, er ist ebenso nach dem Diesseits ausgerichtet wie Courasche.

Inzwischen ist die Zeit zum Abendessen herangekommen und Simplicissimus lädt die beiden ein, auf seinem Hof zu essen und zu übernachten. Philarchus stellt die Harmonie der simplicianischen Familie fest, die in scharfem Kontrast zu Springinsfeld zu stehen scheint. In der Nacht fordert SimplicissimusSpringinsfeld auf, seine Lebensgeschichte zu erzählen, was dieser auch tut.

Seine Mutter war von edler Abstammung und war mit einem Seiltänzer, seinem Vater, von zu Hause davongelaufen, weil sie sich in diesen verliebt hatte. Der Vater stürzte kurz nach der Geburt des Kindes und brach sich das Genick. Die Mutter wagte es nicht, nach Hause zurückzukehren und heiratete einen anderen Seiltänzer aus der Truppe. Der junge Springinsfeld – seinen Taufnamen gibt er nicht preis – lernte früh selbst das Seiltanzen und andere Gauklerstücke sowie verschiedene Instrumente zu spielen. Bald wird er mit seinem Halbbruder auf einem Schiff entführt. Während der Halbbruder auf der Reise krank wird und stirbt, beschließt Springinsfeld, das Beste aus seiner Situation zu machen und wird Page eines Rittmeisters.

In der Folge berichtet Springinsfeld von den verschiedenen Heereszügen, an denen er im Dreißigjährigen Krieg und im Krieg der Spanischen Niederlande teilgenommen hat. Er erzählt auch von den Betrügereien, die er in dieser Zeit begangen hat. Er spricht von seiner Zeit bei Courasche, denn da diese ihre Lebensbeschreibung in Kürze veröffentlichen werde, könne er sie nicht länger geheimhalten. Von seiner früheren Geliebten zeichnet er ein sehr negatives Bild:

„Dis ist gewis mein Simplice, daß ihre damalige Schönheit von solchen Kräften war / daß sie noch wol andere Kerl als ich gewesen / an sich zu ziehen vermochte / ja sie hatte auch meritirt von den allervornehmsten und ehrlichsten Cavaliern bedient zu werden / wann sie nicht so Gottlos und verrucht gewesen wäre; aber sie war in den Begierden nach Gelt so ersoffen: in allerley Schelmstücken und Diebsgriffen / solches zu erobern / so abgeführt und fertig: und in Vergnügungen ihrer brünstigen Geilheit so gar insationabilis, daß ich gäntzlich darvor halte / es hätte niemand keine Sünde daran gethan / wann er ihr zu Ersparung des Holtzes einen halben Mühlstein an Hals gehenckt: und sie ohne Urtheil und Recht in ein Wasser geworffen hätte; diese Unholde als sie meiner müd worden / brachte beydes durch Schmiralia und ohn Zweifel auch durch ihre tapfere Faust / darauf sie saß / zuwegen / daß ich sie wider meines Hertzen Willen quittirn muste; sie gab mir zwar ein Stuck Geld / Pferd / Kleider und Gewehr mit / hingegen aber auch den Teufel im Glas / wessentwegen ich grosse Angst ausstunde / bis ich seiner wieder ohne Schaden los wurde“ (fol. F 9 r - F 9 v).

Nach der Trennung von Courasche wurde er von den Schweden gefangengenommen und war als Musketier unter anderem bei der Eroberung der Städte Würzburg, Wertheim, Aschaffenburg, Mainz, Worms und Mannheim dabei. Dann stieg er zum Pikenier ab und versuchte, sich wieder zum Musketier hochzudienen. Nach und nach kehrt sein Glück zurück, er macht reiche Beute und träumt von einer Offizierslaufbahn. In der Schlacht bei Lützen, wo Graf Pappenheim und Gustav II. Adolf von Schweden fallen, verliert er sein Hab und Gut. Seit diesem Moment hat ihn das Glück verlassen, er verliert auch sein Pferd und seine Hoffnung, Offizier zu werden. Er wird krank und verflucht sein Dasein als Soldat, in dem er für andere kämpfen muss, ohne selbst etwas dabei gewinnen zu können. Er wird überfallen und ausgeraubt und muss sich als Bettler durchschlagen, wobei er von den Bauern mehr Schmähreden als Almosen empfängt.

Er kehrt in die Armee zurück und nimmt an der Schlacht bei Nördlingen teil, in der er einen verwundeten schwedischen Offizier, der ihn um Hilfe bittet, erschießt und ausraubt. Doch auch weiterhin bleibt das Glück wankelmütig, er verliert in weiteren Schlachten mehrfach sein Pferd und der Ersatz zehrt das erbeutete Geld auf. In Westfalen ist er bei der Einnahme der Städte Dortmund und Soest dabei, in dieser Zeit ist er auch der Kamerad des Simplicissimus. Etwa ein dreiviertel Jahr nach Simplicius' Gefangennahme wird Soest von Lippstadt aus erobert. Springinsfeld verliert auf einen Schlag seine gesamte Habe und muss wieder als Musketier dienen. Später wird er von seinem alten bayerischen Regiment gefangen, in dem er Dragoner wird.

In dieser Zeit wird er als Bauer verkleidet mit einer wichtigen Botschaft nach Villingen geschickt. Auf dem Weg dorthin wird er in einem verlassenen Dorf von einem Wolf angegriffen. Weil er unbewaffnet ist, flüchtet er auf das Dach eines verlassenen Hauses. Bald wird er von vielen Wölfen belagert und verbringt eine angstvolle Nacht, in der er zu ahnen beginnt, welche Qualen die Seelen der Verdammten in der Hölle erleiden. Am Abend des nächsten Tages wird er von einigen Reitern gerettet, welche einige Wölfe erschießen und die anderen verjagen. Als er danach mithilft, ein Dorf, in dem sich der Feind verschanzt hat, zu erobern, wird er zur Belohnung zum Korporal befördert, hat also nun den Posten eines Unteroffiziers. Es scheint mit seinem Glück also wieder aufwärts zu gehen. Doch im Winter erkrankt er schwer und verliert wegen dieser Krankheit sein Haupthaar. Nach seiner Genesung nimmt er an weiteren Feldzügen und Schlachten teil, wird mehrfach verwundet, macht Beute und verliert diese wieder.

Als im März 1647 der Waffenstillstand zwischen Bayern und dem Kurfürsten von Köln einerseits und den Franzosen, Schweden und Hessen andererseits geschlossen wird, hat Springinsfeld Zeit, sich um Liebesangelegenheiten zu kümmern. Nach einem weiteren Kriegszug wird er nach dem Westfälischen Frieden aus dem Militärdienst entlassen. Mittlerweile etwa fünfzig Jahre alt, lernt er eine nur wenig jüngere verwitwete Leutnantin kennen und heiratet sie. In der Pfalz besitzt sie ein Wirtshaus, das sie gemeinsam bewirtschaften. Die Frau ist eine kluge Geschäftsfrau, doch mehr geizig als sparsam, eine Eigenschaft, die auch Springinsfeld übernimmt. Weil das Geschäft floriert und sie einen gewissen Reichtum erwirtschaften, ruft diese Tatsache sowie der Geiz Neider auf den Plan, die beschließen, dem Ehepaar eins auszuwischen: Sie manipulieren eine Weinlieferung so, dass der Anschein erweckt wird, Springinsfeld habe den Wein mit Brunnenwasser gepanscht. Springinsfeld wird zu einer Strafe verurteilt und die Frau wird aus Scham krank und stirbt. Springinsfeld versucht, die Wirtschaft alleine weiterzuführen, doch weil wegen dieses Vorfalls kaum noch Gäste kommen, gibt er auf und schließt sich dem Regiment des Grafen von Serin an, der gegen die Türken zu Felde zieht.

Dieser Krieg verläuft für Springinsfeld nicht glücklich: Er wird verwundet und ausgeplündert, und als er genesen ist, ist der Krieg zu Ende und er muss völlig mittellos nach Hause zurückkehren und betteln. Bald lernt er einen blinden Bettler kennen, dessen schöne Tochter vorzüglich die Leier spielt. Er verliebt sich in sie und heiratet sie trotz seines fortgeschrittenen Alters.

Die Ehe gestaltet sich als schwierig, Springinsfeld leidet unter der Habgierigkeit und Eifersucht seiner Frau, doch er lässt sich alles aus Furcht vor der Einsamkeit gefallen. Eines Tages findet die Leyrerin ein Vogelnest, das den, der es trägt, unsichtbar macht. Sie nutzt diese Entdeckung, sich von Springinsfeld unter obszönen Beschimpfungen zu trennen, weil sie von großen Reichtümern träumt, während er einen Hexenzauber dahinter vermutet.

In München lockt Springinsfeld durch seine Diskantgeige die Menschen zu venezianischen Werbern, die Soldaten für den Krieg anwerben wollen. Eines Tages spürt er eine Bewegung in seiner Hosentasche und findet Geld darin. Er hört die Stimme der unsichtbaren Leyrerin neben sich, die ihm das Geld schenkt, damit er sich nicht gräme, mit ihr zusammen gewesen zu sein. Er verzecht das Geld und hört am nächsten Tag, dass einem Kaufmann über tausend Dukaten gestohlen wurden. Springinsfeld ahnt, dass die Leyrerin die Diebin ist und gibt keinen der geschenkten Dukaten mehr aus, damit der Verdacht nicht auf ihn fällt. Er erzählt von weiteren Stücken der Leyrerin, die „meine andere und vil ärgere Courage als die erste Unholde [= Hexe]“ gewesen sei (fol. K 5 v). Er konstatiert, dass das Vogelnest die Frau durch die „Kützel ihres geylen Fleisches“ (fol. L 3 v) sie zur Ehebrecherin, Mörderin und ihn zum Hahnrei gemacht habe. Sie findet ihr Ende, als sie einen Bäckerknecht als vermeintliche Melusine verführt, dieser aber aufgrund seines schlechten Gewissens den Pfarrer und dieser die Obrigkeit informiert. Man stellt ihr eine Falle und nachdem sie den Knecht und einen Soldaten getötet hat, wird sie selbst tödlich getroffen, ihr Leichnam wird als der einer Zauberin verbrannt. Springinsfeld erzählt auch, dass bei der Tötung der Leyrerin ein Hellebardier spurlos verschwunden sei.

Währenddessen hatte sich Springinsfeld noch einmal für das Militär anwerben lassen und kämpfte in Candia (= Kreta) gegen die Türken. In diesem Krieg verliert er sein rechtes Bein, das von einer Mine zermalmt wird und amputiert werden muss. Er wird nach Venedig geschafft, wo ihm ein Stelzbein aus Knochen angefertigt wird. Auf diesem Stelzbein kehrt er als Bettler nach Deutschland zurück, wo er vom Tod der Leyrerin erfährt. Seither zieht er bettelnd durch die Lande und ist mit diesem Leben glücklich.

Als Springinsfeld seine Erzählung beendet hat, schlägt Simplicissimus vor, dass er den Rest seines Lebens bei ihm verbringe, damit er das ewige Leben rette. Für Springinsfeld sind das aber nur „Münchs-Possen“ (fol. L 5 r). Inzwischen ist die Nacht zu Ende gegangen und der neue Tag beginnt. Simplicissimus kann Springinsfeld überreden, bei ihm zu bleiben und beauftragt Philarchus, Springinsfelds Lebensgeschichte aufzuschreiben, auch um den Nachweis zu erbringen, dass der junge Simplicius tatsächlich sein Sohn ist. Nach Auskunft des Philarchus lebt Springinsfeld bis zum März des Folgejahres auf Simplicissimus' Hof, wo er schließlich nach einem wenigstens in den letzten Lebensmonaten christlichen Leben stirbt (dies erweist sich als Fehlinformation, weil Springinsfeld in Rathstübel Plutonis wieder auftritt und keineswegs geläutert ist).

5.9. Der erste Beernhäuter (1670)
[arrow up]

Der fiktive Verfassername ist ausnahmsweise kein Anagramm, sondern eine ironische Replik auf Kritiker, die Grimmelshausen mangelnde gelehrte Bildung vorwerfen. Zugleich nimmt er Bezug auf die erste Vorrede des Satyrischen Pilgram: Illiteratus Ignorantius, zugenannt Idiota.

Der kurze Text soll den Ursprung des Schimpfnamens Beernhäuter erklären. Die Erklärung soll beispielhaft („zum Exempel“) erfolgen. Die meisten, die den Schimpfnamen etymologisch erklären wollten, gäben an, er komme von den alten Deutschen, die auf Tierhäuten geschlafen hätten. Besonders Faule, die nichts Tapferes vollbringen wollten, hätten auf Bärenhäuten gelegen und seien zum Spott als Beernhäuter bezeichnet worden. Der Autor habe auf Schloss Hohenroth ein uraltes Gemälde gefunden, in dem folgende Herkunft des Namens berichtet werde:

Im Jahre 1396, als Sigismund König von Ungarn war, verlor dieser eine Schlacht gegen den türkischen Kaiser. Ein deutscher Landsknecht verirrt sich nach der Schlacht in einem Wald und weil er nicht weiß, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten soll, verfällt er in Schwermut. Da begegnet ihm ein „abscheuliches Gespenst“ (S. 4), wobei unklar bleibt, ob es sich um den Teufel handelt. Die Erscheinung fragt den Landsknecht, ob er reich und ein Herr werden wolle. Dieser antwortet, dass er dies gerne wolle, solange er sein Seelenheil nicht aufs Spiel setzen müsse. Der Geist sagt, dass er zuerst den Mut des Landsknechts prüfen müsse. Da erscheint ein riesiger Bär, den der Landsknecht tötet. Die Erscheinung erläutert danach die Vertragsbedingungen: Der Landsknecht muss sieben Jahre lang jede Nacht Wache stehen, er darf sich sieben Jahre lang weder kämmen noch waschen noch Nägel schneiden, er darf nicht schnäuzen, er muss das abgezogene Fell des Bären statt eines Mantels tragen und darf niemals das Vaterunser beten. Dafür bekommt er alle Verpflegung, die er braucht. Weil der Landsknecht sich ohnehin nur ungern gewaschen hat und auch nicht gerne betet, schlägt er ein.

Der Geist nennt den Landsknecht von nun an Beernhäuter und führt ihn in das Schloss Hohenroth, wo er seine Dienste zu versehen hat. Mit der Zeit wird aus dem Beernhäuter, weil er sich an die Vertragsbedingungen hält, „ein solcher abscheulicher Unflaht / daß er dem Geist selbst ähnlicher sahe als einem vernünfftigen Menschen / der nach GOttes herrlichem Ebenbild erschaffen worden“ (S. 6).

Als die sieben Jahre fast vorbei sind, erscheint der Geist wieder und stopft ihm Geld in die Hosensäcke. Der Beernhäuter dürfe mit dem Geld machen, was er wolle, er müsse es nur verjubeln und verprassen. Solange aber die sieben Jahre nicht vollends vorbei seien, dürfe er an seinem Aussehen nichts ändern.

Der Beernhäuter gehorcht, doch wegen seines abstoßenden Äußeren wird er überall abgewiesen. Doch sobald er sein Geld vorzeigt, wird er von den Wirten freundlich bedient. Diese geben ihm ein gesondertes Zimmer, damit er die anderen Gäste nicht vergrault. In der Nacht malt der Geist heimlich Porträts berühmter Personen an die Wände des Zimmers, in dem der Beernhäuter schläft. Es sind Bildnisse unter anderem von Kain, Nimrod, Ninos, Zoroaster, Helena, Nebukadnezar, Alexander dem Großen, Julius Caesar oder Mohammed.

Zur gleichen Zeit steigt ein Adliger in dem Wirtshaus ab. Der Wirt erzählt ihm von dem seltsamen Gast, der fürchterlich aussehe, aber hervorragende Bilder malen könne. Der Adlige ist von den Bildern so beeindruckt, dass er dem Beernhäuter folgendes Angebot macht: Er habe drei Töchter, die so ähnlich seien, dass sie oft nicht einmal ihre Mutter auseinanderhalten könne. Wenn es ihm gelänge, sie nach ihrem Alter zu ordnen, dürfe er sich eine von ihnen zur Frau nehmen. Wenn er es nicht schaffe, solle er sein Leibeigener werden.

Mit Hilfe des Geistes gelingt es dem Beernhäuter, die Aufgabe zu erfüllen. Zur künftigen Frau sucht er die jüngste Tochter aus. Danach täuscht er dringende Geschäfte vor, die er vor der Hochzeit erledigen müsse. Er zerbricht einen Ring, dessen eine Hälfte er seiner Braut gibt. Diese ist über den „abscheulichen Bernheuter“ (S. 12), der ihr Mann werden soll, so unglücklich, dass sie lieber ihr Leben lang alleine bleiben wolle als ihn zu heiraten. Ihre Eltern bestehen jedoch auf der Hochzeit und der Spott der älteren Schwestern verstärkt ihre Traurigkeit.

Unterdessen sind die sieben Jahre vollendet. Der Geist führt den Beernhäuter zum Rhein, wo er sich wäscht, die Haare schneidet und rasiert. Dann staffiert er sich nach der neuesten Mode aus, so dass er aussieht wie ein Kavalier. Der Geist besorgt ihm eine Kutsche und einen Diener in Livree, dazu Kisten voller Geld und kostbaren Kleidern. Bei seinem künftigen Schwiegervater, der ihn wie seine Frau und die Töchter ob des veränderten Aussehens nicht erkennt, stellt er sich als Bewerber um eine seiner Töchter vor. Die beiden älteren schmücken sich mit höchstem Aufwand, weil sie hoffen, dass der stattliche junge Mann eine von ihren wählen würde. Nur die jüngste sitzt abseits und ist den hämischen Blicken ihrer Schwestern ausgesetzt.

Als der Beernhäuter entscheiden soll, welche der Schwestern er erwählt, holt er seine Hälfte des zerbrochenen Rings hervor und gibt sich als der Bräutigam der jüngsten Tochter zu erkennen. Die Eltern und sie sind hocherfreut, doch die älteren Schwestern, die sich ihrer Hoffnungen so jäh beraubt sehen, begehen Selbstmord. Der Geist erscheint dem Beernhäuter und verkündet, nun seien sie beide zufrieden: Der Beernhäuter habe eine und er selbst zwei von den Töchtern des Adligen bekommen. Der Text endet mit der Aufforderung an den Leser, selbst über diese Erklärung zu urteilen.

Es sei angemerkt, dass die Brüder Grimm diese Geschichte als Nr. 101 in ihre Kinder- und Hausmärchen aufnahmen.

5.10. Simplicissimi wunderliche Gauckel-Tasche (1670)
[arrow up]

Da diese kurze Schrift zusammen mit dem Beernhäuter publiziert wurde, verweist die Verfasserangabe auf dem Titelblatt auf diesen: „Durch obigen Autorem“.

Dieser Text, als dessen fiktiver Autor Simplicissimus angegeben wird, wird auf der Titelseite als „Allen Gaucklern / Marckschreyern / Spielleuten“ und allen anderen, die als Unterhaltungskünstler auf den Märkten auftreten, als „nöthig und nützlich“ bezeichnet. In der Vorrede „Der Autor an den Käuffer / und sonst Jedermann“ (Werke II, S. 16) wird auf die Lebensbeschreibung des Simplicissimus verwiesen, der sich oft aus Not als Arzt ausgegeben hätte (IV. Buch des Simplicissimus, Kap. 8). Da er nicht über einen Affen, einen Hanswurst oder Schalk verfügt hätte, hätte er eine Gaukeltasche benutzt. Nun hätten ihn Freunde gebeten, die Gaukeltasche als Buch herauszugeben, damit sie sich ohne ihn damit vergnügen könnten.

Nach einem Aufruf „An die Umstehenden“, einem achtzeiligen Gedicht (S. 17) folgt eine Gebrauchsanweisung für dieses Buch: Bei der Gaukeltasche handelt es sich um ein Requisit eines Gauklers in Form eines Buches zur Verblüffung des Publikums. Mit einem bestimmten Griff zeigt das Buch dem Publikum nur weiße Seiten. Der Gaukler soll jemanden bitten, in das Buch zu blasen. Abhängig davon, welcher Charakter blase, könne der Gaukler eine bestimmte Seite aufschlagen: Es gebe Seiten für Menschen, die sich für gelehrt oder weise halten, Seiten für Reiche, Gewalttätige, Soldaten, Säufer, Frauenhelden usw. Wichtig sei es deshalb für den Gaukler, den Charakter der Leute anhand des Gesichts, der Kleidung, des Alters etc. richtig einschätzen zu können. Eine solche Gebrauchsanweisung gibt Simplicissimus in ausführlicherer Form bereits in den Kapiteln VII und VIII des Springinsfeld, wo er diesen im Gebrauch der Gaukeltasche unterweist.

Es folgen insgesamt zwölf mit Illustrationen versehene kurze Gedichte, in denen bestimmte Charaktere in witzig-satirischer Form kritisiert werden, darunter Geizhälse, Juden, Possenreißer, Soldaten, Trinker und Spieler. Der kurze Text endet mit einer in Alexandrinern verfassten „Poetische[n] Erinnerung“ (S. 32): Der Gaukler Simplicissimus habe mit diesem Buch viel Geld verdient, besonders, wenn er einen „Simplen Kerl erdappet“ (ebd.) habe. Der Leser solle es nur auch einmal versuchen. Solange er mit seinen Lüsten in bestimmten Schranken bleibe, werde einem viel Gutes getan.

5.11. Zweyköpffiger Ratio Status (1670)
[arrow up]

Neben den beiden Legendenromanen Dietwalt und Amelinde und Proximus und Lympida ist dieser Traktat die einzige Schrift, die Grimmelshausen nicht unter einem Pseudonym publizierte, die Verfasserangabe lautet: „Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen / Gelnhusano“.

Der Text trägt den Titel Zweyköpffiger Ratio Status, stellt also den Bezug zu den simplicianischen Schriften her. Die Titelseite kündigt eine „lustig entworfen[e]“ Zusammenstellung von Geschichten des „waidlichen“ Königs Saul, des „sanfftmütigen“ Königs David, des „getreuen“Jonathan sowie des „tapffern“ Generals Joab an. Es folgt eine Erklärung des Titelkupfers, auf dem unter anderem ein zweiköpfiger Herrscher abgebildet ist, der allegorisch für zwei verschiedene Herrschaftsformen steht: Der rechte Kopf und die rechte Körperhälfte stellen mit türkischer Kleidung, Turban und Skimitar einen heidnischen Herrscher dar, linker Kopf und Körperhälfte den idealen christlichen Herrscher mit lorbeerumkränztem Schwert und Lorbeerkranz auf dem Kopf (vgl. Breuer 1999, 225). In der Erklärung heißt es nun, dass jedes Volk und jeder Herrscher zwischen dem linken und dem rechten Kopf wählen müsse. Der rechte führe zu Ruhm und guter Herrschaft, der linke zu Schande und Tod. Saul hätte sich nach links gewendet und sei darüber „zu Schanden“ geworden. Auch Joab sei tief gefallen und schändlich gestorben. Dagegen habe sich David nach rechts gewandt und hätte Ruhm und Ehre erworben und Jonathan sei einen Heldentod gestorben. Der folgende Text sei als Warnung zu verstehen, damit man die richtige Wahl treffe.

Vor den eigentlichen Beginn befindet sich noch eine Widmung. Der Traktat wird dem Freien Reichsherrn Krafft von Crailsheim gewidmet, weil dieser unter anderem den Keuschen Joseph gerne gelesen habe. Grimmelshausen habe nun einen weiteren Text des Samuel Greifnson vom Hirschfeld gefunden, den Ratio Status, und er wolle dem Freiherrn diesen Text verehren, weshalb er ihn herausgegeben habe. Er wünsche ihm angenehme Lesestunden. Die Widmung ist auf den 26. Juli 1670 datiert, unterschrieben ist er mit „Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen / Gelnhusanus, P. zu Cernheim“. P. ist die Abkürzung für Praetor (Schultheiß), Cernheim ist ein Anagramm für Ren(i)chen. Grimmelshausen stellt also intertextuelle Bezüge zum Keuschen Joseph und zum Satyrischen Pilgram (durch das Autoranagramm) her und hält damit selbst bei einem unter dem richtigen Namen publizierten Text die Fiktion aufrecht, der eigentliche Autor des Keuschen Joseph und des Ratio Status sei Samuel Greifnson vom Hirschfeld.

Der Text besteht aus insgesamt sechs Kapiteln, so genannten Discursen. Im ersten Discurs stellt Grimmelshausen unter Berufung auf Augustinus fest, dass Gott allein Herr über die Erde sei und die Herrschaft von Menschen über andere Menschen nicht aus dem göttlichen oder dem Naturrecht abgeleitet werden könne. Daher sei Herrschaft alleine durch das menschliche Recht, „Jure Humano positivo“ (S. 7), legitimiert. Eine solche Herrschaft sei aber nicht nur nützlich, sondern „ohnumbgängliche Nothwendigkeit“ (ebd.), da der Herrscher über das Eigentum der Menschen wache und sie beschütze. Grimmelshausen unterscheidet drei Formen rechtmäßiger Herrschaft: „immediate“ (ebd.), d. h. durch Gottes Verfügung, wie Moses, den Gott zum Herrn über das Volk oder Saul, den Gott als König Israels eingesetzt habe; „mediate“ (ebd.), womit gemeint ist, dass Gott den Menschen den richtigen Herrscher eingegeben habe, wie es etwa bei den römischen Königen Numa Pompilius, Tullus Hostilius, Ancus Martius und Tarquinius Priscus gewesen sei; schließlich die Erwählung eines geeigneten Menschen durch eine dazu befugte irdische Gewalt, etwa die Einsetzung Josephs zum obersten Statthalter Ägyptens durch den Pharao.

Aus dieser Unterscheidung leitet Grimmelshausen mehrere Folgerungen ab: Ein rechter Regent müsse erstens demütig gegenüber Gott sein, der ihn in einen solchen Stand gesetzt habe. Zweitens müsse er Gott Dankbarkeit und Liebe entgegenbringen und die Religion erhalten. Zu den Primärtugenden eines guten Herrschers zählt er folgende Eigenschaften:

„Handhabung der Gesetze und Statuten; Bescheidenheit und Vorsichtigkeit im Regieren; Freundlichkeit gegen seinen frommen und getreuen Unterthanen; Gerechtigkeit im Urtheilen; Standhafftigkeit in seinem einmal vorgenommenen; Zuvor aber wolerwogenen Wercken; Grosmühtig und unerschrocken in Gefahren; Erbar und gravitätisch im Wandel / Sitten und Geberden; Und endlich auffrichtig und voller Warheit / Treu und Glauben in seinen Worten“ (S. 8).

Zu den Aufgaben des Herrschers zählt er vor allem den Erhalt und Wohlstand des Staates, der Untertanen und seiner selbst. Die Anstrengungen eines Herrschers werden in der „Alemode-Welt“ (S. 9) Ratio Status (Staatsraison) genannt. In Normalfall werden diese Tugenden aber nicht auf diesen Terminus bezogen. Dies liege daran, dass der Terminus durch den „gottlosen Machiauelli“ (ebd.) und dessen Anhänger missbraucht worden sei. Daher trete der Ratio Status (bei Grimmelshausen grundsätzlich maskulin gebraucht) in vielen Formen und Gestalten auf, so dass es niemanden gebe, der „alle seine gute und böse Stück / Vortheil / List und Renck der Gebühr nach ordentlich beschreiben könne“ (S. 10). Trotz dieser Vielfalt könne man all diese Formen jedoch in zwei Kategorien einteilen: gut und böse. Wer den Ratio Status rechtmäßig, fromm und gottgefällig anwende, der fahre auf einer guten Bahn. Wer sich aber als ungerechter und gottloser Tyrann erweise, der folge dem Bösen. Grimmelshausen schließt einen Mittelweg aus: Entweder wende man sich dem Guten zu oder man folge „den gottlosen Machiauellischen Staats-Regeln“ (ebd.).

Grimmelshausen räumt ein, dass sich kein Herrscher ohne den Ratio Status für längere Zeit auf dem Thron halten könne. Daraus folge jedoch nicht, dass man zwangsläufig dem Machiavellismus folgen müsse. Als positive Gegenbeispiele nennt er das Osmanische Reich und die christliche Kirche, die als Hüterin der göttlichen Gnade durch Lehre, Predigten, Studieren und ihr gottgefälliges Vorbild ihre Macht sichere.

Weil die Menschen häufig nicht in der Lage seien, guten Ratio Status von bösem zu unterscheiden, sollen beide in diesem Traktat anhand exemplarischer biblischer Gestalten vorgestellt und erläutert werden.

Nachdem der erste Discurs der Einführung in das Thema des Traktats diente, behandelt der zweite Discurs König Saul. Zu den Zeiten des Propheten Samuel waren die Israeliten unzufrieden und verlangten nach einem König. Samuel selbst war über diese Forderung nicht glücklich, da das Volk sich der Herrschaft Gottes nicht mehr unterwerfen wollte und er zweitens die Aristokratie, in der „die beste und lauter fromme Männer regieren“ (S. 13), für die beste Staatsform hielt. Seine Versuche, das Volk zu beschwichtigen, misslangen, das „vielköpffige Thier“ (ebd.) bestand auf einem König, den Gott und Samuel auswählen sollten.

Saul ist zu diesem Zeitpunkt ein tugendhafter junger Mann, der Anlass zur Hoffnung gibt. Grimmelshausen hebt besonders seine Demut, die „Grundveste“ gottgefälligen Lebens (ebd.), hervor. Anhand von Bibelstellen belegt er Sauls Gottesfürchtigkeit, Freundlichkeit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Großmütigkeit, Standhaftigkeit und Unerschrockenheit. Seine Tugenden könne man schon anhand seines Sohnes Jonathan sehen, denn an ihm hätte Saul seine Fähigkeiten in der Erziehung bewiesen. Sein Lob über Sauls Charakter fasst Grimmelshausen in einer persönlichen Anrede zusammen:

„Jn Summa Saule / es war kein feinerer als du / unter dem gantzen Israel / daß gleichwol / wie zu weisen / damals in mehr als 1000000 Köpffen bestunde! du wurdest von GOtt selbsten geliebt / und dessentwegen zum König über sein auserwehltes Volck gesetzt! Gegen diesem deinem grossen GOtt warestu bey Antrettung deiner Regierung demühtig; Ein Verthädiger der Religion; Ein beobachter des Gesetzes / du warest glückseelig im Kriegen; vorsichtig und bescheiden im Regieren; gerecht im Urtheilen; standhafftig und grosmühtig in Wiederwärtigkeit; erbar in Sitten; aufrichtig und warhafftig in Worten; fromm und Gottselig in Wercken / und über diß alles von Gestalt des Leibs / ein ansehlicher Majestätischer König! welchen die Feinde eben so sehr geförchtet als die Freunde geliebt haben“ (S. 20).

Vor diesem Hintergrund fragt Grimmelshausen, warum Saul mit solchen Voraussetzungen so tief fallen konnte, zumal er viele Fehler seiner Nachfolger nicht hatte: Er war kein Mörder und Ehebrecher wie David, er hat sich nicht wie Salomo in Abgötterei verführen lassen, er hat sein Volk nicht geschunden wie Rehabeam, er hat keine goldenen Kälber aufgestellt und sie anbeten lassen wie Jerobeam und er hat auch niemals selbst fremde Götter angebetet wie andere Könige. Dennoch ist er tiefer gefallen als alle anderen jüdischen Könige. Den Grund dafür findet Grimmelshausen im Ratio Status.

Der Grund für Sauls Untergang sei gerade in seinen Tugenden zu suchen: Als seine Macht gefestigt war, war er davon überzeugt, dies sei allein sein Verdienst gewesen und er glaubte, auf Samuels und Gottes Hilfe verzichten zu können. So verlor er das Vertrauen in Gott und sagte sich von ihm und Samuel los. Seine „hoffärtige / übermütige und trotzige Gedancken“ (S. 23) verleiten ihn, Gottes Befehle zu missachten und nur noch nach seinem eigenen Willen zu regieren. Schließlich teilt SamuelSaul den Entschluss Gottes mit, ihm die Herrschaft wieder zu nehmen. Saul versucht, sich herauszureden: Er habe Gottes Befehle nur deshalb missachtet, weil er den Zorn des Volkes gefürchtet hätte. Die „Hoffart“, der „Schalckhafftige[] Ratio Status“ und die „neue [...] alemode [...] Politic“ (S. 26) habe ihn dazu verführt. Grimmelshausen stellt fest, dass Gott nicht Sauls Ungehorsam, sondern seine Uneinsichtigkeit bestraft habe.

Zunächst heuchelt Saul Gottseligkeit, doch seine Demut hat er längst verloren. So muss Samuel schließlich um sein Leben fürchten, als er den jungen David zum neuen König salbt. Zunächst hatte sich David zwar die Sympathie Sauls gesichert, als er den Riesen Goliath besiegte und ihn durch sein Harfespiel erfreute. Doch als Saul versuchte, ihn zu ermorden, zeigte er, wie grimmig er geworden war. Davids Sieg über Goliath hatte ihm die Liebe des Volkes gesichert, was ihm den Neid und die Missgunst Sauls eingebracht hatte.

Um den Mordanschlag zu überspielen rät der Ratio Status Saul, David zum Obersten eines Heers von 1000 Soldaten zu machen: Erstens wird David auf diese Weise aus Sauls unmittelbarer Umgebung entfernt, zweitens gerät er durch diesen Stand leicht in die Gefahr des Hochmuts und drittens muss David an vorderster Front gegen die Philister kämpfen, was ihn leicht das Leben kosten kann.

Weil jedoch David sich in dieser Stellung dank Gottes Hilfe hält, schlägt Saul ihm vor, seine Tochter mit ihm zu verheiraten, wenn er ihm 100 Köpfe erschlagener Philister bringe. Wenn das Unternehmen scheitert, so sein Kalkül, ist er seine größte Sorge los; wenn es gelingt, wird Davids Ruhm sich auf ihn übertragen. Als David jedoch mit 200 Köpfen zurückkehrt, verdoppelt sich Sauls Hass auf ihn.

Als er sieht, dass heimliche Anschläge nicht von Erfolg gekrönt sind, beauftragt er einige Diener und seinen Sohn Jonathan, David zum Schutz des Staates zu ermorden. Die Diener weigern sich jedoch aus Gewissensgründen, den Mord zu vollziehen und Jonathan ist mittlerweile eng mit David befreundet. Er rät ihm zur Flucht, weil er in Sauls Haus nicht mehr sicher sei.

Weil Saul einen Schwur leistet, nicht mehr nach Davids Leben zu trachten, bleibt dieser jedoch am Hof. Eines Tages bricht Saul jedoch den Eid und schleudert einen Speer auf David und verfehlt ihn nur knapp. Einem weiteren Mordanschlag entgeht David, weil ihn seine Frau warnt. David flieht und kann den Verfolgern entkommen. Sauls Verhalten ist Anlass für einen Erzählerkommentar: „O Ratio Status der Tyrannen! was machstu aus denen / die deines Raths pflegen / du machst sie erstlich Gewissensloß / hernach forchtsamb und endlich grausamb; welches man an diesem Saul wol sihet / der allzeit an statt des gütigen Zepters / tödliche Waffen in seinen Blutdurstigen Händen führet“ (S. 37).

Durch die „Machiavellische Staats-Meinung“ (ebd.) ist Sauls Herz vergiftet und seine Gedanken sind verblendet. Erbarmungslos verfolgt er David und lässt Menschen, die ihm geholfen haben, zur Abschreckung töten. Eines Tages jedoch gerät er in den Höhlen der Einöde Engebbi in einen Hinterhalt Davids. Dieser will jedoch Böses nicht mit Bösem vergelten und schneidet nur ein Stück von Sauls Mantel ab. Damit beweist er, dass „weder der gottlosen Ratio Status noch aller Menschen grosser Gewalt und allerlistigste Anschläg wider den jenigen“, den Gott beschütze helfen (S 40). Als Saul davon erfährt, ist er so beschämt, dass er Frieden mit David schließt, ihm viel Erfolg in seiner Herrschaft wünscht und sich nur erbittet, dass sein Geschlecht nicht ausgerottet werde.

Doch seine Einsicht ist nicht von Dauer: Als er die Gelegenheit gekommen sieht, greift er David erneut an und beweist damit dreierlei: Seine Falschheit, seine Bosheit und dass der Ratio Status nichts gegen diejenigen vermag, die Gott vertrauen. Auch diese Unternehmung schlägt fehl.

Saul ereilt sein Schicksal auf dem Schlachtfeld, zuvor hatte er „wider das austrückliche Verbott Gottes“ (S. 43) mittels schwarzer Magie eine Prophezeiung eingeholt und seinen Tod vorausgesehen. Die Schlacht verläuft unglücklich und Saul muss seine drei Söhne, unter ihnen Jonathan, sterben sehen. Aller Hoffnung beraubt begeht er Selbstmord.

Sauls Leben dient Grimmelshausen als Beispiel dafür, wie jemand, der aus geringem Stand zum Herrscher aufgestiegen war, und der eine fromme und gottesfürchtige Erziehung genossen hatte, zu Bosheit und Tyrannei verkam, weil er das Gottvertrauen verlor und durch den Ratio Status „schrecklich betrogen“ worden war (ebd.). So stürzte er in Verzweiflung, fand einen schändlichen Tod und wurde zum Gespött der Feinde.

„Worbey alle Grosse zu lernen / daß sie sich / ob sie gleich in höchstem Wolstand stehen / dannoch vor allen Dingen auf Gott verlassen: sich nach dessen Willen und Gebotten reguliren: und den verfluchten Machiauellischen Ratio Status (dessen Practic mit dem Atheismo oder aufs wenigst einem bösen Gewissen und endlicher Verzweiflung hier Zeitlich gestrafft zu werden pflegt /) dem Gottlosen überlassen sollen; Welches gegen die jenige / die der Höchste beschützet / ohne das nichts vermag“ (S. 44).

Im dritten Discurs geht es um Sauls Sohn Jonathan. Dieser wird als „edle gute Frucht von einem bösen Baum“ bezeichnet (ebd.). Schon früh erhielt er die Verantwortung über ein Heer, wobei er bewies, dass er „beständig: aufrichtig / getreu / gottseelig“ (ebd.) war. Als er von den Mordanschlägen seines Vaters gegen David erfuhr, wäre ihm nie in den Sinn gekommen, seinen Freund zu verraten. Sein Ratio Status richtete sich nach dem Willen Gottes. Seine Freundschaft zu David ist für Grimmelshausen der größte Beweis seiner Tugend, denn als Königssohn hätte er sich nicht mit einem Hirten verbrüdern müssen, und den Sieg Davids über Goliath hätte er auch anders belohnen können.

Besonders hoch rechnet ihm Grimmelshausen an, dass er Sauls Lügen, er könne nicht König werden, solange David lebe, keinen Glauben schenkte, sondern diesen gewarnt hat. Nach Einschätzung des Autors hätte Jonathan sich ein besseres Leben und einen besseren Tod verdient. Dass er jedoch auf dem Schlachtfeld neben seinem „Gottlosen Vatter“ (S. 48) sterben musste, sei Gottes Ratschluss gewesen.

Der vierte Discurs widmet sich David. Mehr als Jonathan machte er sich um Gott verdient, weil er dessen Lob förderte und zudem seinen Ratio Status auf ihn ausrichtete. Sein Gottvertrauen schützte ihn sowohl als Hirtenjunge als auch im Zweikampf mit Goliath und auch vor den Nachstellungen Sauls.

Anhand einer Anekdote wird Davids Gottvertrauen illustriert: Als Hirtenjunge hatte er Gott für die Erschaffung aller Lebewesen gedankt, nur der Sinn der Mücken, die Mensch und Tier belästigen und der Spinnen, die mit ihrem Gift nur Schaden anrichten, konnte er sich nicht erklären. Durch Saul geriet er aber zweimal in Lebensgefahr, einmal rettete ihn eine Mücke und einmal eine Spinne vor der Entdeckung; „Diß seynd zwar keine Glaubens Artickel / allein hat man doch darbey abzunehmen / daß der starcke GOTT ohnangesehen seiner Allmacht sich nur schwacher Jnstrumenten und verächtlicher Dinge gegen seinen hochmühtigen Widerstrebern gebrauche“ (S. 51).

Während Saul seine Demut mit dem Antritt seiner Herrschaft mehr und mehr verlor, legte David sie Zeit seines Lebens niemals ab. Auch dies wird mit einer Anekdote belegt: Als Simei vor Davids Sohn Absalon fliehen musste, verfluchte er David mit üblen Beschimpfungen. Als Davids Freunde Simei wegen der Beleidigungen bestrafen wollen, hinderte dieser sie daran und sagte, dass Simei auf Gottes Geheiß geflucht habe, vielleicht weil Gott seine Geduld prüfen und ihm irgendwann vergelten wolle, dass er jetzt ruhig bleibe (vgl. S. 52-54). Mit dieser Antwort hätte David riskiert, dass viele Untertanen ihn als schwachen Herrscher ansehen könnten. In der Tat schlossen sich danach viele dem Aufstand Absalons an. David hatte aber seinen Ratio Status bewusst auf Demut und Sanftmütigkeit ausgerichtet, weil er wusste, dass Gott ihm die Herrschaft ebenso wieder wegnehmen könne, wie er sie ihm gegeben hatte.

Dass auch David sich der Lüge und der List bediente, um die Feinde Israels zu besiegen, wird von Grimmelshausen zwar nicht gelobt, aber als billiges Mittel im Kampf für sein Volk gerechtfertigt.

Ausführlich beschreibt er eine Begebenheit, in der sich David völlig gegen die Grundsätze der modernen Staatsraison verhielt: Beim Aufstand des Amasa bestrafte er seinen treuen General Joab, während er den Rädelsführer Amasa belohnte. Damit rief er den Zorn seiner Anhänger hervor. David jedoch wertete den Aufstand als Strafe Gottes dafür, dass er Urias habe ermorden lassen, um an dessen Frau Ehebruch verüben zu können. Zudem wollte Gott Joab für andere Sünden strafen.

Damit ist Davids schwerste Sünde angesprochen, der Ehebruch mit Bathseba und der Mord an deren Ehemann Urias. Dass David dennoch nicht so schwer bestraft wurde wie Saul, begründet Grimmelshausen folgendermaßen: „Sündigen ist Menschlich; darinnen verharren / ist Teufflisch; viel abscheulicher aber / wann der Gefallene sich noch unterstehet / durch seine Vernunfft und GOtt widerstrebende spitzfindige Staat-Griff der Machiauellisten / ihm selbst zu helffen; wie Saul gethan“ (S. 64). Während Saul also seine Sünden zu rechtfertigen suchte mit Hilfe des Ratio Status, sah David seine Fehler ein und bereute sie aufrichtig. Daher wurde Saul gestürzt, ihm aber wurden seine Sünden verziehen.

David setzte seinen Ratio Status nicht zur Selbsterhaltung ein, sondern richtete ihn im Vertrauen auf Gott aus. Dadurch hat er „vermittelst Göttlicher Hülffe und Gnaden / des Sauls politischen Ratio Status überwunden“ (S. 66). Auf diese Weise konnte er die äußeren Feinde Israels abwehren, neue Gebiete erobern und große Reichtümer erwerben. Zudem wurde aus seinem Geschlecht der Heiland geboren. Das Kapitel schließt mit einer erneuten Absage an den Ratio Status der Machiavellisten und spielt auf König Herodes an, der aufgrund des Kindermordes von Bethlehem jedes Jahr zu Weihnachten von der Nachwelt verflucht werde. Er ist ein weiteres Negativbeispiel für die bösen Seiten des Ratio Status.

Der fünfte Discurs handelt von Joab. Dieser ist der wichtigste Kriegsmann Davids und einer seiner besten Freunde. Er gehörte zu dessen Gefährten, als dieser vor Saul fliehen musste. Sein Ratio Status bestand darin, dass er seinem König treu war, ihm half und ihn beschützte.

Zum Bruch kam es, als David den abtrünnigen Abnerus, der auch Joabs Bruder getötet hatte, als General einsetzen wollte. Nachdem er erfolglos versucht hatte, David von dem Gedanken abzubringen, lockte er Abnerus in eine Falle und tötete ihn. Auf diese Weise rächte er seinen Bruder und entledigte sich einer Sorge, zog sich aber den Zorn Davids zu. Sein Handeln wird von Grimmelshausen als Zeichen des bösen Ratio Status gewertet: „dergestalt hat Joab zum Erstenmal mercken lassen / das er sich gar kein Gewissen mache / sondern daß es ihm gleich gelte / sein und seines hohen Stands Selbst-Erhaltung mit Recht oder Unrecht fortzusetzen“ (S. 70). Dennoch wurde er später zum obersten General über das Kriegsheer Israels ernannt.

Joab wird als treuer Soldat und kühner Kriegsmann beschrieben, der auf Befehl seines Königs Urias an vorderster Front kämpfen ließ und beim Aufstand Absalons eine vorübergehende Versöhnung zwischen Vater und Sohn erreichte. Als aber Absalon hilflos zwischen den Zweigen eines Baumes hing, zögerte er nicht, ihn zu töten und so für immer unschädlich zu machen.

Weil David um seinen abtrünnigen Sohn trauerte und Joab Vorwürfe machte, sagte sich Joab von ihm los. Er blieb zwar Davids fähigster Kriegsmann, doch sein „gottlose[r] Ratio Status“ (S. 73) ließ ihn den Respekt gegenüber seinem König vergessen. Ähnlich wie Saul gerät er so in ein ambivalentes Verhältnis zu David, was dazu führt, dass er kein besseres Ende findet als der erste König. Nach Davids Tod hält er dessen Sohn Adonias für den besten Nachfolger und verbündet sich mit diesem. Salomo jedoch, den sein Vater zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, kann sich durchsetzen. Er nimmt Adonias den Eid ab, keine Ränke mehr gegen ihn zu schmieden, weil er ihm jedoch nicht traut, lässt er ihn umbringen. Joab fürchtet nun, selbst angeklagt zu werden und flüchtet zum Altar im Tempel, wo er ebenfalls umgebracht wird.

Schließlich fasst Grimmelshausen die Ergebnisse des Traktats zusammen: Der Ratio Status Sauls war gottlos und Joab ahmte diesen in vielem nach. David und Jonathan setzten dagegen ihr Vertrauen auf Gott und wurden dafür belohnt. Die Gottesfürchtigen sollten in Davids Fußstapfen treten. Wer aber nicht daran glaube, der werde Saul und den Machiavellisten folgen.

Zum Abschluss wird noch die Geschichte der Jungfrau Abisag angehängt, weil „mir aber noch so viel weiß Papier übrig verbleibt“ (S. 75). Diese Geschichte wolle er, wie er ironisch bemerkt, kurz erzählen, weil sonst das das Papier nicht ausreichen werde. Sabud war nach 1 Kön. 4 der Sohn des Priesters Nathan und mit Salomo seit der Jugendzeit befreundet. Er verliebt sich in Abisag, eine von Salomos Mätressen. Salomo bemerkt diese Liebe und sagt, dass er Abisag zur Frau bekomme, wenn er ihn um etwas bitte, worum niemand zu bitten wage. Sabud gerät in Zweifel, um was er bitten solle, denn da er bereits ein schönes Haus und ein gutes Einkommen besitzt, befürchtet er, für habgierig gehalten zu werden. Zudem hat er Angst, dass Salomo seine Treue nur prüfen und ihn wie Adonias töten lassen könne. So ist die Hochzeit freudlos. Abisag bemerkt den Kummer ihres Mannes und rät ihm, Salomo darum zu bitten, ihm die Sprache der Tiere und Vögel, auf die er sich verstehe, beizubringen. So könne er die Bedingung erfüllen und sich des Verdachts der Habgierigkeit entziehen.

Salomo gewährt ihm diese Bitte, schärft ihm aber ein, niemals jemandem davon zu erzählen, andernfalls müsse er mit seinem Leben bezahlen. Sabud schwört den Eid. Als er nach Hause kommt, ist seine Frau neugierig. Er antwortet, dass er geschworen habe, nichts davon zu erzählen. Sie wirft ihm daraufhin vor, ihr nicht zu vertrauen und beklagt sich öffentlich über ihn. Sabud wird nun von den Menschen gemieden, zieht sich zurück und ist dem Selbstmord nahe. Eines Tages beobachtet er aber, wie der Hahn seine Hennen in den Garten treibt und der Hund Sabuds sie vertreiben will. Dank der Künste, die ihn Salomo gelehrt hat, versteht er die Unterhaltung. Der Hund sagt zum Hahn, dass sein Herr in großem Kummer sei. Dann erzählt er von dem Konflikt zwischen Sabud und Abisag. Der Hahn antwortet, dass er diese Probleme nicht habe, weil er seine Hennen züchtige. Wenn er an Sabuds Stelle wäre, würde er seine Frau verprügeln. Das würde sie lehren, was sie wissen dürfe und was nicht. Sabud folgt diesem Rat, nimmt einen Stecken und sagt zu seiner Frau, er werde ihr die Kunst einprügeln. Daraufhin stellt Abisag ihrem Mann niemals wieder eine Frage.

5.12. Dietwalt und Amelinde (1670)
[arrow up]

Dieser historische Legendenroman ist einer von drei Texten, die Grimmelshausen nicht unter einem Pseudonym veröffentlichte, die Verfasserangabe lautet: „H. J. Christoffel von Grimmelshausen / Gelnhusano“.

Dieser Roman, den Grimmelshausen seinem früheren Herrn Philipp Hannibal von und zu Schauenburg widmete (die Widmungsvorrede ist auf den 3. März 1669 datiert), ist, wie auch Proximus und Lympida, in der Zeit des frühen Mittelalters angesiedelt. Im Eingangssonett, das ein gewisser Sylvander zu Ehren des Autors und des Romans geschrieben hat, wird Grimmelshausen als „Protheus“ beschrieben, der sich in vielerlei Gestalt zeige, der jedoch „an seiner Feder hier / an seiner treuen Hand“ erkannt werde. Er könne von schlichten und von hohen Dingen schreiben, „von Schimpf / von Ernst / von Schwäncken die zu lachen machen“. Er habe über Simplicissimus, die Meuder und den Knan, über Courasche, über Frauen und Männer, über Bauern und Soldaten, über Frieden und Krieg, über Veränderungen im Staatswesen, über die Liebe und Heldentaten geschrieben. Gleich, worüber er schreibe, „so blickt doch klar herfür / daß Er nur Fleiß ankehr / | wie Er mit Lust und Nutz den Weg zur Tugend lehr“.

Das Einleitungsgedicht gibt viel über Grimmelshausens Autordiskurs und seine Schreibabsicht preis: Der Autor inszeniert sich selbst als Proteus, und die Beschreibung seiner Wandlungsfähigkeit erinnert an die Baldanders-Episode der Continuatio. Er nennt sich selbst explizit als Autor des Simplicissimus und der Courasche. Die am Schluss des Sonetts genannte Intention, den Weg zur Tugend zu zeigen, fügt sich nahtlos in die Schreibabsichten der anderen Schriften Grimmelshausens ein.

Die Handlung des dreiteiligen Romans beginnt im Jahr 480. Wenige Jahre zuvor war das Weströmische Reich untergegangen, dessen ehemaliges Gebiet haben die germanischen Fürsten unter sich aufgeteilt: Der Ostgotenkönig Dietrich von Bern (= Theoderich der Große, 471–526) hat sich Rom und Italien zu Untertanen gemacht, Ludwig (= Chlodwig I., 482–511) herrscht über Gallien, das wegen der Herrschaft der Franken den Namen Frankreich erhalten habe, Gundwald (= Gundobad, gest. 516), ist König der Burgunder und Adelreich (= Alarich, 484–507) ist König der Westgoten. Die beiden letztgenannten Könige haben Aquitanien erobert.

Weil nach langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen endlich Frieden eingekehrt ist, hat König Ludwig die berühmtesten Fürsten der Zeit an seinen Hof zu einem Fest eingeladen. Neben zahlreichen merowingischen Fürsten zählen auch Dietrich von Bern und Adelreich zu den Gästen. Neben Turnieren, in denen die Ritter ihre Geschicklichkeit und Stärke beweisen, werden auch die beiden Prinzen Wittich, Dietrichs Neffe, und Dietwalt, der Sohn Prinz Gottmeyers von Burgund, durch Ludwig zu Rittern geschlagen. Im anschließenden Zweikampf beweisen beide ihre Tapferkeit und werden durch Amelinde, die uneheliche Tochter König Ludwigs, belohnt. Dietwalt und Amelinde blicken sich dabei in die Augen und verlieben sich ineinander.

Der Erzähler deutet an, dass „die alte teutsche Vertraulichkeit bereits damalen zwischen diesen benachbarten / gewaltigen Königen bey weitem nicht so groß und offenhertzig gewesen [ist] / wie man sich wol hätte einbilden mögen“ (S. 20). Er nennt zwei Gründe, die in den künftigen Konflikten eine Rolle spielen. Der erste Grund ist die Religion: Während die Gotenkönige dem Arianismus anhängen, sind die Franken, Burgunder und Wormser katholische Christen, die Thüringer gehören noch dem Heidentum an. Wichtiger sind die politischen Gründe: Die Könige misstrauen einander, sie fürchten, dass die anderen Könige versuchen könnten, ihren Machtbereich auszudehnen.

Bei dem Fest werden die komplexen Verwicklungen, die durch Verwandtschaften und Heiratspolitik noch komplizierter werden, durch Höflichkeit überdeckt; Adelreich jedoch, der von allen der am meisten bedrohte König ist, bittet Dietrich um ein Schutzbündnis. Dieser sagt ihm jedoch nur eine Unterstützung im Notfall zu. Zudem werden auf dem Fest Teutetusa, die Tochter Dietrichs, mit Adelreich und Dietrichs Nichte Amelberga mit dem thüringischen Prinz Hermann vermählt. Ludwig sieht in diesen Hochzeiten eine Politik zu seinem Nachteil, lässt sich jedoch nichts anmerken.

Dietwalt und Amelinde dagegen haben keine Möglichkeit, ihre Liebe auszuleben, weil sie von unehelicher Geburt und für ein Amt als Äbtissin vorgesehen ist. Dieser Umstand verursacht ihr Liebesschmerz, so dass sie schließlich krank wird. Weil man ihr nicht anders helfen kann, beschließt Ludwig, der Ursache für ihre Krankheit auf den Grund zu gehen.

Dietwalt hat sich unterdessen bei einer Jagd von der übrigen Gesellschaft abgesondert, weil ihm deren Belustigungen zuwider sind. An einem „anmutigen Ort“ (S. 34) setzt er sich nieder, um sich dem Schmerz über seine aussichtslose Liebe zu Amelinde hinzugeben. Da wird er von einem großen Keiler angegriffen. Er tötet das Wildschwein und betet danach zu Gott in der Frage, warum dieser ihm den Sieg über den Keiler geschenkt habe, wo er doch an seiner Begierde nach Amelinde leide. Bevor er sein Klagegebet beendet hat, hört er eine Glocke zweimal läuten und er merkt, dass er nicht alleine ist. Hinter einer Hecke hatte Warmund, ein Einsiedler, der einst der wichtigste Ratgeber und Krieger von Ludwigs Vater Chilperich gewesen war und sich nach seiner Taufe dem Leben als Einsiedler verschrieben hatte, die Klage Dietwalts gehört. Warmund beruhigt den jungen Mann, er bitte um nichts Verwerfliches.

In diesem Augenblick erscheint König Ludwig, der die Glocke geläutet hatte, um Warmund, der ihm immer noch ein guter Ratgeber ist, zu rufen. Der König erzählt Warmund von seinen politischen Sorgen und dieser gibt ihm Ratschläge, unter anderem solle er keine neuen Kriege anfangen, seine Soldaten aber in Alarmbereitschaft halten, und er solle die Freundschaft des Burgundischen Hauses suchen. In einem Exkurs wird über die Streitigkeiten zwischen Dietrich von Bern und Ludwig um das Königreich Savoyen berichtet.

Warmund erzählt dem König von Dietwalts Liebe zu Amelinde und Ludwig beginnt zu ahnen, woran seine Tochter leidet. Gemeinsam begeben sie sich zu dem Kloster, in dem sich Amelinde befindet. Dort wird das Liebespaar zusammengeführt. Am nächsten Tag finden mehrere Hochzeiten statt: Die oben erwähnten Verbindungen werden geschlossen, zudem wird Dietwalts Verwandter Sigmund mit Dietrichs von Bern Tochter Teutelindis verheiratet. Schließlich wird auch die Vermählung von Dietwalt und Amelinde vollzogen.

Deutlich wird, dass Ludwig mit der Verbindung seiner Tochter Amelinde mit dem Burgundischen Prinzen Heiratspolitik betreibt, um Burgund an sich zu binden. Daher sieht er die Verbindung Burgunds mit den Ostgoten nicht gerne. Er plant, seinen Sohn Dietrich von Metz mit der Burgunderprinzessin Wissegard zu verheiraten, um sich Burgund noch stärker zu verpflichten. Dietwalt wird Savoyen zum Lehen gegeben, wobei zu gleichen Teilen die Franken, die Ostgoten und die Burgunder seine Lehnsherren sind und er sich verpflichten muss, allen dreien im Kriegsfall Truppen zu schicken. Schon bald nimmt Dietwalt sein Lehen in Besitz und wird schnell von seinem Volk geliebt und verehrt.

Zu Beginn des zweiten Teils wird Dietwalts Beliebtheit bei den Einwohnern Savoyens erklärt: Die Bevölkerung ist multiethnisch und gehört verschiedenen Religionen an, sie eint jedoch die Furcht vor der Unterjochung durch ausländische Könige. Daher wünschen sie ihrem neuen Fürsten alles Glück, damit er sie davor bewahren kann.

Diese Beliebtheit und die Erfüllung ihrer Wünsche bringen mit sich, dass Dietwalt und Amelinde mit der Zeit eitel und hochmütig werden. Eines Abends gehen sie in ihrem Lustgarten spazieren und geben sich der Illusion hin, sie seien die glücklichsten Menschen der Welt. Da erscheint ein Bettler, der Dietwalt um ein Almosen bittet. Dieser gibt ihm, weil er nichts anderes zu Hand hat, einen kostbaren Ring, den er am Finger trägt. Da zeigt der Bettler sein wahres Gesicht: Er ist ein Bote Gottes, der die beiden eindringlich warnt. Gott habe sie ohne ihr Zutun oder Verdienst in diesen Stand versetzt und die Ehe ermöglicht. Sie seien weit glückseliger, als sie hätten hoffen dürfen. Doch sie brächten Gott nicht die Dankbarkeit entgegen, die sie ihm schuldeten, sondern gäben sich Allmachtsphantasien hin, wo alleine Gott ihnen Macht verleihen könne. Wenn sie nicht ihre ewige Seligkeit verlieren wollten, so sollten sie für einige Jahre in die Armut und ins Elend gehen und Buße tun. Mit diesen Worten verschwindet der Bettler.

Dietwalt und Amelinde sind über das Erscheinen des Engels erschrocken und von dessen Tadel betroffen. Sie bitten Gott inständig um Verzeihung und bereuen ihre Hoffart. Sie sind bereit, ihre „Züchtigung“ (S. 74) auf sich zu nehmen und finden in der folgenden Nacht nur wenig Schlaf. Am nächsten Morgen treffen drei Gesandtschaften ein, eine von den Ostgoten, eine von Burgund und die dritte von den Franken. Sie alle fordern die Lehenstreue Dietwalts und Truppen ein, um ihre Heere zu verstärken. Dietwalt antwortet ihnen, dass er erfüllen werde, was Gott und seine Lehnspflichten von ihm forderten. In der Nacht legt er seine Herrschaft über Savoyen und damit seine Lehnspflichten nieder und verlässt gemeinsam mit Amelinde das Land, um mit ihr seine Buße zu beginnen, wobei er außer seinem Schwert nichts mitnimmt.

In der Folge werden die Kriege geschildert, die sich in Abwesenheit Dietwalts und Amelindes zugetragen haben. Zunächst setzt sich Gundwald der Jüngere im Streit um die Herrschaft über Burgund gegen seine Brüder durch und nimmt grausam an diesen Rache. Dieser fällt auch Gottmeyer, Dietwalts Vater, zum Opfer. Dietrich von Metz, der Sohn König Ludwigs, erobert in Dietwalts Namen Savoyen, um es gegen Überfälle zu schützen. König Ludwig beginnt einen Krieg gegen Gundwald und zwingt ihn zu einem für diesen sehr nachteiligen Frieden. Den letzten verbliebenen Bruder Gundwalds, Gottgiesel, setzt er zum Herrscher über einen Großteil Burgunds ein. Doch als Ludwigs Truppen abgezogen sind, greift GundwaldGottgiesel an und tötet ihn.

König Ludwig ist über die Treulosigkeit Gundwalds so erbost, dass er Burgund erobern und von dem Tyrannen befreien will. Dieser muss zu Dietrich von Bern fliehen. Ludwig setzt Gundwalds Sohn Sigmund als König von Burgund ein unter der Bedingung, dass Burgund dem Frankenreich treu bleibe. Die schon geplante Hochzeit seines Sohnes Dietrich von Metz mit Sigmunds Tochter Wissegard wird vollzogen.

Durch diese Politik gelingen Ludwig drei Schachzüge: Er hat mit den savoyischen Gebieten, die ihm abgetreten werden mussten, sein Reich erheblich vergrößert. Zweitens ist ihm Burgund nun verpflichtet und kann sich nicht mehr gegen ihn stellen. Drittens hat er einen Schwiegersohn Dietrichs von Bern, seines Hauptkonkurrenten, zum König über Burgund gemacht, so dass Dietrich nun kein Interesse mehr haben kann, Gundwald wieder als König von Burgund einzusetzen. Gundwald stirbt einige Zeit später am Hof Dietrichs von Bern.

Ludwig will seine Glückssträhne ausnutzen und greift das westgotische Reich an. In einer blutigen Schlacht fällt Adelreich und Ludwig kann Toulouse erobern. Adelreichs Sohn Gaselicus und dessen Sohn Amelreich müssen über die Pyrenäen nach Spanien fliehen, Ludwig verleibt seinem Reich den größten Teil des westgotischen Reichs ein. Dietrich von Bern gelingt es jedoch, einen Teil des Westgotenreichs zurückzuerobern. Er setzt Amelreich als König ein und erobert zudem das Land der Alemannen, die bisher Untertanen des Frankenreichs waren.

Nun kehrt die Erzählung zu Dietwalt und Amelinde zurück. Die beiden sind auf der Flucht vor ihren Verfolgern erschöpft und beklagen ihr Unglück, das sie so unvorbereitet traf. Amelinde versichert ihm, sie wolle ihm eine treue Gefährtin sein und mit ihm gemeinsam „diese armselige Pilgerschafft“ tragen (S. 96). Aus einem Geheimfach unter ihrem Rock zieht sie ein Säckel hervor, in dem mehr Edelsteine und andere Kleinodien sind als sie in zwanzig Jahren verbrauchen könnten. Dietwalt lobt ihre Treue und Vorsichtigkeit und sie schöpfen neue Hoffnung. Als sie jedoch einen Augenblick lang nicht aufpassen, nimmt ihnen ein Raubvogel den Säckel weg.

Sie beklagen ihren Verlust, erkennen aber, dass ihnen nun nichts anderes übrig bleibt, als Gott zu vertrauen und Geduld zu haben. Da treffen sie auf einen Mönch, dem sie ihr Elend und den Grund dafür schildern. Der Mönch gibt zu bedenken, dass der vermeintliche Engel auch ein böser Geist hätte sein können, der sie in die Irre geführt hätte. Sie dürften ihr Reich, das von Krieg bedroht sei, nicht einfach im Stich lassen und sich der Verantwortung entziehen. Dietwalt gerät in Zweifel, doch als er antwortet, er wolle seine Vernunft einsetzen und Gott vertrauen, verschwindet der Mönch plötzlich und hinterlässt einen widerlichen Gestank, so dass sie den Ort verlassen müssen. Sie erkennen, dass der Mönch ein Abgesandter des Teufels war und sie in Versuchung geführt hatte. Sie danken Gott, dass er sie „vor diesem gefährlichen Fallstrick“ gerettet hat (S. 106) und festigen ihren Vorsatz, ihr Elend zu ertragen und es erst auf ausdrücklichen Befehl Gottes zu beenden.

Das Paar zieht weiter, bis es an die Grenze zu Italien kommt, wo es hofft, sich seinen Lebensunterhalt erbetteln zu können. Doch sie werden von fünf Räubern überfallen, die Dietwalt unter Aufbietung aller seiner Kräfte schließlich töten kann. Sie danken Gott, dass er sie auch aus dieser Gefahr gerettet hat. Um sich vor weiteren Angriffen zu schützen, schneidet AmelindeDietwalts Haare kurz, da zu dieser Zeit nur Adlige lange Haare trugen und Dietwalt somit als solcher erkennbar war. Sie selbst schminkt sich so, dass ihre Schönheit nicht mehr erkennbar ist. Den Verlust der äußeren Schönheit kommentiert der Erzähler folgendermaßen:

„O Lobwürdiger Entschluß dieser edlen Jugend! welche ohne zweiffel mehr gethan / wann sie nur gewust hätte / daß es ihre Nohtdurfft durch den Göttlichen Willen also erfordert; und was vermeinet mein hochgeehrter Leser wol? solte der eintzige hoffärtige Gedancken noch nicht hiermit abgebüst: die Göttliche Gerechtigkeit ausgesöhnet: oder wenigst die himmlische Güte zur Barmhertzigkeit bewegt worden seyn? Sollen dann diese hohe Personen von dessentwegen / daß sie ihre Grösse wusten und sich darinn erfreuen / so viel gesündigt haben / daß sie durch diese ihre freywillige Buß vermittelst deren sie alles verlassen / was die Menschen hochschätzen / und sich selbst den Bettlern gleich gemacht / noch nicht überflüssig genug gethan: und damit ihr Ubersehen ausgelescht haben? Mein freundlicher Leser ich ziehe die Achsel ein und halte mit meinem nichtigen Urtheil zuruck! den Folg dieser Histori fortzusetzen“ (S. 124).

Endlich gelangen sie in ein Dorf, wo sich Dietwalt als fahrender Söldner ausgibt. Weil er noch vom Blut der getöteten Räuber besudelt ist, wird er vom Vogt, der sein eigener Untertan ist, scharf befragt. Er berichtet wahrheitsgetreu von dem Überfall und dass er alle Räuber getötet hätte. Der Vogt glaubt ihm nicht, er zweifelt, dass ein Einzelner diese Räuber, die schon lange die Gegend unsicher gemacht hatten, hätte besiegen können. Als ein ausgeschickter Späher jedoch Dietwalts Angaben bestätigt, wird er vor den Amtmann geführt. Dieser erkennt seinen Herren und ist erschrocken über dessen Anblick, weil es zu dieser Zeit üblich war, Fürsten, die abgesetzt oder verbannt und ins Kloster geschickt wurden, zur Schande die Haare abzuschneiden. Weil Dietwalt unerkannt bleiben will, leugnet er zunächst seine Identität, doch als dies nichts nützt, verfügt er kraft seiner Autorität, dass niemand von seiner wahren Identität erfahren solle. Er versichert dem Amtmann, er habe gute Gründe, warum er mit seiner Frau unerkannt durch die Lande ziehen wolle. Er verfasst zwei Briefe, die er dem Amtmann zur Weiterleitung überträgt: Im ersten bittet er Dietrich von Metz, an seiner Stelle die Herrschaft über Savoyen zu übernehmen, im zweiten bittet er die Landstände von Savoyen, Dietrich als ihren Herren anzuerkennen. Er übergibt dem Amtmann sein Schwert mit der Bitte, es für ihn aufzubewahren. Dann ziehen er und Amelinde sich einfache Kleider an und verlassen das Dorf. In der Nähe der Stadt Marseille lassen sie sich nieder. Dietwalt verdingt sich als Hirte und Amelinde arbeitet als Näherin, Wäscherin oder Spinnerin. Auf diese Weise verdienen sie kargen Lohn und verbringen in diesem „armseligen Leben“ (ebd.) mehrere Jahre.

Zu Beginn des dritten Teils kehrt die Erzählung zu den Kriegen zurück. Die militärischen und politischen Erfolge König Ludwigs haben die Aufmerksamkeit des oströmischen Kaisers Anastasius erregt. Dieser schickt Ludwig als Gunstbezeugung eine goldene Ehrenkrone. Dies bleibt jedoch Dietrich von Bern nicht verborgen. Er sieht in Ludwig eine ernsthafte Gefahr und fürchtet, dass dieser sich mit Anastasius verbünden und ihn aus Rom vertreiben könnte. Deshalb vereinigt er sein Heer in der Provence mit dem seines Schwiegersohns, des Burgunderkönigs Amelreich. Gemeinsam gelingt es ihnen, Ludwigs Heer zu schlagen. Dieser hat große Verluste und muss das Westgotenreich aufgeben. Während er seine Heere neu sammelt, um zum Gegenschlag auszuholen, wird er krank und stirbt. Er wird in Paris mit allen Ehren beigesetzt und bald Gegenstand vieler Sagen und Legenden. Mittlerweile schreibt man das Jahr 514.

Das Frankenreich wird unter seinen vier Söhnen aufgeteilt: Leutmeyer erhält die Gegend um Orléans, Hilfwerden residiert in Paris, Lothar wird Herrscher über das Land mit der Hauptstadt Soissons bei Reims und Dietrich von Metz erhält das Gebiet rund um Metz.

Unterdessen braut sich in Burgund neues Unheil zusammen. Nachdem Sigmunds erste Frau gestorben ist, nimmt er sich eine zweite Frau, die besonders vom jüngeren Stiefsohn Siegreich abgelehnt wird. Sie veranlasst die Ermordung Siegreichs. Diese Tat erzürnt Clothilde, die Witwe König Ludwigs. Sie überredet ihren Sohn Leutmeyer, die Herrschaft des Hauses Burgund, aus dem sie selbst stammt und das, in Erinnerung auch an Gundwalds Taten, eine Ansammlung von „Brüder und Kinder-Mörder[n]“ sei (S. 147) sei, zu beenden. Da mit Siegreich auch ein Enkel Dietrichs von Bern Opfer geworden sei, werde dieser ebenfalls Interesse an einer Rache haben. Es gelingt Leutmeyer, Burgund zu erobern und Sigmund und seine Frau zu töten. Sigmunds anderer Sohn, Gottmar, entkommt jedoch und sammelt ein neues Heer. Leutmeyer gerät in einen Hinterhalt und fällt und seine Leiche wird geschändet. Den Burgundern gelingt es, Orléans einzunehmen. Dann werden sie aber von Hilfwerdens und Lothars Truppen besiegt, Gottmar flieht über Spanien nach Nordafrika zu den Vandalen, wo er als letzter König der Burgunder sein Leben beendet. Das frühere Burgunderreich fällt vollständig den Franken zu, deren Reich größere Ausmaße erreicht als jemals zuvor.

Unterdessen ist Dietrich von Metz, der aus Gründen verwandtschaftlicher Bindung nicht am Krieg seiner Brüder gegen Burgund teilgenommen hatte, mit Thüringen beschäftigt: Er profitiert von den dortigen Thronstreitigkeiten und davon, dass seine Brüder ebenfalls Krieg führen und Dietrich von Bern verstorben ist. So kann er Thüringen seinem Reich einverleiben.

Inzwischen leben Dietwalt und Amelinde immer noch in einfachsten Verhältnissen in dem Dorf nahe Marseille. Dietwalt hat zwar von den Kriegen und dem Untergang des Hauses Burgund gehört, doch obwohl er weiß, dass er der rechtmäßige Erbe ist, bleibt er im Elend, bis Gott ihn davon befreit. Dieser Entschluss wird durch die Nachrichten über die Gräueltaten bestätigt, er empfindet Ekel vor diesem nach seiner Meinung von Gott verfluchten Haus.

Eines Tages werden sie von Seeräubern aus Marseille gefangen. Sie setzen Dietwalt unter Druck, damit er ihnen seine Frau verkaufe. Er lehnt ab, doch Amelinde bittet ihn, darauf einzugehen, weil sie ihn sonst töten würden. Er wird wieder an Land gebracht, den Kaufpreis versenken sie aber im Meer. Dietwalt fordert sie auf, Amelinde gut zu behandeln, damit er später keinen Grund habe, gegen sie vorzugehen. Für diese Worte wird er von den Seeräubern verspottet.

Die Seeräuber stellen bald fest, dass Amelinde etwas Majestätisches an sich hat, das zu keiner Hirtenfrau passt. Aus Scheu wagen sie nicht, sie anzurühren. Dietwalt indessen ist höchst unglücklich und allein sein Vertrauen in Gott tröstet ihn. Er will zu seinem Freund Wittich ins Ostgotenreich ziehen, doch in einer wilden Gegend verirrt er sich. Da erscheint ihm wieder der Teufel in Gestalt eines Einsiedlers. Er erzählt Dietwalt, dass er niemals in diesem Elend leben müsste, wenn er damals auf ihn gehört hätte. In diesem Augenblick werde Amelinde von den Seeräubern vergewaltigt und er, der Teufel, könne dies beenden. Zudem könne er Dietwalt wieder in seinen Stand versetzen. Dietwalt widersteht dem Teufel auch diesmal, und dieser gibt sich geschlagen und zieht sich zurück.

Da erscheint ihm jener Bettler, der sie einst im Lustgarten getadelt hatte. Er gibt Dietwalt den Ring zurück, den dieser ihm damals gegeben hatte und erklärt, Gott habe ihm Gnade als Lohn für seine Buße und die Überwindung des Teufels gewährt. Mit dem Ring solle er Reiter ausrüsten und mit Amelinde zusammen sein Reich zurückfordern. Nachdem ihn der Engel aus der Wildnis herausgeführt hat, verkauft Dietwalt in Marseille den Ring an den Juwelier König Lothars und rüstet sich aus. Er zieht zum Hof des Westgotenkönigs Amelreich.

Währenddessen versuchen die Seeräuber, ohne Gewalt und nur mit Schmeichelei und Verführung Amelinde für sich zu gewinnen. Diese bleibt jedoch standhaft und ihre Tugenden rufen die Bewunderung der Seeräuber hervor. Als sie merkt, dass sich die Seeräuber über kurz oder lang mit Gewalt nehmen würden, was sie jetzt durch Galanterie zu erobern versuchten, gibt sie sich als die Tochter König Ludwigs und als ehemalige Fürstin über Savoyen zu erkennen. Ein alter Seeräuber erkennt sie, weil er sie auf Bildern schon gesehen hatte. Die Seeräuber entschuldigen sich bei ihr und kleiden sie in fürstliche Gewänder. Als sie einige Tage später einem byzantinischen Schiff begegnen, das Gesandte ins Frankenreich befördert, kaufen die Byzantiner Amelinde, die sie König Lothar, der noch Junggeselle ist, verehren wollen. Die Seeräuber sind froh, sie auf diese Weise losgeworden zu sein.

Die Byzantiner bitten Lothar, sie beim Kampf gegen die Ostgoten zu unterstützen. Amelinde fleht ihn an, ihre Keuschheit zu schonen. Wegen ihrer Schönheit ist er ihr günstig gesinnt und schenkt ihr einen Ring. Es ist jener Ring, den sein Juwelier Dietwalt abgekauft hatte. Sie erkennt ihn sofort wieder und sieht ihn als Zeichen an, dass ihr Elend bald beendet sein würde.

Als Lothar eine andere Frau heiratet, ist auch der Westgotenkönig Amelreich eingeladen, in dessen Gefolge sich Dietwalt unerkannt aufhält. Bei der Hochzeit begegnen sich Dietwalt und Amelinde wieder und loben sich gegenseitig für ihre Treue. Dietwalt verzichtet auf seinen Anspruch auf den Thron in Burgund, er sei mit Amelinde nur deshalb verschwunden, um nicht den Kriegen ausgesetzt zu werden. Er verlangt nur, wieder als Fürst in Savoyen eingesetzt zu werden. Er erreicht das Wohlwollen der anderen Könige und wird als Fürst von Savoyen bestätigt, zur Freude seiner Untertanen.

Die Handlung von Dietwalt und Amelinde ist damit beendet. Am Schluss des Romans wird erzählt, wie die Franken ihr Reich noch weiter vergrößern. Sie profitieren vom Niedergang des ostgotischen Reiches und dem Untergang der Westgoten. Schließlich umfasst das Frankenreich den größten Teil West- und Mitteleuropas. 549 erkennt Ostrom die Vorherrschaft der Franken in Westeuropa an. Mit dem Tod Lothars, des letzten Sohnes Ludwigs 564 ist die Expansion des Frankenreiches beendet.

Dietwalt und Amelinde sterben in hohem Alter und hinterlassen ihren Nachkommen das Land Savoyen, das diese bis zur Zeit Ottos II. regieren. In seiner Schlussbemerkung setzt der Erzähler die Ereignisse des Romans in Beziehung zur Gegenwart: „Wormit wir dann diese Histori beschliessen wollen / nach deren Uberlesung ein jeder wegen des Vergangenen sich umb so viel destoweniger zu verwundern / wann er das Gegenwärtige vor Augen sihet und betrachtet“ (S. 221). Damit spielt er deutlich auf die Expansionspolitik des französischen Königs Ludwig XIV. an.

5.13. Musai (1670)
[arrow up]

Der Verfasser dieses Legendenromans ist der gleiche wie der des Keuschen Joseph und des Satyrischen Pilgrams, nämlich Samuel Greifnson von Hirschfeld.

Es handelt sich hier um einen Sprossroman des Keuschen Joseph, der sich, wie dort bereits angekündigt, um Josephs Schaffner Musai dreht. Die Geschichte beginnt an einem Tag im Juli, an dem in Ägypten das Fest der Göttin Isis begangen wird, an dem Joseph aufgrund seines Amtes als Verwalter des Pharaos teilnehmen muss. Deshalb verbringt dessen Ehefrau Asaneth zusammen mit ihren beiden Söhnen und einigen Mägden den Tag alleine und hat um Musais Gesellschaft gebeten.

Sie alle haben Josephs Glauben an den einen Gott angenommen, weil sie wissen, dass die Götter der Ägypter nur Lug und Trug sind. Asaneth erzählt die Überlieferung über Isis und ihren Gatten Osiris und deren Verkörperung in Form zweier Stiere. Sie ist froh, nicht mehr einem solch „schandlichen Gottesdienst“ (S. 12) beiwohnen zu müssen, sondern in Kenntnis des wahren Gottes eines solchen „unflätigen Götzendienst[es]“ (ebd.) enthoben zu sein. Sie berichtet von den Lügen, mit denen die Priester das Volk glauben machen, in den Stieren lebe die Seele des Osiris weiter. Sie verspottet den Glauben an die Metempsychose, die Seelenwanderung und die Anbetung von Tieren. In einem Exkurs klärt der Erzähler den Leser über die mythologischen Hintergründe der ägyptischen Kulte auf und stellt Parallelen zur griechischen Mythologie und zur biblischen Überlieferung her. Unter anderem sei es mit dem Apiskult zu erklären, warum die Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten und später auch Jerobeam ein goldenes Kalb angebetet hätten.

Asaneth fragt Musai, ob sie in seiner Heimat ähnliche „Betrügereyen“ (S. 19) kennen. Musai antwortet, dass in seiner Heimat das Feuer und nicht Tiere oder Bilder als Gott angebetet würden. Asaneth bittet ihn, mehr von sich zu erzählen, und so beginnt Musai, von seiner Lebensgeschichte zu berichten.

Musai stammt aus dem Geschlecht Elams, eines Sohnes Sems und Enkel Noahs, weshalb er auch als Elamit bezeichnet wird. Sein Großvater war ein junger Prinz. Doch als sein Volk durch die Assyrer besiegt wurde, suchte er Zuflucht bei Zoroastres, dem König der Baktrianer. Er wurde ein Günstling des Königs und lernte von ihm die Kunst der Magie sowie viele Wissenschaften. Seinen einzigen Sohn benannte er nach dem König. Dieser Sohn wurde später zu Zoroastres (lat. Zarathustra), dem Stifter der persischen Magier.

Musais Vater wurde zu einem mächtigen Magier. Mithilfe seiner Magie verteidigte er Baktra, die Hauptstadt, lange gegen die Angriffe der Truppen des Ninus, des zu dieser Zeit mächtigsten Herrschers des Nahen Ostens. Doch mit der Unterstützung der Königin Semiramis gelingt es Ninus, Baktra schließlich zu erobern, Zoroastres, der König, wird dabei getötet.

Semiramis, selbst von sagenhafter Geburt, wird die Frau des Ninus, und Musais Vater gerät in Gefangenschaft. Ninus hatte ihn nicht getötet, weil er von dessen magischen Fähigkeiten zu profitieren hoffte. So gelangte dieser nach Ninive. Nach dem Tod des Ninus wurde Semiramis Königin von Babylon. Diese führt weitere Eroberungsfeldzüge aus, wobei sie Musais Vater als Offizier einsetzt. Sie dehnt ihr Reich im Westen bis nach Libyen aus. Danach sammelt sie ein gewaltiges Heer, um Indien zu erobern. Dieser Feldzug schlägt jedoch fehl und sie muss sich zurückziehen.

Nach diesem Misserfolg konzentriert sich Semiramis auf den Ausbau ihrer Macht im Innern ihres Reiches. Sie lässt prächtige Mauern, Städte und die legendären hängenden Gärten in Babylon bauen. Sie führt ein zügelloses Leben und gibt sich den „fleischlichen Wollüsten“ hin (S. 37): Sie lässt sich gutaussehende junge Männer in ihren Palast bringen und sie am nächsten Morgen töten, um ihre Schande zu verbergen. Eines Tages wird auch Musais Vater zu diesem Zweck in den Palast gebracht. Er findet jedoch heraus, welches Schicksal ihm bevorsteht und durch eine List kann er fliehen. Weil Semiramis eine hohe Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt hat, flüchtet er in die zerklüfteten und unzugänglichen Berge rund um den Ararat, wo er zwanzig Jahre in völliger Einsamkeit lebt.

Die Frauen aus der Umgebung kommen in dieser Zeit oft zum Ararat, um Pech von Noahs Arche zu holen, die auf dessen Gipfel gestrandet ist. Eine von ihnen nimmt sich Zoroastres und heiratet sie. Sie gebiert ihm drei Kinder: Das erste stirbt gleich nach der Geburt, das zweite ist Musai, bei der Geburt des dritten Kindes sterben die Mutter und der Säugling. Musai wird von seinem Vater und einer Eselin, die sich dieser mittels seiner Magie gefügig gemacht hat, ernährt.

Als Musai zehn Jahre alt ist, erfährt sein Vater, dass Semiramis gestorben sei. Daher verlassen sie nun das Gebirge. Aufgrund seiner magischen Fähigkeiten wird Zoroastres bald bekannt und schart eine Gruppe von Schülern um sich, die er in der persischen Magie unterweist. Auch Musai lernt vieles von ihm, betont aber, dass er, seit er durch Joseph zum rechten Glauben geführt worden sei, diese Künste niemals mehr angewandt habe.

Mit der Zeit geraten jedoch die Schüler des Zoroastres in Zweifel, ob es sich bei ihrem Meister um einen Menschen oder einen Gott handle. Um dies zu prüfen, verabreichen sie ihm ein Gift, an dem er stirbt. Sie bereuen ihre „Thorheit“ (S. 47) und den leichtsinnigen Mord, weil sie nur einen Bruchteil dessen gelernt haben, was Zoroastres wusste. Musai hätte sich gerne an ihnen gerächt, da es ihm aber an Freunden, Alter und anderen Mitteln mangelt, bleibt der Tod seines Vaters ungesühnt. Zunächst schließt er sich der Armee an, bald jedoch merkt er, dass nicht die „martialische Leute“, sondern die „Mercurialisten“ (S. 48) zu Reichtum gelangen. Er geht deshalb bei einem Kaufmann in die Lehre, bei dem er lernt, sich schnell an veränderte Umstände anzupassen. Außerdem lernt er die Sprachen, die Künste und Tricks, die ein Kaufmann für sein Gewerbe benötigt. Auf weiten Reisen lernt er viele Menschen und Kulturen kennen und verfeinert seine Gauklerkünste. Mit der Zeit wird er zu einem der erfolgreichsten Kaufleute in Afrika und Asien und bringt es zu ansehnlichem Reichtum.

Dieses Vermögen verliert er jedoch aufgrund einiger Unglücksfälle. Am ersten ist seine Ehefrau schuld: Sie glaubt, dass er, wie es bei den Persern nicht unüblich ist, woanders eine zweite Frau unterhält. Aus Eifersucht beschuldigt sie ihn, als dem Landvogt ein kostbarer Mantel gestohlen wird. Sein Haus wird durchsucht, der Mantel aber nicht gefunden. Weil Musais Frau aber bei ihrer Aussage bleibt und der Landvogt beschlossen hat, Musais Reichtümer in seinen Besitz zu bringen, wird diesem Folter angedroht, wenn er den Mantel nicht zurückbringe. Durch seine Magie gelingt es ihm, der Folter zu entgehen. Er kann seine Unschuld beweisen und bringt seine Frau dazu, die falsche Beschuldigung zuzugeben. Er wird für unschuldig erklärt, dennoch wird sein Vermögen eingezogen, da es dazu hätte dienen können, Diebesgut zu verbergen. Zudem muss er auf eigene Kosten einen neuen Mantel anfertigen lassen. Musai vermutet, dass der Landvogt den Mantel absichtlich hat beiseite schaffen lassen, um Musais Vermögen einziehen zu können. Aus Scham begeht die Ehefrau Selbstmord und Musai gelangt zu der Erkenntnis, dass man, selbst wenn man seinen Reichtum auf ehrliche Weise erworben hat, nicht vor dem Neid und der Gier anderer Menschen sicher ist.

Er verlässt die Stadt und zieht nach Indien, wo er noch einen Teil seines Vermögens untergebracht hat. Dort aber hat man von der Anklage gegen ihn erfahren, sein Verwalter hat das Geld an sich gebracht und die Zöllner klagen ihn aus fadenscheinigen Gründen an, Zollgebühren unterschlagen zu haben. Mit Mitteln, über die er nichts berichten will, gelingt es Musai jedoch, sein Eigentum zu retten. Als er es aber mit einem Schiff zurück nach Persien bringen will, läuft das Schiff auf eine Felsklippe auf und sinkt. So verliert Musai den Rest seiner Güter, er selbst wird von Fischern gerettet.

Weil Musai noch kleine Besitzungen in Babylon und Heliopolis besitzt und zudem, durch die vorherigen Ereignisse vorsichtig geworden, seine wertvollsten Gegenstände in seine Kleider eingenäht hat, ist er nicht völlig mittellos. Er schließt sich einer Karawane an, die Richtung Ägypten zieht. Auf dieser Reise kauft er mit den anderen Kaufleuten Joseph seinen Brüdern ab und kann die Karawane mit Josephs Hilfe vor dem Angriff arabischer Räuber retten.

Gerade als MusaiAsaneths Frage beantworten will, warum er sofort gewusst habe, dass Joseph in der Lage sei, viele Menschenleben zu retten, kommt Joseph selbst herein. Er bittet Musai, fortzufahren und dieser erzählt, er habe eine Prophezeiung erhalten, nach der ein Mensch, der für dreißig Silberpfennige verkauft worden sei und viel Schmach und Unglück erfahren müsse, eines Tages höher als alle Menschen gestellt würde, den Menschen den Glauben an den währen Gott brächte und viele vor dem Tod retten würde. Aufgrund von Josephs Physiognomie und der Tatsache, dass er und die anderen Kaufleute ihn für dreißig Silberlinge gekauft hätten, sei er überzeugt, dass es sich bei diesem Mann um Joseph handeln müsse. Und die Prophezeiung sei ja auch wahr geworden, denn er hätte das Land durch die Hungersnot geführt und viele Menschenleben gerettet, er hätte die Seinen von den falschen Göttern befreit und sie gelehrt, den wahren Gott zu erkennen.

Joseph ergreift das Wort: Musai irre sich, er sei nicht der Mann, von dem in der Prophezeihung die Rede sei. Eines Tages werde ein Mensch geboren, der alle falschen Götter zerstören und die Menschen auf eine völlig andere Weise retten würde. Er selbst sei nicht einmal würdig, „daß ich mein Angesicht: geschweige meine Hände unter seine Füßsohlen legen sollte“ (S. 67). Bereits seine Vorväter hätten Ankündigungen dieses Mannes erhalten.

Der Erzähler schaltet sich ein: Joseph meine zweifellos Christus und mit den Ankündigungen, die seine Vorväter erhalten hätten, sei die Kabbala gemeint, von der an anderer Stelle geredet werden solle.

Joseph nimmt nun Musai beiseite und berichtet ihm von der Sorge des Pharao, das Volk sei unzufrieden mit ihm. Musai erwidert, dass Josephs Politik schuld an dieser Unzufriedenheit sei, da die Menschen verarmt und fast alles Gut im Besitz des Pharaos sei. Die Wirtschaft sei ruiniert, weil kaum noch Geld im Umlauf sei. Der Pharao müsse das Geld wieder unter die Leute bringen und zirkulieren lassen, sonst würde er sein Land weiter lähmen. Zudem bestehe die Gefahr, dass er das Geld benutze, ein Heer auszurüsten. Es liege in Josephs Macht, die Wirtschaftskrise zu beenden.

Joseph stimmt der Analyse seines Verwalters uneingeschränkt zu, er weiß, dass Musai recht hat. Doch er weiß nicht, mit welchen Investitionen er das Geld wieder in Umlauf bringen könnte: Alle Dämme des Nils seien ausgebessert, er habe mehr Häuser und Paläste bauen lassen als notwendig, den Pharao zu Kriegen zu reizen sei nicht mit seinem Gewissen vereinbar, ebenso wenig, ihn zur Verschwendung zu bringen. Er habe Ägypten vor der Hungersnot bewahren, es aber nicht aussaugen wollen.

Musai rät ihm, den Pharao an seiner Ehrsucht zu packen. Er berichtet ihm von den Bauwerken, die Semiramis in Babylon errichtet habe, von der Mauer, den Brücken über den Euphrat und den hängenden Gärten. Er solle den Pharao dazu bringen, selbst nicht unbedingt notwendige, aber repräsentative Bauwerke errichten zu lassen, die Unsummen verschlingen und zum Ruhm Ägyptens beitragen würden. Anfangs hat Joseph noch Zweifel, ob der Pharao sich für solche „eitelen Thorheit[en] und unnütze[] Verschwendung“ (S. 76) begeistern könne, doch Musai gelingt es, ihn zu überzeugen.

Nachdem Joseph, der sich wieder um seine Geschäfte kümmern muss, gegangen ist, setzt Musai seine Erzählung fort. Er berichtet, wie er den Räubern weisgemacht habe, bei Joseph handle es sich um den Gott Apollo. Nachdem sie Joseph an Potiphar verkauft hatten, kehrte er nach Babylon zurück wo er aber feststellen musste, dass seine restlichen Güter einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen waren. Er beschließt, das Kaufmannsgewerbe aufzugeben und begleitet die Karawanen als Dolmetscher und Führer und lebt von den Belohnungen, die er für seine Dienste erhält.

Einmal begleitet er einen Herrn zum Orakel von Delphi. Er befragt das Orakel nach seiner Zukunft und erhält folgende Antwort: Wenn er denjenigen treffe, den er einst als Apollo auf den Thron gesetzt habe, dann werde er wieder zu Gut, Frau und Kindern kommen. Er müsse auf das Glück eines Elenden hoffen, wenn er selbst im Elend sei.

Die nächsten Jahre verbringt Musai auf vielen Reisen, auf denen er weder reicher noch ärmer wird. Eines Tages ist er mit einem Schiff in Richtung Griechenland unterwegs. Das Schiff wird von Seeräubern angegriffen. Er wird Sklave und muss zwei Jahre bei den Seeräubern bleiben, bevor er an einen ägyptischen Bauern verkauft wird, dem er als Gärtner dienen soll. Musai wird jedoch krank und der Arzt, der ihn untersucht, stellt fest, dass er für die Gärtnerarbeit nicht geeignet sei. Deshalb kauft er Musai dem Bauern ab. Bei dem Arzt eignet sich Musai schnell medizinische und pharmazeutische Kenntnisse an und übertrifft bald seinen Lehrmeister. Der Arzt wird neidisch auf ihn, und als die Leute des Pharaos Leibeigene für die Arbeit in den Gefängnissen holen, gibt er ihnen Musai mit. Im Gefängnis trifft MusaiJoseph wieder, der wegen der angeblichen Vergewaltigung Selichas gefangen gehalten wird.

Damit beendet Musai seine Erzählung und er und Asaneth verbringen den Rest des Tages mit Spaziergängen im Garten, wo sie die Schönheit der göttlichen Schöpfung bewundern. Zuletzt wird noch berichtet, dass es Joseph tatsächlich gelang, den Pharao zur Errichtung großer repräsentativer Bauwerke zu überreden. So begann der Bau der Pyramiden. Der Erzähler verweist auf Herodot und Plinius, die berichteten, welche ernormen Kosten der Bau der Pyramiden verursacht hätte. Musai wird zur Belohnung zum Wesir ernannt und erhält das Recht, eine eigene Dynastie zu gründen.

5.14. Wunderbarliches Vogelnest I (1672)
[arrow up]

Der fiktive Verfasser dieses Romans ist Michael Rechulin von Sehmsdorff.

Der Erzähler ist jener Hellebardier, der an der Tötung der Leyrerin am Ende des Springinsfeld beteiligt war und von dem es hieß, dass er spurlos verschwunden sei:

„DEr seltzame Springinsfeld erzehlet in seiner Lebens-Beschreibung / welcher Gestalt seine Leyrerin diß Vogel-Nest / davon ich jetzt zu reden vorgenommen / von einem Baum erhoben / dardurch unsichtbar worden / allerley possirliche Händel angestellt / und endlich umb Leib und Leben kommen; Jtem / daß bey ihrer Auffopfferung der jenig / so sich nach einem Nastüchlein gebuckt / das sie in ihrem sterben auß der Hand fallen lassen / mit Leib und Seel / Haut und Haaren / Kleidern und allem hinweg kommen / daß seither niemand erfahren / wohin er geflogen oder gestoben sey. | Dieser verschwundene Kerl nun werther Leser / bin ich / und in dem Nastüchlein stack das gemeldte Vogel-Nest / welches ich im Fallen aufffing / in Hoffnung etwas von Geld oder dergleichen darinn zu erschnappen“ (S. 3).

Als er bemerkt, dass das Vogelnest die Macht hat, seinen Träger unsichtbar zu machen, stellt er sich vor, welche Möglichkeiten ihm dieser Fund bieten könne. Doch das Ende der Leyrerin zeigt ihm auch die Gefahren auf, die die Unsichtbarkeit mit sich bringt. Er reflektiert den Umstand, dass solche magischen Dinge wie das Glückssäckel des Fortunatus oder eben dieses Vogelnest schnelle Befriedigung der Bedürfnisse versprechen, jedoch kein dauerhaftes Glück bringen. Im Gegenteil: Man weiß nie, ob nicht der Teufel solche Gegenstände als Instrument der Verführung einsetzt und das Vogelnest letztlich dessen Wünsche erfüllt. Aus dieser Reflexion spricht deutlich der erfahrene Hellebardier in der Retrospektive, er gesteht, dass er sich solche Gedanken zu dem Zeitpunkt, als er das Vogelnest erhielt, nicht gemacht hätte.

Nachdem er sich in einer burlesken Szene im Wirtshaus Nahrung beschafft und die Wirkungen der Unsichtbarkeit getestet hat, geht der Hellebardier auf Wanderschaft, um die Welt als unsichtbarer Beobachter zu beschauen. Zuerst gelangt er in ein adliges Haus, wo er Zeuge wird, wie zwei verarmte Adelsfamilien hoffen, durch Heirat und die damit verbundenen Beigaben die eigenen finanziellen Verhältnisse aufzubessern. Dabei wird jeweils dem anderen gegenüber mit vermeintlichem Reichtum geprangt, um die wahren Absichten zu überspielen.

Der Hellebardier zieht weiter, weil es ihn nicht interessiert, wie die Geschichte ausgeht. Er hat die Absicht, in der nächsten Stadt einen reichen Kaufmann zu bestehlen. Unterwegs beobachtet er eine Gruppe Bettler, die mit der Adelssphäre, die er gerade verlassen hat, konstrastiert. Er sieht, wie sie sich Wunden und Krankheiten aufschminken und Verkrüppelungen einüben, um Mitleid zu erregen. In den Augen des Hellebardiers gehen die „liederliche Bettler / Vaganten und unnütze Landstürtzer / mit denen unser Teutschland gleichsam überschwärmt ist“ (S. 30 f.), nur deshalb betteln, weil sie für ehrliche Arbeit zu faul sind. Er wünscht sich, dass die kräftigen Bettler als Soldaten in die Türkenkriege geschickt und die anderen zur Zwangsarbeit für das Allgemeinwohl herangezogen würden. In Teilen erinnert diese Passage an die Jupiter-Episode im Simplicissimus. Der Hellebardier fügt jedoch selbstkritisch an, dass er nicht besser sei als diese Bettler, weil er unsichtbar die Menschen bestehle.

Auf seinen Wanderschaften erlebt der Hellebardier zahlreiche Abenteuer. Er verprügelt einen Bauern, der die Jungfrau Maria beleidigt und wird Zeuge eines familiären Konflikts, in dem ein Bauer seine Tochter nicht verheiraten will, um sich die Mitgift zu sparen. Die Tochter vollzieht nachts heimlich die Hochzeit mit ihrem Geliebten.

In einer Stadt betritt er das prächtige Haus des Rentmeisters und hört die Klage eines Bauern, der die Angewohnheit hat, in jedem Satz die Formel wie es dann auch wahr ist zu verwenden, wodurch er sich aber scheinbar selbst beschuldigt, so dass dem Rentmeister nicht deutlich wird, worüber sich der Bauer eigentlich beklagt und er den Fall schließlich vertagt. Diese Passage wird Grimmelshausen im Teutschen Michel fast wörtlich als Beispiel für lächerliche Sprachgewohnheiten zitieren. Schnell bemerkt der Hellebardier, dass im gleichen Haus der alte Rentmeister im Sterben liegt. Die Familienmitglieder sind jedoch nicht in Sorge um ihn, da sie alle auf das Erbe hoffen. Er nimmt am Abendessen teil, bei dem er sich reichlich bedient. Er sieht jedoch davon ab, einen silbernen Becher zu stehlen, weil er Erbstreitigkeiten um diesen Becher befürchtet; stattdessen plant er, einen Wucherer zu bestehlen, weil diese ohnehin nur überflüssiges Geld hätten. Er nimmt noch einen großen Schluck aus dem Weinkrug, stellt ihn aber zu geräuschvoll wieder ab. Der junge Rentmeister glaubt, der Geist seines Vaters gehe um und sei auf dem Weg in den Himmel. Der Hellebardier kann sich vor Lachen kaum beherrschen und verlässt das Haus, in dem man, wie er boshaft bemerkt „in bälde eine Leiche zu haben verhoffte“ (S. 59).

Nachdem er im nächsten Dorf entdeckt hat, dass die dortigen Wirtsleute ihren Wein panschen, will er Wein vom Pfarrer stehlen. Dabei beobachtet er, wie der Pfarrer ein junges Mädchen zu verführen versucht und dieses Vorhaben mit allerlei pseudotheologischen Argumenten rechtfertigt. Als der Pfarrer zu zudringlich wird, nimmt er ihn und wirft ihn auf den Misthaufen. Er wundert sich über die Mädchen, die sich zu „gottlosen Geistlichen“ legen, aber auch darüber, dass Männer, die eigentlich die Geheimnisse der Heiligen Schrift kennen, „solche an sich selbst schwache einfältige und von Natur geile Creaturen“ verführen wollten (S. 65). Neben der scharfen Kritik an den Geistlichen wird hier auch die Misogynie des Hellerbardiers deutlich.

Am nächsten Morgen kommen zwei Studenten zum Pfarrhaus. Der Pfarrer, der wegen des ihm unerklärlichen gestrigen Vorfalls krank ist, gibt ihnen Wegzehrung mit. Der Hellebardier schließt sich den Studenten an. Unterwegs diskutieren die Studenten über Isaac Preyères Präadamitentheorie, die besagt, dass es bereits vor Adam Menschen gegeben habe. Diese Theorie gilt als ketzerisch, weil sie der biblischen Lehre widerspricht, weshalb Preyère abschwören musste. Einer der beiden Studenten will sie dennoch bei der nächsten Disputation vertreten und versucht mit theologischen Argumenten und der Exegese einiger Bibelstellen seinen Begleiter von ihrer Richtigkeit zu überzeugen.

Nach langer Diskussion erreichen sie eine Weggabelung und wissen nicht, welche Richtung sie einschlagen müssen. Sie fragen einen vorbeikommenden Mann nach dem Weg. Dieser gibt vor, ihnen einen einfachen und sicheren Weg zeigen zu wollen und führt sie immer tiefer in den Wald hinein. Der Fremde entpuppt sich als Räuber, der die Studenten mit einem Komplizen ausrauben und offensichtlich ermorden will. Einer der Studenten klagt: „Ach! [...] hätten wir an statt der eitelen Thorheiten / vergeblichen Nachgrüblungen und albern Disputationen gelernet / wie wir wol und seelig sterben solten!“ (S. 79). Als der Hellebardier ihre Not erkennt, verprügelt und verjagt er einen der Räuber und verhindert so die Ermordung der Studenten. Den anderen schlägt er nieder. Als die Studenten nun ihrerseits den ohnmächtigen Räuber töten wollen, spricht er unsichtbar zu ihnen und fordert sie auf, ihn der Obrigkeit zu übergeben. Daraufhin lassen sie ihn ziehen. Als die Studenten darüber nachgrübeln, wer ihnen geholfen hätte, bemerkt er ironisch, dass es vielleicht der Geist eines Präadamiten gewesen sein könnte.

Am nächsten Tag verschlägt es den Hellebardier in ein herrschaftliches Haus, in dem er eine eitle Dame beobachtet, die sich selbst im Spiegel bewundert. Er muss über ihr Gebaren lachen. Da sieht ihn die Frau im Spiegel – ein Spiegel hebt die Unsichtbarkeit durch das Vogelnest auf – und glaubt, eine „teufflische Erscheinung“ (S. 89) zu sehen, die sie für ihre Torheit verspotte. Der Hellebardier flüchtet in den Garten und ärgert sich über sich selbst, weil er diese junge Frau so sehr verwirrt hat. Dennoch nimmt er am reichen Festmahl mit allerlei raffinierten Speisen teil und bedient sich reichlich, bevor er weiterzieht. Im nächsten Dorf quartiert er sich in einem Bauernhaus ein, wo bittere Armut herrscht, in scharfem Kontrast zum verschwenderischen Reichtum, den er zuvor gesehen hatte. Er hat Mitleid mit der Bauersfamilie und hilft ihr, indem er zwei Taler, die er im Herrschaftshaus gestohlen hatte, hinterlässt.

Als er weiterzieht, denkt er angesichts der jüngsten Geschehnisse über den Sinn von Armut und Reichtum nach. Er kommt zu dem Schluss, dass Gott bei den Reichen deren Empfänglichkeit für Wollust und Hoffart prüfe, bei den Armen aber deren Geduld und Zufriedenheit. So erklärt er sich auch die unterschiedlichen Reaktionen, die er hervorgerufen hatte: Die Dame, die ihn im Spiegel gesehen hatte, hielt ihn für den Teufel, die Bauersfamilie hielt die Taler, als sie diese entdeckte, für ein Geschenk Gottes. Beide befanden sich im Irrtum: „Ob nun beyde Theil von mir so unterschiedlich geurtheilt / daß sie auch nicht unterschiedlicher hätten urtheilen können / so hat doch der Wahn alle beyde betrogen / und mich gelernet / wie wenig unserm eignen Beduncken zutrauen und zu glauben sey“ (S. 106). An dieser Stelle verweist er explizit auf den Simplicissimus, wo überall das Motto „Der Wahn betreugt“ geschrieben stehe.

Bald beobachtet der Hellebardier einen Kuhhandel, wobei sich herausstellt, dass der Verkäufer dem Käufer die gleiche Kuh zuvor gestohlen hatte. Er verfolgt den Betrüger und erkennt ihn als einen der beiden Räuber, die die Studenten überfallen hatten. Dieser trifft sich in einem Wirtshaus mit seinem Kumpanen und der Vogelnestträger hört, dass sie einen Einbruch in ein reiches Haus planen. Er beschließt, den Einbruch zu verhindern und verschafft sich Zutritt zu nämlichem Haus. Auf dem Markt hatte er außerdem erfahren, dass ein Ballen Wolltuch gestohlen worden war und vermutet, dass die beiden Räuber die Diebe seien. In der Nacht brechen die Räuber in das Haus ein und beginnen es zu plündern. Der Hellebardier stößt beide die Treppe hinunter. Während der eine Räuber unverletzt bleibt, hat sich der andere mehrere Knochen gebrochen. Weil der Gesunde befürchtet, der andere könnte ihn bei der Gefangennahme verraten, tötet er ihn mit einem Messer. Er wird vom Hellebardier, der unsichtbar zu ihm spricht, verjagt.

Am nächsten Morgen, als die Vorkommnisse der Nacht entdeckt werden, hätte der Hellebardier die Verwirrung leicht aufdecken können, doch weil er befürchtet, für den Komplizen des Räubers gehalten zu werden, schweigt er und zieht weiter. Er plant, an die polnische Grenze zu ziehen, wo er einen reichen Juden ausrauben will, denn sein Gewissen verbietet es ihm, einen Christen auszurauben. Unterwegs verliert er den Absatz eines Schuhs und muss vor anhaltendem Regen in die Hütte eines Schäfers flüchten, der mit allerlei Gaunereien seinen Herrn betrügt. Als ihm klar wird, dass die Beschaffung von Nahrung und neuer Schuhe mit Diebstählen verbunden wäre, kommt ihm auch der Gedanke, dass das Vogelnest ihm weder ein ruhiges Gewissen noch ein angenehmes Leben bereiten könne. Seine Situation ist nicht gut: Er ist unsichtbar, was ihn von den Menschen isoliert. Er fürchtet, dass er krank werden und sterben könne ohne die Hilfe und den Trost anderer Menschen. Zudem ist er mittlerweile voller Läuse. Schließlich bedenkt er auch, was geschehen würde, wenn man ihn und das Vogelnest entdecken würde: Man würde ihn foltern und als Zauberer verbrennen, er würde das Schicksal der Vorbesitzerin teilen müssen.

Er hofft, in einem Kloster neue Schuhe zu bekommen, stellt jedoch fest, dass der Schuster nur Rohmaterial hat, mit dem er Schuhe flickt, aber selbst keine Schuhe herstellt. So beschließt er, in dem Kloster zu warten, bis er neue Schuhe bekommen kann. Er belauscht eine Unterhaltung zwischen dem Prior und einem Laienbruder, dem Kellermeister, über den jungen Simplex, den Sohn des Simplicissimus. Es wird deutlich, dass die beiden nicht gut auf ihn zu sprechen sind, weil er der Liebling des Abts ist und ihm alle Verfehlungen der Mönche berichtet. Dies wird auf den Charakter des jungen Simplicius zurückgeführt, der nicht in der Lage sei, sich zu verstellen, sondern die Wahrheit immer unverschleiert darstellen müsse. Die beiden wollen dem jungen Simplicius eine Lektion erteilen.

Der Hellebardier stibitzt den Generalschlüssel des Priors und verschafft sich so Zutritt zu allen Räumen des Klosters. Er nimmt sich neue Schuhe und tauscht sein verlaustes Hemd gegen zwei frische aus. Er erfährt auch, dass der junge Simplicius geprüft werde, ob er für den Stand des Geistlichen tauge. Er ist vom jungen Simplicius angetan, kann aber die Intrige, die die anderen Mönche gegen ihn spinnen, nicht verhindern. Simplicius wird schließlich des Klosters verwiesen. Der Hellebardier bleibt noch eine Woche im Kloster und stellt fest, dass viele Mönche mit irdischen Geschäften so stark verbandelt sind, dass sie in keiner geringeren Gefahr ihrer Seligkeit leben als die Laien. Außerdem wertet er die Intrige gegen den jungen Simplicius als Zeichen, dass Neid und Missgunst auch hinter Klostermauern gedeihen. So verlässt er schließlich das Kloster.

Als er weiterzieht, begegnet er dem überlebenden Räuber wieder und verfolgt ihn in die nächste Stadt. Dort hatte der Räuber einen Rock in Auftrag gegeben, der nun fast fertig ist, nur die Knöpfe fehlen noch. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Obrigkeit ihm mit Hilfe des Schneiders eine Falle gestellt hatte: Der Schneider hatte ihn als einen der Diebe der Tuchballen erkannt und angezeigt. Der Räuber wird verhaftet und aufgehängt.

In einem Wirtshaus beobachtet der Vogelnestträger, wie der junge Simplicius aufgrund eines Missverständnisses als Ehebrecher beschuldigt wird. Der Hellebardier geht in ein anderes Gasthaus mit ähnlichem Namen, wo gerade ein alter Mann mit langem Bart ankommt: Es ist Simplicissimus, der dem Wirt berichtet, er habe einen Brief seines Sohnes erhalten, der aus dem Kloster geworfen worden sei, ohne zu wissen, warum. Er habe sich dessen Horoskop angesehen und bemerkt, dass genau an diesem Tag sein Sohn aus „Neid / Jrrung und Mißtrauen“ (S. 145) in Lebensgefahr geraten werde und ihn deshalb in dieses Gasthaus bestellt. Der Hellebardier begreift, dass der junge Simplicius offensichtlich die Gasthäuser verwechselt hat, da sie ähnliche Namen tragen.

Simplicissimus sieht, dass der Wirt in zwei Büchern gleichzeitig liest. Dieser sagt, dass er die AssenatPhilipp von Zesens (dessen Name nicht genannt wird) mit dem Keuschen JosephGreifnsons (= Simplicissimus = Grimmelshausen) vergleiche. Er habe festgestellt, dass es zwischen beiden Büchern erhebliche Unterschiede gebe. Simplicissimus nimmt nun die Assenat und liest den Roman. Als er fertig ist, übt er ausführliche Literaturkritik. Insbesondere die Kritik Zesens am Autor des Keuschen Joseph und dessen Quellenauswahl weist er entschieden zurück. Weil er sich in Zorn redet, fängt der Wirt an zu lachen und fragt Simplicissimus, warum er sich so aufrege und so wütend über eine Sache sei, die ihn nichts angehe. Daraufhin erwidert Simplicissimus, dass er selbst der Autor des Keuschen Joseph sei und begründet seinen Zorn so: „wie würde euch gefallen / wann jemand euch euer Geld hinweg nehme / und euch hernach außschrie / ihr hättet falsche Sorten? der Kerl zauset mir die Haar auß / und darff hernach allerdings sagen / ich hätte eine falsche Parücke“ (S. 153).

In diesem Augenblick erreicht sie die Nachricht, dass der junge Simplicius mit einem Ehepaar verhaftet worden sei. Simplicissimus bricht mit dem Wirt auf, um seinem Sohn zu helfen. Der Hellebardier schreibt eine Notiz, in der er den Hergang genau beschreibt und den jungen Simplicius entlastet. Dieser wird schließlich freigesprochen. In der Herberge erreicht Simplicissimus ein Brief, in dem ein Graf ein Stellenangebot an den jungen Simplicius zurückzieht, nachdem er erfahren hat, dass dieser in einem Kloster gestohlen habe. Der Hellebardier hat Mitleid mit dem jungen Simplicius, der so häufig verleumdet wird, doch als er hört, dass dessen Vater darauf gleichgültig reagiert und seinen Sohn zum Soldaten machen will, da dieser im Kloster oder am Hof ohnehin nicht frei leben könne, ist er erleichtert und verlässt die beiden.

Die Beobachtung eines jungen Liebespaares veranlasst den Hellebardier zu weiteren Reflexionen über moralische Grundwerte und er kommt zu dem Schluss, dass der Mensch sich bei seinen Handlungen immer bewusst sein müsse, dass Gott ihn sehen könne.

Mit diesem Vorsatz versucht er, die Sünden der Menschen zu verhindern, indem er einen Ehebruch vereitelt und einen korrupten Beamten strafen will. Doch schon bald muss er sich eingestehen, dass allein die Notwendigkeit, sich immer wieder Nahrung zu beschaffen, ihn zu weiteren Diebstählen zwingt. Schließlich rechtfertigt er diese Diebstähle, indem er das Recht auf Selbsterhaltung über das Recht auf Eigentum stellt. Dennoch will er seinen Vorsatz, stets Gottes Gegenwart vor Augen zu haben, um sich das ewige Leben zu verdienen, befolgen.

Nachdem er in betrunkenem Zustand eine Jungfrau entjungfert hat, beobachtet er am Tag darauf, wie ein Hirte eine „erschröckliche gen Himmel schreyende Sünde“ (ebd.), vermutlich Sodomie, zu begehen im Begriff ist und spricht unsichtbar zu ihm. Er macht ihm klar, dass er nicht unbeobachtet sei und Gottes Zorn errege. Der Hirte ist darüber so erschrocken, dass er sich umbringen will. Der Hellebardier verhindert den Selbstmord und begleitet ihn zum Priester, in dessen Obhut er ihn zurücklässt.

Später fragt er sich, wer mehr gesündigt hätte: Der Hirte oder er selbst, der selbst ein Sünder sei und sich hier als Tugendwächter aufspiele. Schließlich habe er selbst erst in der vergangenen Nacht eine „unbefleckte Jungfrau“ (S. 184) geschändet. Diese Reflexionen führen ihn zu einer weiteren Erkenntnis: Es genüge nicht, sich der stetigen Gegenwart Gottes bewusst zu sein, sondern man müsse ihn auch bitten, einen vor der Sünde zu bewahren. Außerdem sei es ein wirksamer Schutz vor der Sünde, wenn man alle Orte meide, die zur Sünde verführen könnten; besonders nennt er dabei das Trinken als Ursache der Sünde. Um seine Seligkeit nicht zu gefährden nimmt er sich vor, sich von nun an mehr um sie zu kümmern und seinen Begierden ernsthafter zu widerstehen.

Er setzt sich unter einen Baum, um im Buch der Natur zu lesen. Er beobachtet einen Vogel, der sich ein Nest baut, obwohl ihm keine Gefahr droht und interpretiert dies als vernünftiges und vorausschauendes Handeln. Er sieht, wie eine Kröte von einer Schlange verschlungen wird: Die Kröte steht für den sündenbeladenen Menschen, die Schlange für das Verderben. Die singende Nachtigall wird zum Vorbild der von Sünden unbelasteten Kreatur. Schließlich beschließt der Hellebardier, nach Hause zurückzukehren, zu beichten und den Anweisungen des Priesters „in aller Demuth“ zu folgen (S. 191).

Er gelangt in ein Dorf, in dem gerade ein Mann ein Pferd an einem Pfosten festbindet, auf dem ein Bienenkorb steht. Das Pferd reißt sich los und weil der Pfosten morsch ist, fällt auch der Bienenkorb herunter. Die Bienen stechen das Pferd, das daraufhin so wild wird, dass es erschossen werden muss. Der Hellebardier, der direkt daneben stand, bekommt auch viele Bienenstiche ab und rettet sich in eine Jauchegrube. Dort denkt er darüber nach, dass er trotz seiner Unsichtbarkeit Gottes Strafen nicht entgehen könne. Die Jauche wirkte aber desinfizierend und am nächsten Morgen sind die Wunden der Bienenstiche fast abgeheilt. Er denkt über die letzten Monate nach, denkt auch an das Ende der Leyrerin und kommt zu dem Schluss, dass das Vogelnest an all seinem Unglück schuld sei. Er überlegt, ob er es nicht verkaufen solle: Es gäbe genug reiche Herren, die ihm viel Geld dafür gehen würden. Doch er will nicht das Seelenheil eines Menschen gefährden und fürchtet die Folgen, die das Vogelnest in den falschen Händen heraufbeschwören könnte. Denn das Vogelnest verführe dazu, sich auf die Unsichtbarkeit und nicht auf Gott zu verlassen, was „die gröste Abgötterey von der Welt wäre“ (S. 195). Deshalb zerreißt er das Vogelnest in „sibenzehenhundert Fetzen“ (ebd.).

Als er das Vogelnest abgelegt hat, wird ihm dessen Ambivalenz deutlich: Einerseits diente es als Deckmantel für Sünde und Verbrechen, andererseits hatte es ihn zu der Erkenntnis gebracht, dass er sich jederzeit Gottes Gegenwart bewusst sein und die Gelegenheit zur Sünde meiden solle.

Er beobachtet, wie Ameisen die Reste des Vogelnests für ihren Bau benutzen und fasst den Entschluss, sich seinen Lebensunterhalt mit harter Arbeit zu verdienen und dem Pfad der Tugend zu folgen. Durch das plötzliche Auftauchen von Wölfen wird er aus seinen Gedanken gerissen und rettet sich auf eine Buche. Er sieht, wie ein offenbar reicher Kaufmann von einem alten Landstörzer zu jenem Ameisenhaufen geführt wird. Nach einigen Versuchen findet er Reste des Vogelnests und wird unsichtbar. Der Kaufmann nimmt das neue Vogelnest an sich und zieht seiner Wege. Der Hellebardier dagegen findet in einem Astloch jene tausend Dukaten, welche die Leyrerin diesem Kaufmann gestohlen hatte. Weil die Wölfe nun verschwunden sind, nimmt er das Geld und reist in die Stadt, in der er das Mädchen entjungfert hat, um sie zu heiraten. Er schließt seine Erzählung mit dem Hinweis auf die Lehren, die sie vermitteln soll. Wenn diese nicht erkannt würden, dann solle sie wenigstens gute Unterhaltung sein, besser als der Amadis sei sie allemal.

5.15. Rathstübel Plutonis oder Kunst reich zu werden (1672)
[arrow up]

Der Verfasser dieses Textes ist Erich Stainfels von Grufensholm.

Bei diesem Text handelt es sich um eine fiktive Gesprächsrunde, an der Vertreter aller Stände beteiligt sind. Mit dieser Textsorte nimmt Grimmelshausen Bezug auf das seit Harsdörffer populäre Gesprächsspiel nach festen Regeln. Insgesamt nehmen vierzehn Personen teil, fast alle Namen sind sprechend:

Der adlige Kavalier Martius Secundatus, der inkognito die Welt beschaut;

dessen Gastgeber Alcmaeon Atheniensis, ein Straßburger Bürger;

dessen Frau Cidona Corinthia;

Jungfrau Spes, deren Tochter;

Simplicissimus (vertritt als Laie annähernd den geistlichen Stand);

der Kaufmann Collybius;

der Knan als Bauer;

der Schwede Erich, Schreiber und Verfasser des Textes;

der Handwerker Laborinus;

die Meuder als Bäuerin;

die Komödiantin Coryphaea;

der sechzigjährige Jude Aaron;

Courasche als ehemalige Prostituierte und Zigeunerin;

Springinsfeld als ehemaliger Soldat und Bettler.

Der Schwede Erich erzählt, wie im Juli, zur heißesten Zeit des Jahres, sein Gastherr Alcmaeon beschließt, mit seiner Frau und seiner Tochter nach Sauerbrunnen zur Kur zu fahren. Ihn begleiten sein reicher Gast Secundatus und auch Erich. Eines Tages gehen sie an einem Bach spazieren, als sie eine seltsame Musik hören. Sie fragen einige Bauersfrauen, wer das spiele und erhalten die Antwort, dies sei der „Zimpelsüssus“ (S. 5). Diese Auskunft verstehen sie nicht, weshalb sie den Kaufmann Collybius und den Handwerker Laborinus befragen, die ihnen auf dem Weg entgegenkommen. Von diesen erfahren sie, dass es sich um den „weitberuffene[n] Simplicissimus“ handle (ebd.). Sie bieten den Reisenden an, ihnen diesen vorzustellen.

Sie finden Simplicissimus in Gesellschaft einer jungen Dame, die Musik macht. Die Begrüßung fällt höflich aus. Die junge Dame ist die Komödiantin Coryphaea, die Simplicissimus erst eine Stunde zuvor kennengelernt hatte. Secundatus schlägt vor, dass sie sich gemeinsam unter eine Linde setzen und dort ein nettes Gespräch führen könnten. Da werden sie durch einen Streit unterbrochen: Der Knan verhandelt mit dem Juden Aaron über den Kaufpreis eines Ochsen. Simplicissimus schlichtet den Streit und fragt Aaron im Scherz, wie lange es noch daure, bis er reich sei. Secundatus nimmt diesen Einfall auf und schlägt ein Gesprächsspiel vor, in dem die Kunst, reich zu werden, erörtert werden solle. Die Meuder kommt noch hinzu und so setzt sich die heterogene Gruppe unter die Linde, einen Locus amoenus, zum Gespräch.

Das Prozedere des Gesprächs ist folgendes: Gesprächsleiter ist Secundatus, der jedem Teilnehmer reihum das Wort erteilt. In den ersten Runden gibt jeder kurze Sentenzen von sich, die noch recht allgemein bleiben, z. B. sagt Aaron: „Man soll kein Geld außgeben / man wisse dann eigentlich / daß man wiederumb mehr darvor einnemmen werde“ (S. 17) oder die Meuder schlägt vor, die Kleider so lange zu tragen, bis sie nicht mehr tragbar seien. In den folgenden Runden wachsen sich die Vorschläge, wie man reich werden könne, zu Geiz und Betrügerei aus, etwa wenn der Knan sagt, dass man nicht zögern solle, krankes Vieh als gesund zu verkaufen, Spes vorschlägt, nur zu essen, wenn man hungrig sei und Simplicissimus ergänzt, dass man, wenn man eingeladen werde, umso mehr essen solle. Aaron rät, alle Freundschaften, die mehr Geld kosteten als einbrächten, zu beenden.

Die Reihenfolge des Gesprächs wird erstmals unterbrochen, als Simplicissimus sagt, dass man, wenn man reich werden wolle, am besten überhaupt nicht heirate; und wenn man heiraten müsse, dann solle man wenigstens eine alte Frau heiraten. Secundatus fragt ihn, wie er zu einem solchen Urteil komme. Simplicissimus führt aus, dass die Frauen nicht wirtschaftlich seien: Sie nähen, backen, kochen, putzen, alles koste Geld, sie erwirtschafteten aber nichts. Deshalb solle man, wenn man reich werden wolle, überhaupt nicht heiraten. Secundatus wendet ein, dass eine Frau Kinder bekommen könne, die haushalten könnten und ein Trost im Alter seien; Simplicissimus geht darauf nicht ein, sondern hält entgegen, dass junge Frauen das Geld nicht zusammenhalten könnten; alte Frauen seien wesentlich „haußhältischer / zusammenhäbiger und gesparsammer“, ja geiziger als andere Leute (S. 43). Zudem könne man hoffen, dass sie bald sterben. Man solle aber darauf achten, dass sie nicht zu viele Kinder hätten, weil diese dann den größten Teil des Erbes bekämen.

Insgesamt werden Sparmaßnahmen in allen Lebensbereichen, in Haus und Hof, Essen und Trinken, Kleidung und Schmuck, Freundeskreis und Familie vorgeschlagen. Aaron etwa sagt, dass man Gästen keine reichen Speisen oder Besonderes vorsetzen solle, denn dann kämen sie öfter; wenn ein Gast ein Freund sei, nehme er auch mit Brot und Käse vorlieb, sei er kein Freund, dann seien auch Brot und Käse verloren.

Secundatus schlägt nun vor, dass jeder in der Runde von dem Beruf erzählen solle, von dem er glaube, dass man durch ihn reich werden könne. Er selbst halte den Soldatenberuf für geeignet und will gerade beginnen, exemplarisch die Geschichte Johann von Werdts zu erzählen, als er von einem Lärm gestört wird. Zigeuner versuchen, den Hof zu plündern. Der Knan und die Meuder verteidigen ihr Hab und Gut und beschimpfen die Zigeuner. Secundatus greift ein und die Zigeuner entschuldigen sich. Da erscheint eine alte Zigeunerin auf einem Maulesel. An ihrer Redeweise erkennt Secundatus sie als Courasche. Weil er ihre und des Simplicissimus Lebensbeschreibungen gelesen hat, erhofft er sich von dieser Begegnung gute Unterhaltung und eine Versöhnung zwischen den beiden. Simplicissimus holt noch Springinsfeld auf seinem Stelzbein hinzu und weil alle Anwesenden bis auf Aaron auch die Lebensbeschreibung des Springinsfeld gelesen haben, sind sie gespannt auf dieses Zusammentreffen. Courasche schämt sich sichtlich, den beiden früheren Weggefährten wieder gegenüberzustehen.

Nun wird das Gespräch fortgesetzt und Secundatus trägt die Exempelerzählung über Johann von Werdt vor, der aus bäuerlichen Verhältnissen stammte und sich durch Tapferkeit im Krieg bis zum General hochgearbeitet habe und sogar geadelt worden sei. Seine Geschichte sei Beweis genug, dass man durch den Krieg zu Reichtum kommen könne. Für Alcmaeon hat derjenige, der dem Pfad der Tugend folgt und das Reich Gottes anstrebt, die besten Chancen auf Reichtum, was er mit der Geschichte des antiken Alcmaeon, dessen Namen er trägt, belegen will. Cidona fügt hinzu, dass man auch mit den Armen fühlen müsse. Auch sie erzählt eine Exempelgeschichte. Spes bestätigt, dass Tugend und Frömmigkeit zu Reichtum führten und erzählt eine Kurzfassung der Geschichte von Proximus und Lympida, die sie kürzlich in einem frommen Buch gelesen habe. Simplicissimus erwähnt, dass er die Geschichte von Proximus und Lympida erst kürzlich „zu meiner Zeitvertreibung“ (S. 86) aufgeschrieben habe und sie demnächst zu veröffentlichen gedenke; ein klarer Hinweis auf Grimmelshausens Roman Proximus und Lympida.

Die Aussage, dass Tugend und Frömmigkeit zu Reichtum führten, schränkt er aber ein: Gott beschere denen, denen er wohlgesonnen sei, eher Armut als Reichtum, schließlich seien auch Christus und seine Jünger arm gewesen. Die Gottlosen dagegen hätten kein Gewissen, seien aber reich an irdischen Gütern. Es sei töricht, Gott um irdische Güter anzuflehen, denn man könne nicht Gott und das Geld zugleich lieben. Wer unbedingt reich werden wolle, begebe sich in die Hände des Teufels, weil er bekomme, was er wolle und doch nicht zufrieden sei und immer noch mehr wolle, bis er schließlich tot und seine Seele verloren sei. Simplicissimus verweist auf die Geschichte des Avarus, die er in der Continuatio erzählt hat. Als Exempel erzählt er die Geschichte des Franciscus Sforzia, der eine ähnliche Karriere hatte wie Johann von Werdt.

Für Collybius können die Kaufleute am ehesten reich werden, wenn sie denn in der Lage seien, ohne Skrupel ihre Handelsinteressen durchzusetzen. Der Knan nutzt seinen Part, um umfassende Kritik an der Behandlung der Bauern zu üben. Adlige und Krieger beuteten sie aus, Wirte schröpften sie, Handwerker verkauften ihnen die Gegenstände zum doppelten Preis, die Zigeuner plünderten sie aus, die Schreiber würden das Wissen, das er über die Bauern preisgebe, nutzen, um sie noch mehr zu schinden; über die Juden wolle er nichts sagen. Wenn die Bauern nicht durch Adel, Soldaten, Krämer, wuchernde Handwerker oder zinsnehmende Schreiber nicht belästigt würden, könnten sie schon bald ihre Pflüge vergolden. Seine Kritik untermauert der Knan mit hintersinnigen Verballhornungen der Namen, Secundatus etwa wird zu Secundrarusselten gewogen.

Erich weist die Kritik des Knans zurück und verweist auf die gottgegebene traditionelle ständische Ordnung, nach der die Herrscher ihr Volk beschützen, die Priester für die Menschen beten, die Soldaten das Volk verteidigen und die Bauern es ernähren. Zudem erhalte der Bauer von jedem etwas zurück: Der Herr garantiere Ordnung, Frieden und Gerechtigkeit, von Händlern und Handwerkern erhielten sie Güter und die Schaffner, denen sie Zinsen bezahlen müssten, stellten ihnen das Land zur Verfügung. Der Knan beharrt jedoch auf dem Vorwurf, dass die Bauern von den anderen Ständen nur ausgenutzt würden.

Erich glaubt, dass die beste Methode reich zu werden die Hofkarriere sei: Wenn man sich bei den Herrschern beliebt mache, dann haben man gute Aussichten auf Reichtum. Zum Beleg verweist er auf Mazarin, der sich bei Kardinal Richelieu beliebt machte und später ganz Frankreich verwaltete und zu großem Reichtum und selbst zu Kardinalswürden gekommen sei. Secundatus wendet ein, dass es gefährlich sein könne, sich an die Mächtigen zu binden, weil diese wankelmütig seien, dennoch bleibt Erich bei seiner Meinung.

Courasche behauptet, der beste Weg, reich zu werden sei das Hurenhandwerk. Sie beklagt, dass sie ihre frühere Schönheit verloren habe und zählt viele antike Huren auf, die Mätressen mächtiger Männer geworden seien, die sie besser behandelten als ihre eigenen Ehefrauen. Sie verweist auf den Satyrischen Pilgram>, wo ausgeführt werde, dass Huren oft sogar mächtiger seien als Herrscher und Heroen. Obwohl das Hurenhandwerk unehrlich genannt werde, gebe es keine bessere Möglichkeit, reich zu werden.

Springinsfeld beklagt ebenfalls sein fortgeschrittenes Alter und den Verlust seines Beines, denn wenn er jünger wäre und kein Stelzbein hätte, dann würde er wieder im Krieg den Reichtum suchen. Er weist aber darauf hin, dass weder er selbst als Soldat noch Courasche als Prostituierte reich geworden seien. Als Exempel erzählt er die Geschichte Wallensteins, der es durch Ehrgeiz bis zum kaiserlichen Generalissimus gebracht und sehr viel Geld verdient habe. Später sei er jedoch zu reich und zu ehrgeizig geworden, weshalb er schließlich ermordet worden sei. Seine Erzählung fasst er sentenzartig zusammen: „Worauß zusehen / daß im Krieg zwar wol etwas zugewinnen / aber schwerlich zuerhalten“ (S. 117).

Laborinus sagt, dass die Geistlichen die besten Aussichten auf Reichtum hätten, weil sie wenig Arbeit und Mühe hätten und durch die Abgaben dennoch bestens versorgt seien. Secundatus widerspricht ihm: Die Geistlichen hätten große Verantwortung für die Seelen der Menschen und müssten viel Mühe aufbringen. Gerade die Pfründe stellten eine große Gefahr für ihr Seelenheil dar. Zudem seien die evangelischen Geistlichen durch die hohe Zahl ihrer Kinder sehr belastet.

Coryphaea erklärt den Schauspielerberuf zu einem guten Mittel, reich zu werden, wenn man das Publikum betören und zur Freigebigkeit bewegen könne. Sie nennt viele Beispiele aus der Antike, als Schauspieler zu hohem Ansehen und Reichtum gekommen seien.

Secundatus ruft nun Aaron auf, nimmt aber bereits dessen Antwort vorweg, indem er sagt, dass dieser mit seinem Beruf wohl zufrieden sei, weil er bedenkenlos schachern und andere übervorteilen könne. Secundatus ruft damit die antijudaistischen Klischees und Stereotype auf. Aaron nimmt den implizit geäußerten Vorwurf auf und nutzt ihn für eine Verteidigung der Juden:

„Jch sehe an deß Herrn Meinung / daß weise Leuth bißweilen auch irren / sintemahl wann ich die Wahl hätte / und mirs mein Religion zugebe / ich wol ein grosser Stocknarr were / wann ich meinen mühsammen und armseligen Stand / darinn ich Tag und Nacht mit saurer bitterer Muhe / Gefahr / Sorg und Angst nach meinem geringen stuck Brodt lauffen und rennen muß / nicht mit einem andern und bessern zuvertauschen wünschte: man legt uns zu / daß wir durch Betriegerey die Christen beseblen / verschweigt aber allerdings / daß dieselbe Kunst under ihnen auch üblich / und sich ein jeder / der mit uns handelt / befleisset / wie er dardurch zum Ritter an uns werden möge / und welcher einen Juden betreugt / bildet sich eyn / alß hätte er das gröste Werck von der Welt verrichtet / lachet darüber offentlich und heimlich in die Faust / und kan sich dessen nicht gnug rühmen: Trutz daß alßdann einer auß uns armen Tropffen aufgezogen käme / ein groß Geschrey darauß zumachen / und wie mans in dergleichen Fählen uns zukochen pflegt / zuschelten oder zusagen: Er hat mich beschissen (mit gunst) wie ein Schelm und wie ein Dieb / wurde ein solcher nicht noch darzu von aller Welt verschmähet und außgelachet / und noch darzu von der Oberkeit gestrafft oder mit Fäusten abgetrücknet werden? dahingegen wir arme Tropfsen jedermans Hünd / ja Verrähter alß die ärgste Schelmen seyn müssen“ (S. 125-127).

Secundatus fasst nun die Geschichten aus seiner eigenen Sichtweise als Adliger zusammen: Die meisten Geschichten lehrten ihn, mit wem er sich nicht einlassen dürfe, wenn er Geld sparen wollte: Er dürfe nicht zu freigebig sein (Cidonas Geschichte), sich nicht mit Kaufleuten einlassen (Collybius), Hofbeamten nicht zu viel Macht zugestehen (Erich) und nicht zu den Huren gehen, weil man dort Geld, Gesundheit und Ansehen verliere (Courasche). Lediglich Springinsfeld und Simplicissimus stimmt er uneingeschränkt zu. Er bittet Simplicissimus, ihm zu sagen, wie man am sichersten dem Verderben entgehen könne.

Simplicissimus nutzt diese Gelegenheit zu einer umfangreichen Kritik am Luxusleben der Adligen am Hof nach französischem Vorbild, das diese in den Ruin treibe. Er zählt auf, wie viele kostenintensive Gegenstände zum Hofleben gehören: Gepuderte Perücken, Privatzoos mit exotischen Tieren und Pflanzen, Mätressen, das Bauen von Schlössern, Raumschmuck durch Tapeten, Gemälde und Antiquitäten, Livrees für die Diener, teure Parfums, Musiker und Kastraten, Hofnarren, Gaukler, allerlei Personal usw. Wer arm werden wolle, müsse nur Delikatessen aus aller Herren Länder jeden Tag auf den Tisch bringen und die besten und teuersten Weine servieren, sich in französischen Stoff kleiden mit Handschuhen, Strümpfen und Schuhen. Wenn man Geld verlieren wolle, solle man seine Zeit mit Essen, Trinken, Schlafen, Buhlen und Spielen verbringen. Man solle das Geld verprassen, das ohnehin die Bauern verdienten und das Jagdprivileg nutzen und Jäger, Hunde und Jagdgehilfen beschäftigen oder Beizjagd betreiben, was ebenfalls viel Geld koste. Man solle viel reisen oder den Sohn auf Reisen schicken, der dort lerne, das Geld durchzubringen und schlechte Sitten übernähme. Er solle seine Höflinge reich bezahlen und mit allem versorgen, was sie wünschen, so dass sie noch mehr Höflinge anlocken. Simplicissimus sagt, er wisse noch viele Mittel, arm zu werden und wenn all dies nicht helfe, sein Geld zu verlieren, so könne ein Fürst noch einen unnötigen Krieg mit einem mächtigen Fürsten beginnen. Wenn auch dies nichts nütze, dann solle er seine Untertanen aussaugen, das Geld im Ausland verschwenden und dafür sorgen, dass es nicht zurückkomme.

Secundatus dankt Simplicissimus für seine ehrlichen Worte, verspricht, ihnen zu folgen und beendet das Gespräch. Seine Diener haben inzwischen Essen gebracht und er lädt alle Anwesenden ein, mit ihm zu essen. Er zeigt sich sehr freigebig. Den Rest des Tages verbringt die Gesellschaft mit Essen, Tanzen und anderen Belustigungen.

5.16. Die Verkehrte Welt (1672)
[arrow up]

Diese Satire wurde unter dem Pseudonym Simon Leugfrisch von Hartenfels verfasst.

Titelseite und Titelkupfer scheinen eine traditionelle Darstellung der verkehrten Welt anzukündigen: Ein Reichsapfel steht auf dem Kopf und verdeckt die Klinge eines Messers. Ein Ochse weidet einen Metzger aus, ein Soldat trägt die Sense und ein Bauer eine Muskete. Ein Hirsch greift einen Jäger an und ein Armer gibt einem Reichen Almosen. Im dem eigentlichen Text vorgeschalteten Praeambulum aber wird mit diesen Erwartungen gebrochen: Darstellungen verkehrter Welten, wie im Titelkupfer zu sehen, kenne man genügend. Darüber müsse man nichts schreiben.

„Derowegen will ich hier etwas aus einer andern Verkehrten Welt vormahlen / worinnen nemblich der Arme Lazarus / dem vor zeiten die Hund seine Geschwere leckten / mit himlischer Freude getröstet: Der reiche Prasser aber welcher täglich herrlich zuleben gewohnet gewesen / mit höllischer Pein gequlet wird; Wo die Tyrannen / die etwan zu ihrer Zeit der gantzen Welt zubefehlen hatten / jezunder in ihrem unaussprechlichem Schmertzen sich verwundern / daß die Jenige / deren Leben sie vor ein Thorheit und spöttisch Beyspiel gehalten / und die sie in ihren angestellten persecutionibus grausamlich töden lassen / nunmehr unter die höchste Freund Gottes gerechnet und gesetzt worden“ (fol. A ij v).

Es soll also eine verkehrte Welt gezeigt werden, in der die Sünder ihre gerechte Strafe erhalten, die Gläubigen und Tugendhaften aber ihre Belohnung. Die Stoßrichtung der Satire kehrt also die üblichen Darstellungen der verkehrten Welt um: Die reale Welt ist die verkehrte Welt, während die satirische Darstellung die Norm repräsentiert. Die satirische Norm entsteht also durch doppelte Verkehrung.

Der namenlose Ich-Erzähler wandert eines Tages im April ins Gebirge, um Kräuter für seine Hausapotheke zu sammeln. Dabei gerät er in einen Platzregen und stellt sich in einem hohlen Baum unter. Der Boden gibt aber plötzlich nach und der Erzähler fällt lange Zeit abwärts, bis er schließlich in der Hölle landet.

Weil er nicht tot und verdammt ist, übersteht er den Sturz unversehrt und spürt die Hitze der höllischen Flammen nicht. Von seinem Genius, seinem Schutzengel, begleitet, läuft er durch die Hölle und beobachtet die Strafen für die Sünder. Diese sind so eingerichtet, dass die im Leben begangene Sünde durch die Strafe auf den Sünder zurückfällt (Prinzip der Spiegelstrafe). An den einzelnen Stationen bekommt er Gelegenheit, mit einem der Verdammten zu sprechen. Dieser erzählt ihm eine exemplarische Lebensgeschichte, die mit Sünde und Verdammung endet. Sodann berichtet der Erzähler von den jetzigen Zuständen auf der Erde, wobei er diese stark idealisiert darstellt und so den Eindruck bei den Verdammten erweckt, das irdische Paradies sei Wirklichkeit geworden. Die einzelnen Stationen sind also triadisch aufgebaut mit der Schilderung der Strafe, der exemplarischen Beschreibung der bestraften Sünde und einer fiktiven Darstellung der Welt, wie sie sein sollte. Durch die Idealisierung der Zustände in der Welt der Lebenden wird eine verkehrte Welt aufgebaut und der verkehrten, auf den Kopf gestellten realen Welt als Wunschzustand gegenübergesetzt.

So müssen sich etwa die Ketzer gegenseitig glühende Stäbe aus dem Gehirn ziehen, aus denen Käfige geflochten werden, mit denen später Leichtgläubige eingefangen werden sollen. Aus den Hirnen der Ketzer entstehen also im wahrsten Sinne des Wortes Hirngespinste. Den Geizhälsen wird das Blut mittels einer Presse herausgepresst. Von diesem Blut ernähren sich die anderen Geizhälse, bis sie so vollgesogen sind, dass sie ihrerseits ausgepresst werden können und so ihr Blut nun anderen zur Nahrung dient. Damit soll darauf hingewiesen werden, dass Geizhälse davon leben, andere auszupressen.

Der Erzähler begegnet auf seiner Reise durch die Hölle unter anderem dem römischen Kaiser Julian Apostata, der die Christen verfolgen ließ, Werbern, die von den Soldaten, die sie angeworben hatten und die im Krieg fielen, ihrerseits angegriffen werden, Raubdruckern, Münzfälschern, gottlosen Pfarrern und betrügerischen Wirten. Endlich gelangt unter großen Mühen wieder an die Oberfläche. Dort erfährt er, dass er sich siebzehn Meilen von zu Hause entfernt befindet. Nach einer viertägigen Wanderung kehrt er nach Hause zurück, doch ohne Kräuter und Wurzeln für seine Hausapotheke.

5.17. Der stoltze Melcher (1672)
[arrow up]

Diese Flugschrift wurde anonym publiziert. Historischer Hintergrund ist die Expansionspolitik Ludwigs XIV., der in Vorbereitung seines Angriffs auf die Vereinigten Niederlande Werber in die Ortenau schickte, um junge Männer als Soldaten anzuwerben. Später stationierte er dort Truppen, die von der Bevölkerung versorgt werden mussten. Grimmelshausen schickte in seiner Eigenschaft als Schultheiß von Renchen mehrere Petitionen an seinen Brotherrn, den Bischof von Straßburg, um diesen darauf aufmerksam zu machen, dass die Bevölkerung diese Lasten nicht länger tragen könne. Der Bischof unterstützte jedoch die Politik des Sonnenkönigs und ignorierte die Protestbriefe Grimmelshausens. Die vorliegende Flugschrift ist offensichtlich Teil dieses Protests, doch Grimmelshausen konnte es offensichtlich nicht wagen, seine Verfasserschaft zu erkennen zu geben.

An einem heißen Tag während der Kirschernte faulenzt der Ich-Erzähler und liest, hinter einem großen Busch versteckt, im Hirnschleiffer des Aegidius Albertinus. Bald wird er schläfrig und träumt vom Reisen. Weil das Reisen durch den Krieg am billigsten sei, spielt er mit dem Gedanken, selbst Soldat zu werden. Als er wieder aufwacht, sieht er, wie sich auf der Straße drei junge Männer nähern. Der erste ist ein Savoyer, der zweite ein Handwerksgeselle aus der Schweiz und der dritte ist der Sohn eines reichen Bauern aus der Gegend, der als der Stolze Melcher bekannt ist. Er war vor einiger Zeit weggelaufen und hatte sich als Soldat einem Kriegsheer angeschlossen. Nun kommt er matt, ausgemergelt und verwundet zurück.

Sie setzen sich unter einen Kirschbaum, wo der Ich-Erzähler ihr Gespräch mithören kann. Er erfährt, dass die drei im Krieg zwischen den Franzosen und den Vereinigten Niederlanden mitgekämpft hatten. Melcher sei prahlend von zu Hause ausgerissen und habe getönt, er werde als Edelmann wiederkehren und ihnen allen befehlen. Nun schäme er sich, in seinem erbärmlichen Zustand heimzukehren. Er bittet den Handwerksgesellen, seiner Mutter seine Ankunft zu melden.

Obwohl die Mutter ihren Sohn verflucht hatte, ist sie über dessen Rückkehr so froh, dass sie ihren früheren Groll vergisst und ihn freundlich begrüßt. Der Erzähler bemerkt, dass Melcher krank ist, doch er empfindet kein Mitleid, sondern fasst dies als Strafe dafür auf, dass Melcher früher seine Zeit mit Saufen und Spielen im Wirtshaus verbracht und andere Leute bestohlen und Mädchen geschändet hat: „Dann mich dunckt dein Lust zum Krieg sey gebüßt: dein vnleitsammer Vbermuht sey vergangen: dein flegelhaffte Hoffart sey verschwunden: dein boßhafftiger Muhtwill sey gedämpfft / vnd dein außgelassene Viehische Geilheit sey erloschen“ (S. 2). Als die Mutter seinen abgemagerten Körper sieht, weint sie.

Inzwischen hat auch Melchers Vater von dessen Ankunft erfahren. Er kommt mit einem Knüppel, um seinen Sohn zu verprügeln, wovon ihn die Mutter abhalten kann. Der Vater ist aber nicht bereit, Melcher wieder bei sich aufzunehmen. Er hätte Soldaten niemals gemocht und nun habe sich sein Sohn sogar den Franzosen angeschlossen, um seine eigenen Landsleute mit Krieg zu überziehen. Er hätte geprahlt, reich und herrlich nach Hause zurückzukehren, nun bringe er nur Läuse und einen Stecken mit. Er solle liegen, wie er sich gebettet habe. Deshalb will er den „ohngerathenen Galgenschlüngel“ (S. 8) auf der Straße liegen lassen.

Der Handwerksgeselle legt ein gutes Wort für Melcher ein: Er habe Fehler gemacht, doch er habe daraus gelernt. Er werde durch gutes Verhalten seine Fehler wieder gut machen. Zudem sei er in seinem jetzigen Zustand genug bestraft. Der Vater zeigt sich jedoch unversöhnlich und sagt, dass seiner Meinung nach alle, die im Krieg die Freiheit der Deutschen gefährden, am höchsten Baum aufgehängt werden sollten. Daraufhin wird er vom Gesellen als „vnerkandtliche[r] vnd undanckbare[r]“ Bauer beschimpft (ebd.).

Weil es Feiertag ist, gehen viele Leute spazieren. So kommen auch der Junker und der Pfarrer vorbei und hören den Streit. Als der Junker Melcher sieht, droht er diesem an, ihn bei Wasser und Brot in den Turm einsperren zu lassen. Dieser aber antwortet, Wasser und Brot im Turm seien besser als der Krieg. Er schildert die Mühen und Entbehrungen des Kriegswesens, die schlechte Verpflegung der Soldaten und das Bewusstsein der ständigen Lebensgefahr. Er werde in Zukunft junge und unerfahrene Burschen vor dem Krieg warnen und ihnen von dessen Schrecken erzählen. Er bittet den Junker um Fürsprache bei seinem Vater und den Pfarrer, sich an das Gleichnis vom verlorenen Sohn zu erinnern.

Der Junker macht Melcher Vorwürfe, er habe seine gute Erziehung einfach weggeworfen und so seinen Vater durch Missachtung beleidigt. Er glaubt nicht an eine dauerhafte Wandlung Melchers: Wenn es ihm wieder besser gehe, werde er sein früheres Leben fortsetzen. Dennoch wolle er ihm eine Chance geben und gibt dem Vater auf, seinen Sohn probehalber wieder aufzunehmen. Dem protestierenden Vater sagt er, dass er ihn immer noch fortjagen könne, wenn Melcher sich nicht bessere.

So stiftet der Junker durch seine Vermittlung Frieden zwischen Melcher und seinen Eltern. In diesem Augenblick jedoch beginnt der Pfarrer eine scharfe Predigt: Melcher verdiene nichts anderes als das, dessen Anfänge er jetzt erlebe. Auch die Eltern und die Obrigkeit beschimpft er, weil diese die Kinder nicht besser im Zaum hielten und ihnen die christliche Sittenlehre nahebrächten.

Der Savoyer wird vom Junker für einen Franzosen gehalten, was er heftig von sich weist: Er sei in holländischen Diensten gewesen und von den Franzosen gefangen worden. Diese hätten ihn zu niedrigsten Arbeiten gezwungen und ihn und die deutschen Söldner als lebende Schutzschilde missbraucht. Sie hätten immer in vorderster Front kämpfen müssen, wo die Wahrscheinlichkeit zu überleben sehr gering sei. Er habe niemals eine Armee erlebt, in der Menschenleben so wenig zählten wie die französische.

Der Handwerksgeselle weiß noch schlimmere Dinge von der französischen Armee zu berichten: Er sei mit Melcher zusammen als schweizerischer Söldner in dieser Armee gewesen und seine Berichte bringen sogar den vorher unversöhnlichen Vater zum Weinen. Die Söldner müssten unsinnige Befehle ausführen, bei denen der Tod wahrscheinlicher sei als die Ausführung, sie müssten bei schlechter Verpflegung hart arbeiten und im Lager grassierten Krankheiten. Von hundert komme einer lebend nach Hause, und dieser trage Folgeschäden für den Rest seines Lebens.

Den Weg nach Hause verbringt die kleine Gesellschaft mit Diskussionen über das Verhältnis der Deutschen zu den Franzosen, über das Militärwesen in Deutschland und über den Französisch-Niederländischen Krieg. Schließlich kommen sie im Dorf an. Dort hat sich eine Menschenmenge versammelt und Melcher muss viel Hohn und Spott über sich ergehen lassen. Er erträgt ihn wie ein reumütiger Sünder. Endlich kommen sie zum Haus des Vaters, der sie alle, den Erzähler inklusive, zum Essen einlädt.

Der Text endet mit dem Hinweis, dass die Geschichte als Warnung zu verstehen sei. Man solle nicht mit dem Krieg durch die Welt ziehen und eines Tages möglicherweise als „teutsche Frantzosen“ (S. 16) gegen das eigene Vaterland kämpfen. Wer dies tue, verdiene sich die Strafe, die der Vater und der Pfarrer Melcher gerne verhängen würden. Daher wolle der Erzähler sich einstweilen mit dem Hirnschleiffer begnügen.

5.18. Proximus und Lympida (1672)
[arrow up]

Dieser Legendenroman ist der dritte jener Texte, die Grimmelshausen unter seinem richtigen Namen publizierte. Auf dem Titelblatt steht die Verfasserangabe „H. J. Christoffel von Grimmelshausen / Gelnhusano“. Den Roman widmet Grimmelshausen dem Freifräulein Maria Dorothea von Fleckenstein (geb. 1660), von deren Vater der Autor Grundstücke gepachtet hatte und mit dem er auch sonst geschäftliche Beziehungen unterhielt. Möglicherweise ist Jungfrau Spes, die in Rathstübel Plutonis als Leserin einer Geschichte über das titelgebende Paar genannt wird, die literarische Verewigung der jungen Adligen (vgl. Werke II, S. 1045).

Neben dieser Widmung sind dem eigentlichen Roman noch zwei Widmungsgedichte und eine Vorrede vorgeschaltet. Das erste Gedicht grenzt den vorliegenden Roman scharf vom populären Amadis ab, der durch eine oberflächliche Heldengeschichte die Keuschheit seiner Leser gefährde. Proximus und Lympida> dagegen führe eine Liebe ohne Schmerz und Schaden vor und diene der Erquickung. „Der Grimmelshäuser“ habe den Roman zwar „durch hohe Red-art nicht künstlich außgeschliffen“ (ebd.), doch er sei so beschaffen, dass jedermann Nützliches daraus entnehmen könnte. Der Verfasser dieses Gedichts ist ein gewisser Sylvander.

Im zweiten Gedicht richtet sich der Diener Perikles mit einem „[k]urtze[n] Zufruff an den Grimmelshäuser“. Er lobt den Autor, weil er neue Einfälle habe und die Sitten und Tugenden fördere. Er solle sich nicht um die Kritiker Momus und Zoilus kümmern, denn er schreibe das Buch zu allgemeinem Nutzen und nicht, um den Kritikern zu gefallen. Er werde bei denen beliebt werden, die das Laster vermeiden wollten.

Die beiden Widmungsgedichte geben viel über Grimmelshausens Wirkungsabsichten preis: Auch hier geht es ihm darum, die Tugenden seiner Leser zu fördern und die Laster zu beseitigen. Anders als in den satirischen Schriften ist Grimmelshausens Mittel hier nicht die Satire, sondern die Erzählung einer vorbildlichen Liebe zweier exempelhafter Charaktere, die sich das irdische Glück durch Tugend und Frömmigkeit verdienen. Anders als in Dietwalt und Amelinde wird hier die Liebesgeschichte geschickt in die historischen Ereignisse integriert. In beiden Gedichten wendet sich ein fiktiver Autor, wohl Grimmelshausen selbst (Sylvander = Ander sylv = der andere selbst (Alter ego); Perikles = Ic sel per = ich selber (vgl. Werke II, S. 1046 f.)) an den Grimmelshäuser, beide Male in Abgrenzung von der populären Literatur der Zeit bzw. von den Kritikern. Insbesondere das zweite Gedicht könnte als Hinweis gewertet werden (ähnlich wie die Vorrede zu Vogelnest II, vgl. unten), dass Grimmelshausens Schreibabsichten nicht erkannt oder nicht gewürdigt wurden oder er als Ungelehrter von der etablierten literarischen Elite nicht ernst genommen wurde. Zudem ist die Erwähnung von Momus und Zoilus ein Intertextualitätssignal und verweist auf den Satyrischen Pilgram und somit auf den Autordiskurs.

Die umfangreiche Vorrede bettet den Roman in den historischen Kontext ein: Die Geschichte ist in die Jahre zwischen 570 und 650 angesiedelt, in der viele Tyrannen und Mörder auf den Thronen saßen und heilige Männer lebten wie Papst Gregorius und die Bischöfe Arbogast von Straßburg und Kunibert von Köln. Es ist eine Zeit voller Wunder und wunderlicher Begebenheiten. Es wird berichtet, dass zwischen 589 und 591 der Tiber dreimal über die Ufer trat und schwere Verwüstungen anrichtete und in Konstantinopel der leibhaftige Teufel umging. Er erzählt von einem Mann, der von Hornissen angegriffen wurde und danach dem Wahnsinn verfiel, sich für Christus hielt und Wunderheilungen durchführte, bis er schließlich ermordet wurde. In dieser Zeit gaben die Goten den Arianismus auf und die Angelsachsen und die Langobarden wurden zum Christentum bekehrt, es wurde aber auch das „verfluchte Kind Mahomet geboren“ der durch seine neue Religion als „falsche[r] Prophet und Ertzketzer“ (fol. A x r) den Orient der christlichen Religion abspenstig machte. In dieser Zeit gab es viele Kriege; Könige und Fürsten wurden ermordet, Völker ausgerottet und mehrere Male die politische Ordnung umgewälzt. Erstmals wurden die Christen von den Sarazenen angegriffen und das Oströmische Reich verlor die Herrschaft über Mesopotamien.

All dies erzählt der Autor, um dem Leser deutlich zu machen, dass Gott die Seinen auch in solch chaotischen Zeiten mit vielen Kriegen und Verwerfungen, in denen alles „Bund über Eck“ geht (fol. B ij v), beschützt, sie aber zugleich in ihrer Beständigkeit prüft und läutert, so dass sie umso sicherer die ewige Seligkeit erreichen. Grimmelshausen schließt die Vorrede mit dem Hinweis, dass der Leser den Roman „beydes zu seiner Ergetzung / und zu seinem Nutz“ lesen solle (fol. B iij r).

Der in neun Teile gegliederte Roman beginnt mit der Rückkehr des oströmischen Heeres nach Konstantinopel nach einem siegreichen Krieg gegen die Perser. In dem Heer ist auch der Ritter Myrologus, der als Kriegsheld gefeiert wird. Er selbst ist jedoch davon überzeugt, dass diese Ehre einem anderen gebühre, der ihn vor der Übermacht der Feinde gerettet hätte und danach verschwunden sei. Dieser tapfere Ritter trug einen Schild mit drei fünfzackigen Sternen auf goldenem Feld, was er jedoch verschweigt, damit kein Hochstapler an dessen Stelle treten könne. Nach einer feierlichen Zeremonie, in der der Toten und des unbekannten Helden gedacht wird, wird er entlassen und kehrt zu seiner Familie zurück, zu seiner Ehefrau Hapsa und seiner Tochter, der „unvergleichlichen Lympida“ (S. 6).

Währenddessen kehrt auch der junge Proximus, der seinen ersten Krieg gefochten hat, zu seinem bettlägerigen Vater Modestus zurück. Dieser befragt seinen Sohn nicht nach Heldentaten, Kriegsereignissen oder nach der Beute, weil er ihn fromm erzogen hat und weiß, dass dieser auf solche Dinge keinen Wert legt. Er freut sich nur über die Rückkehr des Sohnes, der unter Gottes Schutz gestanden habe. Er nimmt ihm das Versprechen ab, nach seinem Tod von dem geerbten Vermögen guten und gottgefälligen Gebrauch zu machen. Da entdeckt er, dass Proximus einen fremden Schild trägt, auf dem auf einem goldenen Feld der Meeresfisch Pristis und der Stab des Merkur mit zwei Schlangen umwickelt zu sehen sind. Er fragt den Sohn nach dem Verbleib seines eigenen Schildes. Dieser erzählt, dass sein eigener Schild in der Schlacht so zerhackt wurde, dass er keinen Schutz mehr geboten habe, weshalb er den Schild eines gefallenen Persers an sich genommen habe. Modestus sagt, dass der Schild von hoher Abkunft sei und sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie befunden habe. Er sei der Sage nach dem Urahn der Familie, dem syrischen König Antiochus, der den Beinamen Retter Alexanders des Großen trug, am Vorabend des Krieges gegen die Galater im Traum erschienen. Er hätte den Krieg unter diesem Feldzeichen geführt und den Sieg davongetragen. Seither sei der Schild als Ehrenzeichen von Generation zu Generation weitervererbt worden. Als die Familie zum christlichen Glauben wechselte, hätte man aus dem einen fünfzackigen Stern drei gemacht, um den Glauben an den dreieinigen Gott zu symbolisieren. Deshalb solle Proximus den Verlust des Schildes beim Kaiser anzeigen und es ihm überlassen, welches Wappen er ihm verleihen wolle. Vorher wolle er aber Proximus nicht mehr als seinen Sohn anerkennen.

Es wird erzählt, dass Modestus zwar friedlich gesinnt sei, aber die politische Anständigkeit und moralischen Tugenden seines Sohnes streng überwache, und aufgrund dieser Erziehung sei Proximus zum „Spiegel aller Tugend“ geworden (S. 13), weshalb er auch die Rede seines Vaters nicht missbilligt. Er sieht es nun selbst als Schande an, seinen Schild verloren und einen anderen genommen zu haben. In der Nacht lässt Modestus seinen Sohn rufen und erzählt ihm die Geschichte der Familie.

Seit Antiochius hätte die Familie viele Generationen in Antiochia gelebt, auch noch sein eigener Vater. Alle hätten hohe Ämter in der Stadt bekleidet. Er selbst aber sei mit seinem Freund Mauritius in die Fremde gezogen und sein Vater hätte sie nicht aufgehalten aufgrund zweier Weissagungen: Die erste besagt, dass Antiochia ein großes Unglück bevorstehe, das die Stadt ruinieren werde, die zweite, dass Mauritius eines Tages römischer Kaiser werde. Modestus sei mit Mauritius, der fromm und tugendhaft gewesen sei, durch die Welt gezogen, sie hätten Pilgerreisen unternommen und gemeinsam Kriege geführt. Schließlich sei Mauritius tatsächlich Kaiser geworden, indem er die Tochter des Kaisers Tiberius geheiratet hätte und von diesem zum Nachfolger ernannt worden sei. Als Mauritius römischer Kaiser gewesen sei, hätte er seinen Freund nicht vergessen, sondern ihn mit einer tugendhaften Frau verheiratet. Doch schon bald sei das Unglück hereingebrochen: Modestus' Vater hätte ihn, im Sterben liegend, gebeten, die Güter der Familie zu versilbern und das Geld nach Konstantinopel zu bringen. Während dieser Zeit des Verkaufs und der Trauer um den Vater hätte er seinem Freund nicht helfen können und Mauritius sei geizig und grausam geworden. Er hätte so schlimme Dinge getan, dass Gott ihn in einem bösen Traum vor die Wahl gestellt hätte, ob er im Diesseits oder im Jenseits seine Strafe erhalten wolle. Mauritius hätte seine Sünden bereut und Modestus hätte ihm bei der Buße geholfen. Schon bald sei Mauritius mit seiner Familie ermordet worden.

Modestus hätte gefürchtet, wegen seiner Freundschaft zu dem Kaiser ebenfalls bestraft zu werden und sei deshalb noch frommer geworden als zuvor. Tatsächlich hätte er sich in höchster Gefahr befunden, weil der neue Kaiser sein Vermögen hätte an sich bringen wollen. Weil seine Frau zu diesem Zeitpunkt hochschwanger gewesen sei, hätte er nicht fliehen können. Deshalb sei er mit ihr im Schutz der Nacht untergetaucht und habe sich bei einem Hafner versteckt in der Hoffnung, dass Gott ihre Lage eines Tages wieder bessern werde.

Trotz hoher Belohnung für ihre Ergreifung seien sie von dem armen Hafner nicht verraten worden. Modestus' Güter seien vom Kaiser konfisziert worden, er selbst hätte aber vom Hafner das Töpfern und seine Frau das Spinnen und Sticken gelernt. Ihr weniges Geld hätten sie mit dem Hafner und seiner Familie geteilt und Gott gelobt, dass sie der Prahlerei des Reichtums nun nicht mehr verfallen könnten.

In diesem Elend sei Proximus geboren worden, seine Mutter aber hätte seine Geburt nicht überlebt (hier werden Parallelen zur Geburt des Simplicissimus deutlich). Die Frau des Hafners sei seine Säugamme geworden. Eines Tages hätte sie ihn in eine Decke gewickelt durch die Straßen getragen, die Modestus' Frau gestickt hätte. Anhand dieser Decke sei von einer Verwandten der Mutter des Proximus, der Ehefrau des Heraklius, erkannt worden, Heraklius hätte Modestus und seinem Sohn Hilfe versprochen. Bald sei der Hafner gestorben und seine Frau sei Säugamme der Tochter des Myrologus geworden. Nach acht Jahren hätte Heraklius den neuen Kaiser ermordet, sei selbst Kaiser geworden und hätte Modestus wieder in seinen alten Stand eingesetzt und ihm seinen Besitz zurückgegeben.

Am nächsten Tag begibt sich Proximus zum Kaiser, um den Verlust des Schildes zu melden. Dort begegnet ihm Myrologus, der als Berater des Kaisers fungiert. Dieser erkennt anhand der Rüstung und des Helms in Proximus jenen Ritter, der ihn in der Schlacht rettete und den er für tot gehalten hatte, schweigt aber, solange Proximus dem Kaiser sein Anliegen vorträgt. Der Kaiser glaubt zunächst nicht, dass ein solch junger Mann wie Proximus den Schild eines mächtigen Persers erobert haben könnte und hält ihn für einen Aufschneider. Nach der Fürsprache des Myrologus schenkt er ihm aber eine kostbare Kette und ernennt ihn zum Obristen einer Legion. Proximus jedoch schlägt die Beförderung aus, weil sie bedeuten würde, dass er bald wieder in den Krieg ziehen und seinen Vater alleine lassen müsste. Daraufhin wird er von einigen Offizieren als Feigling verspottet, der lieber Krankenpfleger als Kriegsheld sei, der Kaiser aber lobt seine Treue zu seinem Vater. Er vereinigt den alten Schild mit dem neuen: Die Familie solle nun ein Wappen tragen, das den fünfzackigen Stern, den Meeresfisch Pristis und die umwickelnden Schlangen beinhalte. Zudem wird Proximus mit hohen Ehren versehen. Modestus ist über die Entscheidungen des Kaisers und seines Sohnes so froh, dass er Gott für einen so frommen und tugendhaften Sohn dankt.

Zu Beginn des zweiten Teils erzählt Myrologus seiner Familie von Proximus' Heldentaten. Die Säugamme des Proximus, die seit achtzehn Jahren in Myrologus' Diensten steht, bezweifelt, dass „auß disem allein zur Tugent vnd Gottseeligkeit aufferzogenen Jüngling ein solcher kühner Soldat vnd ohnerschrockener Blutvergiesser worden sey“ (S. 45). Damit offenbart sie zugleich, dass sie Proximus seit frühester Jugend kennt.

Sie erzählt, dass Modestus in seiner Großzügigkeit einst ihre Ehe mit dem Hafner ermöglicht und stets den Armen geholfen hätte. Als Kaiser Mauritius ermordet worden sei und Modestus mit seiner Frau seinen Palast verlassen musste, hätte er sich bei ihr und ihrem Mann klaglos in das Elend gefügt. Sie hätten zur Vermeidung des Müßiggangs gearbeitet und seien selbst in der Armut mildttätig gewesen. Nach dem Sturz des Kaisers hätte der neue Kaiser Heraklius sie als Säugamme an dieses Haus vermittelt, wo sie Lympida gesäugt hätte. Zuvor hätte sie mit Modestus in einer Gemeinschaft gelebt, in der sie, ohne je intim zu werden, ihren und seinen Sohn erzogen hätten. Weil sie nun Proximus so gut kenne, wundere sie sich über die Erzählungen des Myrologus. Der Abschnitt endet mit weiteren Erzählungen über die Tugendhaftigkeit des Proximus, seines Vaters und ihrer eigenen Familie.

Zu Beginn des dritten Teils fühlt Modestus seinen Tod nahen und in seinem Gottvertrauen freut er sich auf dieses Ereignis, weil er dann Gott nicht mehr erzürnen könne. Doch es gebe noch etwas, das er in dieser Welt erledigen müsse. Er fürchtet, dass sein Sohn, obwohl sich dieser bisher tugendhaft verhalten hat, vom reichen Erbe verführt werden und vom rechten Weg abkommen könne, denn die Welt sei feindlich gesinnt. Proximus, nachdem er von diesen Befürchtungen erfahren hat, vespricht seinem Vater, ihm in allen Anweisungen folgen zu wollen. Modestus warnt ihn: In den Augen der Welt werde er gegen den Willen Gottes und gegen die weltlichen Gesetze und Ordnungen handeln und sich dem Vorwurf aussetzen, seinen Vater zu missachten. Als Proximus sein Versprechen trotzdem bekräftigt, dankt Modestus erneut für die Tugendhaftigkeit seines Sohnes. Vor Zeugen spricht er deshalb sein Testament. Er wolle

„meine Haab vnd Güter zu Trost meiner Seelen / zu Nutz meines Proximi: zu Hilff vnd Erquickung der Armen: zuvorderst aber zur Ehr GOttes noch bey lebendigem Leib nicht allein zuvermachen / sonder auch gleich hin vnd wider an die bestimbte Orth vnd End / allwo ich vermeine daß es nothwendig / GOtt angenehm vnd vnsern Nebenmenschen nutzlich seye / zuvergaben vnd außzuspenden“ (S. 89).

Auf Nachfrage konkretisiert Modestus das Testament: Er hinterlässt seinem Patenkind, dem jungen Modestus, Sohn der Säugamme, ein stattliches Erbe und Proximus sein Haus samt Inventar. Ein Großteil seines Besitzes soll aber wohltätigen Zwecken zugute kommen. Zugleich stellt er fest, dass er Proximus keineswegs, auch wenn es den Anschein habe, seines Erbes beraubt habe, denn dieser habe dem Testament zugestimmt.

Orontaeus, ein Onkel des Proximus mütterlicherseits, der als Flüchtling aus Syrien in Armut lebt, protestiert gegen das Testament und behauptet, dass der Vater Proximus betrüge und ihn zu einem Bettler mache, zudem widerspreche das Testament allen geistlichen und weltlichen Gesetzen. Er ficht es vor dem Kaiser an, indem er Modestus bezichtigt, seinen Sohn absichtlich ins Unglück zu stürzen. Proximus gerät darüber, gegen seine Natur, so in Zorn, dass sein „englisches Angesicht“ (S. 98) sich verzerrt. Er verteidigt seinen Vater gegen die Vorwürfe des Orontaeus: Er wolle ein gottgefälliges Werk tun und zudem sei er frei, mit seinem Geld zu tun, was er für richtig halte. Außerdem halte er die Entscheidung seines Vaters für weise, denn er wolle nicht seiner Güter „Schlave[]: des weltlichen Prachts Knecht[]: des überflusses Diener: vnd deren offtermahls darauß entspringenden sündtlichen Wollüste Leibaigne[r] sein“ (S. 103). Er wolle nicht der Sohn eines reichen Mannes sein, sondern seinen Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen. Schließlich stellt er den Tugendadel, dem er nacheifern wolle, über den Geburtsadel. Modestus schade nicht dem Staat, sondern nütze ihm, indem er sein Geld den Armen gebe. Wenn er das Geld behalte, dann würde er entweder verschwenderisch oder geizig. Wenn er verschwenderisch würde, hätte er bald kein Geld mehr, mit dem er dem Staat helfen könne, würde er geizig, dann wolle er dem Staat nichts geben.

Am Beginn des vierten Teils werden Myrologus und seine Familie noch einmal ausführlich vorgestellt: Myrologus ist ein überaus tugendreicher und vermögender Mann, seine Frau Hapsa ist fromm und tugendhaft und Lympida, zu diesem Zeitpunkt fünfzehn Jahre alt, ist so schön, dass sie nicht beschrieben werden kann. Sie ist so fromm erzogen worden, dass sie in weltlichen Dingen unerfahren und einfältig ist; dazu ist sie frei von inneren Regungen oder Affekten, denen Menschen unterworfen sind, deren Sinn auf irdische Dinge ausgerichtet ist.

Dies ändert sich, als sie die Erzählungen ihres Vaters und der Säugamme über Proximus vernimmt. Sie ist dem unbekannten Retter ihres Vaters überaus dankbar und glaubt, dass Proximus sie an Tugendhaftigkeit sogar übertreffe. Hatte sie bisher keinerlei Interesse an Männern gezeigt und sich in die göttliche Gnade geflüchtet, so bemerkt sie bald, dass sie sich in Proximus verliebt hat. Sie ist begierig, einen Mann, der scheinbar widersprechende Tugenden wie Angenehmheit im Umgang und Schrecklichkeit im Krieg in sich vereinigt, kennenzulernen. Die Amme rät ihr, ihn in der Kirche zu treffen, denn außer zum Kirchgang verlasse er das Haus, wo er seinen kranken Vater pflege, niemals.

Während einer Prozession an Christi Himmelfahrt bekommt sie Gelegenheit, ihn sich genau anzusehen und als sie das tut, gerät sie in die Fänge der Liebe, ein Vorgang, der nach dem Vorbild des höfisch-historischen Romans unter Verwendung antiker Bildlichkeit beschrieben wird: „dann eben auff disem Schlag hatte der tausendlistige Schalck Cupido vnder die Kleydung des allerkeüschesten Proximi seine Pfeile verborgen / vnd durch solchen tückischen Vortel das eben so keüsche: Ja sonst unüberwindtliche Hertz der Lympidae verletzt“ (S. 118).

Zunächst glaubt Lympida, sie habe sich in die Tugenden des Proximus verliebt. Als sie gewahr wird, dass sie Proximus um seiner selbst willen liebt, versucht sie, durch Gebete und Gottesfurcht ihre Gefühle für ihn abzutöten. Dies bewirkt jedoch nur, dass ihre Liebe zu ihm noch größer wird. Aus Scham vor dieser Niederlage gegen ihre eigenen Gefühle zieht sie sich vor allen Menschen, sogar vor der Amme, zurück. Eines Tages betet sie in der Hauskapelle im Garten zur Jungfrau Maria und erbittet von ihr ihr früheres „Englisches Leben“ (S. 122) zurück und einen Weg, wie sie ihre Liebe zu Proximus mit der zu Gott teilen könne.

Die Amme, die das Gebet belauscht, macht sich Vorwürfe, weil sie so viel von Proximus erzählt hat und tröstet sie. Lympida schildert ihr ihre Gewissensqualen. Die Amme antwortet, dass Liebe zu Gott sehr wohl mit der Liebe zu anderen Menschen vereinbar sei, denn sonst könne es keine Liebe unter Eheleuten oder der Eltern zu den Kindern geben. Jede Liebe sei Lympida erlaubt, solange sie nicht sündhaft sei. Lympida ist dadurch etwas getröstet, doch die scheinbare Gewissheit, dass Proximus für sie unerreichbar ist, lässt ihre Liebe zu ihm nur noch größer werden. Schließlich wird sie vor lauter Traurigkeit und Trübsinn krank.

Inzwischen wird der Streit zwischen Proximus und seinem Onkel Orontaeus vor dem Kaiser weitergeführt. Am Anfang des fünften Teils wundert sich der Kaiser sowohl über die Vehemenz der Klage des Orontaeus als auch über die Parteinahme des Proximus für seinen Vater, obwohl er sich auf diese Weise um eines der größten Vermögen des ganzen Landes brächte. Aus machtpolitischen Erwägungen (er befürchtet, dass ein reicher Proximus, der aufgrund seiner Tugenden das Ansehen des Volkes genießt, ihm den Thron streitig machen könnte) entscheidet er schließlich, dass das Testament des Modestus vollzogen werden solle.

„Der scheelsüchtige Orontaeus“ (S. 152) ist über dieses Urteil äußerst unzufrieden: Er hatte mittellos aus Antiochia fliehen müssen, als die Sarazenen in Syrien eingefallen waren; nun hatte er gehofft, nach dem Tod des Modestus die Gutmütigkeit und Naivität des jungen Proximus ausnutzen und so wieder zu Vermögen kommen zu können, wenigstens aber von dessen Reichtum zu profitieren. Diese Hoffnung wurde durch das Testament und das Urteil des Kaisers zunichte gemacht. Zugleich wird deutlich, dass sein angeblicher Einsatz für die Rechte des Proximus purer Eigennutz war.

Proximus dagegen bedankt sich beim Kaiser für das Urteil und berichtet seinem Vater davon. Dieser segnet seinen Sohn und ermahnt ihn, stets auf dem Pfad der Tugend zu wandeln. In Situationen, in denen Gott am weitesten entfernt zu sein scheine, sei er ihm in Wahrheit am nächsten, denn niemand komme umsonst in den Himmel, sondern jeder werde geprüft, bevor er ins Paradies eingelassen werde. Wenn Proximus demütig und bescheiden und auch in der Armut tugendhaft bleibe, dann werde er die Gnade Gottes erfahren. Er trägt ihm auf, sein Erbe gerecht und vollständig zu verteilen und nichts für sich zu behalten.

Nun verkündet Modestus noch einige Prophezeiungen: Proximus werde „mitten in der unruhigen gottlosen Welt“ (S. 144) ein gottgefälliges Leben führen, aber er werde weder Mönch noch Einsiedler. Er müsse sich unbedingt von den Frauen fernhalten. Gleichwohl würde ihm Gott, wenn die Zeit reif sei, eine würdige Frau an die Seite stellen. Wenn er sich mit dieser auf eine Insel zurückziehe, werde sein Geschlecht lange überleben. Auf keinen Fall solle er in Konstantinopel bleiben, denn dieser Stadt prophezeit Modestus den Untergang: Weil ihre Einwohner in Sünde, Müßiggang und Wollust lebten und die Ketzerei um sich greife, hätte Gott Warnungen in Form von Feuer, Seuchen und Erdbeben gesandt. Diese Warnungen seien jedoch missachtet worden, weshalb die Stadt dem Christentum verloren gehen würde. Dies geschehe, wenn der Kaiser Konstantin, dessen Mutter Helena und der Patriarch Gregorius heiße, so wie es bei der Stadtgründung der Fall gewesen sei (Modestus spielt hier auf die Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 an).

Nach diesen Prophezeiungen stirbt Modestus und wird von Proximus, seinem Willen nach, christlich, aber ohne Pracht und Prunk bestattet. Weil er aus stoischer Fügung in Gottes Willen nicht weint, obwohl er seinen Vater sehr geliebt hatte, glaubt Orontaeus, dass Proximus das Testament seines Vaters doch nicht vollstrecken wolle, weil er insgeheim über den Tod des Vaters froh sei. Als er jedoch bemerkt, dass Proximus seine Güter verkauft und das Geld unter den Armen austeilt, stellt er ihn zur Rede. Er handle töricht, wenn er sein Geld auf diese Weise verschwende, weil er so seine Ehre aufs Spiel setze. Er solle wenigstens so viel behalten, dass er standesgemäß leben könne. Proximus erwidert, dass er nur den Willen seines Vaters befolge, dass er die Not der Armen lindern wolle und außerdem sehe, dass der Reichtum die Gefahr der Hoffärtigkeit in sich berge. Orontaeus zieht sich beleidigt zurück und schwört Rache.

Proximus stiftet Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen und gibt sein Geld weiter aus, bis er schließlich das gesamte geerbte Vermögen aufgebraucht hat. Derweil sinnt Orontaeus auf Rache. Einen Zweikampf scheut er wegen Proximus' Stärke und einen Meuchelmord hält er für zu riskant. Schließlich legt er Proximus einen gefälschten Wechsel vor, nach dem Modestus ihm Geld geschuldet habe, und er verlangt dieses samt den Zinsen zurück. Weil Proximus inzwischen all sein Geld weggegeben hat und von dem Gegebenen nichts zurücknehmen will, überschreibt er Orontaeus ein übrig gebliebenes Rittergut. Zwar halten er und der junge Modestus, der Patensohn von Proximus' Vater, Orontaeus' Forderung für einen Betrug, doch er will seinen Onkel keiner Schande aussetzen. Er will lieber ein ruhiges Gewissen haben als das Rittergut.

Proximus lebt nun mit seinem Ziehbruder Modestus ein bescheidenes Leben. Beide halten sich vom Stadtadel fern, Proximus, weil er sein gesamtes Vermögen weggegeben hat und Modestus, weil er von geringer Herkunft ist. Sie verlassen ihr Haus nur für den Kirchgang.

Unterdessen vermehren sich Reichtum und Ansehen des Myrologus immer weiter, er gilt zu Beginn des sechsten Teils als einer der wichtigsten und vortrefflichsten Männer der Stadt und um die Rechtschaffenheit seiner Frau und die Schönheit und Tugendhaftigkeit seiner Tochter wird er beneidet. Nur zwei Dinge trüben sein Glück: Er hat keinen männlichen Erben und seine einzige Tochter scheint nicht an eine Verheiratung und damit an Nachkommen zu denken. Zwar mangelt es nicht an Bewerbern und Freiern, die vom Reichtum des Myrologus und der Schönheit der Lympida angelockt werden, doch sie alle werden von ihr zurückgewiesen. Lympidas Liebe zu Proximus ist derweil noch größer geworden, doch sie wagt es nicht, ihrem Vater davon zu erzählen, weil sie befürchtet, er werde jemanden, der sein gesamtes Vermögen weggegeben hat und das gleiche auch mit anderem Vermögen tun könnte, als Schwiegersohn nicht dulden. Ihre hoffnungslose Liebe lässt sie bleich und trübsinnig werden.

In der Kirche, dem einzigen Ort, an dem sie ihn zu Gesicht bekommt, wirft sie ihm verliebte Blicke zu, doch er wendet sich in keinem Moment vom Altar ab. Für Lympida ist dieses Verhalten vollkommene Frömmigkeit, er zeige ihr, wie sich eine tugendhafte Frau in der Kirche zu verhalten habe. Daher schämt sie sich für ihr Verhalten und versucht, ihre Demut zurückzugewinnen und richtet reuevolle Gebete an Gott.

Inzwischen versuchen zwei hartnäckige Freier, die beiden Griechen Typhaeus und Philopolemus, Lympidas Gunst zu gewinnen. Nachdem sie mehrfach zurückgewiesen worden waren und allmählich gewahr werden, dass Lympida sie niemals erhören werde, geben sie sich gegenseitig die Schuld an ihrem Misserfolg. Jeder versucht, den anderen bei Myrologus in Misskredit zu bringen, um sich selbst bessere Chancen zu verschaffen. Auf diese Weise geraten sie in erbitterten Hass aufeinander und kommen in Verruf. Schließlich töten sich die beiden in einem Duell gegenseitig.

Dieses Ereignis gibt in der Stadt viele Rätsel auf, weil sich außer der Familie des Myrologus niemand erklären kann, weshalb die beiden Freunde zu solch erbitterten Feinden wurden. Myrologus und seine Frau fühlen sich beide für ihren Tod verantwortlich. Lympida ist einerseits froh, nicht mehr von ihnen belästigt zu werden, doch sie wirft sich andererseits selbst ihre Hartherzigkeit vor, die sie zu dem Duell getrieben hätte. Sie tröstet sich mit dem Argument, dass keine tugendhafte Frau anders gehandelt hätte als sie.

Der Tod der beiden Griechen hat jedoch noch andere Folgen: Sie hatten in ihrem Konkurrenzkampf alle anderen Freier verdrängt, so dass sie es nicht mehr gewagt hatten, bei Myrologus vorzusprechen. Diese trauen sich nun wieder heraus. Myrologus verabscheut ihre Feigheit und lehnt rundheraus alle Bewerbungen ab. Er legt fest, dass der künftige Ehemann Lympidas tapfer, adlig und reich sein solle.

Hapsa dagegen drängt darauf, Lympida so schnell wie möglich zu verheiraten, damit sich ein solches Ereignis nicht wiederhole. Daher beschließt sie Lympida auszuhorchen, um ihre Gründe für ihr Verhalten zu erfahren. Von Lympida erfährt sie, dass diese lieber im Kloster lebe als gezwungen zu sein, mit einem ungeliebten Mann zusammenzuleben. Auf den Einwand Hapsas, sie habe unter den Edlen Konstantinopels die freie Auswahl, erwidert sie, dass sie Gott die Wahl ihres Ehemanns überlassen werde.

Weil beide auf Nachkommen spekulieren, lehnen Myrologus und Hapsa das Klosterleben für ihre Tochter ab. Sie diskutieren lange, wie sie die Situation auflösen sollen und kommen zu dem Schluss, dass Lympida mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen solle. Dann werde sie von selbst einen würdigen Ehemann finden. So muss Lympida am öffentlichen Mittagstisch ihres Vaters teilnehmen, Spazierfahrten machen und Theater und Ballett besuchen. Doch dergleichen „Eittelkeiten“ und „Thorheiten“ (S. 191) verachtet sie so sehr, dass sie die Männer kaum beachtet. Sie richtet ihre Liebe weiterhin auf Gott und Proximus.

Weil sie weiß, dass ihre Eltern dies von ihr erwarten, führt sie Konversationen mit ihren Verehrern, doch keinen von ihnen lässt sie Sympathie spüren. Zwar wird sie auf diese Weise einige Verehrer los, doch ihr vermehrtes Auftreten in der Gesellschaft lockt weitere Freier an. Als Myrologus und Hapsa bemerken, dass ihr Plan nicht aufgeht, sondern die Situation nur verschlimmert, halten sie Lympida für krank und ziehen ärztlichen Beistand zu. Die Ärzte können keine körperliche Krankheit feststellen, weshalb sie eine Gemütskrankheit vermuten, die, wenn dem Problem nicht abgeholfen werde, Lympida ausmergeln und zu ihrem Tod führen könne. Myrologus und Hapsa bemerken nun, dass Lympida viel von ihrer früheren Schönheit verloren hat. Von nun an lassen sie Messen für sie lesen und sie durch die Säugamme beobachten.

Der siebente Teil beginnt damit, dass Myrologus eines Nachts seine Tochter zur Rede stellt und ihr ins Gewissen redet. Er fordert sie auf, endlich einen Ehemann zu wählen, sonst versündige sie sich gegen Gott und ihre Eltern. Nun bekennt Lympida, dass sie einen Ehemann wolle, der tugendhaft und gottgefällig sei. Reichtum, Ansehen und Schönheit seien für sie unwichtig, weshalb diese auch keine Kriterien für ihre Eltern sein sollten. Als Myrologus fragt, wie man einen solchen gottgefälligen Mann erkennen könne, antwortet sie, man erkenne ihn an seinen Früchten.

Myrologus denkt über ihre rätselhafte Antwort nach und kommt zu dem Schluss, dass die bisherigen Freier zu weltlich gesinnt waren. Ihm kommt der Gedanke, dass Gott persönlich eine Eheschließung bisher verhindert haben könnte. Er entscheidet sich deshalb dafür, ein Gottesurteil die Wahl treffen zu lassen. Er will am nächsten Morgen in aller Frühe in die Kirche gehen. Der erste Adlige, der ihnen dort begegne, solle der Auserwählte sein. Lympida verbringt den Rest der Nacht in Gebeten, dass Proximus der Auserwählte sei.

Als sie am frühen Morgen zur Kirche gelangen, warten dort bereits Proximus und Modestus auf die Öffnung des Kirchentors. Proximus erzählt seinem Freund von einem Traum, der ihn dazu bewegt habe, sich schon vor der Öffnung der Kirche dorthin zu begeben. Myrologus glaubt zunächst, dass es sich bei ihnen um Diener handelt, doch als er Proximus erkennt, tauscht er höfliche Worte mit ihm. Lympida errötet, als sie Proximus erblickt. Dieser erkennt in Lympida und Hapsa die Frauen, die er in seinem Traum gesehen hatte und verliebt sich in das Mädchen, während dieses leise Dankgebete spricht. Hapsa dagegen ist skeptisch, sie kann sich nicht mit einem Adligen anfreunden, der sein Vermögen verschleudert hat. Myrologus denkt an Proximus' Taten in der Schlacht und glaubt, dass er es im Krieg wieder zu Reichtum bringen könne. Nach dem Gottesdienst, auf den sich alle nur schwer konzentrieren können, lädt MyrologusModestus und Proximus in sein Haus ein.

Dort warten bereits einige Freier, mit denen sich Proximus im Reiten, Fechten und anderen ritterlichen Spielen misst und sich als überlegen erweist. Damit gewinnt er neue Freunde, zieht sich aber auch den Neid einiger der Freier zu. Lympida sieht ihm mit Begeisterung zu. Beim Mittagstisch erhält Proximus den Ehrenplatz und verhält sich tadellos. Mit Lympida ist eine Veränderung vor sich gegangen: War sie vorher teilnahmslos und melancholisch, so macht sie nun Scherze und zeigt sich in bester Laune. Während Myrologus diese Veränderung mit Freude zur Kenntnis nimmt, erkennt Hapsa in Proximus' Anwesenheit den Grund für Lympidas Veränderung. Sie sähe es lieber, wenn sie jemanden erwählen könnte, der nicht das Vermögen seines Vaters verschenkt.

Daher verhindert sie, dass Proximus und Lympida alleine miteinander sprechen können. Zwar erkennt sie die Tugenden und Vorzüge des Proximus, doch ihre Vorbehalte überwiegen. Bald ist niemandem mehr verborgen, dass Proximus und Lympida sich lieben, was Myrologus mit Freude sieht, während Hapsa überlegt, wie sie die Verbindung verhindern kann. Als sie abends über Proximus reden, bemerkt sie boshaft, dass er eine reiche Frau brauche, damit er wieder etwas zu verschleudern habe. Myrologus jedoch, der die Beweggründe des Proximus und seines Vaters kennt, verteidigt ihn.

Zu Beginn des achten Teils wird klar, dass nicht nur Hapsa mit der Liebe zwischen Proximus und Lympida unglücklich ist, sondern auch einige der jungen Adligen, die er im Spiel besiegt hatte. Aus Neid planen sie, ihn umzubringen, damit er nicht noch höher in der Gunst des Myrologus steige. Als Proximus in der Dämmerung zur Kirche gehen will, um sein versäumtes Gebet nachzuholen, wird er von ihnen angegriffen. In seiner Gewandtheit kämpft er so gut, dass „kein Hercules / kein Sambson / kein Horatius […] jemahls besser gefochten [hat] als jetzunder der vnvergleichliche Proximus“ (S. 230). Er tötet acht der Angreifer, darunter deren Anführer Torpeus, die restlichen verjagt er.

Weil sich unter den Toten auch einige Mitglieder des hohen Adels der Stadt und Hofbedienstete befinden, wird die Angelegenheit vom Kaiser persönlich untersucht. Proximus schildert ihm die Umstände des Gemetzels und Zeugen bestätigen, dass er ohne ersichtlichen Grund angegriffen worden sei. Der Kaiser spricht Proximus schließlich frei und stellt fest, dass er in Notwehr gehandelt habe. Die Angreifer dagegen erklärt er für unehrenhaft und heimtückisch und erwägt, den Überlebenden ihre Ämter und den Adelsstand zu entziehen.

Unterdessen hat Hapsa ihrer Tochter eine Ehe mit Proximus verboten. Lympida ist darüber so entsetzt, dass sie in Ohnmacht fällt und nur mit Mühe wiederbelebt werden kann. Von der Säugamme erfährt Proximus, dass Lympida ihn aufrichtig liebe und Myrologus einer Heirat wohl zustimmen werde. Hapsa dagegen würde so lange die Hochzeit zu verhindern suchen, bis er ein Vermögen und einen angemessenen Stand vorweisen könne. In seinen Augen ist Hapsa unbesonnen, weil sie Besitz und Stand so hoch einschätzt. Dennoch versichert er, dass es für ihn leicht sei, ein Heer des Kaisers zu übernehmen und Reichtum zu erwerben, mit dem er die „Gelt- vnnd Gutsbegirige Augen“ befriedigen könne (S. 238). Er werde aber niemals von der Tugend abweichen.

Während des Abendessens, an dem neben Proximus nur wenige Gäste teilnehmen, weil die anderen Adligen tot sind oder auf Furcht vor der Verachtung durch Myrologus nicht zu kommen wagen, halten mehrere Kutschen vor dem Haus, in denen sich Männer in Trauerkleidern befinden. Myrologus und Proximus fürchten, dass sich die Familien der Toten rächen wollten. Es handelt sich aber um eine Abordnung aus dem Fürstentum Larissa. Sie berichten, dass die Fürstin Eudoxia gestorben sei und dass sie in ihrem Testament ihren nächsten Verwandten Proximus zu ihrem Nachfolger bestimmt habe. Die Abordnung bittet Proximus, dass dieser das Erbe antrete und sich beim Kaiser die Bestätigung einhole.

Die Botschaft löst unterschiedliche Reaktionen aus: Lympida ist bestürzt, denn sie ist sich seiner Liebe noch nicht sicher und fürchtet, er könne sie wieder verlassen. Hapsa erkennt ihre Fehleinschätzung, was Proximus betrifft. Proximus dankt Gott dafür, dass er ihm einen so einfachen Weg geöffnet habe, die Bedingungen zur Heirat zu erfüllen. Myrologus lädt die Abgeordneten ein, mit ihnen zu essen. Proximus kann sich der Auffassung nicht entziehen, dass Gott die anderen Adligen dazu bewegt hätte, ihn anzugreifen, um Platz an der Tafel zu schaffen. Proximus verhält sich in seinem neuen Stand nicht anders als zuvor und zeigt so, dass er in der Lage ist, im Glück wie im Unglück seine Affekte zu kontrollieren.

Erst als Proximus, Lympida und ihre Eltern einen Spaziergang im Garten machen, kommen sich die beiden Liebenden näher. Proximus sagt, dass sein bisheriger Stand es ihm nicht ermöglicht habe, sich um eine Heirat zu kümmern. Nun aber, als künftiger Fürst von Larissa, wolle er um die Hand derjenigen anhalten, die er liebe, seit er sie zum ersten Mal gesehen habe. Daher bittet er nun Lympida, ihn zu heiraten. So wird die Verlobung, mit der nun alle glücklich sind, geschlossen. Myrologus sagt, dass er ihm die Hand seiner Tochter auch ohne das Fürstentum gegeben hätte aufgrund seiner Tugenden und weil er seinem Lebensretter auf ewig verbunden sei.

Am nächsten Tag lässt sich Proximus als Fürst von Larissa und Lehensmann bestätigen. Der Kaiser befiehlt, dass die Hochzeit von Proximus und Lympida sofort vollzogen werden solle, weil er sich freut, dass seine beiden tapfersten Männer, Myrologus und Proximus, sich so eng verbinden.

„Dergestalt wurde Proximus innerhalb 24. Stunden zu einem Fürsten vnd Ehe-mal / der zuvor lange Zeit mit heiliger Gedult / höchster Armut unnd Verachtung gelebt sich von jederman vmb Gottes vnd des lieben Fridens Willen geduckt und geschmuckt hatte / aber sihe! jetzt war der Tag der Widergeltung! es war eine Zeit / in welcher der allmächtige Gott der gantzen Welt zeigte / das er seine Diener erhohen vnnd beseeligen könde wann er wolte / vnnd hervor bringen möchte was gleichsamb albereit durch menschliche Vernunfft vorlängst in eine vermeintliche ewige Vergessenheit begraben worden“ (S. 257).

Als sie sich gerade zur Festtafel setzen wollen, taucht ein junger Mann in Trauerkleidung auf und fällt vor Proximus auf die Knie. Er sagt, er sei der Sohn des Orontaeus, Proximus' Onkel. Dieser sei verstorben und er bitte Proximus um Verzeihung für alles, was sein Vater ihm angetan hätte. Proximus antwortet, er habe seinem Vater alles vergeben, erkennt ihn als Vetter an und lässt ihn an der Tafel Platz nehmen.

Am Anfang des neunten und letzten Teils erzählt Elenchus, der Sohn des Orontaeus, die Geschichte seines Vaters: Dieser habe an dem Gut, das er durch Betrug erhalten habe, nicht lange Freude gehabt. Bald sei er krank geworden und kurz vor seinem Tod habe er seine Tat bereut. Er hätte ihm den Betrug an Proximus und seine Beweggründe gebeichtet und sich für seine Tat geschämt. Deshalb stelle er seinen toten Leib zur Strafe zur Verfügung. Außerdem solle sich sein Sohn dem Proximus als Leibeigener anbieten, bis die Schuld abgetragen sei. Auf diese Weise hoffe Orontaeus, sein Seelenheil wieder zu erlangen. Deshalb habe Elenchus nach dessen Tod seinen Vater nicht begraben, sondern wolle ihn dem Urteil des Proximus überlassen.

Proximus lässt Orontaeus christlich bestatten und nimmt Elenchus als Freund und nicht als Leibeigenen auf. Das folgende Festmahl ist zugleich Hochzeits- und Trauerfeier, was von den Anwesenden als gutes Omen gewertet wird.

Nachdem Proximus in Konstantinopel verschiedene Angelegenheiten geregelt hat (unter anderem schenkt er dem Elenchus das Rittergut, so dass dieser den einstigen Reichtum seines Vaters wieder erlangt), zieht er unter großem Ehrengeleit nach Larissa, herzlich verabschiedet durch den Kaiser.

Doch das Glück hält nicht lange an: Eine Seuche sucht Konstantinopel heim, der auch Myrologus und Hapsa zum Opfer fallen. Der Kaiser verfällt der Ketzerei und beginnt, die Rechtgläubigen zu verfolgen. Proximus erfährt, dass der Kaiser dem Testament seines Vaters nur zugestimmt habe, um ihn als möglichen Konkurrenten um den Thron auszuschalten und erinnert sich an die Weissagung seines Vaters, dass er auf einer Insel Zuflucht suchen müsse. Deshalb schickt er Modestus, seinen treuesten Freund, nach Konstantinopel, um den Besitz seiner Schwiegereltern zu versilbern. Zugleich solle er dem Kaiser anbieten, Konstantin, dessen ältesten Sohn, zum Fürsten von Larissa einzusetzen und Proximus eine Entschädigung zu zahlen. Der Kaiser nimmt das Angebot gerne an, weil er so Proximus endgültig loswerden kann.

Proximus besteigt mit den Seinen ein Schiff, mit dem er in die aufstrebende Stadt Venedig fährt. Dort findet er eine neue Heimat, durch sein ansehnliches Vermögen erlangt er bald das Bürgerrecht. Er stiftet Kirchen und füllt mit Spenden den Staatsschatz auf. Modestus heiratet eine adlige Venezianerin und steigt so in den Adel auf. Proximus und Lympida gründen eine Familie, die, so der Erzähler, bis zum heutigen Tag zur besten Gesellschaft Venedigs zähle.

5.19. Bart-Krieg (1673)
[arrow up]

Für diesen Text liegt keine Verfasserangabe vor.

Der Haupttitel lautet Bart-Krieg, der Untertitel kündigt die Entgegnung eines zu Unrecht so genannten Rotbarts gegen den „welt-beruffenen Schwartz-Bart“Simplicissimus an. In dieser Entgegnung sollen die Ehre der Rotbärte wiederhergestellt und diese vor weiteren Angriffen durch „des Teuffels Leibfarb“ (Schwarz) geschützt werden. Der Text sei mit einem Privileg des Kaisers Barbarossa geschützt und dürfe von keinem Schwarzbart nachgedruckt werden. Datiert ist der Text auf den 1. Januar 1673.

Der Rotbart bekennt, dass er, als Simplicissimus ihn wegen seines Barts beschimpft habe, so betrunken gewesen sei, dass ihm nichts „Apophtegmatisch[es]“ eingefallen sei (S. 5). Nun sei er aber wieder nüchtern. Er hält Simplicissimus vor, er könne die Farben nicht voneinander unterscheiden: Er habe einen golden Bart und keinen roten. Deshalb müsse man Simplicissimus für einen Narren halten, weil er den Leuten „gleichsam schwartz vor weiß dar geben will“ (S. 8), eine deutliche Anspielung auf den Satyrischen Pilgram.

Der Autor eröffnet mit Simplicissimus einen Kampf um die Bezeichnung: Seit mehr als fünfhundert Jahren, seit den Zeiten Kaiser Friedrichs I., bezeichne man goldfarbene Bärte als Rotbärte. Simplicissimus solle sich aber an seinen Knan, einen Weißbart, erinnern, der gesagt habe, dass tausend Jahre Unrecht nicht eine Stunde Recht sein könnten. Er sei deshalb ein Narr, wenn er goldfarbene Bärte als Rotbärte bezeichne.

In der Folge werden allerlei Argumente angeführt, warum die Schwarzbärte nicht besser, sondern sogar schlechter seien als die Rotbärte. Deren Verachtung werde darauf zurückgeführt, dass Judas, der Verräter Christi, rotbärtig gewesen sei. Doch er sei ein Jünger Jesu gewesen und nach seinem Selbstmord hätte sich sein Bart schwarz gefärbt, weshalb in bildlichen Darstellungen die Heiligenscheine der anderen Apostel golden, der des Judas aber schwarz sei.

In der Natur seien Steine, Blumen oder Tiere meistens bunt, rote Steine wie Rubine seien wertvoller als schwarzer Achat, rote und braune Pferde seien besser als Rappen und schwarze Blumen seien bestenfalls Missgeburten. In den Kalendern würden Sonn- und Feiertage rot, Werktage aber schwarz gekennzeichnet. Daher könne es keine Schande sein, wenn man Männer mit goldenen Bärten Rotbärte nenne.

Schuld an dem schiefen Bild, das man von Rotbärten habe, seien die Physiognomisten, die von der Farbe und Beschaffenheit der Haare auf den Charakter des Menschen schlössen. Dieser „betrügliche[n] Kunst“ (S. 22) sei deshalb nicht zu trauen, weil sie von den Melancholikern erfunden worden sei. Diese seien Untertanen des Saturn und deshalb bleich und schwarzbärtig. Aufgrund ihrer Melancholie seien sie neidisch auf die glücklicheren Menschen gewesen und hätten deshalb die Chiromantie und die Physiognomie erfunden. Weil diese Künste, richtig angewandt, keineswegs nur Täuschungen seien, hätten sie durch diese erfahren, dass Männer mit goldfarbenen Bärten einen besseren Charakter hätten als die mit schwarzen Bärten. Daher hätten sie angefangen, die Goldfarbenen anzufeinden und, weil sie kein besseres Argument gefunden hätten, die Goldfarbenen mit Bezug auf Judas zu Rotbärten erklärt.

Die Widerlegung eines Spottverses gegen die Rotbärte führt den Autor zu weiteren Argumenten für die Überlegenheit der Rotbärte gegenüber den Schwarzbärten. Sein Vorbild sei Kaiser Friedrich I., den die Italiener mit dem Schandnamen Barbarossa belegt hätten; er sei das Muster eines guten Herrschers gewesen. Der Grund, warum ihn die schwarzbärtigen Italiener so gehasst hätten, sei Neid auf dessen Tugend und den Reichtum des Reiches unter seiner Herrschaft. Hieran könne man sehen, dass die Schwarzbärte die Rotbärte aus Neid und Missgunst hassten, wie der Teufel den Menschen hasse. Zwischen ihnen sei eine Feindschaft wie zwischen Hund und Katze.

Einige Exempelgeschichten sollen die moralische Überlegenheit und die Schlagfertigkeit der Rotbärte gegenüber den Schwarzbärten belegen. Er erwähnt, dass niemals Füchse, Eichhörnchen oder Wiesel an Galgen gesehen würden, sondern nur Raben und andere schwarze Vögel. Dies sei auch der Grund dafür, dass schändliche Menschen oder Dinge eher nach schwarzen Vögeln als nach roten benannt würden.

Der Autor führt fünf Bibelstellen an, an denen die rote Farbe der schwarzen vorgezogen würde. Maler, die den Himmel und das Paradies malten, benutzten gelbe oder rote Farben, während Maler, die die Hölle oder die bösen Geister malten, auf des „Teuffels Leibfarb“ zurückgriffen (S. 57). Es sei kein Wunder, dass mit den Afrikanern die Menschengruppe schwarz gefärbt sei, die von Gott am weitesten entfernt lebe. Dies sei aber, so räumt der Autor ein, letztlich kein Bartkrieg, sondern ein Streit um die Farben.

Wenn Simplicissimus ihn in Ruhe lasse, höre er auch auf, die Schwarzbärte zu verspotten. Denjenigen aber, die weder Rot- noch Schwarzbärte seien, rät er, nicht über diese Schrift zu lachen, weil sich sonst Rot- und Schwarzbärte gegen sie verbündeten.

5.20. Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (1673)
[arrow up]

Dieser Text wurde verfasst unter dem Namen Signeur Meßmahl.

Der Traktat befasst sich mit verschiedenen Aspekten der deutschen Sprache. Er unterzieht einerseits die sprachreflexiven Diskurse des 17. Jahrhunderts einer satirischen Kritik und thematisiert andererseits auch den Sprachgebrauch verschiedener Stände (vgl. dazu ausführlich Rosenberger in Vorber.).

Im ersten Kapitel wird, nach der Feststellung, dass alleine der Mensch Sprache besitze, die Vielsprachigkeit gelobt. Es geht dabei um den Nutzen, den Gelehrte, die viele Sprachen beherrschen, für die Allgemeinheit bringen. Das zweite Kapitel stellt die Gegenthese dar: Vielsprachigkeit verleite zu Hochmut und zum Glauben, nicht allein die Mehrsprachigkeit mache die Gelehrsamkeit aus. Vielmehr könnten auch Menschen, die nur ihre Muttersprache beherrschten, weise sein. Darüber hinaus gibt das Kapitel einen Überblick über die Sprachverwandtschaften. Kapitel drei widmet sich der Alamode-Kritik, der Nachahmung fremder Sprachen und Sitten durch Deutsche. Kapitel vier kann wiederum als Gegenthese zum vorherigen Kapitel aufgefasst werden: Es werden die zeitgenössischen Orthographievorschläge, vor allem des namentlich nicht genannten Philipp von Zesen, scharf kritisiert und verspottet. Zudem wird – vermutlich nicht ganz ernst gemeint – die deutsche Sprache mit der Kabbala in Verbindung gebracht. Daran knüpft Kapitel fünf an, hier wird der übertriebene Fremdwortpurismus, wieder im Bezug auf Zesen, kritisiert und verspottet. Die Kapitel sechs, sieben, acht und neun kritisieren unterschiedliche Formen des Sprachgebrauchs verschiedener Stände, bevor in Kapitel zehn das als vulgär gemiedene Verb geheyen besprochen wird. Kapitel elf widmet sich der Frage nach dem vorbildlichen Deutsch, während in Kapitel zwölf die Stammworttheorie, die in der Sprach- und Grammatiktheorie der Zeit eine wichtige Rolle spielt, parodiert wird. An dieser Stelle wird auf das Galgen-Männlin verwiesen, in dem die – ebenfalls nicht ernst gemeinten – Vorschläge zur Vermehrung einsilbiger Wörter in der deutschen Sprache vorgeführt werden. Außerdem werden regionale Gebrauchsvarianten von partiellen Synonymen erörtert. Am Abschlusskapitel werden schließlich das Verhältnis des Deutschen zu anderen Sprachen sowie der Konnex von Sprache und Moral bzw. Sprache und Tugend diskutiert.

5.21. Galgen-Männlin (1673)
[arrow up]

Der fiktive Verfasser dieses satirischen Texts ist Israel Fromschmidt von Hugenfelß.

Im XII. Kapitel des Teutschen Michel hatte Grimmelshausen diese Schrift bereits angekündigt. Diese Ankündigung steht im Zusammenhang mit seiner Parodie der Stammworttheorie, nach der die unbetonten Vokale nicht mehr verschriftet und so fast alle Wörter einsilbig werden. Im Galgen-Männlin werde dieser neue Stylus erstmals vorgestellt:

„doch werde ich nicht unterlassen sonder erkühnen / nechstkünfftig mein Galgen-Männlein (das ist / ein curioses kurtzes so genandtes Tractätlen) mit disem wider neu-zugerichteten Simplicianischen Stylo ausmondirt / in die Welt zu schicken / welches im Vorbeygehen neben andern seinen Nutzbarkeiten auch lehren und errinnern wird / auff was Weiß man mit den guten ehrlichen E gesparsamer umbgehen: vnd die einsilbige Wörter in unserer teutschen Sprach widerumb vermehren möge“ (Teutscher Michel, S. 107).

Der Text besteht aus zwei ineinandergreifenden Teilen: Einem Brief des Simplicissimus an seinen Sohn, in dem er diesen aufklärt über Herkunft und Funktion von abergläubischen Praktiken und insbesondere des magischen Galgen-Männleins, einer Alraunenwurzel, die dem Aberglauben nach unter gerade am Galgen aufgehängten Verbrechern wächst und das Aussehen eines Männchens hat (daher die Bezeichnung) und der man nachsagt, sie mache, bei richtiger Behandlung, ihren Besitzer reich; Außerdem besteht der Text aus gelehrten Annotationen des Herausgebers, der die Briefstellen kommentiert und selbst noch einiges zu den Hintergründen der Praktiken des Aberglaubens beisteuert.

Nur der Brief des Simplicissimus verzichtet auf das unbetonte <e>, während die Annotationen die gewohnte Orthographie aufweisen. Um einen Eindruck von diesem neu-zugerichteten Simplicianischen Stylo zu vermitteln, sei eine Stelle aus dem Brief des Simplicius zitiert:

„Was nun erst-lich das gmein Volck dvon sagt / und gar-nah glaubt / ist dis mit eim Wort: man find und grab sie untrm Galgn; dis wär nun ein ab-scheu-lich Her-kunfft / ab der sich ein jeds ehr-lich Gmüht ohn-zweiffl ent-setzt / odr doch bil-lich ent-setzn solt. Dann (sagn die Leuth) wann man ein Erb-dieb / das ist / ein solchn Dieb ghenckt /dem das stehln an-gborn / ent-wedr weil sein Muttr / in dem sie mit ihm schwangr gangn / auch gstohln / odr we-nigst zum stehln Lust ghabt / und der-selb sein Jungfr-schafft noch habend / das Wassr lauffn laß / so wachs ein solchs Galgn-Mänl draus / so auch Alraun gnannt wird / welchs hernach zu gwissr Zeit / und mit sondr-barn Ceremonien allr-dings wie die Wurtzl Baraas beym Josepho mit Auffopff-rung eins schwartzn Hunds / der an statt des Gräbrs sterb / aus-ge-grabn werdn muß; Als dann werd es in rohtm Wein gwaschn / in zarth lein-und seidn Tüchl gwickelt / solch Bad all Frey-tag mit ihm widr-holt / er in ein Lädl gthan / und ihm all Nacht ein stück Geld zu-glegt / da vor man am morgen früh zwey finde; man müß es abr nit übr-ladn / es steh sonst ab / odr sterb“ (S. 3 f.).

Der in dieser Passage genannte „Josepho“ ist der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, dessen Geschichte der jüdischen Kriege (deutsche Übersetzung Straßburg 1531) in der Annotatio als Quelle ausgewiesen wird. In der Anmerkung zum zweiten Kapitel findet sich eine ironische Herleitung des Wortes Alraune, die das assoziierende Etymologisieren der zeitgenössischen Sprachwissenschaft zu parodieren scheint und die hier in Auszügen wiedergegeben werden soll:

„Ein neues unerhörtes so mir jetzt erstlich einfällt / und den eigentlichen Ursprung des Allraunmänlins belanget; es heist Allraun: Solte das nicht herkommen von arca, loculus? Jch meine ja! Nidersächsisch (als welches der ältiste und also edelste (wann gleich nicht so hoch / als ihn der Joan. Gorop. Becanus de Cimbr. Ling. steigern wollen) Dialectus ist) sagt man noch Alruhn / da man anfänglich Aruhn gesprochen; Weil aber den Vorfahren Ruhn ist significativum in ihrer Sprach gewesen / in dem es mit rühnen / raunen etc. übereinstimmet / und A / als alterapars compositi, hat bey ihnen so keinen sonderlichen Verstand gewonnen / (dann ein jedes Volck torquiret und maceriret die peregrina vocabula mit seiner Zungen dermassen / daß sie domestici werden / oder einen unerfahrnen Originisten zu seyn scheinen; und daher hat man so lang aus Mißverstand das Wort Alruhn von rühnen / her derivirt, da es doch dem Verstand nach nichts ähnlichs hat; dann rühnen heisset einem heimlich was ins Ohr reden oder murmeln etc. das thut ja das Allrünigen nicht / es hats auch niemand von ihm begehrt / sondern es ist ein Bildnus das in einem Kästlein still ohne reden ligt) so haben sie Al drauß gemacht / weil nemlich ein anders fast ähnlichs Wort vorhanden gewesen / als Ahlraup; und weil es sonsten mit andern ungewöhnlichen und frembdscheinenden vocabulis also gleichschallete / als mit Almanach / Almod / Allarm / Alchymia, Alcermes. Traun wie Serapis bey den Egyptiern nichts anders gewesen / aus der Einsetzung Josephs / als das Begräbnus oder Sarg Christi / darvon gründlich und zu grosser Verwunderung in meinem Traum-und Wunderwerck / also ist Alraun denen Vorfahren nichts anders gewesen / als ein Zeichen oder Nachäffung und Mißbrauch der Lade des Bunds; arcae foederis“ (S. 15 f.).

Damit wurde etwa ein Drittel der gesamten Passage zitiert. Wie ernsthaft dem Herausgeber diese philologischen Scharfsinnigkeiten, die er mit ironischem Eifer belegt (in der obigen Passage wird mit Goropius Becanus immerhin ein Autor zitiert, auf den sich auch Schottelius und Zesen nicht selten beziehen), tatsächlich sind, zeigt der abschließende Kommentar: „Auff diese weitgesuchte Herführung / läst mir das Gelächter so mich hierüber überfallen (weswegen ich dann auch sonst nichts vorbringen kan) […]“" (S. 20).

Inhaltlich wird in Brief und Annotationen auf die teuflische Herkunft des Galgenmännleins aufmerksam gemacht. Mit zahlreichen Anekdoten, etwa der autobiographischen vom Diebsdaumen des Conrad Wisel (vgl. dazu Boehnke/Sarkowicz 2011, 78-81), wird auf die Gefahren des Aberglaubens und magischer Praktiken für das Seelenheil hingewiesen. Daneben werden auch Ausführungen von Autoritäten zitiert und kommentiert und warnende Beispiele wie etwa Doktor Faust genannt. Am Schluss seines Briefes warnt Simplicissimus seinen Sohn eindringlich vor der Benutzung solcher Zauberpraktiken. Wenn er es dennoch täte, so wolle er ihn nicht mehr als seinen Sohn anerkennen. Datiert ist der Brief auf den 29. Juli 1673, die Ortsangabe Hercinen ist ein Anagramm für Ren(i)chen.

Auch der Herausgeber stellt die teuflische Herkunft des Galgenmännleins fest und betont, dass nur drei Dinge Wunder bewirken könnten: die Allmacht Gottes, durch die die Propheten und Apostel Dämonen ausgetrieben, Kranke geheilt und andere Wunder gewirkt hätten; die Natur mit ihren Elementen, den Pflanzen und Tieren, denen Gott eine innere Harmonie gegeben hätte und die ein vernünftiger Mensch durch Erfahrung und Beobachtungen erkunden könne; schließlich der Satan, der durch den Abfall von Gott zwar seine Gnade, nicht aber seine Kräfte eingebüßt hätte und der weiterhin Wunder wirken könne. Dies seien aber keine richtigen Wunder, weil sie trotzdem immer von der Allmacht Gottes abhingen. Wenn eine Wurzel, die unter einem Galgen gewachsen sei, ihrem Besitzer Reichtum verschaffen könne, so sei dies kein Wunder, sondern einzig ein Mittel des Teufels, die Menschen Gott abspenstig zu machen. Er beendet seine Ausführungen mit folgendem Fazit:

„Sihe / so ist das Galgenmännlin nichts anders als ein Werck des leidigen Teuffels / dardurch er GOtt seine Ehr stielet und ihm zueignet: durch seine tausend-künstlerey und Geschwindigkeit das Geld anderswo stielet und dieser Wurtzel zulegt: also hiemit den armen Menschen in die Abgötterey (dann wo eines Hertz ist / da ist auch sein GOtt / und ob eines Geitzhalses Hertz nicht immer an seinem Galgenmännlin hänge / ist ohn noht zu fragen) die allerschrecklichste Sünd bringt / in dem er ihn zu seinem Anbetter macht / endlich aber zu sich in die ewige Verdamnus stürtzet. Und dis ist der wahre Nutz des Alräunigens“ (S. 71).

Dieser kurze Text nimmt also den Aberglauben und die angeblichen Wunder der Zauberkünstler und Hexen in die satirische Kritik. Thematisch wird hier auf die Walpurgisnacht im II. Buch des Simplicissimus, auf Teile des Ewig-währenden Calenders und auf Vogelnest II verwiesen. Die deutliche Kritik an Geld und Reichtum findet sich auch in vielen anderen Texten Grimmelshausens, namentlich in der Julus-Avarus-Episode der Continuatio, in Rathstübel Plutonis, in Proximus und Lympida und ebenfalls in Vogelnest II. Allein durch diese beiden dominanten Themenkomplexe ist das Galgen-Männlin mit den anderen Texten diskursiv vernetzt. Hinzu kommen die expliziten Hinweise auf den Teutschen Michel, so dass hier gewissermaßen eine Fortsetzung von Grimmelshausens sprachkritischer Schrift vorliegt.

5.22. Wunderbarliches Vogelnest II (1675)
[arrow up]

Bei diesem Roman scheint Grimmelshausen seine Praxis, fast alle seiner Texte mit einem fiktiven Verfassernamen, die Anagramme seines eigenen Namens sind, zu parodieren, denn statt eines Namens reiht er diesmal nur die Buchstaben, aus denen sein Name besteht (Christoffel von Grimmelshausen), in alphabetischer Reihenfolge aneinander: Aceeeffghhiillmmnnoorrssstuu.

Der eigentlichen Romanerzählung sind zwei Vorworte vorangestellt. Das erste Vorwort ist eine Parodie des von den Kaisern oder Landesherren verliehenen Druckprivilegs an Drucker und Verleger, mit dem deren Erzeugnisse vor unberechtigtem Nachdruck geschützt werden sollten. Dem Leser dieser Schrift ist es dem Vorwort zufolge erlaubt, sie zu lesen, sie zu loben, zu kritisieren, sie wegzuwerfen oder sie zu verkaufen. Sie darf nur nicht nachgedruckt und verkauft werden, weil man so dem rechtmäßigen Verleger „das Brot Diebischer Weis vorm Maul“ wegnehme (fol. o iv v). Die ironische Unterschrift lautet: „so geben unter eygenhändiger Unter-Schrifft deß offtmahlig ermeldten grossen Königs / de dato in der Haupt- und Residentz-Statt Invisibilis, den 33. Monatst. Inauditae, Anno post nihil ooooo. Nullander Rex Selenitide […] Nemonius Secretar“ (fol. o v r).

In der zweiten Vorrede wird zunächst die Intention der beiden Vogelnest-Romane dargelegt: Der erste Teil sollte zeigen, dass der Mensch sich jederzeit der Gegenwart Gottes bewusst sein solle und dadurch die Sünden vermeiden könne. Der zweite Teil solle dagegen beweisen, dass der Bund mit dem Teufel oder mit Hexen keine Vorteile, sondern nur die Verdammnis bringe. Deshalb solle sich jeder der stetigen Gegenwart Gottes bewusst sein und sein Handeln danach ausrichten. Diese Lehre sei auch schon der Inhalt des Simplicissimus gewesen, doch weil der Mensch die bittere Medizin verweigere, habe er viele Schwänke eingebaut und so die bittere Pille überzuckert. Dies habe aber zur Folge, dass unter 17 Lesern kaum einer die Lehre verstehe und die Romane nur zum Zeitvertreib lese. Schließlich legt Grimmelshausen dar, dass der Simplicissimus (inklusive Continuatio) die ersten sechs Bücher der "Simplicianischen Schriften" (fol. o vij v) bildeten, die Courasche sei das siebte, der Springinsfeld das achte, der erste Teil des Vogelnests das neunte und dies das zehnte Buch. Er weist darauf hin, dass man keines dieser Bücher ohne den Zusammenhang mit den anderen „genugsam“ lesen könne (ebd.).

In dieser zweiten Vorrede gibt Grimmelshausen also wichtige poetologische Informationen: Er weist auf die satirische Absicht seiner Schriften hin, erläutert seine Schreibtechnik mit der bereits im ersten Kapitel der Continuatio verwendeten Metapher der überzuckerten Pille und gibt auch Deutungshinweise. Darüber hinaus reiht er Vogelnest II in den simplicianischen Zyklus ein und gibt wichtige Hinweise darauf, dass das Verständnis des Grimmelshausenschen Gesamtwerks als Autordiskurs nicht nur eine Interpretation der Forschung, sondern bereits vom Autor selbst intendiert ist.

Nun erst beginnt die eigentliche Handlung. Der Ich-Erzähler des Romans ist jener Kaufmann, den die „Springinsfeldische Leyrerin“ (S. 7) um viel Geld bestohlen hat und von dem bereits im Springinsfeld kurz berichtet wurde. In der Retrospektive beschreibt er sich selbst als hochmütig und wollüstig, als ein Mensch, der auf sein Geld, auf „Ansehen / Ehr und reputation“ fixiert ist und Angst vor deren Verlust hat (S. 8). Daher trifft ihn der Diebstahl schwer, er beklagt den Verlust seines Geldes wie den einer Geliebten, er magert ab und wird krank und sieht sich zudem dem Hohn und Spott seiner Mitmenschen ausgesetzt; er geht sogar zu Hexenmeistern, die ihm sein verlorenes Geld wiederbeschaffen sollen. Er gesteht, dass er „wider alle Vernunft und Billichkeit das Gelt mehr als Gott geliebt“ habe (S. 12).

Eines Tages spricht ihn ein buckliges Männlein an, offensichtlich eine Teufelserscheinung, und schlägt ihm ein Geschäft vor: Er könne ihm sein verlorenes Geld oder einen noch viel wertvolleren Schatz beschaffen. Dafür solle er ihm das als Lohn geben, was er selbst geben wolle. Der Kaufmann lässt sich von dem „fahrenden Schüler“ (S. 21), wie er das Männlein nennt, in den Wald führen. Dort zeichnet das Männlein einen Doppelkreis in den Boden, versehen mit allerlei magischen Zeichen. Dann spricht es eine Zauberformel und es erscheint ein „Monstrum[]“ (S. 23) in Gestalt einer Schlange, mit einem schönen Frauenkopf und den Füßen eines Greifen, Schuppen, die aus Gold- und Silbermünzen zu bestehen scheinen sowie einem Feuerschweif (vgl. das Titelkupfer des Romans). Durch diesen höllischen Geist erhalten sie die Informationen, die sie brauchen, um entweder das Geld oder den großen Schatz zu finden. Ein Rudel Wölfe führt sie zu einer bestimmten Stelle im Wald. Das Männlein fragt den Kaufmann, ob er sein Geld wiederhaben wolle oder ein Mittel, das ihn unsichtbar mache. Der Kaufmann entscheidet sich nach einigem Überlegen für letzteres. Daraufhin sucht das Männlein in einem Ameisenhaufen nach den Resten des Vogelnests, das der Hellebardier des ersten Teils, der diese Szene, wie oben geschildert, beobachtet, zerrissen hatte. Nachdem das Männlein die Reste gefunden hat, nimmt der Kaufmann sie an sich und kehrt in die Stadt zurück, nachdem er sich vergewissert hat, dass er nicht betrogen wurde und das Vogelnest ihn tatsächlich unsichtbar macht.

Zunächst will er seine neuen Fähigkeiten einsetzen, um unbemerkt an Informationen zu kommen, die ihn reicher machen sollen, als er je zuvor gewesen ist. Vorher will er aber prüfen, ob in seinem Haus alles in Ordnung ist. Er betritt heimlich sein Haus und findet seine Ehefrau vor, die offenbar viel geweint hat. Er glaubt, dass sie mit ihm den Verlust seines Geldes betrauere und ist froh über ihre Treue. Bevor er sich zu erkennen gibt, spioniert er sein Personal aus und stellt fest, dass einer seiner Diener in die Beschließerin verliebt ist, als er in alamodischer Kleidung um sie wirbt und mit Selbstmord droht, wenn sie ihn abweise.

Die Ehefrau gibt der Beschließerin einen Brief an den Apotheker, den sie diesem am nächsten Morgen übergeben solle. Während die beiden sprechen, liest der Kaufmann den Entwurf des Briefes, der auf dem Tisch liegt. Darin bittet sie den Apotheker um ein Mittel für ihren Mann, damit dieser von seinen melancholischen Gedanken befreit werde, nicht mehr seinem Geld nachtrauere und ihr wieder mehr Aufmerksamkeit schenke. Während er dies liest, hört er, wie sich die Ehefrau bei der Beschließerin über ihren Mann beklagt, der sie in den letzten Wochen schwer vernachlässigt habe und offenbar sein Geld mehr liebe als sie. Der Kaufmann wird darüber wütend. Noch wütender wird er, als seine Ehefrau der Beschließerin von einem jungen Mann erzählt, der gerade Doktor der Medizin geworden sei und in den sie sich verliebt habe. Die beiden Frauen verfassen einen Brief an diesen Doktor, in dem sie ihn, ihre Absichten kaum verhüllend, bitten, am nächsten Abend zur Ehefrau zu kommen. Der Kaufmann sitzt indessen im Sessel und überlegt, wie er seiner Frau diese Untreue heimzahlen könne.

Zunächst will er sich an der Beschließerin rächen. In aller Frühe begibt er sich sichtbar zum Apotheker, mit dem er verwandt ist, und erzählt ihm von seinen Plänen. Das Vogelnest erwähnt er jedoch nicht. Als die Beschließerin kommt, gibt sie dem Apotheker versehentlich den an den Doktor adressierten Brief. Der Apotheker schickt sie nach oben, wo der Kaufmann auf sie wartet. Er macht ihr allerlei Vorwürfe, täuscht vor, seit langem in sie verliebt zu sein und nötigt sie, mit ihm zu schlafen, damit er seine Vorwürfe gegen sie vergesse. Er rät ihr, dass sie, wenn sie schwanger würde, den verliebten Diener zum Vater erklären solle. Danach besticht er sie, damit sie ihm die Briefe seiner Frau an den Doktor aushändigt.

In der Retrospektive macht sich der Kaufmann Vorwürfe: Seine Frau habe niemals vorgehabt, sie zu betrügen und er selbst habe noch weit Schlimmeres getan. Er wertet ihr Verhalten als Strafe dafür, dass er sein Geld mehr geliebt habe als seine Frau und dass er dem teuflischen Zauber gefolgt sei. Schließlich tut es ihm leid, dass er die Beschließerin so entehrt habe und „zugleich ein Ehebrecher und Jungfrauen-schänder“ geworden sei (S. 66).

Gemeinsam verfassen der Kaufmann und der Apotheker ein fiktives Antwortschreiben des Doktors an die Ehefrau, in der dieser sich bereit erklärt, zu kommen. Sie müsse aber das Licht löschen, damit er nicht ins Gerede komme. Die Beschließerin soll als Botin fungieren. Am Abend nimmt er ein starkes Abführmittel, das der Apotheker hergerichtet hat und begibt sich zu seinem Haus. Wie angewiesen findet er alles dunkel vor. Unsichtbar geht er ins Schlafzimmer, wo seine Frau ihn bereits erwartet. Sie hält ihn für den Doktor. Nach einiger Zeit beginnt das Abführmittel zu wirken, er wälzt sich im Bett und beschimpft sie als „Ehebrecherische Hur“ und „Zauberin“ (S. 80). Dann entleert er sich auf ihr Gesicht und ihren Körper und verprügelt sie. Später lachen er und der Apotheker über diesen Streich. Über die Beschließerin, die ihre Herrin in einem erbärmlichen Zustand vorgefunden habe, lädt der Apotheker sie für den nächsten Tag zum Essen ein.

Der Kaufmann tut nun so, als kehre er von einer Reise zurück und fragt scheinheilig, warum seine Frau so übel zugerichtet sei. Als sie vorgibt, von einer Leiter gefallen zu sein, spielt er den treusorgenden Ehemann, in Wahrheit befürchtet er aber, dass sie die Einladung des Apothekers nicht annehmen und so den letzten Teil seiner Rache vereiteln würde.

Der Apotheker hat inzwischen auch den Doktor eingeladen, so dass sie ihm in dessen Haus begegnet. Sie kann sich vor Wut kaum beherrschen, bleibt aber höflich. Der Apotheker richtet die Sitzordnung so ein, dass die Frau neben dem Doktor sitzt. Während des Essens würdigt sie ihn keines Blickes und der Kaufmann ist sicher, dass der Doktor sie nun für ein „grob und unhöflichs Weib“ halte (S. 89). Unter verschiedenen Vorwänden lassen der Kaufmann und der Apotheker die Frau und den Doktor alleine. Sofort beginnt sie, den nichtsahnenden Doktor mit Vorwürfen und wüsten Beschimpfungen zu traktieren. Der Kaufmann tut so, als halte er seine Frau für krank und schickt sie nach Hause. Dem Doktor erzählt er, sie leide an einer Krankheit, die sie zwinge, die Menschen zu beschimpfen, ohne wissen, was sie tue. Rückblickend bekennt der Kaufmann, dass er durch diese Geschichte zum „Ehebrecher / zu einem Betrüger und Verleumbder“ geworden sei (S. 96).

Die nächste Zeit verbringt er mit Experimenten, wie er das Vogelnest so einsetzen kann, dass er nach Belieben unsichtbar und sichtbar wird. Die Beschließerin wird tatsächlich schwanger und er hilft ihr, das Kind dem Diener unterzujubeln. Um den Schein zu wahren, gibt er sich zornig und verzeiht ihr großmütig, in Wahrheit ist er aber zufrieden mit dem Verlauf der Geschichte.

Nachdem er zufällig gehört hat, wie eine Frau von einem Mann verführt und schwanger wurde und nun versucht, mit Betrug doch noch einen Mann zu finden, ist er wütend über „die vielfältige Betrügereyen des arglistigen Weiber-Volcks“ (S. 119) und beschließt, nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen. Er reist zur Michaelismesse nach Leipzig und von dort weiter nach Amsterdam, wo er in seiner Jugend das Kaufmannshandwerk gelernt hat.

Die niederländische Stadt ist erfüllt von den Vorboten des nahenden Kriegs: Der französische König Ludwig XIV. bereitet einen Überfall auf die Vereinigten Niederlande vor, der 1672 tatsächlich stattfand. Nachdem der Kaufmann die politische Lage erörtert hat, beschließt er, seine Güter beiseite zu schaffen und so zu retten. Außerdem will er einen reichen portugiesischen Juden ausrauben. Mit Hilfe des Vogelnests verschafft er sich Zutritt zu dessen Haus und sucht nach dessen Reichtümern. Bei dieser Suche entdeckt er eine schöne junge Frau, in die er sich sofort verliebt.

Von nun an kann er an nichts anderes mehr denken als an die schöne Jüdin. Zwar hatte er schon andere außereheliche Beziehungen, doch niemals war sein Verlangen so groß gewesen wie diesmal. Über den Gedanken an sie vernachlässigt er sogar seine Geschäfte. Dass sie eine Jüdin ist, stört ihn nicht, denn wer es wage, seine Reichtümer mit Hilfe des Teufels zu vergrößern, für den sei es kein Unterschied, ob er „die Viehische Begierden an einem getaufften oder ungetaufften stück Fleisch“ befriedige (S. 146). Viel mehr beschäftigen ihn andere Hinderungsgründe: Sie wird von ihrem Vater streng gehütet, zudem ist er so reich, dass mit Geld bei ihm nichts zu erreichen ist. Außerdem hassen die Juden die Christen und hoffen, eines Tages die Welt zu beherrschen. Schließlich genießen sie in dieser Stadt einen besonderen Schutz.

So beschränkt er sich zunächst darauf, unsichtbar in Eliezers, des reichen Juden, Haus einzudringen und dessen Tochter Esther zu beobachten. Als er eines Tages Zeuge einer Zeremonie wird, in der Eliezer den Propheten Elias anruft und seine Ankunft erbittet, kommt ihm eine Idee, wie er die Juden überlisten kann.

Er lernt einen konvertierten Juden namens Erasmus kennen, der ihm viel von den „aberglaubische[n] Heimlichkeiten“ (S. 153) erzählt und von ihrem Glauben, dass der Prophet Elias ihr mythischer Beschützer sei, der über die Juden wache. Der Kaufmann erfährt auf diese Weise viel über die jüdischen Sitten und Gebräuche und auch über ihren Glauben an die baldige Ankunft des Messias. Der Kaufmann beschließt, sich diesen Aberglauben zunutze zu machen.

Durch geschickte Manipulationen setzt er in der jüdischen Gemeinde das Gerücht in die Welt, die Ankunft des Messias stehe in Kürze bevor. Zur Untermauerung fingiert er Beweise. Unsichtbar nimmt er an Beschneidungen teil und setzt sich auf den für Elias bestimmten Stuhl. So entsteht bald die Gewissheit, dass die Gerüchte wahr seien. Eines Nachts begibt er sich in Eliezers Haus und gibt sich als der Engel Uriel aus. Er prophezeit, dass in den nächsten drei Nächten der Prophet Elias bei seiner Tochter Esther erscheinen werde, um mit ihr den Messias zu zeugen. Eliezer solle alles dafür in die Wege leiten. Zudem prophezeit er dem jüdischen Volk eine blühende Zukunft. Mit Hilfe seines Vogelnests verschwindet er plötztlich und hinterlässt durch ein Parfum einen lieblichen Duft in Eliezers Schlafzimmer.

Sein Betrug gelingt und er verbringt drei Nächte mit Esther. Sie wird schwanger und von der jüdischen Gemeinde wie eine Königin behandelt. Den Christen gegenüber halten die Juden jedoch die vermeintliche Ankunft des Messias geheim, weil sie fürchten, dass diese dessen Geburt verhindern wollten. Selbst der Konvertit Erasmus wird für kurze Zeit wankelmütig. Umso größer ist die Überraschung, als sich Esthers Kind schließlich als Mädchen herausstellt und nicht als der erwartete Junge. Diese Tatsache rücken sie zurecht, indem die Juden das Geschlecht des Kindes zur Tarnung erklären, mit der die Feinde der Juden getäuscht werden sollten, bis der Messias alt genug sei.

Inzwischen hat der Kaufmann Erasmus von seinem Betrug erzählt und er zeigt sich belustigt, dass der angekündigte Messias nur eine „Schlitzgabel“ sei (S. 205). Erasmus macht ihm schwere Vorwürfe: Die Vermischung von christlichem und jüdischem Blut sei widernatürlich: Die Christen nennen die Juden Hunde und als Christ mit einer Jüdin zu schlafen sei nicht viel besser als mit einer Hündin zu schlafen. Die Sünde, die der Kaufmann begangen habe, sei damit nahe an der Sodomie. Er wirft dem Kaufmann vor, eine Jüdin mehr als Gott geliebt zu haben und verlangt von ihm Buße. Der Kaufmann ist durch diese Vorwürfe getroffen, weigert sich aber, seine alten Pfade zu verlassen.

Um Esther und seine Tochter abzusichern beschließt er, Esther mit Erasmus zu verkuppeln. Von einem Zauberer lernt er einige schwarze Künste wie den Büchsenbann, das Festmachen und auch den Einsatz einer Springwurzel, mit der er jedes beliebige Schloss öffnen kann. Mit Hilfe dieser Springwurzel stiehlt er Eliezer 10 000 Dukaten und weitere Kostbarkeiten. Heimlich belauscht er, wie Esther einer Vertrauten erzählt, dass sie eigentlich schon lange zum Christentum hatte konvertieren wollen, weil sie in Erasmus verliebt war. Das Erscheinen des Elias und die Empfängnis des Messias hätten ihren Entschluss jedoch erschüttert. Der Kaufmann macht sich Vorwürfe, weil er eine Jüdin, die konvertieren wollte, unbeabsichtigt in ihrem Glauben bestärkt habe. Er entführt Esther, das Kind und ihre Hofmeisterin und bringt sie zu Erasmus. Dort gesteht er, dass er selbst der vermeintliche Elias gewesen sei, weil er sein Verlangen nach ihr nicht hätte zügeln können. Ihr Kind sei aber keineswegs der Messias. So bringt er Esther und auch ihre Hofmeisterin dazu, sich taufen zu lassen und Erasmus zu heiraten. Mit dem von Eliezer geraubten Geld ermöglicht er ihnen die Flucht.

Der Kaufmann hält sich nun die Bekehrung dreier Jüdinnen zugute. Inzwischen hat er auch erfahren, dass seine Ehefrau gestorben sei. Er sucht nun Zerstreuung bei den Hexenmeistern, von denen er weitere Künste erlernt. Mit seinen Kumpanen verbringt er seine Zeit mit „Fressen und Sauffen / Huren und Buben“ (S. 258) und vergisst bald seine verstorbene Frau, Esther, Erasmus und seine Tochter. Als ihm das Geld ausgeht, bricht er wieder bei Eliezer ein, muss jedoch feststellen, dass dieser sein Geld vor dem bevorstehenden Krieg in Sicherheit gebracht hat.

Der Kaufmann beschließt, von einer Phantasmagorie, deren Zeuge er war, inspiriert, sein Glück als Soldat zu versuchen und auf Seiten der Niederlande gegen die Franzosen in den Krieg zu ziehen. Er ist überzeugt, dass er es mit Hilfe des Vogelnests und seinen schwarzmagischen Fähigkeiten innerhalb kürzester Zeit zum General bringen könne. Zunächst erweist er sich als tapfer und macht reiche Beute. Das Vogelnest ermöglicht es ihm, immer wieder für den Gegner unerwartet aufzutauchen und im Überraschungsmoment etliche von ihnen zu töten. Endlich wird er jedoch durch eine Kugel am Oberschenkel verwundet und so liegt der „Großmächtige Goliath“ (S. 290) hilflos auf dem Schlachtfeld. Er hatte nicht bedacht, dass es auch jemanden geben könne, der seine Festigkeit aufheben und ihn verwunden könne. Aus Furcht, ausgeplündert und getötet zu werden macht er sich unsichtbar, doch Pferde, die ihn ebenfalls nicht sehen können, laufen über ihn hinweg und fügen ihm weitere Wunden zu.

Er interpretiert seinen Zustand, in dem er hilflos und schwer verwundet auf dem Schlachtfeld liegt, als Strafe Gottes für seine Sünden und seine Lebensweise, seit ihm die Leyrerin das Geld gestohlen hatte. Er fühlt tiefe Reue und schwört, dass er sein Leben ändern werde, wenn er gerettet würde. Endlich wird er von einem französischen Priester und Ärzten gefunden und versorgt. Er schenkt ihnen sein ganzes Geld, nur das Vogelnest behält er für sich. Nach einigen Tagen jedoch verschlechtert sich sein Zustand, weil sich die Wunde im Oberschenkel entzündet hat. Aus Furcht vor der Verdammnis beichtet er dem Priester „alle meine Ehebrecherische Huren-Hängstereyen / greuliche Zaubermässige Teuffels-Künste / und andere Schelmenstück und Diebsgriff“ (S. 299). Nachdem er sich erholt hat, schenkt er sein übriges Geld, das er sich aus Amsterdam hat bringen lassen, den Ärzten und anderen Menschen, die ihn versorgt hatten und spendet einen Teil davon für ein Kloster, das der Priester errichten will.

Nach seiner Genesung will der Kaufmann zunächst bei dem Geistlichen bleiben, bis die Wege wieder sicher sind. Der Priester wirft ihm vor, immer noch ein Teufelsanbeter zu sein, solange er das Vogelnest besitze. Er erklärt dem Kaufmann, dass die Verwundung in der Schlacht, die er als sein Unglück angesehen habe, in Wahrheit der Gnade Gottes zu verdanken sei, weil sie ihn zur Selbsterkenntnis gebracht habe. Alle Sünden, die er begangen habe, habe ihm das Vogelnest ermöglicht. Er habe Juden und Christen bestohlen, eines sei so schlimm wie das andere. Er habe eine Springwurzel benutzt, um Schlösser zu öffnen. Es gebe aber keine Pflanzen, die Schlösser öffnen könnten, es sei denn, der Teufel selbst öffne die Schlösser. Auch durch die Erlernung der schwarzen Künste und durch seine Teilnahme am Krieg, in dem er viele Menschen getötet habe, habe er gesündigt. Alles in allem seien das nur Beweise dafür, dass er mit dem Teufel im Bunde sei.

Die Predigt des Priesters macht so großen Eindruck auf den Kaufmann, dass er alle seine magischen Gegenstände, das Vogelnest ausgenommen, ins Feuer wirft. Weil das Feuer heftig auflodert und beinahe das Haus in Brand steckt, wagen er und der Priester es nicht, auch das Vogelnest ins Feuer zu werfen. Der Kaufmann versiegelt es und übergibt es dem Priester, der auf eine Gelegenheit warten will, es zu vernichten.

Endlich wird der Priester auf eine Gesandtschaft nach Rom geschickt. Diese Gelegenheit will der Kaufmann nutzen, nach Hause zurückzukehren. In einer Reisegesellschaft, in der es zu religiösen Diskussionen zwischen einem protestantischen Pastor, dem katholischen Pfarrer und einem Juden kommt, fahren sie den Rhein entlang nach Straßburg. Auf der Rheinbrücke wirft der Priester das Vogelnest an der tiefsten Stelle ins Wasser und vernichtet es auf diese Weise.

Zu Hause angekommen findet der Kaufmann Das wunderbarliche Vogel-Nest, die Lebensbeschreibung des Hellebardiers, vor. Er bemerkt, dass in diesem Buch das gleiche beschrieben wird, was er selbst erlebt hat. So beschließt er, ebenfalls seine Geschichte aufzuschreiben, um andere vor magischen Praktiken zu warnen und selbst durch Arbeit Buße zu tun.

6. Bibliographie
[arrow up]

6.1. Quellen
[arrow up]

SATYRIscher Pilgram / Das ist: Kalt und Warm / Weiß und Schwartz / Lob und Schand / über guths und böß / Tugend und Laster / auch Nutz und Schad / vieler Ständt und Ding der Sichtbarn und Unsichtbarn der Zeitlichen und Ewigen Welt. Beydes lustig und nützlich zulesen / von Neuem zusammen getragen durch SAMUEL GREIFNSON vom Hirschfeld. Leipzig: Georg Heinrich Frommann, Erster Teil: 1666; vollständig 1667. - Erster Teil: Titelseite; Kupfert.; 20 unpag. Seiten (Vorreden); 154 Seiten; Zweiter Teil: 152 Seiten (inkl. eigenes Titelblatt; neue Seitenzählung); [2] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:651409F]
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign.Lo 2305(Nur erster Teil)
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 179
  • Universitätsbibliothek Wroclaw (Breslau)
  • 472440
  • Universitätsbibliothek Leipzig
  • B.S.T. 12°73
  • Wie der Keusche Joseph wird der Satyrische Pilgram bereits für die Leipziger und Frankfurter Herbstmesse 1665 angekündigt. Weil der ursprüngliche Verleger, der Straßburger Johann Christoph Nagel, zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Berufsverbot belegt worden war, musste Grimmelshausen einen neuen Verleger suchen und fand diesen in Georg Heinrich Frommann aus Leipzig. Bei diesem erschien 1666 der erste Teil des Werks. An die noch nicht verkauften Exemplare wurde 1667 der zweite Teil angebunden, weshalb auch Exemplare überliefert sind, die nur den ersten Teil enthalten. 1671 brachte Frommann eine zweite Auflage heraus. In dieser ist der erste Teil sprachlich überarbeitet, der zweite Teil ist bis auf das fehlende Titelblatt identisch mit dem zweiten Teil der Erstausgabe. Der Text wurde schließlich auch in den dritten Band der postumen Gesamtausgabe (1684) aufgenommen.

    Des Vortrefflich Keuschen Josephs in Egypten / Erbauliche / recht ausführliche und viel-vermehrte Lebensbeschreibung / Zum Augenscheinlichen Exempel der unveränderlichen Vorsehung GOttes ... erstmals mit grosser und unverdroßner Mühe zusammen getragen von Samuel Greifnson von Hirschfeld ... Nürnberg: Felßecker, 1667. - 236 Seiten, 12° [opac ↗***] [vd17 ↗xxx]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 437
  • Landesbibliothek Coburg
  • Ta 163
  • Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.
  • Bibl. Hirzel 130
  • Universitätsbibliothek Leipzig
  • Lit. Germ. 4020
  • Der Keusche Joseph wird bereits 1665 in den Katalogen zur Leipziger und Frankfurter Herbstmesse zusammen mit dem Satyrischen Pilgram angekündigt, doch weil der Straßburger Verleger Johann Christoph Nagel, unter dessen Namen die Ankündigung erscheint, zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Berufsverbot belegt war, kam die Ausgabe nicht zustande. Der Roman erschien erst 1666 beim Nürnberger Verleger Wolff Eberhard Felßecker. 1670 erschien, ebenfalls bei Felßecker, eine überarbeitete zweite Ausgabe, an die der Musai als Fortsetzung angehängt war. Diesem folgte 1676 ein Nachdruck, der von fremder Hand, wahrscheinlich vom Hamburger Verleger Gottfried Schultz überarbeitet war, ebenfalls mit dem Musai im Anhang.

    Anhang Etlicher wunderlicher Antiquitäten / so der fliegende Wandersmann Zeit seiner wehrenden Reiß / in einer abgelegenen Vestung an dem Meer gelegen / und von den Türcken bewohnet / gesehen und verzeichnet. EXTRACT. Der ansehnlichen Tractamenten samt deren Expens, welche den Herrn von Hirschau in vergangener Fastnacht aufgesetzt / und von denselben ritu solenni verzehret worden. [Nürnberg]: [Felßecker], []. - 13 Seiten, angehängt an Balthasar Venators Fliegenden Wandersmann; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗***]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 406
  • Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.
  • Bibl. Hirzel 126
  • Wolff Eberhard Felßecker druckte 1667 Balthasar Venators Übersetzung von Francis Godwins Roman The Man in the Moon (London 1638; deutsch: Der fliegende Wandersmann nach dem Mond, Wolfenbüttel 1659) nach. Die beiden Kurztexte Anhang und Extract waren offenbar Seitenfüller, damit die letzten Seiten des Drucks nicht leer blieben. In späteren Ausgaben des Fliegenden Wandersmanns fehlen sie, die beiden Texte erfuhren auch sonst keine weitere Auflage. Die Autorschaft Grimmelshausens war stets umstritten. Koschlig 1939, 65 hält die beiden Texte für echt, in die Editionen Tarots und Breuers wurden sie aufgenommen. Die neuere Forschung, namentlich Italo Michele Battafarano und Hildegard Eilert (2001) bezweifeln die Verfasserschaft Grimmelshausens jedoch mit guten Gründen (vgl. oben). Diese Skepsis teilt Rosenberger 2012, 340 f. und in Vorber. und führt weitere Argumente an. Die vorliegende Edition berücksichtigt Anhang und Extract dennoch, um mit dem Hilfsmittel der elektronischen Textrecherche weitere diesbezügliche Studien zu erleichtern, zumal die Zweifel an der Verfasserschaft Grimmelshausens bislang nur durch begründete Vermutungen, nicht aber durch Beweise gestützt werden.

    Der Abentheurliche SIMPLICISSIMUS Teutsch/ Das ist: Die Beschreibung deß Lebens eines seltzamen Vaganten/ genant Melchior Sternfels von Fuchshaim ... / German Schleifheim von Sulsfort. Monpelgart [i.e. Nürnberg]: Fillion [i.e. Felßecker], 1669 [vorausdatiert; recte: 1668]. - [1] Bl., 618 S. : Kupfert. ; 12° [opac ↗612811816] [vd17 ↗23:233328Z]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign. Lo 2309
  • Deutsche Staatsbibliothek Berlin
  • Yu 5256 R(Bogen Y (S. 503-526) entstammt der zweiten Ausgabe)
  • Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Erfurt [als Dauerleihgabe in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha]
  • BS Lr 1325 [03 - Lg. 8° 01911h]
  • British Museum London
  • 12 554.a.7
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 564
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg17 G88 669d
  • Stadtbibliothek Nürnberg
  • Phil. 8. 7937
  • Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • CP.2. B. 63
  • Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
  • 8 FAB VI, 1747 RARA und 8 FAB VI, 1748 RARA
  • Die Erstausgabe von 1668, die auf 1669 vorausdatiert ist, wurde vom Nürnberger Verleger Wolff Eberhard Felßecker herausgebracht und beinhaltet die Bücher I-V des Simplicissimus (E1). Ab der zweiten Auflage (1669 ebenfalls bei Felßecker in Nürnberg erschienen) ist außerdem die Continuatio als sechstes Buch angehängt (E2). Im gleichen Jahr erschien ein Raubdruck des Frankfurter Verlegers Georg Müller (E3a), der für die Käufer aus dem mitteldeutschen Sprachgebiet sprachlich überarbeitet worden war. Offenbar als Reaktion auf diesen Raubdruck brachte Felßecker noch im gleichen Jahr eine weitere Ausgabe heraus (E4), die mit geringfügigen Texterweiterungen den Raubdruck zu übertrumpfen suchte. 1671 gab Felßecker seine vierte (und die insgesamt fünfte) Ausgabe des Simplicissimus heraus, erneut in Abgrenzung zu Müllers Raubdruck. Diese Ausgabe (E5) folgt sprachlich E3a und ist z. T. erheblich erweitert. Diese Texterweiterungen waren und sind die Grundlage für weitreichende Forschungsdiskussionen. In diesen geht es darum, ob Grimmelshausen selbst Verfasser dieser Erweiterungen ist oder ob diese von fremder Hand stammen. Die Beantwortung der Frage beeinflusst die Beurteilung dieser Ausgabe: Stammen die Erweiterungen von Grimmelshausen, kann man diese Fassung als Ausgabe letzter Hand bezeichnen, dann wäre eine moderne Edition auf dieser Grundlage gerechtfertigt. Bezweifelt man aber Grimmelshausens Verfasserschaft, dann bleibt die Editio princeps die Referenz für eine moderne Ausgabe. Die neuere Forschung (Koschlig 1939, Sodman 1973 u. a.) zeigt, dass ein Mitwirken Grimmelshausens an E5 eher unwahrscheinlich ist, weshalb der vorliegenden Edition E1 zugrunde gelegt wurde. Eine Edition der Ausgabe E5 wäre dennoch wünschenswert, weil diese die Editions- und Rezeptionsgeschichte des Simplicissimus bis ins 20. Jahrhundert geprägt hat (vgl. dazu auch van Ingen 2005). Aus zeitlichen und personellen Gründen kann dies in der vorliegenden digitalen Edition leider nicht geschehen. Schließlich erschien zu Grimmelshausens Lebzeiten noch eine sechse Ausgabe (E6), die, abgesehen von weiteren Druckfehlern, mit E5 identisch ist. Johann Jonathan Felßecker, der Sohn Wolff Eberhard Felßeckers, gab 1683/84 eine dreibändige postume Gesamtausgabe heraus, die jedoch einige von Grimmelshausens Texten nicht enthält, dafür aber einige fremde Texte. Die ersten beiden Bände dieser Ausgabe wurden 1685 neu aufgelegt, der dritte Band erst 1695 oder 1699. 1713 erschien schließlich die letzte postume Gesamtausgabe vor dem Einsetzen der wissenschaftlichen Grimmelshausen-Editionen. Diese wurde von Adam Jonathan Felßecker, dem Enkel Wolff Eberhard Felßeckers, besorgt. Diese Gesamtausgaben sind offenbar in großer Auflage gedruckt worden, denn es sind noch zahlreiche Exemplare erhalten.

    CONTINUATIO des abentheurlichen SIMPLICISSIMI Oder Der Schluß desselben Durch German Schleifheim von Sulsfort. Mompelgart [i.e. Nürnberg]: Johann Fillion [i.e. Felßecker], 1669. - [1] Bl., 163 unpaginierte Seiten; [2] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗12:651467E]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 400
  • Staatsbibliothek zu Berlin
  • Yu 5257
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 573 a
  • Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • QuN 879a (2)
  • Stadtbibliothek Nürnberg
  • 1 an Phil. 8. 11811
  • Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.
  • Bibl. Hirzel 133,2 und 135,2
  • Stadtbibliothek Ulm
  • Sch 10 141
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg17 G88 669
  • Ab der zweiten Ausgabe des Simplicissimus war die Continuatio an diesen angehängt, konnte aber auch als Einzelexemplar erstanden werden, das später mit der Ausgabe E1 des Simplicissimus zusammengebunden wurde. Zur weiteren Textgeschichte vgl. die Ausführungen zum Simplicissimus.

    Des Abenteurlichen Simplicissimi Ewig-währender Calender / Worinnen ohne Die ordentliche Verzeichnus der unzehlbar vieler Heiligen Täge auch unterschiedliche Curiose Discursen von der Astronomia, Astrologia, Jtem den Calendern, Nativitäten / auch allerhand Wunderbarlichen Wahr- und Vorsagungen / mit untermischter Bauren-Practic / Tag- und Zeiterwehlungen etc. [...] befindlich. Nürnberg: Felßecker, 1670. - [1] Bl.; Kupfert.; Titelseite; 2 unpaginierte Seiten; 236 Seiten; [1] Bl.; 4° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:233056N]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign.Lo 2303-2
  • Staatsbibliothek zu Berlin
  • 19 ZZ 3993
  • Yu 5341
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 572
  • Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
  • 8 H SUBS 8196 RARA
  • Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle
  • AB 155048 (1)
  • Der Text hat eine komplizierte, schwer zu rekonstruierende Entstehungsgeschichte (zu Einzelheiten vgl. Breuer 1999, 119 f.). Viel spricht dafür, dass Grimmelshausen die Arbeit an dem Text im Sommer 1669 abgeschlossen hat. Die Publikation wurde bereits im Herbst des gleichen Jahres angekündigt. Sie verzögerte sich jedoch bis zum Herbst 1671. Als Publikationsjahr war eigentlich 1670 vorgesehen, wie das Titelkupfer und die astronomischen Berechnungen im Calenders, die auf dieses Jahr hin ausgerichtet sind, zeigen. Felßecker brachte 1677 eine zweite Auflage heraus, in der die vielen Druckfehler der Erstausgabe beseitigt sind. Ansonsten gleicht die zweite Auflage der ersten. In die postume Gesamtausgabe wurde der Ewig-währende Calender nicht aufgenommen, offensichtlich wegen des hohen Aufwands, den der Druck aufgrund des komplexen Aufbaus des Textes erzeugt hätte, sowie wegen des für Grimmelshausens Texte sonst unüblichen Quartformats.

    Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung Der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche [...]. Alles miteinander Von der Courasche eigner Person dem weit und breitbekanten Simplicissimo zum Verdruß und Widerwillen / Dem Autori in die Feder dictirt, der sich vor dißmal nennet PHILARCHUS GROSSUS von Trommenheim / auf Griffsberg / etc. Utopia [i.e. Nürnberg]: Felix Stratiot [i.e. Felßecker], []. - [1] Bl.; 264 S.; Kupfert.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗12:651771G]
    Universitätsbibliothek Tübingen
  • DK XI, 461 h13
  • Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.
  • Bibl. Hirzel 132
  • Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
  • 8 FAB VI, 1755 (1) RARA
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 567
  • Marienbibliothek Halle/Saale
  • in: 4,52
  • Die Courasche erschien wahrscheinlich im Herbst 1670, nahezu gleichzeitig mit dem Springinsfeld, der unmittelbaren Fortsetzung (E1). Im Frühjahr 1671 druckte Georg Müller, von dem auch der Simplicissimus-Raubdruck E3a stammt, den Roman mit sprachlichen Überarbeitungen nach (E2a). Vermutlich im gleichen Jahr (ein genaueres Datum lässt sich nicht ermitteln; vgl. Bender 1967, Einleitung zur Ausgabe der Courasche von Rolf Tarot, S. XV) veröffentlichte Felßecker eine zweite rechtmäßige Ausgabe (E3), die sich nur wenig von E1 unterscheidet.

    Der seltzame Springinsfeld / Das ist Kurtzweilige / lusterweckende und recht lächerliche Lebens-Beschreibung. Eines weiland frischen / wolversuchten und tapffern Soldaten / Nunmehro aber ausgemergelten / abgelebten doch dabey recht verschlagnen Landstörtzers und Bettlers / samt seiner wunderlichen Gauckeltasche. Aus Anordnung des weit und breit bekanten Simplicissimi Verfasset und zu Papier gebracht Von Philarcho Grosso von Tromerheim. Paphlagonia [i.e. Nürnberg]: Felix Stratiot [i.e. Felßecker], 1670. - [1] Bl.; Kupfert.; 248 unpaginierte Seiten; [1] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:233338F]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign. Lo 2314
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 1975
  • Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
  • 8 FAB VI, 1755 (2) RARA
  • Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.
  • Bibl. Hirzel 143
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg17 G88 670b
  • Zentralbibliothek Zürich
  • Gal Ch 787
  • Die Erstausgabe erschien im Herbst 1670 beim Nürnberger Verleger Felßecker. Wahrscheinlich 1671 erschien beim gleichen Verleger eine zweite Auflage, die gegenüber der ersten nur geringfügig überarbeitet ist: Schreibungen werden vereinheitlicht, Satzzeichen wie die Virgel finden stärkere Verwendung. Der wichtigste Unterschied der zweiten Auflage gegenüber der ersten ist aber das Fehlen des Hinweises auf die Gauckel-Tasche, wahrscheinlich, weil diese zu diesem Zeitpunkt bereits separat erschienen war. Diese beiden Ausgaben blieben die einzigen, die zu Grimmelshausens Lebzeiten erschienen.

    Der erste Beernhäuter / Nicht ohne sonderbare darunter verborgene Lehrreiche Geheimnus / so wol allen denen die zuschelten pflegen / und sich so schelten lassen / als auch sonst jedermann [...] ändern zum Exempel vorgestellet / Sampt Simplicissimi Gauckeltasche. Von Illiterato Ignorantio, zugenannt Idiota. [Nürnberg]: [Felßecker], 1670. - [1] Bl.; 14 unpaginierte Seiten; 8° [opac ↗xxx] [vd17 ↗xxx]
    Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 159.510-A. Rara
  • Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
  • 8° L. 1988cf
  • Dieser Text, der vermutlich zu Grimmelshausens frühesten gehört und sich auf eine bis dahin nicht erfassbare Sagentradition bezieht (die später, vor allem in der Romantik, zu großer Popularität gelangte und von den Brüdern Grimm als Nr. 101 in die Kinder- und Hausmärchen aufgenommen wurde), wurde erst relativ spät publiziert. Felßecker veröffentlichte ihn 1670 zusammen mit der Gauckel-Tasche, die eng mit dem Springinsfeld verbunden ist, in einem Band. 1681, fünf Jahre nach dem Tod des Dichters, legte Felßecker die beiden Texte noch einmal auf, allerdings mit Veränderungen im Vergleich zur Erstausgabe. Außerdem wurden sie in die postumen Gesamtausgaben übernommen.

    Simplicissimi wunderliche Gauckel-Tasche Allen Gaucklern / Marckschreyern / Spielleuten / in Summa allen denen nöthig und nützlich / die auf offenen Märckten gern einen Umbstand herbey brächten / oder sonst eine Gesellschafft lustig zu machen haben. Verwunderlich und lustig zusehen. [Nürnberg]: [Felßecker], 1670. - 15 unpaginierte Seiten; [1] Bl.; 8° [opac ↗xxx] [vd17 ↗xxx]
    Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 159.510-A. Rara
  • Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
  • 8° L. 1988cf
  • Der kurze Text nimmt Bezug auf das VII. und VIII. Kapitel des Springinsfeld, wo Simplicissimus die Funktionsweise der Gaukeltsche, eines Gauklerutensils in Buchform, erläutert und praktisch vorführt. Die Forschung nimmt an, dass der kurze Text in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Roman entstanden sein muss. Wegen des unterschiedlichen Formats konnte die Gauckel-Tasche nicht an den Springinsfeld angebunden werden und wurde deshalb zusammen mit dem Beernhäuter publiziert. Zur Geschichte der Drucke vgl. die obigen Ausführungen zum Beernhäuter.

    Simplicianischer Zweyköpffiger RATIO STATUS, lustig entworffen Unter der Histori des waidlichen Königs Saul / des sanfftmütigen König Davids / des getreuen Printzen Jonathae / und deß tapffern Generalissimi Joabi, von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Gelnhusano. Nürnberg: Felßecker, 1670. - [1] Bl., 82 Seiten; 4° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:233095F]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign. Lo 2306
  • Deutsche Staatsbibliothek Berlin
  • Yu 5321
  • Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • 42 A 1932,9
  • Sächsische Landesbibliothek Dresden
  • Hist.univ.B.233(Kupfertitel fehlt)
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 570
  • Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 5208-B
  • Universitätsbibliothek Leipzig
  • Lit. germ. E. 4032
  • Stadtbibliothek Nürnberg
  • B 501
  • Thüringische Landesbibliothek Weimar
  • 0,5: 111
  • Universitätsbibliothek Erlangen
  • 4° Hist. 207r
  • Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle
  • Dd 1632 und in: Pd 4428.8°
  • Universitätsbibliothek Gießen
  • M12 216 (54)
  • Landesbibliothek Gotha
  • Pol 8° 03097-3100 (28)
  • Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
  • d. D. qt. 114
  • Universitätsbibliothek Tübingen
  • Dk XI 172a 4°
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg 17 G88 670r
  • Der Zweyköpffige Ratio Status ist neben den beiden Legendenromanen Dietwalt und Amelinde und Proximus und Lympida der einzige Text, den Grimmelshausen unter seinem richtigen Namen veröffentlichte. Die Widmung ist auf den 26. Juli 1670 datiert, an diesem Tag schloss Grimmelshausen die Arbeit an diesem Traktat wohl ab. Im Herbst dieses Jahres erschien der Text bei Felßecker in Nürnberg. Zu Lebzeiten Grimmelshausens wurde er nicht wieder aufgelegt, er ist aber in die drei postumen Gesamtausgaben aufgenommen.

    Dietwalts und Amelinden anmuthige Lieb- und Leids-Beschreibung / Sampt erster Vergrösserung des Weltberühmten Königreichs Franckreichs. [...] Zusammen gesucht und hervorgegeben von H. J. Christoffel von Grimmelshausen / Gelnhusano. Nürnberg: Felßecker, 1670. - Kupfert.; 3 leere Seiten; Titelseite; 5 unpaginierte Seiten; 221 paginierte Seiten; 5 unpaginierte Seiten; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗xxx]
    Landesbibliothek Coburg
  • Cas A 1381
  • Yale University Library, New Haven, Conn.
  • Zg17 G88 670d
  • Leopold-Sophien-Bibliothek Überlingen
  • Gc 367
  • Der Legendenroman Dietwalt und Amelinde ist neben dem Traktat Zweyköpffiger Ratio Status und dem Roman Proximus und Lympida der einzige Text, den Grimmelshausen unter seinem richtigen Namen publizierte. Wie die beiden anderen genannten Texte stieß dieser Roman offenbar nur auf geringes Interesse, weshalb er zu Lebzeiten des Dichters nur einmal gedruckt wurde. Weitere Auflagen erlebte er erst im Rahmen der postumen Gesamtausgaben.

    Des Grundfrommen keuschen Josephs getreuen Dieners und Schaffners Musai / Denck und Leswürdige Lebens-Erzehlung / Aus Uhralten Hebräischen / Persischen und Arabischen Scribenten Mit unausgesetztem Fleiß / auf nutzliche annehmliche und erbauliche Art / zu Papier gebracht; Und jetzo erstesmals / auf inständiges Ansuchen / zum Druck übergeben / Von Samuel Greifnson von Hirschfeld. [Nürnberg]: [Felßecker], 1670. - 89 Seiten; [2] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:233023V]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign. Lo 2303-1
  • Universitätsbiliothek Breslau
  • 8 E 1684
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg17 G88 671
  • Die Erstausgabe des Musai wurde, mit eigenem Titelblatt und eigener Seitenzählung versehen, an die zweite Auflage des Keuschen Joseph angehängt. Zur weiteren Textgeschichte vgl. die Ausführungen zum Keuschen Joseph.

    Das wunderbarliche Vogel-Nest / Der Springinsfeldischen Leyrerin / Voller Abentheurlichen / doch Lehrreichen Geschichten / auff Simplicianische Art sehr nutzlich und kurtzweilig zu lesen außgefertigt Durch Michael Rechulin von Sehmsdorff. Monpelgart [i.e. Nürnberg]: Johann Fillion [i.e. Felßecker], 1672. - [1] Bl.; 201 Seiten; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗xxx]
    Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg17 G88 672w
  • Die Frage nach dem Verleger dieses Romans hat in der Forschung für Diskussionen gesorgt. Zwar sind die fiktiven Angaben zu Druckort und Verleger die gleichen wie im Simplicissimus, was für den Nürnberger Felßecker spricht. Doch Koschlig ging von der Annahme aus, dass „Grimmelshausen sein Verhältnis zu Felßecker schon um das Ende des Jahres 1671 bzw. Anfang 1672 gelöst hat und dass er kurze Zeit darauf in Dollhopff einen neuen Verleger fand“ (Koschlig 1939, 261). Daher könne das im Herbst 1672 erschienene Vogelnest I nicht mehr bei Felßecker erschienen sein (vgl. ebd., 270 f.). Diese These ist sehr umstritten und kann nach neueren Forschungen als widerlegt gelten (vgl. die Ausführungen und die Literaturhinweise in der Ausgabe Tarots, Einleitung, S. IX-XI sowie Breuer 2010). Über die Textgestalt der Erstausgabe (E1) gibt es einige Unklarheiten. Scholte und Koschlig konnten noch ein Exemplar benutzen, das sich im Privatbesitz Gustav Könneckes befand. Dieses Exemplar ist seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen, so dass das einzige verfügbare Exemplar des Erstdrucks das in Yale befindliche ist. Dieses unterscheidet sich in der Textgestalt von dem Exemplar Könneckes, so dass anzunehmen ist, dass es sich um die Produkte unterschiedlicher Phasen der Korrektur handeln muss. Gemeinhin wird das verschollene Exemplar Könneckes als das ältere angesehen. Möglicherweise gab es noch eine dritte Variante, die Grundlage für einen Raubdruck war, der 1673 erschien (E2a). Felßecker brachte noch im gleichen Jahr eine zweite rechtmäßige Ausgabe heraus (E3), die sich nur geringfügig vom Erstdruck unterscheidet. Wie sich aber die Fassung des verschollenen Exemplars, des Exemplars in Yale und E3 zueinander verhalten und ob man noch eine weitere, bisher unbekannte Variante annehmen muss, ist kaum mehr zu ermitteln. Schließlich erschien wahrscheinlich 1674 ein weiterer Raubdruck (E4a), der von E2a abhängig ist.

    Rathstübel Plutonis Oder Kunst Reich zu werden / Durch vierzehen underschiedlicher namhafften Personen richtige Meynungen in gewisse Reguln verabfasset / und auß Simplicissimi Brunnquell selbsten geschöpfft / auch auffrecht Simplicianisch beschrieben Von Erich Stainfels von Grufensholm / Sambt Simplicissimi Discurs, Wie man hingegen bald auffwannen: und mit seinem Vorrath fertig werden soll. Samarien [i.e. vermutl. Nürnberg]: [vermutl. Felßecker], 1672. - [1] Bl.; Kupfert.; 164 Seiten; [1] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗12:653071C]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 411
  • Landesbibliothek Coburg
  • Cas A 1391
  • Niedersächsische Landesbibliothek Hannover
  • G-A 376
  • British Museum London
  • 8410. a. 28
  • Staats- und Universitätsbibliothek Prag
  • 12 L 131
  • Landesbibliothek Stuttgart
  • HV 4783
  • Universitätsbibliothek Tübingen
  • Dk XI 461 d
  • Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 4785-A
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg 17 G88 672 r
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 4265
  • Entgegen der These Koschligs (vgl. die obigen Ausführungen zu Vogelnest I) wird heute angenommen, dass auch dieser Text bei Felßecker in Nürnberg gedruckt wurde. Zu Lebzeiten Grimmelshausens erfuhr er keine weitere Auflage, für die postume Gesamtausgabe wurde die Textstruktur verändert (Kapiteleinteilung mit gereimten Kapitelüberschriften).

    Des Abenteuerlichen Simplicii Verkehrte Welt. Nicht / wie es scheinet / dem Leser allein zur Lust und Kurtzweil: Sondern auch zu dessen aufferbaulichem Nutz annemlich entworffen von Simon Lengfrisch [recte: Leugfrisch] von Hartenfels: [...] [Nürnberg]: [Felßecker], 1672. - [1] Bl.; Kupfert.; 221 unpaginierte Seiten; [1] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:667983U]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 412
  • Bibliotheca Nazionale di Firenze
  • Collacazione: Landau Finaly 498
  • British Museum London
  • 12315. aa. 45
  • Schiller-Nationalmuseum Marbach
  • F Rara
  • Universitätsbibliothek München
  • (^P. germ. 697
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg 17 G88 672d
  • Universitätsbibliothek Tübingen
  • Dk XI 92b
  • Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • QuN 1066 (1)
  • Aus den Messkatalogen lässt sich entnehmen, dass Felßecker der Verleger dieser Satire ist. Die verkehrte Welt ist möglicherweise die letzte Schrift Grimmelshausens, die in der Erstausgabe bei Felßecker erscheint (vgl. unten die Ausführungen zum Teutschen Michel). Nach dem Erstdruck 1672 wurde der Text erst in der postumen Gesamtausgabe neu aufgelegt, was dafür spricht, dass er zu Grimmelshausens Lebzeiten relativ unbekannt geblieben ist. Auch moderne Edititonen ignorierten die Verkehrte Welt lange Zeit, bis sie in der Gesamtausgabe Tarots Platz fand (vgl. Franz Günter Sieveke in der Einleitung der Ausgabe, S. X).

    Der stoltze Melcher / Sambt einer Besprecknuß Von das Frantzoß Krieg Mit der Holland. Welches Durch Veranlassung eines Saphoyers der Friedens-satten-vnd gern-kriegenden teutschen Jugend zum Meßkram verehret wird. [Straßburg]: [Dollhopff], [1672]. - 16 unpaginierte Seiten, 4° [opac ↗xxx] [vd17 ↗xxx]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
  • Sign.xb 7690
  • Niedersächsische Landesbibliothek Hannover
  • XXV
  • Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • 42 A 1932,17
  • Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
  • Allg. Gesch. 4° 116
  • Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
  • Div. Gesch. 4° 279
  • Des Durchleuchtigen Printzen PROXIMI und Seiner ohnvergleichlichen LYMPIDAE Liebs-Geschicht-Erzehlung. Vornemlich den vorhandenen Alten und Jungen: Aeltern und Kindern / zur Richtschnur / Lehr / und Nachfolgung: den Betrübten und Verliebten zum tröstlichen Beispiel: den Curiosen und Müssigen zur Ergetz- und Ehrlichen Zeitvertreibung: sonst jedermänniglichen aber zum Nutzen / und Christlicher Aufferbawung seiner selbsten / an Tag gegeben von H. J. Christoffel von Grimmelshausen / Gelnhusano. Straßburg: Dollhopff, 1672. - [2] Bl.; Kupfert.; Titelseite; 23 unpaginierte und 281 paginierte Seiten; [2] Bl. 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗12:651759E]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
    Staatsbibliothek zu Berlin
  • Yu 5401
  • Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 568
  • Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
  • 8 FAB VI, 1763 RARA
  • Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.
  • Bibl. Hirzel 139
  • Marburger Depot der Staatsbibliothek
  • Yu 5401 R
  • Universitätsbibliothek Tübingen
  • Dk XI 461 i
  • Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 22.794-A
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg 17 T 19 673
  • Proximus und Lympida ist der erste Roman Grimmelshausens, der bei Dollhopff in Straßburg erschien und zudem neben Dietwalt und Amelinde und Zweyköpffiger Ratio Status der einzige Text, den er unter seinem richtigen Namen publizierte. Wie diese wurde auch Proximus und Lympida von der Forschung weitgehend ignoriert und zu Lebzeiten des Autors blieb es bei diesem einen Druck. Erst in den postumen Gesamtausgaben fand der Roman wieder Berücksichtigung.

    Bart-Krieg / oder Des ohnrecht genanten Roht-Barts Widerbellung gegen den welt-beruffenen Schwartz-bart deß SIMPLICISSIMI [...]. Mit außtrücklicher Freyheit Barbarossae, von keinem Schwartzbart nachzutrucken. [vermutl. Straßburg]: [vermutl. Dollhopff], 1673. - 60 paginierte Seiten, 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:279720Z]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
    Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • C. P. 2. B. 88
  • Der Bart-Krieg, anonym erschienen und in den Messkatalogen weder angekündigt noch angezeigt, wurde erst von Gustav Könnecke entdeckt und Grimmelshausen zugeschrieben. Die Autorschaft Grimmelshausens wurde vor allem durch Jan Hendrik Scholte angezweifelt. Seit aber Manfred Koschlig (1938) durch Textvergleiche mit dem Teutschen Michel, Dietwalt und Amelinde, Courasche und Vogelnest IGrimmelshausens Autorschaft nachweisen konnte, gilt diese als gesichert. Laut Titelblatt ist der Neujahrstag 1673 der Erscheinungstermin der kleinen Schrift. Bis heute konnten Drucker und Verleger nicht eindeutig geklärt werden, Koschlig (ebd.) nimmt aufgrund seiner These vom Zerwürfnis zwischen Grimmelshausen und Felßecker nach 1672 den Straßburger Verleger Dollhopff als denjenigen an, der den Bart-Krieg druckte und distribuierte. Diese These konnte jedoch widerlegt werden. Somit erscheint die Festlegung auf Dollhopff als Verleger aller Texte Grimmelshausens, die nach dem angeblichen Bruch 1672 publiziert wurden, fragwürdig (vgl. die obigen Ausführungen zu Vogelnest I). Der Erstdruck blieb bis zu den modernen Ausgaben der einzige Druck des Textes, in die postume Gesamtausgabe (1684 ff.) wurde eine thematisch ähnliche Schrift aufgenommen, die aber nicht von Grimmelshausen stammt (vgl. Breuer 1999, 143).

    Deß Weltberuffenen SIMPLICISSIMI Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel / Jedermänniglichen / wanns seyn kan / ohne Lachen zu lesen erlaubt Von Signeur Meßmahl. [Nürnberg]: [Felßecker], [1673]. - [2] Bl.; Kupfert.; 119 paginierte Seiten; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗23:279742C]
    Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
    Bayerische Staatsbibliothek München
  • Rar. 569
  • Sächsische Landesbibliothel / Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • Ling.Germ.rec.267
  • Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
  • 8° L. 1988b
  • Diözesenbibliothek Rottenburg
  • (an:) 7670
  • Manfred Koschlig 1939, 293 f. ging aufgrund von Eigenheiten des Titelkupfers davon aus, dass der Teutsche Michel bei Dollhopff in Straßburg gedruckt wurde: „Da im übrigen keinerlei Gründe vorhanden sind, die gegen die Annahme Dollhopffs als Verleger des Teutschen Michel irgendwelches Gewicht hätten, sondern im Gegenteil den Umständen nach eigentlich nur der in Betracht kommen kann, darf die so gut wie nachweisliche Identität des Kupferstechers mit dem beim Rathstübel Plutonis beschäftigten als bekräftigendes Argument für Dollhopff angesehen werden“ (ebd., 294). Koschlig konnte zu diesem Zeitpunkt einen an Sigmund von Birken adressierten Brief Quirin Moscheroschs, eines Bruders des Satirikers Johann Michael Moscherosch, der als Pfarrer in einer Ortschaft in der Nähe Renchens wirkte, noch nicht kennen. Dieser wurde erst durch Blake Lee Spahr entdeckt und 1960 ediert (Spahr 1960). In diesem Brief berichtet Moscherosch, dass Grimmelshausen - den er nicht namentlich nennt, sondern auf dessen bekannteste Kunstfigur Simplicissimus ausweicht - „vor weynachten“ den Teutschen Michel bei Felßecker in Nürnberg herausgebracht habe. Da Birken als Empfangsdatum den 27. Januar 1673 eintrug, nahm die Forschung lange an, der Teutsche Michel sei im Spätherbst 1672 erschienen. Dies hätte aber dem Chronogramm auf der Titelseite widersprochen, das aufgelöst 1673 ergibt. Hans-Rüdiger Fluck (1975) wies schließlich nach, dass Birkens Eingangsvermerk fehlerhaft ist, er erhielt den Brief am 27. Januar 1674. Da nichts dagegen spricht, dass Moscheroschs Angaben korrekt sind, muss der Teutsche Michel damit Ende 1673 bei Felßecker erschienen sein. Dieser Befund widerlegt auch Koschligs These, Grimmelshausen habe sich 1672 mit Felßecker zerstritten und danach alle seine Texte bei Dollhopff in Straßburg drucken und herausgeben lassen (zu dieser Kontroverse vgl. Breuer 2010, 17-20). Bis zu den modernen Grimmelshausen-Editionen blieb dies der einzige Druck des Teutschen Michel.

    Simplicissimi Galgen-Männlin / Oder Ausführlicher Bericht / woher man die so genannte Allräungen oder Geldmännlin bekompt / und wie man ihrer warten und pflegen soll; auch was vor Nutzen man hingegen von ihnen eigentlich zugewarten. Erstlich durch Simplicissimum selbsten seinem Sohn und allen andern / so die Reichthum dieser Welt verlangen / zum besten an tag geben. Nachgehends mit nutzlichen Anmerck- und Erinnerungen erläutert durch Israël Fromschmidt von Hugenfelß. [Straßburg]: [Dollhopff], [1673]. - [1] Bl.; 72 paginierte Seiten; [1] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗14:695003U]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 439
  • Sächsische Landesbibliothek Dresden
  • Mag 446 m (Exemplar beschädigt; Titelseite und Texblock oben mit Textverlust)
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg 17 G 88 673
  • Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 22. 692-A
  • Das Galgen-Männlin erschien noch 1673, wohl gleichzeitig mit oder unmittelbar nach dem Teutschen Michel, in dessen 12. Kapitel auf diesen Text verwiesen wird. Anders als der Teutsche Michel erschien das Galgen-Männlin vermutlich bei Dollhopff in Straßburg. Wahrscheinlich 1674 erschien ein Nachdruck, für den Koschlig 1939, 306 den Frankfurter Verleger Georg Müller verantwortlich macht, der bereits den Simplicissimus (E3a) und Courasche (E2a) nachdruckte. Dieser Nachdruck weist einige sprachliche Überarbeitungen auf. 1684 wurde das Galgen-Männlin im Rahmen der Gesamtausgabe wieder abgedruckt.

    Deß Wunderbarlichen Vogelnests zweiter theil An tag geben von Aceeeffghhiillmmnnoorrsstuu. [Straßburg]: [Dollhopff], [1675]. - Kupfert.; 340 paginierte Seiten; [2] Bl.; 12° [opac ↗xxx] [vd17 ↗1:663966M]
    Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • KK 410,2
  • Deutsche Staatsbibliothek Berlin
  • Yu 5442 R und Yu 5443 R
  • Yale University Library New Haven, Conn.
  • Zg 17 G88 673 w
  • Österreichische Nationalbibliothek Wien
  • 1.447-A (an Vogelnest I, Ausgabe E2a)
  • Das Vogelnest II ist Grimmelshausens letztes Werk, es erschien im Jahr vor seinem Tod. Dieser Druck blieb bis zur postumen Gesamtausgabe (1684 ff.) der einzige Druck des Romans.

    6.2. Ausgaben
    [arrow up]

    6.3. Weitere Quellen
    [arrow up]

    6.4. Wörterbücher
    [arrow up]

    6.5. Zitierte Forschungsliteratur
    [arrow up]

    XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000133/tei-introduction.xml
    XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000133/tei-introduction.xsl