Joachim Curaeus: Exegesis perspicua (1574) - Einleitung
bearbeitet von Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Der Leipziger Drucker Ernst Vögelin ließ um den 29. September 1573 die
unveröffentlichte „Exegesis perspicua“ des am 21. Januar 1573 verstorbenen
(5)schlesischen Mediziners und Melanchthon-Schülers Joachim Curaeus ano-
nym, auf französischem Papier und versehen mit einer Genfer Druckermarke
veröffentlichen. Die Exemplare verkaufte er zunächst in Heidelberg und
Frankfurt am Main, bevor er 200 Drucke nach Wittenberg bringen ließ.1 Bei
einer Befragung durch den Rat der Stadt Leipzig vom 11. März 1574 gab
(10)Vögelin an, er habe diesen Druck „allein gethan ad propagandam veritatem“2
und um diese einzigartige Zusammenfassung der Abendmahlslehre Melan-
chthons
, die bisher nur in teils fehlerhaften Abschriften von Studenten exis-
tiert habe, allgemein zugänglich zu machen. Er hielt diese Schrift dafür ge-
eignet, den Abendmahlsstreit ein für alle Mal zu beenden. Die Wittenberger
(15)Theologen waren entgegen allen Vermutungen, wie sie in der älteren Litera-
tur vorgetragen werden, in keiner Weise an der Erstellung dieses Druckes
beteiligt.3
Curaeus hatte 1562 mit seiner „Exegesis“ auf die harte Kritik geantwortet,
die Tilemann Heshusius an dem 1560 von Kurfürst Friedrich III. von der
(20)Pfalz
eingeholten Gutachten Melanchthons4 geübt hatte.5 Melanchthon hatte
hierin seinerzeit Stellung zu den Heidelberger Streitigkeiten um die Abend-
mahlslehre zwischen Heshusius und Wilhelm Klebitz bezogen.6 Curaeus
nahm also noch im Nachhinein Partei für Melanchthon. Der Druck der
„Exegesis“ im Jahre 1573 traf nun mitten in die Debatte um die Wittenberger
(25)Abendmahlslehre und Christologie und stützte die Wittenberger Position.
Kurfürst August erlangte wohl erst im Januar 1574 Kenntnis von diesem
Druck. Denn zu jenem Zeitpunkt erreichten ihn die ersten Schreiben von
anderen Herrschern, die ihn vor diesem Buch warnten. Dies veranlasste ihn,
entschieden gegen seine Theologen vorzugehen, deren Versuch, die Theolo-

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-
gie Luthers mit der Melanchthons in Ausgleich zu bringen bzw. miteinander
zu verbinden, nun als Calvinismus und als nicht mehr konform mit der Con-
fessio Augustana entlarvt schien.

2. Der Autor


(5)Joachim Curaeus (1532 -1573) stammte aus Schlesien, immatrikulierte sich
1550 in Wittenberg und legte am 31. Juli 1554 bei Caspar Peucer, dem
Schwiegersohn Melanchthons, erfolgreich seine Magisterprüfung ab. Er
wurde zunächst Lehrer der Stadtschule in Freystadt, trieb dabei aber auch
private Medizinstudien. Im Herbst 1557 nahm er sein Medizinstudium in
(10)Padua auf und wurde am 10. September 1558 in Bologna zum Doktor der
Medizin promoviert. Curaeus setzte sein Studium noch einige Zeit in Padua
fort, ehe er 1559 heimkehrte und Stadtarzt in Glogau wurde. Berufungen
nach Großpolen und Preußen schlug er aus und entschied sich, in Glogau zu
bleiben. 1564 wirkte er bei der Reformation der Stadt mit. Berufungen aus
(15)Breslau, Stettin und Wittenberg auf Medizinprofessuren lehnte Curaeus
ebenfalls ab. Als er 1572 einen Ruf als herzoglicher Rat und Arzt nach Brieg
bekam, entschied er sich, diese Stelle anzunehmen, wurde aber bald sehr
krank und starb am 21. Januar 1573 in Glogau.7

3. Inhalt


(20)Die „Exegesis“ weist nach ihrem Prooemium (3 -9) drei Teile auf, von denen
der erste Christologie und Abendmahlslehre positiv darstellt (9 -41), der
zweite sich mit Gegenpositionen aus der Kirchengeschichte, vor allem aber
mit den zeitgenössischen Lutheranern auseinandersetzt (41 -80), und der
dritte Abschnitt Wege zur Eintracht und zum Frieden in der Abendmahls-
(25)frage aufzeigen möchte (80-96).
In der Vorrede wirft Curaeus seinen Gegnern vor, mit ihrem Insistieren auf
der leiblichen Gegenwart Christi in Brot und Wein des Abendmahls altgläu-
bige Irrtümer, wie z.B. die Anbetung der Elemente, wiederzubeleben. Da-
gegen weist er zunächst darauf hin, dass der Leib Christi auch nach Au-
(30)ferstehung und Himmelfahrt seine Wesenseigenschaften, wie die räumliche
Bindung an einen Ort, behalten habe. Eine leibliche Gegenwart Christi an
mehreren Orten scheidet deshalb für ihn aus. Im Anschluss an I Kor 10,16
bestimmt er das Abendmahl als Gemeinschaft am Leib Christi, die den Gläu-
bigen sola fide zugeeignet werde, während die Ungläubigen nichts als Brot

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empfingen. Die Vorstellung eines tatsächlichen Empfangs von Christi Leib
und Blut sei als Rest der altgläubigen Transsubstantiationslehre zurückzu-
weisen. Im zweiten Teil seiner „Exegesis“ übt Curaeus Kritik an seinen gne-
siolutherischen Gegnern, indem er darauf hinweist, dass die Vorstellung ei-
(5)ner realen Präsenz von Leib und Blut Christi die Aufgabe der wahren
Menschheit Christi und deren Vergottung nach sich ziehe. Im dritten Teil
schließlich weist Curaeus darauf hin, dass man einig sei in der Bestimmung
des Nutzens des Abendmahls. Strittig sei lediglich die Frage, ob Christus in
seiner Menschheit im Abendmahl gegenwärtig sei oder nicht. Denn der Leib
(10)Christi sei auch nach gegnerischer Lehre ohne alle einem irdischen Körper
zukommenden Eigenschaften im Abendmahl präsent, vergleichbar mit einer
geistlichen Substanz, und binde sich weder an das Brot noch gehe er seiner
Substanz nach in den kommunizierenden Menschen ein. Strittig sei also nur
die Frage, ob der Leib Christi an mehreren Orten zugleich gegenwärtig sein
(15)könne oder nicht. Die Beilegung des Abendmahlsstreits will Curaeus mög-
lichst einer künftig zu veranstaltenden Synode überlassen, die von gelehrten
und maßvollen Männern zu besetzen sei. In der Zeit bis zu dieser Synode
sollten sich die verschiedenen Lager ohne Anfeindungen in Liebe ertragen.

4. Ausgaben


(20)Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A: Exegesis perspicua || & ferme integra contro- || uersiae de || SACRA
COENA, || Scripta vt priuatim consci || entias piorum erudiat, || Et ||
subiicitur iudicio sociorum || confessionis Augustanae, || Quicunque
candide & sine priuatis || affectibus iudicaturi || sunt. || Anno Iesu Christi
(25)1574.
96 Seiten 4° (VD 16 C 6382)
Vorhanden in:
MÜNCHEN, Bayerische Staatsbibliothek: ESlg/4 Polem. 3402 o
BERLIN, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 3371, Dm 3373
GOTHA, Forschungsbibliothek: Druck 8º 01055
(30)WEIMAR, Herzogin Anna Amalia Bibliothek: 4º IX: 9, 4º IX : 8
WOLFENBÜTTEL, Herzog August Bibliothek: 61 Quod. (1) [benutztes
Exemplar]
B: Exegesis perspicua || & ferme integra contro- || uersiae de || SACRA
COENA, || Scripta vt priuatim consci || entias piorum erudiat, || Et ||
(35)subiicitur iudicio sociorum || confessionis Augustanae, || Quicunque
candide & sine priuatis || affectibus iudicaturi || sunt. || Anno Iesu Christi
1574.
96 Seiten 4° [im Kolophon: GENEVAE, || Excudebat Eustathius
Vignon. Anno 1574.] (VD 16 ZV 4203)

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Vorhanden in:
WOLFENBÜTTEL, Herzog August Bibliothek: Alv. Ed 55 (2)
DRESDEN, Sächsische Landesbibliothek: Theol. ev. pol. 423,1.
(5)Die beiden satzgleichen Ausgaben aus dem Jahr 1574 unterscheiden sich da-
rin, dass Druck A auf dem Titelblatt keinen Druckort nennt, und auch ein
Kolophon ist nicht vorhanden. Druck B hingegen enthält das Kolophon:
„Genevae, Excudebat Eustathius Vignon. Anno 1574“.8 Sieht man von
Unterschieden im Buchschmuck und den Variationen bei den Zeilenab-
(10)schlüssen ab, sind sich die beiden Drucke verblüffend ähnlich, so dass eine
Parallelität in der Herstellung der beiden Ausgaben vorausgesetzt werden
muss. Es ist daher davon auszugehen, dass auch Druck A in Genf bei Eusta-
thius Vignon
gedruckt wurde und nicht bei Ernst Vögelin in Leipzig. Der
hohe Grad an Übereinstimmung der Ausgaben A und B könnte auf ein ge-
(15)meinsames synchrones Setzen nach Diktat zurückgehen. Der Vögelin-Druck
aus dem Jahr 15739 muss bis auf weiteres als verschollen gelten. Als Editi-
onsgrundlage dient der Druck A.
Es liegt außerdem eine Edition aus dem 19. Jahrhundert vor, die keine Fuß-
noten enthält und glättend in den Wortbestand eingreift: Wilhelm Scheffer
(20)(Hg.),
Exegesis perspicua et ferme integra controversiae de sacra coena, A.
1574 primum in lucem emissa, denuo edita a Dr. Guilelmo Scheffer, Mar-
burg 1853.

Kommentar
1 Vgl. die Darstellung in Hasse, Zensur, 140-152 und die Edition der „Aussage von Ernst Vöge-
lin zum Druck der ‚Exegesis perspicua‘ in Leipzig vom 11. März 1574“ ebd., 408-413.
3 Vgl. den gründlichen Erweis der Verfasserschaft des Schlesiers Curaeus bei Heppe, Geschich-
te
, 483-494. Ebenso Hasse, Zensur, 143.
6 Vgl. hierzu Krüger, Empfangene Allmacht, 175-179. Vgl. auch Hund, Das Wort ward Fleisch,
565-567.
7 Vgl. Johannes Hund, Joachim Curaeus, in: Biographien zum Forschungsprojekt "Controversia
et Confessio", http://www.controversia-et-confessio.adwmainz.de; zuletzt besucht am 23.05.07
sowie Melchior ADAM: VITAE GERMANORUM MEDICORUM: QVI SECULO SUPERI-
ORI, ET QUOD EXCURRIT, CLARUERUNT [...], Heidelberg 1620
, 197-216; Gustav Kawe-
rau, Art. Curaeus, in: RE3 4 (1898), 352f; Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Curaeus, in: BBKL 1
(1990), 1176.
8 Die Bewertung der vorhandenen Ausgaben folgt Hasse, Zensur, 143f.
9 Vgl. hierzu die Aussage von Ernst Vögelin zum Druck der „Exegesis perspicua“ in Leipzig
vom 11. März 1574: „Und dasselbig ist beschehen umb den Michaelist(ag) des vorgangenen 73.
jars“, Hasse, Zensur, 408.
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