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Der zweyte Abschnitt. Von den feinern Empfindungskräften.

I. Nach einer allgemeinen Betrachtung der Kräfte des Verstandes und Willens gehen wir nunmehro zur Untersuchung der fei nern Kräfte der Empfindung, zu einigen andern natürlichen Bestimmungen des Willens, und zu den allgemeinen Gesetzen der menschlichen Na tur, fort. Ausser den Sinnen des Gesichts und Gehörs(Vergnü gen der Ein bildungs kraft.) haben die meisten Menschen, ob gleich in verschie denen Graden, gewisse Empfindungskräfte von ei ner feinern Art, als daß wir sie bey den meisten unedlern Thieren, welche die verschiedenen Farben und Figuren sehen, und die verschiedenen Töne hö ren, voraussetzen könten. Wir können dieselben das Gefühl der Schönheit und Harmonie, oder, mit Addison, die Einbildungskraft nennen. Was für einen Nahmen aber wir ihnen auch geben wollen: so ist es offenbar, daß die verschiedenen nachfolgenden Eigenschaften der Gegenstände, von
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(Erstes Buch.) 60 Von den feinern der Natur zubereitete Qvellen<Quellen> des Vergnügens sind; oder daß die Menschen natürliche Kräfte und Be stimmungen haben, von ihnen Vergnügen zu em pfinden. (Schönheit.) 1. Gewisse Gestalten sind dem Auge, ohne alle Rücksicht auf das Vergnügen über lebhafte Farben, angenehmer, als andere; besonders diejeni gen zusammengesezten, worinnen Einförmigkeit und ein richtiges Verhältnis der Theile unterein ander, wahrzunehmen ist. Wir können, durch das Geheis unsers Willens, eben so wenig einen Wohl gefallen an allen Gestalten, ohne Unterschied, her vorbringen, als wir dem Geschmack alle Gegenstän de angenehm machen können. (Nachah mung.) 2. Gleichwie die Neigung nachzuahmen den Menschen, von ihrer Kindheit an, natürlich ist: also empfinden sie über jede Nachahmung * Vergnü gen. Wenn das Original schön ist: so werden wir ein doppeltes Vergnügen haben; aber eine voll kommene Nachahmung der Schönheit oder der Häs lichkeit, sie geschehe nun durch Farben, Figuren, Sprache, Stimme, oder Bewegung, bringt an sich selbst Vergnügen. (Harmonie.) 3. Gewisse Zusammensetzungen von Tönen sind allen Menschen überhaupt, unmittelbar ange nehm, wovon uns die Musikverständigen leicht un terrichten können. Die geringern Vergnügungen entstehen von der Zusammenstimmung; aber ein 6
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Empfindungskräften. 61 höhers Vergnügen entstehet aus solchen Zusammen(Zweyter Abschnitt.) setzungen, welche durch abgemessene Töne, die Ver änderungen der menschlichen Stimme nachahmen, wodurch die verschiedenen Neigungen der Seele, bey wichtigen Gelegenheiten, ausgedrückt werden. Plato * und Lykurg ** fanden dahero in der Musik einen moralischen Character, und glaubten, daß sie auf die Sitten der Menschen einen Einflus habe. 4. Da wir mit Vernunft begabt sind, dieje(Absicht.) nigen Mittel, welche zu Erhaltung eines Endzwecks geschickt sind, und die verschiedenen Beziehungen und Verknüpfungen der Dinge zu unterscheiden: so liegt ein unmittelbares Vergnügen in der Er käntnis, *** welches von dem Urtheil selbst unter schieden ist, ob es gleich mit ihm in einer natürli chen Verbindung steht. Wir empfinden auch ein Vergnügen, wenn wir Kunst und Absicht in einem Werke entdecken, das zu Erreichung wichtiger End zwecke eingerichtet ist; oder in einem Geräthe, das alles hat, was zu seiner Bestimmung gehört; wir mögen Hofnung haben, davon Gebrauch zu machen oder nicht. Wir empfinden ein Vergnügen, wenn wir die Kräfte unserer Vernunft und unserer Er findung beschäftigen und anwenden können; wir freuen uns, wenn wir andere dieselben ebenfalls anwenden sehen, und die kunstreichen Wirkungen 7 8 9
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(Erstes Buch.) 62 Von den feinern davon wahrnehmen. In solchen Werken der Kunst vergnügen wir uns, die Schönheit der Gestalt und der Nachahmung vermischt zu finden, in so weit es die Absicht derselben verstattet. Aber das höhere Vergnügen, die Absicht auszuführen, verursacht, daß wir das geringere, wenn es mit jenem nicht zugleich bestehen kan, nicht achten. (Ursachen der Verschieden heit des Ge schmacks.) II. Wenn wir zugeben, daß alle diese Beschaf fenheiten natürlich sind: so können wir von der Verschiedenheit der Meinung und des Geschmacks, die wir wahrnehmen, Rechenschaft geben. Denn die mannichfaltigen Eigenschaften, an welchen wir einen in unsrer Natur liegenden Wohlgefallen ha ben, können von einem auf diese Art, von andern auf eine andere Art, betrachtet werden. Der Dürf tige, der Geschäftige, oder der Träge können die Schönheit in Kleidungen, in Gebäuden und in Ge räthe, zu der sie ausserdem gelangen könten, verab säumen, ohne unempfindlich dagegen zu seyn. Ei nigen kan es blos um eine ungekünstelte Einför migkeit in den Theilen, zu thun seyn; andere kön nen die Nachahmung der schönen Werke der Na tur darunter mischen, und unter diesen können wie derum einige eine Reihe solcher Gegenstände, wie sie aus der Hand der Natur kommen, einige aber Gegenstände von erhöheter Schönheit, wählen: es kan auch die Art der Nachahmung mehr oder weni ger vollkommen seyn. Einige können bey ihren Arbeiten vornehmlich auf das Vergnügen, wel ches aus der Wahrnehmung der Absicht und des Nutzens entstehet, sehen, und das Vergnügen über
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Empfindungskräften. 63(Zweyter Abschnitt.) die Schönheit und Nachahmung, nur in so weit es mit jenem besteht, zur Absicht haben. In den seltsamsten Kleidungen ist eine Uebereinstimmung der Theile, eine Einrichtung nach der Gestalt des menschlichen Körpers, und oft auch eine Nachah mung. Unsere Kleider sind nicht so leicht und so beqvem<bequem>, als die ehemaligen, und sie sind weniger geschickt, die Gestalt des Körpers sichtbar zu ma chen. Diejenigen, welche auf diesen Endzweck se hen, werden die ehemaligen Kleider; diejenigen aber, welche daran nicht denken, oder darauf nicht sehen, werden die neuen vorziehn. In der Baukunst ist es eben so beschaffen. Diejenigen, welche auf die Nachahmung der Ver hältnisse des menschlichen Körpers, in gewissen Thei len der Baukunst, aufmerksam sind, werden an den Bauarten, welche damit übereinstimmen, Vergnü gen finden. Andere, die den Gebrauch kennen, welchen die äussere Einrichtung gewisser Theile so gleich entdeckt, kan diese wahrgenommene Absicht gefallen. Einige können, ohne hierauf zu sehen, an der Uebereinstimmung der Theile Wohlgefallen haben; einige aber können, durch Verbindung ge wisser Begriffe, etwas billigen oder misbilligen; wovon wir hernachmals reden wollen. Wenn man alles Gefühl der Schönheit blos auf einen wahren oder scheinbaren Nutzen gründen wollte: so würde man niemals im Stande seyn, zu erklären, warum man auch an denjenigen nütz lichen Dingen Gefallen findet, wovon man, ausser dem Vergnügen, sie zu betrachten, keinen Vor
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(Erstes Buch.) 64 Von den feinern theil zu gewarten hat; warum uns die Gestalt der Blumen, der Vögel, des Wilds, vergnügt, auch wenn wir keinen wahren oder scheinbaren Nutzen von ihnen zu hoffen haben; warum einer, der die Baukunst gar nicht versteht, an der Betrachtung eines schönen Gebäudes, Gefallen findet; woher es kömt, daß uns die Nachahmungen solcher Gegen stände Vergnügen bringen, welche, wenn sie an eben dem Orte sich wirklich befänden, wo ihre Ab bilder sind, keinen Nutzen schaffen würden. Man könte eben sowohl behaupten, daß wir, ehe uns et was Wohlschmeckendes vergnügte, zuvor die klein sten Theilchen desselben kennen und wissen müsten, daß ihre Natur unsern Nerven nicht unange nehm sey. (Grosser Nutzen im menschlichen Leben.) Das Vergnügen dieser feinern Empfindun gen * ist von keiner geringen Wichtigkeit in dem Leben der Menschen. So sehr auch dasselbe von denjenigen, welche nach Reichthum und Ansehn streben, oft hindangesetzt zu werden scheint: so ha ben sie es doch für sich, auf ihre künftige Lebenszeit, oder für ihre Nachkommenschaft eben so wohl zur Absicht, als andere, welche einen bessern Geschmack haben, und dasselbe zum Endzweck ihrer meisten Bemühungen machen. Bey dem grössten Theil 10
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Empfindungskräften. 65(Zweyter Abschnitt.) der Menschen, welche vor unruhigen Begierden ei nigermassen gesichert sind, äussert sich ein Gefallen an diesem Vergnügen. So bald die Nationen dem Frieden im Schoos sind: so bald fangen sie an, sich in den Künsten zu üben, welche dieses Ver gnügen verschaffen; wie wir aus den Geschichten aller Zeiten und Völker lernen. Zu diesen Vergnügungen der Einbildungs(Vergnü gen an Neu heit und Grösse.) kraft kan man noch zwo andre angenehme Empfin dungen rechnen, welche aus der Neuheit und Grös se der Dinge entstehen. Die erstere wirkt allemal eine angenehme Bewegung, wenn wir müssig sind, welche sich vielleicht auf die Wissensbegierde grün det, die so tief in unsrer Seele liegt. Wir wer den hiervon im Verfolg reden. Die Grösse ist eine angenehme Beschaffenheit in einem Gegen stand der Betrachtung, die von der Schönheit und den Verhältnissen desselben unterschieden ist. Ja, auch alsdenn, wenn diese letztern nicht vorhanden sind, vergnügt sich die Seele an allem, was weit, von grossem Umfange, hoch oder tief ist, ohne Rücksicht auf einen Vortheil, der aus diesen Be schaffenheiten entstehen könte. Die Endursachen dieser natürlichen Bestimmungen, oder Empfindun gen des Vergnügens kan man bey vielen * Schrift stellern finden. III. Eine andere wichtige Bestimmung oder(Sympa thien. Mitleiden.) Empfindung der Seele kan die sympathetische 11
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(Erstes Buch.) 66 Von den feinern genennet werden, die von allen äusserlichen Sin nen unterschieden ist, und vermöge welcher unsere Herzen mit denjenigen, deren Zustand uns bekant ist, zugleich fühlen. Wenn wir den Schmerz, die Traurigkeit und das Elend, welches andre empfin den, sehen oder wissen, und unsre Gedanken darauf richten: so fühlen wir ein starkes Mitleiden und ein Bestreben, ihnen beyzustehen, so lange keine entgegengesetzte Leidenschaft uns zurückhält. Und dieses * geschieht ohne alle Absicht auf den Vor theil, der uns aus diesem Beystand zuwachsen kön te, oder auf den Verlust, den wir befürchten mü sten, wenn dieses Leiden fortdauerte. Wir sehen, daß dieser Trieb bey Kindern heftig wirkt, bey wel chen man doch die wenigsten Absichten auf einen Vortheil vermuthen kan. Zuweilen äussert die selbe sich mit so vieler Heftigkeit, daß er auch bey Leuten, die eben nicht die weichherzigsten sind, wenn sie grausamen Hinrichtungen zusehen, Ohnmachten veranlasst. Dieser Trieb ist von keiner kürzern Dauer, als unser Leben. (Gemein schaftliche Freude.) Wir haben auch eine Neigung, an der Freu de anderer Theil zu nehmen, wenn keine vorherge gangene Nacheiferung, keine eingebildete Hinde rung unsers Vortheils, und kein Vorurtheil dersel ben entgegen sind. Wir haben diese Sympathie selbst mit den unvernünftigen Thieren gemein, und eben daher komt es, daß uns die Beschreibungen, welche die Dichter von ihrer Freude machen, so 12
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Empfindungskräften. 67(Zweyter Abschnitt.) sehr gefallen. Aber gleichwie unsre eigennützigen Neigungen, welche das Uebel zurücktreiben, der gleichen Furcht, Zorn und Rache sind, insgemein die Seele stärker bewegen, als diejenigen, durch welche wir unser Bestes zu erreichen gedenken: also wirkt das Mitleiden stärker auf uns, als der Trieb, uns mit andern zu freuen. Und dieses ist eine sehr weise Einrichtung, weil die Befreyung vom Schmerz nothwendig vor dem Genus des Gu ten vorherzugehen scheint. Die heftigern Bewe gungen der Seele sind dahero auf dasjenige gerich tet, was am nothwendigsten ist. Diese Sympa thie scheint sich in allen unsern Neigungen und Lei denschaften zu äussern. Sie scheinen sich alle an dern mitzutheilen. Wir sind nicht nur traurig mit den Betrübten, wir freuen uns nicht nur mit den Glücklichen, sondern auch die Verwunderung, oder das Erstaunen, welches sich an jemanden äus sert, erregt eine ähnliche Bewegung der Seele in allen, die ihn sehen. Wenn wir wahrnehmen, daß andere sich fürchten: so fürchten wir uns mit ih nen, ehe wir noch die Ursachen davon wissen. Ein Gelächter bewegt uns zum Lachen, Liebe gebiert in uns Liebe, und die andächtigen Regungen, welche wir in andern entdecken, sind für uns Einladungen zur Andacht. Man sieht leicht, was für einen un mittelbaren Einflus diese Sympathie auf die grosse Bestimmung der Seele hat, die allgemeine Glück seligkeit zu befördern. IV. Ehe wir noch einiger anderer feinern Em(Ein natür licher Trieb zur Bewe gung in den meisten be) pfindungen erwähnen, deren Gegenstände die mensch
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(Erstes Buch.) 68 Von den feinern (seelten Ge schöpfen.) lichen Handlungen sind, müssen wir die allgemeine Bestimmung der Seele, alle ihre thätige Kräfte beständig zu üben, bemerken. Wir entdecken an den Menschen, gleich von der Kindheit an, einen Trieb zur Beschäftigung und zur Bewegung. Die Kinder berühren, ergreifen, betrachten und kosten alles. Wenn sie älter werden, so äussern sich an dere Kräfte. Sie wollen alle mögliche Versuche machen, sie beobachten alle Veränderungen, und untersuchen ihre Ursachen; und dieses aus einem Triebe zur Beschäftigung, und aus einer eingepflanz ten Wissensbegierde, wenn sie auch von keiner Hofnung einigen Vortheils gereizt werden. Wir nehmen wahr, daß die meisten andern Thiere, so bald sie das Licht erblicken, aus gleichem Triebe, auf die von dem Urheber der Natur bestimmte Art, ihre verschiedenen Kräfte üben; und sie sind bey dieser Uebung, so mühsam und ermüdend sie auch sey, weit glücklicher, als sie in dem Stand einer sinnlichen Trägheit seyn würden. Die Schlangen versuchen ihre kriechenden Bewegungen; das Wild richtet sich auf, und geht oder läuft; die Vögel er heben sich auf ihren Flügeln und schwingen sich in die Höhe; das Wassergeflügel begiebt sich aufs Wasser, so bald es dasselbe gewahr wird. Das Füllen übt sich im Rennen; der Stier * braucht seine Waffen, die Hörner; und der Hund folgt seiner Bestimmung zur Jagd. 13
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Empfindungskräften. 69 (Zweyter Abschnitt.) Die Kinder sind, so lange sie wachen, in Be(Besonders im Men schen.) wegung, und scheuen weder Ermattung noch Ue berdrus. Sie haben so lange eine Abneigung ge gen den Schlaf, bis er sie wider ihren Willen über wältiget. Sie bemerken, was vorgeht, erinnern sich daran, und denken darüber nach. Sie lernen die Benennungen der Dinge, untersuchen die Na tur, den Bau, den Gebrauch und die Ursachen der selben, und ihre Neugier wird keinen Verweisen nachgeben. Gegen diejenigen, die liebreich gegen sie sind, äussern sie bald liebreiche Neigungen. Sie sind dankbar, und begierig, in allem, was man lobt, vortreflich zu seyn. Bey ihren Spielen sind sie entzückt, wenn sie glücklich sind, und die Oberhand behalten; und sie werden ausserordentlich nieder geschlagen, so bald andere sie übertreffen. Sie erzörnen sich geschwind über eine eingebildete Be schimpfung oder Beleidigung. Sie fürchten sich vor einen empfundenen Schmerz und werden über die Ursache desselben unwillig; aber sie geben sich zufrieden, so bald sie finden, daß andre ihn nicht mit Vorsatz verursacht haben, oder, daß sie ihre Reue bezeigen. Sie nehmen nichts so übel auf, als falsche Beschuldigungen oder Vorwürfe. Sie sind zur Aufrichtigkeit, zur Wahrheit und Offen herzigkeit geneigt, so lange sie nicht einige daraus entstandene üble Folgen erfahren haben. Sie sind voll Ungedult, andern etwas neues oder seltsames, oder etwas, das Verwunderung oder Gelächter er regen kan, zu erzählen. Sie sind bereit, andern mit allem zu dienen, was sie selbst nicht brauchen. Sie sind begierig, sich andern gefällig zu machen,
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(Erstes Buch.) 70 Ven den feinern und kennen keinen Argwohn, so lange sie keine Be leidigungen empfangen haben. Dieser Trieb zur Beschäftigung dauret so lange wir leben, und den Gebrauch unserer Kräfte behalten. Die verworfensten und trägsten Men schen sind nicht ganz müssig; sie haben eine Art von Geschäften, ihre Cabalen und ihren Umgang, wo sie ihre Kräfte anwenden, oder sie haben einige an dre geringe Empfindlichkeit gegen sinnliche Ver gnügungen. Wir sehen überhaupt, daß die Men schen, blos durch diese oder jene Art zu handeln, glücklich werden können, und die Uebung der Kräf te des Verstandes ist, von unsrer Geburt an, bis zu unsern Tod, eine Qvelle<Quelle> des natürlichen Ver gnügens. Die Kinder sind über die Entdeckung einer neuen oder kunstreichen Sache entzückt, und voller Ungedult, sie andern zu zeigen. Oeffentli che Schauspiele, Seltenheiten, Pracht, unterhalten ihre ganze Aufmerksamkeit. Vornehmlich aber sind die wichtigen Handlungen grosser Männer, ihr Glück, und der Stand, darinnen sie gelebt haben, man mag davon erzählen hören, oder lesen, oder sie vorstellen sehen, das Vergnügen eines jeden mensch lichen Alters. Hier wird das Vergnügen durch unser geselliges Gefühl der Freude erhöhet; und durch unsern Trieb zum Mitleiden, und durch den Antheil, den wir an Personen, die wir bewundern, zu nehmen pflegen, wird der Eifer der Untersuchung vermehret. Wenn einigen Menschen ein fähiger Geist verstattet, sich den schwerern Wissenschaften zu na
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Empfindungskräften. 71(Zweyter Abschnitt.) hen: was für eine heftige Begierde bemerkt man alsdenn nicht an ihnen zur Käntnis der Geometrie, Arithmetik, Astronomie und der Geschichte der Na tur? Es ist ihnen eine Freude, alle Mühe anzu wenden, und ganze Nächte zu wachen. Haben wir nöthig, die Fabelgeschichte und Philologie zu er wähnen? Es ist offenbar, daß in der Wissen schaft ein hohes natürliches Vergnügen liegt, das mit keinen Reitzungen eines Vortheils verknüpft ist. Ein gleiches Vergnügen liegt in der Känt nis desjenigen, was die Geschäfte des Lebens be trift, und derjenigen Wirkungen, welche die Hand lungen auf die Glückseligkeit einzelner Personen oder ganzer Gesellschaften haben. Wie sehr sind alle diese Erfahrungen derjenigen Philosophie ent gegen, nach welcher der einzige Trieb, oder die einzige Bestimmung der Seele in einer Begierde nach den Vergnügungen, welche der Körper gewährt, oder nach der Befreyung vom körperlichen Schmerz, liegen soll. V. Durch eine höhere Kraft der Empfin(Ein mora lisches Ge fühl.) dung, als alle bisher erwähnte sind, liegt für die Menschen in den Handlungen die grosse Quelle ihrer Glückseligkeit zubereitet, nämlich durch diejenige, vermittelst welcher sie moralische Begriffe von Handlungen und Charactern erhalten. Niemals ist, ausser den Jdioten, eine Art von Menschen ge wesen, welche alle Handlungen für gleichgültig an gesehen hätten. Sie finden alle den moralischen Unterschied der Handlungen, ohne Absicht auf den Vortheil oder Nachtheil, den sie davon zu gewar
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(Erstes Buch.) 72 Von den feinern ten haben. Da dieses moralische Gefühl von gros ser Wichtigkeit ist: so soll in einem folgenden Ab schnitt weitläuftiger davon gehandelt werden. Ge genwärtig mag es genug seyn, das anzumerken, was wir alle fühlen, nämlich, daß gewisse edle Neigungen und die daraus fliessenden Handlungen, wenn wir uns ihrer selbst bewust sind, die ange nehmsten Empfindungen des Beyfalls und einer innerlichen Zufriedenheit in uns hervorbringen; und daß, wenn wir diese Neigungen und Hand lungen an andern bemerken, wir nicht nur ein in niges Gefühl des Beyfalls und eine Empfindung ihrer Vortreflichkeit in uns wahrnehmen, sondern auch eine daher entstehende Gewogenheit und einen Eifer für ihre Glückseligkeit empfinden. Wenn wir uns der entgegengesetzten Neigungen und Handlungen selbst bewust sind: so fühlen wir die Verweise unsers Gewissens, und ein Misfallen an uns selbst; wenn wir sie an andern bemerken: so misbilligen wir ihre Gemüthsbeschaffenheit, und halten sie für niederträchtig und hassenswürdig. Die Neigungen, welche diesen moralischen Beyfall erregen, sind entweder alle unmittelbar auf das gemeine Beste gerichtet, oder sie stehen, mit die sen gemeinnützigen Gesinnungen, in einer natürli chen Verbindung. Diejenigen aber, welche das moralische Gefühl misbilligt und verwirft, sind entweder so bösartig, daß sie darauf gerichtet sind, andre in Unglück zu stürzen; oder sie haben den ei genen Vortheil so sehr zur Absicht, daß sie ungü tige Gesinnungen verrathen, oder doch die gemein
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Empfindungskräften. 73(Zweyter Abschnitt.) nützigen Neigungen den Grad der Höhe nicht er reichen lassen, der zur Beförderung des gemeinen Besten erfordert, und von Menschen ordentlicher Weise erwartet wird. Dieses moralische Urtheil ist nicht nur wohl(Ist allen Menschen gemein.) erzogenen und nachdenkenden Personen eigen. In den rauhesten Menschen entdeckt man Spuren da von; und junge Gemüther, die am wenigsten, an den verschiedenen Einflus der Handlungen auf sich selbst oder auf andre, denken, und ihren eigenen künftigen Vortheil wenig zu Herzen nehmen, fin den gemeiniglich an allem, was moralisch ist, den meisten Gefallen. Daher komt es, daß die Kin der, sobald sie die verschiedenen Benennungen der Neigungen und Gemüthsarten wissen, so sehr begierig sind, solche Geschichten erzählen zu hören, welche den moralischen Character der Menschen und ihre Glücksumstände vor Augen stellen. Da her entsteht die Freude über den Wohlstand des Gütigen, des Redlichen und des Gerechten; und der Unwillen über das Glück des Grausamen und des Verräthers. Von dieser Kraft werden wir im Verfolg ausführlich handeln. VI. Gleichwie wir, von der vorhergehenden(Ein Ge fühl der Eh re.) Bestimmung, zu dem Wohlgefallen und Misfal len an uns selbst und an andern, wie es der wahr genommenen Beschaffenheit des Gemüths gemäs ist, angewiesen werden: also empfinden wir, vermöge einer andern natürlichen Bestimmung, die wir das Gefühl der Ehre und Schande nennen können, ein grosses Vergnügen, wenn wir durch unsre guten
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(Erstes Buch.) 74 Von den feinern Handlungen den Beyfall und die Hochachtung an drer erhalten, und wenn sie uns ihre Dankbarkeit zu erkennen geben; hingegen gehn uns Tadel, Verachtung und Vorwürfe durchs Herz. Alles dieses äussert sich im Gesichte. Wir erröthen, wenn wir uns für Schande, Tadel, oder Ver achtung fürchten. Es ist wahr, wir bemerken, von unsrer Kind heit an, daß die Menschen denjenigen, welche sie ehren und hochachten, Gutes zu erzeigen geneigt sind. Aber wir berufen uns auf das Herz der Menschen, ob sie nicht, wenn sie geehrt und hoch geachtet werden, ein unmittelbares Vergnügen empfinden, ohne daß sie dabey auf einen künftigen Vortheil denken; und ob sich dieses Vergnügen nicht auch alsdenn eben so sehr äussert, wenn sie gleich voraus wissen, daß sie keinen Vortheil er warten dürfen. Bemühen wir uns nicht insge samt um einen guten Ruf nach unserm Tode? Und woher komt es, daß nur die Furcht der Schande und nicht auch die Furcht anderer Uebel, die Er röthung zur Gefährtin hat, wenn dieses nicht ein unmittelbarer Trieb ist? Die Ursache, welche Aristoteles * von die sem Vergnügen angiebt, ist zwar wohl ausgedacht, aber sie ist nicht die richtige. Er meint, wir hät ten an der Ehre um deswillen Gefallen, weil sie ein Zeugnis von unsrer Tugend sey, 14
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Empfindungskräften. 75(Zweyter Abschnitt.) welche, wie wir uns bewust wären, das höchste Gut ausmache. Diese Betrachtung kan zuweilen die Ehre denjenigen angenehm ma chen, welche, in Ansehung ihres eigenen Verhal tens, zweifelhaft und mistrauisch sind. Aber haben nicht auch Männer von den grössten Vorzügen, die von der Güte ihres Verhaltens vollkommen überzeugt sind, über ein Lob, das man ihnen bey legt, eine gleiche natürliche Freude, die ganz et was anders ist, als der Beyfall, den ihnen ihr in neres Urtheil zugesteht. Die gütige Absicht, welche Gott bey Ein pflanzung dieses Triebes gehabt hat, ist offenbar. Er reizt zu allem, was vortreflich und liebenswür dig ist; er giebt der Tugend eine angenehme Be lohnung; er übersteigt oft die Hindernisse, welche ihr von niedrigen Vortheilen der Welt in den Weg geleget werden; er ermuntert selbst Leute von ge ringen Tugenden zu solchen nützlichen Dienstlei stungen, die sie ausserdem von sich abgelehnt haben würden. Solchergestalt werden diejenigen, welche nur auf ihren eigenen Vortheil sehen, wider ihre Neigung angetrieben, den allgemeinen Vortheil zu befördern; und diejenigen, welche ihm zuwider handeln, werden bestraft. Ein andrer Beweis, daß dieses Gefühl der Ehre ein ursprünglicher Trieb sey, ist dieser: Wir bestimmen den Werth des Lobes, das uns andre zugestehen, nicht nach ihrer Fähigkeit, uns zu die nen, sondern nach ihrer Geschicklichkeit, über der gleichen Sachen zu urtheilen. Wir fühlen den
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(Erstes Buch.) 76 Von den feinern Unterschied zwischen dem eigennützigen Verlangen, einem angesehenen Manne zu gefallen, von dem wir unsre Befördrung erwarten können; und zwi schen der innern Freude über den Beyfall eines Kenners, der uns ausserdem keine Dienste leisten kan. Man fieht<sieht>, daß die Liebe zum Ruhm eine der allgemeinsten Leidenschaften der Seele sey. (Ein Gefühl der Anstän digkeit und Würde.) VII. Ob gleich die Handlungen, durch das moralische Gefühl, den grössten Einflus auf unser Glück oder Elend haben: so ist doch klar, daß die Seele, in manchen Kräften des Körpers und des Geistes, noch andere Vortreflichkeiten wahrnimmt. Wir müssen sie entweder in uns selbst oder in an dern bewundern, und wir finden, an gewissen Ue bungen derselben, Vergnügen, ohne sie als morali sche Tugenden anzusehen. Wir vermengen die Worte oft zu sehr, und wir suchen nicht, die ver schiedenen Empfindungen der Seele, mit gehöriger Unterscheidung auszudrücken. Wir wollen für unsere Urtheile über solche Fähigkeiten, Neigungen und die daraus fliessenden Handlungen, die wir für tugendhaft halten, den Nahmen des moralischen Beyfalls beybehalten. Wir finden, daß dieser Bey fall eine Empfindung ist, die sich von der Be wunderung und dem Wohlgefallen unterscheidet, welchen wir an verschiedenen andern Kräften und Fähigkeiten haben. Wir werden auch durch ein Gefühl der Anständigkeit und der Würde vergnügt. Dieses Gefühl ist uns ebenfalls natürlich, aber von dem moralischen Beyfall ganz und gar unter schieden. Wir kennen nicht nur den Nutzen, wel
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Empfindungskräften. 77(Zweyter Abschnitt.) chen diese schätzbaren Kräfte und ihrer Uebung, ih ren Besitzern gewähren; sondern sie bringen auch die angenehmen Bewegungen der Bewunderung und des Wohlgefallens, in verschiedenen Graden, hervor. Solchergestalt ist Schönheit, Stärke, Geschwindigkeit, Leichtigkeit des Körpers anständi ger und schätzbarer, als ein starker gefrässiger Ma gen, oder ein Geschmack, der sich auf gute Spei sen versteht. Man sieht männlichen Belustigun gen, dem Reiten und Jagen, mit mehrerem Ver gnügen und Gefallen zu, als dem Essen und Trin ken, wenn es auch mässig geschieht. Eine Ge schicklichkeit in diesen männlichen Uebungen ist oft hochzuschätzen; dahingegen ein Hang zur blosen Sinnlichkeit auch selbst alsdenn Verachtung verdient, wenn er nicht zu Ausschweifungen verlei tet, und, auf das gelindeste zu reden, nur unschul dig ist. Ja es kan sich in der Gestalt des Leibes, in den Geberden, in den Bewegungen, entweder etwas anständiges und edles, oder etwas unan ständiges und unedles äussern, ohne, daß sich die Hoffnung eines Vortheils in das Urtheil der Zu schauer mischt. Aber dieses äussert sich noch mehr bey den(In ver schiedenen Graden.) Kräften der Seele, und in der Uebung derselben. Die Bewunderung eines durchdringenden Ver stands, einer Fähigkeit zu Geschäften, eines Ver mögens, mit einem anhaltenden Fleisse zu arbeiten, eines treuen Gedächtnisses, eines ungesuchten Wi tzes, ist uns natürlich; aber sie ist von dem mora lischen Beyfall ganz und gar unterschieden. Es
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(Erstes Buch.) 78 Von den feinern scheint, als wenn wir, für jede natürliche Kraft, mit einem richterischen Geschmack versehen wä ren, der die eine Art ihrer Anwendung empfiehlt, und die entgegengesetzte misbilligt. Daher gefal len uns alle schöne, und alle mechanische Künste, als die Mahlerey, Bildhauerkunst, Dichtkunst, die Musik, die Baukunst, Gärtnerkunst. Wir be trachten nicht nur die Werke selbst mit Vergnügen, sondern wir empfinden auch eine natürliche Bewun derung der Personen, in welchen wir einen Ge schmack und Geschicklichkeit in diesen Künsten wahr nehmen. Hingegen werden die niedern Kräfte, welche blos auf die Befriedigung der Sinne ge richtet sind, gleichgültig angesehen, und sie sind oft Ursachen der Schaam und Verachtung. (Die Glück seligkeit han delnder We sen liegt in den Hand lungen.) Die Anmerkung des Aristoteles ist also richtig: „Die vornehmste Glückseligkeit han delnder Wesen entspringt aus den Hand lungen; und zwar nicht aus allen Ar ten von Handlungen, sondern aus solchen, welche ihrer Natur angemessen sind, und welche die Natur empfiehlt.“ Wenn wir den körperlichen Begierden Gnüge leisten; so em pfinden wir ein unmittelbares Vergnügen, das auch die Thiere empfinden, aber keine weitere Befriedi gung. Wir finden nichts edles, wenn wir darüber nachdenken; wir haben nicht zu hoffen, daß andere Gefallen daran haben werden. Es giebt eine An wendung anderer körperlicher Kräfte, welche mehr Edles und Angenehmes zu haben scheint. Es sind überall verschiedene Grade; ein feiner Geschmack in
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Empfindungskräften. 79(Zveyter<Zweyter> Abschnitt.) den schönen Künsten ist immer angenehmer; die Aus übung bringt Vergnügen; die Werke gefallen dem Zuschauer, und verschaffen dem Verfertiger Ruhm. Die Uebung der höhern Kräfte des Verstandes in Entdeckung der Wahrheit, und richtiger Schlüsse, ist desto rühmlicher, je wichtiger die Sachen sind. Aber den höchsten Grad des Edlen erreichen die tu gendhaften Neigungen und Handlungen, die Ge genstände des moralischen Gefühls. Einige andere Fähigkeiten der Seele, welche,(Nebenbe griffe.) mit den gemeinnützigen Neigungen, in einer na türlichen Verwandschaft stehen, und weder den höchsten Grad des Eigennutzes noch der Sinnlich keit neben sich leiden, scheinen von dem moralischen Gefühl selbst unmittelbar gebilliget zu werden. Von diesem wollen wir an einem andern Orte handeln. Wir müssen hier nur anmerken, daß gewisse vergesellschaftete Begriffe; beständige Ver gleichungen in Metaphern und Gleichnissen; und andere Ursachen, einigen unbeseelten Dingen Ne benbegriffe von Würde, Anständigkeit und Heilig keit mitgetheilt haben. Einige sind gering und verächtlich: andere hingegen sind in dem mittlern Stande der Gleichgültigkeit. Unsere Neigung, nachzuahmen, und Uebereinstimmungen zu bemer ken, hat alle Sprachen mit Metaphern erfüllt. Gleichnisse und Allegorien gefallen in vielen Aus arbeitungen ungemein. Daher komt es, daß wir viele Gegenstände mit Nebenbegriffen von solchen Eigenschaften ausschmücken, deren sie eigentlich nicht fähig sind. Einige von diesen Begriffen
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(Erstes Buch.) 80 Von den feinern sind gros und verehrungswürdig; andere niedrig und verächtlich. Einige suchen die natürliche Ur sache oder Gelegenheit des Lachens, einer Bewegung der Seele, deren alle fähig sind, und die allen an genehm ist, durch ein natürliches Gefühl des Lächerlichen in Gegenständen oder Begebenhei ten zu erklären. (Die Noth wendigkeit vergesell schafteter Begriffe.) IIX. Ehe wir zu den Fähigkeiten des Wil lens fortgehen, wollen wir noch eine natürliche Bestimmung, die ausser unsrer Willkühr ist, an merken, nämlich, solche Vorstellungen, die zugleich vorgekommen sind, oder auf einmal einen starken Eindruck auf die Seele gemacht haben, neben einander zu stellen, oder zusammen zu knüpfen, so, daß immer einer die andre begleitet, wenn ein Ge genstand eine oder mehrere davon lebhaft macht. Gleichwie wir dieses in geringern Fällen wahrneh men: also erstreckt sich diese Erfahrung auch auf unsre Begriffe vom natürlichen und moralischen Guten oder Bösen. Wenn die Gewohnheit und die Meinung der Welt gewisse Handlungen oder Begebenheiten uns, eine Zeit lang, als gut oder böse vorgestellt hat: so wird es uns schwer, die Ver einbarung aufzuheben, ungeachtet vielleicht unsere Vernunft von dem Gegentheil überzeugt ist. Man hat also eine dunkle Einbildung von dem Anstän digen oder Unanständigen gewisser Handlungen; von dem Elend eines Zustands und von dem Glück eines andern; so wie man bey Kirchhöfen sich Ge spenster vorstellt. Obgleich viele Widerwärtigkei ten und Laster aus dieser Quelle entspringen: so
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Empfindungskräften. 81(Zweyter Abschnitt.) müssen mir<wir> doch gestehen, daß diese Bestimmung schlechterdings nothwendig sey. Ohne sie würde für uns das Gedächtnis, die Erinnerung, und selbst die Sprache einen geringen Nutzen haben. Wie mühsam würde es seyn, wenn wir bey jedem Wor te, das wir hören, oder zu sprechen verlangen, eine besondere Erinnerung nöthig hätten, um ausfindig zu machen, was für Worte und Begriffe, durch die Gewohnheit der Sprache, verbunden sind? Es würde eine eben so beschwerliche Arbeit seyn, als wenn wir eine verborgene Schrift, wozu wir einen Schlüssel gefunden, entziffern wollen. Ton und Begriffe sind mit einander so genau verknüpft, daß der eine allemal von dem andern begleitet wird. Wie geht es zu, daß wir uns erinnern? Wenn wir um eine vergangene Begebenheit gefragt werden: so wird der Zeit, oder des Orts, eines Nebenum stands, oder einer damals gegenwärtigen Person erwähnt; und diese bringen das ganze Gefolge der vergesellschafteten Begriffe mit sich. Man spricht von einer Streitigkeit; eine Person, die davon un terrichtet ist, findet, daß, ehe sie es noch will, die vornehmsten Schlüsse beyder Theile, sich ihrer Seele vorstellen. Dieser Fähigkeit mus man grössten Theils die Gewalt der Erziehung schuld geben, welche in unsrer Kindheit, viele Verknüpfungen der Begriffe hervorbringt. Wenige haben die Gedult, oder den Muth, zu untersuchen, ob dieselben, in der Natur, oder in der Schwachheit ihrer Anführer, gegrün det sind. IX. Viele von den natürlichen Bestim(Der Wille und die Fer tigkeiten.) mungen des Willens sind von denjenigen, welche
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(Erstes Buch.) 82 Von den feinern hiervon besonders gehandelt, und die natürlichen Gelegenheiten der verschiedenen Leidenschaften und Neigungen aufgesucht haben, hinlänglich erklärt worden. Auf diese Schriftsteller wollen wir uns hiermit beziehen. Wir haben die starke natürliche Neigung zu Handlungen oben betrachtet. Wir wollen eine andre Bestimmung, oder ein anderes Gesetz unsrer Natur bemerken, vermöge dessen die öftere Wiederholung einer Handlung, uns nicht nur die Verrichtung derselben, durch den Wachs thum unserer thätigen Kräfte, erleichtert, sondern auch die Seele zur künftigen Unternehmung ge neigt, oder dieselbe unwillig macht, wenn sie gewalt sam davon zurückgehalten wird. Und dieses wird eine Fertigkeit genennt. Bey unsern leidenden Empfindungen wird Vergnügen und Schmerz durch das beständige Gefühl vermindert; und doch wird die Unzufriedenheit über den Mangel des Vergnügens vermehret, wenn wir ihn lange erlit ten haben. Von so schädlichen Folgen die Fertig keit in dem Laster ist: so gros sind die Vortheile, welche die Fertigkeit in der Tugend verschaft. Es ist ein Vorzug, der vernünftigen Wesen gemein ist, daß sie auf diese Art einige ihrer Kräfte, nach ihren Gefallen verstärken, und die Dauer und Lebhaftigkeit derselben befördern können. Es ist auch allemal in unsrer Gewalt, eine Fertigkeit dadurch zu schwächen, wenn wir uns entweder al ler Anwendung derselben enthalten, oder ihr stand haft entgegen handeln. Könten wir keine Fertig keiten erlangen: so müsten unsre Kräfte immer schwach bleiben, und eine jede Handlung, welche
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Empfindungskräften. 83(Zweyter Abschnitt.) Kunst erfordert, würde uns beständig so schwer seyn, als wir sie bey unsern ersten Versuchen finden. Aber alle diese Verknüpfungen, Fertigkeiten,(Weder Fer tigkeit noch Gewohnheit bringen neue Begriffe her vor.) Gewohnheiten, oder Vorurtheile machen uns die Gegenstände angenehm, oder unangenehm, nach dem Begriffe, von einer Eigenschaft oder Art, den wir durch unsre von der Natur erhaltenen Sinne empfangen haben; allein sie können keine neuen Be griffe hervorbringen. Es werden dahero keine Empfindungen des Beyfalls oder der Abneigung, kein Wohlgefallen oder Misfallen hinlänglich er klärt, wenn man sie dem Vortheil, der Gewohn heit, oder Erziehung, oder der Verbindung der Begriffe zuschreibt; woferne man nicht vollkom men zeigen kan, was dieses für Begriffe sind, und zu was für einer Empfindung sie gehören, nach welcher diese Gegenstände entweder gebilliget oder gemisbilliget werden. X. In einem gewissen Alter entsteht unter(Die eheli chen und ver wandschaft lichen Nei gungen.) beyden Geschlechtern ein neuer Trieb, der auf die Fortpflanzung unsrer Art gerichtet ist, und der um deswillen, weil er in unsern ersten Jahren, ehe wir die zu Erhaltung der Nachkommen erforderliche Wissenschaft und Erfahrung erlangt haben, schäd lich oder unnützlich seyn würde, in der Ordnung der Natur weislich nachgesetzt worden ist. Dieser Trieb in dem Menschen zielt nicht blos auf eine sinnliche Lust ab, wie bey den Thieren; er ist kein blindes Verlangen, das in dem Menschen eben so, wie bey den Thieren, nach einer vorhergegangenen
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(Erstes Buch.) 84 Von den feinern Erfahrung der Lust wirkt. Er besteht in einem natürlichen Wohlgefallen an der Schönheit, welche uns liebenswürdige Eigenschaften zu versprechen scheint. Wir stellen uns etwas moralisch Gutes vor, und daher entsteht Zuneigung und Hochach tung, ein Verlangen nach der Gesellschaft auf Le benszeit; Freundschaft, Liebe und Gegenliebe, und vereinigte Vortheile. Dieses Urtheil und dieses Verlangen begleitet den natürlichen Trieb der Men schen. Sie haben also alle ein Verlangen, Nach kommen zu haben, wenn keine stärkern Betrach tungen, die daneben nicht bestehen können, sie zu rückhalten. In dem Menschen liegt, wie in den Thieren, eine besondere starke Zuneigung gegen seine Nach kommenschaft, und eine zärtliche Sorgfalt, sie zu erhalten und glücklich zu machen. Diese Zunei gung dauert bey den Menschen so lange als das Le ben, und als die Aeltern ihren Abkömmlingen Gu tes thun können. Sie erstreckt sich, unvermin dert, bis auf Enkel und Urenkel. Bey den Thie ren trift man dieselbe nur zu der Zeit an, da die Jungen Beystand nöthig haben; wo dieser nicht mehr nöthig ist, wird auch jene nicht mehr wahr genommen. Sie dauert so lange, bis die Jungen sich selbst erhalten können, und alsdenn hört sie völ lig auf. Diese ganze Einrichtung ist ein überzeu gender Beweis von der Weisheit des Urhebers der Natur. Eine ähnliche, aber schwächere Zunei gung begleitet die Bande des Bluts unter den Sei tenverwandten. Diese zärtliche Neigungen sind
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Empfindungskräften. 85(Zweyter Abschnitt.) die Quellen von mehr als der Hälfte der Bemü hungen und Sorgen der Menschen; und wenn ei nige Kräfte da sind: so ermuntern sie die Seele zu Fleis und Arbeit, und zu grossen und anständigen Unternehmungen. Durch ihre Vermittelung wird das Herz einer jeden zärtlichen liebreichen und gesel ligen Neigung fähiger gemacht. XI. Man kan dem Menschen schwerlich ei nen natürlichen Trieb zur Gesellschaft mit seinen(Die Men schen sind ge sellig, und zur bürgerli chen Gesell schaft ge schickt.) Nebenmenschen streitig machen. Es ist dieses ein unmittelbarer Trieb, welchen wir bey vielen Arten von Thieren ebenfalls wahrnehmen. Wir können die Geselligkeit nicht ganz den Bedürfnissen zuschrei ben. Die andern Grundtriebe der Menschen, ihre Neugier, ihre Neigung, das, was ihnen begegnet, einander mitzutheilen, ihr Trieb zur Thätigkeit, ihr Gefühl der Ehre, ihr Mitleiden, ihre Wohlge wogenheit, ihr Trieb zur Freude, und das morali sche Gefühl würden in der Einsamkeit entweder gar nicht, oder doch nur wenig angewendet werden können, und aus dieser Ursache vereinigen sich die Menschen, ohne daß ein Zwang, oder eine Betrach tung ihrer Bedürfnisse, der unmittelbare und letzte Bewegungsgrund dazu seyn sollte. Die Bande des Bluts würden eben diese Wirkung haben, und wahrscheinlicher Weise haben dieselben vie le Menschen, welche sich ihren Mangel in der Einsamkeit vorgestellet, zuerst veranlasst, daß sie sich, mit dem Vorsatz, einander beyzustehen, und sich zu vertheidigen, vereinigt haben. Nachdem diese Vereinigung geschehen war: so gewann die vorzügliche Redlichkeit, Klugheit oder Herzhaftig
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(Erstes Buch.) 86 Von den feinern keit einiger unter ihnen, die vorzügliche Achtung und das Vertrauen aller übrigen. Es entstanden Streitigkeiten. Sie sahen bald ein, daß die Ent scheidung derselben durch Gewalt, von üblen Fol gen sey. Sie bemerkten, wie viel Gefahr es brin ge, wenn bey den Berathschlagungen über die Ver besserung ihres Zustands oder über die gemein schaftliche Vertheidigung, die Stimmen getheilt wären, ob sie gleich alle sich nur einen Endzweck vorgesetzt hätten. Diejenigen, für welche sie die meiste Achtung hatten, wurden zu Schiedsrich tern in ihren Streitigkeiten, und zu Vorstehern der ganzen Gesellschaft, in Angelegenheiten, die den gemeinen Vortheil betrafen, erwählet. Diese ga ben nach ihrer Einsicht, Gesetze, und machten Ein richtungen zum Besten des gemeinen Wesen. Die übrigen empfanden die Annehmlichkeiten einer gu ten Ordnung, der Sicherheit, der Gesetze, und hatten Ehrfurcht gegen die Gesellschaft, gegen ihre Vorsteher und die eingeführte Verfassung. Die feinern Geister fühlten patriotische Gesinnungen, und die Liebe des Vaterlands in der Brust; und alle wurden, durch die Bande der Verwandschaft, durch gemeinschaftliche Geschäfte, und durch den Genus der Beschützung ihrer selbst und ihrer Gü ter, zur Liebe der Gesellschaft und zum Eifer für die Vortheile derselben angetrieben. (Die natür liche Reli gion.) XII. Da die Ordnung, Grösse, die regel mäsige Einrichtung und Bewegung in der sichtba ren Welt die Seele mit Bewunderung erfüllet; da die verschiedenen Classen der Thiere und Pflanzen,
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Empfindungskräften. 87(Zweyter Abschnitt.) in ihrer ganzen natürlichen Beschaffenheit, die vor treflichste Kunst, den regelmäsigsten Bau, die deut lichsten Absichten, und die bequemsten Mittel zu ge wissen Endzwecken zeigen: so müssen aufmerksame und nachdenkende Menschen ein oder mehrere ver nünftige Wesen, wahrnehmen, von welchen alle diese weise Ordnung und diese Pracht abhängt. Das Grosse und Schöne erfüllt die Seele mit Ehr furcht, und es veranlasset uns, zu schliessen, daß dasselbe unter einem vernünftigen Geiste stehe, und von ihm geordnet werde. Eine sorgfältige Be trachtung unserer eigenen Natur und ihrer Kräfte leitet uns zu eben dieser Folgerung. Unser mora lisches Gefühl, unsre Empfindung von Güte und Tugend, von Kunst und Absicht; unsre Erfahrung, daß es eine moralische Auftheilung in uns gebe, nach welcher Glück und Unglück auf Tugend und Laster unmittelbar folgt; und daß eine gleiche Austheilung auch in äusserlichen Dingen, vermit telst einer natürlichen Richtung, vorhanden sey; alles dieses mus uns eine moralische Regierung in der Welt entdecken. Und da die Menschen geneigt sind, ihre Wissenschaften, Erfindungen und Muth massungen einander mitzutheilen: so müssen die Be griffe von einer Gottheit und Vorsehung bald aus gebreitet werden, und eine geringe Anwendung der Vernunft wird sie zur völligen Ueberzeugung füh ren. Auf diese Art wird eine gewisse Gottesfurcht und Frömmigkeit gemein werden, von der man mit Recht sagen kan, daß sie einem vernünftigen Sy stem natürlich sey. Eine frühzeitige Offenbarung und eine von Zeit zu Zeit fortgeführte Erzählung
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(Erstes Buch.) 88 Von den feinern ist der menschlichen Erfindung hierinnen zuvorge kommen; aber diese allein würden kaum den Glau ben so allgemein gemacht haben, wenn ihnen die augenscheinlichen Gründe, welche in den Werken der Natur liegen, nicht geholfen hätten. Die Begriffe von der Gottheit und eine Art der Anbe tung sind wirklich unter den Menschen allemal eben so gemein gewesen, als das gesellschaftliche Leben, der Gebrauch der Sprache, oder auch die Fort pflanzung ihres Geschlechts; und also müssen sie für natürlich gehalten werden. Die verschiedenen Kräfte, Fähigkeiten, und Bestimmungen, wovon wir bisher geredet haben, werden in dem ganzen menschlichen Geschlecht ge funden, wenn nicht irgend ein Zufall einige einzel ne Personen verunstaltet, oder sie gar verstümmelt, und ihnen eine natürliche Kraft geraubt hat. Aber, in den verschiedenen einzelnen Personen trift man nicht alle diese Fähigkeiten, in gleichem Grade, an; bey einem ist diese grösser; bey einem andern jene; und eben daher entstehet die grosse Verschie denheit in den Charactern, Doch, bey ei ner bequemen Gelegenheit, und wenn von ei nem stärkern Triebe kein Widerstand vorhanden ist, wird sich eine jede äussern, und ihre Wir kung thun. (Die Ursa chen des La sters.) XIII. Ungeachtet alle diese edlern Kräfte, von welchen wir gehandelt haben, uns natürlich sind; so sind doch die Ursachen des Lasters und der
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Empfindungskräften. 89(Zweyter Abschnitt.) Verderbnis der Sitten offenbar. Wir wollen die Ursachen, die uns das Licht der Natur nicht ent deckt, mit Stillschweigen übergehn, und anmerken, daß die Menschen, wenn sie keine sorgfältige Er ziehung haben, die Jahre ihrer Jugend mit Be friedigung ihrer sinnlichen Begierden, und mit Uebung einiger niedern Kräfte, welche durch eine lange Nachsicht immer zunehmen, verbrin gen. Das Nachsinnen über moralische Begriffe, die feinern Vergnügungen, und die Verglei chung derselben mit den unedlern, ist eine müh same Beschäftigung. Die Begierden und Lei denschaften entstehen von sich selbst, wenn ihre Gegenstände, wie es sich oft zuträgt, vorkom men. Sie zu unterdrücken, zu prüfen, und im Gleichgewicht zu erhalten, ist ein schweres Werk. Vorurtheile und ungegründete Verbin dungen der Begriffe, sind Menschen von gerin ger Aufmerksamkeit sehr gewöhnlich. Unsere eigennützigen Leidenschaften gelangen, durch un sere Nachsicht, bald zu einer gewissen Macht. Das menschliche Leben ist also eine unzusammen hängende Vermischung vieler geselligen, liebrei chen, unschuldigen; und vieler eigennützigen, menschenfeindlichen und sinnlichen Handlungen, nachdem es sich zuträgt, daß eine oder die andre unserer natürlichen Fähigkeiten erregt wird, und über andere die Oberhand behält.
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(Erstes Buch) 90 Lezte Bestimmungen
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6 * Aristoteles nennt im vierten Abschnitt seiner Poe tik den Menschen ζ%;ωον μι- μητικώτατον.
7 * Im dritten Buche von der Republik.
8 ** Plutarch im Leben des Lykurgs.
9 *** Man sehe die Unter suchung im dritten Ab schnitt des ersten Buchs.
10 * Wenn man dieselben alle zu Empfindungen der äusserlichen Sinne machen und läugnen wollte, daß es eine von denselben unter schiedene Empfindungskraft gebe: so würde man eben sowohl behaupten müssen, daß das Vergnügen der Geometrie oder Perspectiv, sinnlich wären, weil wir durch die Sinne den Be grif von Figur empfan gen.
11 * Man sehe den Zu schauer im 412 Stück, und die Untersuchung über die Schönheit.
12 * Man sehe den zwey ten Abschnitt, der Un tersuchung über die Tu gend.
13 * Dente lupus, cornu taurus petit: unde, nisi intus Monstratum, -- Hor. L. H. Sat. I.
14 * im fünften Abschnitt des ersten Buchs der Sittenlehre.

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