Einleitung
1. Historische Einleitung
Seit 1545 tagte das Konzil von
Trient, um die Kircheneinheit wiederherzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Sieg des Kaisers im Schmalkaldischen Krieg schien die Möglichkeit gegeben,
die politisch-militärische Schwäche der Protestanten bei einem gemeinsamen Vorgehen von Kaiser und Papst zu einer Lösung in altgläubigem Sinne auszunutzen. Allerdings waren während des Krieges wieder einmal erhebliche Spannungen zwischen dem
weltlichen und dem geistlichen Oberhaupt der lateinischen Christenheit aufgetreten, denn Papst
Paul III. hatte das Konzil mit Verweis auf den Ausbruch des Flecktyphus in
Trient
nach
Bologna verlegt.
1 Zwar verlangte
Karl V. die Rückverlegung, doch entsprach diese kaiserliche Forderung nicht den Interessen des Papstes, da dieser die Konzilsväter nicht wieder aus seinem Einflussbereich entlassen
wollte und der Kaiser ihm zu mächtig zu werden schien. Zwischen Kaiser und Papst herrschte somit keine Einigkeit.
2 Die überaus günstige politische Situation nach seinem Sieg wollte
Karl V. jedoch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes ergab sich für ihn nämlich scheinbar die Möglichkeit,
durch die eigene politisch-militärische Übermacht den Religionsstreit bis zu einem endgültigen Entscheid des Konzils im Reich beizulegen.
Mit dem Wissen um seinen erweiterten politischen Handlungsspielraum berief er für den 1. September 1547 einen Reichstag nach
Augsburg ein. Dort präsentierte er den Ständen
schließlich das Ergebnis der Beratungen zwischen dem Naumburger Bischof
Julius von Pflug, dem Mainzer Weihbischof
Michael Helding und dem kurbrandenburgischen
Hofprediger
Johann Agricola. Diese drei hatten in kaiserlichem Auftrag ein Schriftstück erarbeitet, auf dessen Grundlage die jahrzehntelangen Streitigkeiten im Reich vorläufig beigelegt werden
sollten.
3 Anders als
Karl V. dies wohl erwartet hatte, regte sich aber nicht nur in den Reihen der geschlagenen Protestanten Widerstand gegen die Vorlage, auch Vertreter der Reichskirche und weltlicher, altgläubiger
Stände erhoben Protest.
4 Diese beschwerten sich über das Zugeständnis an die Protestanten, den Laienkelch und die Priesterehe vorläufig zu erlauben. Die Kurie wiederum opponierte generell gegen die kaiserliche Maßnahme. In
Rom
erkannte man darin nämlich nicht etwa einen Versuch theologischen Konsens zwischen den Streitparteien zu erlangen, sondern sah in den kaiserlichen Bestrebungen vielmehr den Versuch, den Konflikt gänzlich abseits des Konzils zu lösen,
womit
Rom den Blick auf die politischen Implikationen des kaiserlichen Gesetzesvorschlages lenkte. Eine Annahme des Inte
rims durch den Papst war für die Kurie daher undenkbar.
5 Jener Widerstand sollte den Kaiser dann schon während des Reichstags zu einer bedeutenden Änderung bewegen. Eigentlich vom Kaiser als Reichsgesetz mit allgemeiner Gültigkeit geplant, trat das Religionsgesetz schließlich nur für die Protestanten und
ihre Territorien in Kraft.
6 Die Ausnahme der altgläubigen Reichsstände sowie die Forderung, dass außer Laienkelch und Priesterehe
7 alle von den Protestanten vorgenommen Änderungen in der Lehre und in den kirchlichen Zeremonien bis zu einem endgültigen Entscheid des Konzils zurückgenommen werden sollten, rief bei protestantischen Theologen heftigen Widerspruch
hervor, während protestantische Reichsstände aufgrund der politischen Gegebenheiten eher zu lavieren versuchten.
8 Hatte
Karl V. eigentlich streng verboten, öffentlich über das Gesetz zu disputieren oder dagegen zu schreiben,
9 so erschienen doch fortan unzählige Streitschriften und Spottlieder gegen das nun sogenannte Interim.
Eine Verteidigung der kaiserlichen Maßnahme durch katholische Autoren unterblieb bis auf wenige Ausnahmen.
10 Erst mit großer Verspätung sollte dann
Georg Witzel auf die Flut protestantischer Schriften und Lieder antworten und der protestantischen Polemik etwas entgegensetzen. Die verspätete Reaktion lag dabei durchaus
nicht an ihm. Bereits im Oktober 1548 hatte er offenbar zwei Schriften zur Verteidigung der kaiserlichen Religionspolitik fertiggestellt,
11 von denen eine die hier abgedruckte gewesen sein soll.
12 Sogar die Annahme,
Witzel habe die hier edierte Schrift bereits bis Anfang September geschrieben, scheint gerechtfertigt zu sein.
13 Wegen des kaiserlichen Druckverbots fand er jedoch zunächst keinen Drucker für seine Werke, worüber er sich beklagte, da die Gegenseite unablässig neue Drucke gegen das Interim herausbringe.
14 Die Drucklegung erfolgte somit erst im März 1549 in
Köln; dann aber mit kaiserlichem Druckprivileg. Angesichts der Wucht des Widerstands veränderte sich im Laufe des Jahres 1548
somit offenbar die kaiserliche Position in Bezug auf das Disputationsverbot, und
Witzel wurde die öffentliche Verteidigung des Religionsgesetzes zugestanden. Dass er ein kaiserliches Druckprivileg erhielt, lag dabei
höchstwahrscheinlich nicht un
wesentlich an seiner Beratungstätigkeit
15 für
Karl V. auf dem Augsburger Reichstag und seiner deutlich postulierten Hoffnung auf den Kaiser, nicht den Papst, als Retter der Kirche und Vollender der Kircheneinheit. Allerdings stellt sich die Frage, warum dieser
polemische Angriff auf die Wittenberger Theologen nach dem Leipziger Landtag vom Dezember 1548 überhaupt noch erfolgte, hätte
Witzel die in
Leipzig
gemachten Zugeständnisse doch eigentlich als Erfolg für die altgläubige Seite ansehen und als deutliches Zeichen des Niederganges der reformatorischen Lehre werten können. Unkenntnis der Leipziger Vorgänge lassen sich
Witzel
nur schwer unterstellen, da der Druck der eigenen Schrift erst im März 1549 erfolgte. Allerdings hatte die Leipziger Landtagsvorlage noch keine Rechtskraft erlangt. Rechtlich bindende Beschlüsse sollten in Kursachsen erst
im Juli 1549 getroffen werden.
16 Fürchtete
Witzel im März daher den Einfluss der Wittenberger Theologen und glaubte, deren Position – jetzt, kurzfristig durch politische Rücksichtnahmen verändert – könnte sich auf lange Sicht
gesehen wieder der des melanchthonischen Bedenkens
17 annähern? Hinzu trat bei ihm offensichtlich der Wunsch, selbst aktiv an der Überwindung der Kirchenspaltung mitzuwirken. Nach dem militärischen Sieg des Kaisers hoffte er wohl, die Protestanten auch theologisch und publizistisch überwinden zu können. Die
hier vorliegende Schrift muss daher in den Gesamtzusammenhang des Witzelschen Œuvres und speziell seines publizistischen Schaffens 1548/49 eingeordnet werden. Sodann lässt sich feststellen,
dass
Witzel zahlreiche seiner älteren Werke zu den Fragen der guten Werke und der Rechtfertigung in der turbulenten Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg erneut auflegen ließ.
18 Auch die hier edierte Schrift beschäftigt sich gerade mit diesen Fragen intensiv, was die Witzelsche Ambition, die reformatorische Lehre nach der physischen Niederlage auch geistig in den Kernfragen des Religionsdissenses zu besiegen,
unterstreicht.
2. Der Autor
Georg Witzel wurde 1501 als Sohn des Schultheißen von
Vacha,
Michael Witzel, und seiner Frau,
Agnes Landau, in
Vacha geboren.
19 Seine Mutter verlor er bereits früh im Alter von nur acht Jahren. Die Beziehung zu der zweiten Frau seines Vaters soll nicht gut gewesen sein. Erste schulische Erfahrungen sammelte er in seiner Heimatstadt. Ab seinem 13. Lebensjahr besuchte
er dann die Schulen von
Schmalkalden,
Eisenach und
Halle. Im Wintersemester 1516/17 immatrikulierte
sich
Witzel an der Universität
Erfurt,
wo er zwei Jahre lang studierte und den akademischen Grad eines Baccalaureus erlangte. Daraufhin wechselte er an die Universität
Wittenberg, wo er jedoch nur wenig mehr als ein halbes Jahr blieb, um dann nach
Vacha zurück zu kehren und dort das Amt eines Pfarrschulmeisters zu bekleiden. 1521
erfolgte auf Anraten seines Vaters die Priesterweihe unter Bischof
Adolf von Merseburg. Danach war
Witzel Vikar und Stadtschreiber in seiner Heimatstadt. Zu
Beginn der zwanziger Jahre veränderte sich seine Situation aufgrund seiner Wendung zur reformatorischen Lehre grundlegend. Durch seine Heirat mit
Elisabeth Kraus, die aus
Eisenach
stammte, lernte er vermutlich den reformatorisch gesinnten Pfarrer Eisenachs,
Jakob Strauß, kennen, als dessen Mitarbeiter er an der Visitation
Thüringens 1525
teilnahm. Auf
Strauß’ Empfehlung hin, erhielt
Witzel Anfang 1525 auch die Pfarrstelle im thüringischen
Wenigen-Lüpnitz
(Wenigenlupnitz). Dort versuchte er gegen die Unruhen zu wirken, welche der Bauernkrieg mit sich brachte. Sogar an
Thomas Müntzer selbst schrieb
Witzel und beschwor ihn, von
seinem Tun Abstand zu nehmen. Diese Kontaktaufnahme brachte ihn jedoch in den Verdacht, selber mitschuldig an den Unruhen gewesen zu sein. Rufschädigende Beschuldigungen führten schließlich dazu, dass er seine Pfarrstelle in
Thüringen aufgeben musste. Da er jedoch auf
Luthers eigene Fürsprache verweisen konnte, wurde er ab Oktober 1525 Pfarrer in
Niemegk bei Wittenberg. Diese räumliche Nähe zu
Wittenberg führte jedoch nicht zu intensiveren Kontakten zu
Luther und den anderen Wittenberger Reformatoren.
Witzel betrieb stattdessen eigene patristische Studien und lernte Hebräisch. Der humanistische Hintergrund der theologischen Anschauungen
Witzels wird dadurch
deutlich. Schon 1527 wandte er sich in zwei heute verlorenen Schreiben an
Melanchthon und
Jonas, in denen er sich offenbar kritisch über die Verfassung
der reformatorischen Kirche äußerte und deren Unterschiede zur Jerusalemer Urgemeinde aufzeigte. Während der großen Kirchenvisitation von 1529 trug
Witzel dann seine Zweifel an der reformatorischen
Lehre abermals vor, ohne jedoch Gehör zu finden. Am Religionsgespräch in
Marburg nahm er zwar nur als Beobachter teil, verfasste dazu gleichwohl eine Schrift – einen Dialog über die Kirche. Nur ein Jahr später sollte die
Affäre um
Johannes Campanus, der mit seinen antitrinitarischen Überzeugungen öffentlich aufgetreten war, üble Folgen für
Witzel zeitigen. Wie schon 1525
im Bauernkrieg geriet er abermals in einen für ihn schlimmen Verdacht. Bei einem Aufenthalt von
Campanus in
Niemegk 1528 hatte er nämlich Kontakt
zu diesem gehabt und wurde nun beschuldigt, ebenfalls antitrinitarische Auffassungen zu vertreten. Man nahm ihn fest und ließ ihn erst nach langen Untersuchungen und wieder nur auf Fürsprache
Luthers hin frei. Trotz des
abermaligen Einsatzes des Reformators für ihn, war sein Bruch mit der reformatorischen Bewegung nicht mehr aufzuhalten. 1531 bat er um Entlassung aus dem Pfarrdienst in
Niemegk und kehrte
nach
Vacha zurück. Seine Publikationen führten dort aber zur Ausweisung durch Landgraf
Philipp von Hessen. Der Bruch zwischen
Witzel und den Wittenberger
Theologen war
nun endgültig vollzogen, weshalb die Wittenberger einen Ruf
Witzels auf die Hebräischprofessur in
Erfurt erfolgreich zu hintertreiben wussten. So war ein Ergebnis der
Rekonversion
Witzels eine heftige publizistische Auseinandersetzung mit den Wittenbergern in den dreißiger Jahren – vor allem mit
Justus Jonas. Seine Ehe wurde auch nach seiner
Rückkehr zum alten Glauben vom Papst geduldet. Beruflich führte
Witzel fortan ein Wanderleben. Nachdem er zunächst Priester in
Eisleben geworden war, wohin ihn Graf
Hoyer von Mansfeld gerufen hatte, folgte er nach dessen Tod einer Einladung Herzog
Georgs nach
Sachsen. Maßgeblich sollte er
dort 1539 am Leipziger Religionsgespräch beteiligt sein. Die alte Kirche, die Urgemeinde stellte dabei für ihn das Vorbild dar, dem nachgeeifert werden und das als Grundlage für eine Einigung zwischen den Religionsparteien
dienen sollte. Nach dem Tode Herzog
Georgs im Jahre 1539 musste er das Herzogtum
Sachsen gleichfalls verlassen und fand Anstellung beim Fürstabt von
Fulda. Publizistisch ungeheuer rege, verschaffte er sich im Religionsstreit immer wieder Gehör. Auffällig dabei ist die humanistisch geprägte Positionierung
Witzels in den Streitigkeiten.
Die Missbräuche in der eigenen Kirche prangerte er genauso schonungslos an,
20 wie er gegen die Reformatoren schrieb. So setzte er fortan seine Hoffnungen auf den Kaiser und nicht auf den Papst oder das Konzil von
Trient.
21 Gerade durch das Augsburger Interim sah er die Möglichkeit einer Einigung gekommen und verteidigte daher
Karl V. und dessen Religionsgesetz durch die hier edierte Schrift. 1552 floh
Witzel aus
Fulda vor den heranrückenden Truppen des sächsischen Kurfürsten. Nach einem Aufenthalt in
Worms siedelte er nach
Mainz
über, wo er bis zu seinem Tode lebte. In den fünfziger Jahren nahm
Witzel an den Reichstagen von 1557 und 1559 teil und wurde von Kaiser
Ferdinand I. immer wieder mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Darüber hinaus hielt er seine intensive publizistische Tätigkeit bis zu seinem Tod am 16. Februar 1573 aufrecht.
3. Inhalt
Witzel sucht mit seiner Schrift die Auseinandersetzung mit
Melanchthon und den anderen Wittenberger Theologen. Dies mag zum einen daran liegen, dass das melanchthonische
„Bedenken“ eine der ersten publizistischen Reaktionen der Protestanten auf das Interim war.
22 Ein zweiter Grund wird wohl in der auch nach
Luthers Tod immer noch bedeutenden Autorität der Wittenberger Theologen für die Protestanten im Reich zu suchen sein.
23 Denn eigentlich hätte
Witzel ebenso jede andere Schrift eines an der anti-interimistischen
Publizistik beteiligten Theologen als Angriffsziel auswählen können, da ihm einige solcher Drucke durchaus bekannt
waren, ihm teilweise sogar verwerflicher erschienen als das melanchthonische „Bedenken“.
24 Wenn
Witzel auf
Melanchthon und die Wittenberger Theologen eingeht, so wohl deshalb, weil sie und ihre Autorität für ihn die Hauptgegner in einem Kampf um die
Deutungshoheit über das Interim darstellten, die es zu widerlegen galt. Überdies waren die Wittenberger Theologen als Ratgeber des neuen Kurfürsten
Moritz von Sachsen maßgeblich in die politischen Prozesse
innerhalb Kursachsens eingebunden. Bei der engen Verbindung von Politik und Religion in der Argumentation seiner Schrift, kann es daher nicht verwundern, wenn
Witzel die einflussreichen Wittenberger als Gegner
auserkor. Neben dem
„Bedenken“ war
Witzel zudem auch das Meißner Gutachten der Wittenberger Theologen bekannt, in dem diese ausführlich die Mängel des Interims in Bezug
auf die Rechtfertigungslehre darstellten.
25 Dies scheint
Witzel ebenfalls zum Anlass seiner Widerlegung genommen zu haben. Das
„Bedenken“ ist somit nicht als der alleinige Ausgangspunkt und die
einzige Referenz für
Witzels Gegenschrift zu betrachten. Ein dritter Grund für den Angriff auf
Melanchthon ist in der Intention der Witzelschen Schrift zu finden, bietet ihm die Übernahme
der Gliederung der melanchthonischen Schrift doch die Möglichkeit, nicht nur das Interim allgemein gegen die Angriffe der Protestanten zu verteidigen, sondern die reformatorische Lehre insgesamt systematisch anzugreifen.
Die ersten Seiten der Witzelschen Schrift sind – ohne dass es einen solchen Gliederungspunkt als Zwischenüberschrift gäbe – eine Einleitung.
Witzel verbindet hier geschickt politische und religiöse Gesichtspunkte. Die Forderung
nach Kaisertreue der Protestanten paart sich bei ihm mit der nach Kircheneinheit. Damit verschwindet eine klare Konturierung der politischen Maßnahmen einerseits und der theologischen Fragestellungen andererseits, ja die Begriffe „Kaiser“ und „katholische Kirche“ werden
sogar synonym verwandt.
26
Sodann wird die reformatorische Lehre in Gänze von ihm als falsch und abgöttisch dargestellt und ihre Widerlegung unternommen. Grundsätzlich wird den Angehörigen der Wittenberger Reformation vorgeworfen, Spaltung zu betreiben. Sie hätten sich in der
Vergangenheit nie mit Kompromissen und Zugeständnissen zufrieden gegeben, und genauso würden sie auch jetzt handeln. Trotz des zugestandenen Laienkelchs und der erlaubten Priesterehe, trotz der stetigen Beteuerungen, sich den Beschlüssen eines Konzils
unterwerfen zu
wollen, trügen die Protestanten tatsächlich jedoch nichts zur Kircheneinheit bei. Das Interim wolle diese Einheit wieder herstellen und damit bestünde für die Protestanten nun die Gelegenheit zu beweisen, wie ernst es ihnen damit sei. Auch sei
es falsch, wenn sie vorgäben, durch die Bestimmungen des Interims würde das wahre Evangelium verfolgt. Die Kirche könne nie eine Verfolgerin sein. Sie leite im Gegenteil stets zur Besserung, zum Evangelium und zum rechten Glauben. Immer wieder kommt
Witzel daher in seiner Schrift auf die Frage nach der rechten Kirche zurück und entwickelt dabei einen strikten Dualismus, indem er nachzuweisen versucht, dass die reformatorische Lehre die einer Sekte, die altgläubige Lehre hingegen
die der wahren Kirche sei. Dies werde, so
Witzel, schon allein daran erkenntlich, dass die Wahrheit nicht seit der Geburt Christi verborgen gewesen sein könne, um dann von
Luther wiederentdeckt zu
werden. Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg seien die Protestanten wohl gemäßigter und verlangten nach Frieden, doch in der Sache würden sie keinen Fußbreit von ihren falschen Lehren abstehen. Nun begehrten sie, gehört zu werden, wenn Veränderungen
zum Besseren, zur wahren Lehre vorgenommen werden sollten. Weshalb, so fragt
Witzel, sollte aber der Kaiser auf ihre Wünsche eingehen? Schließlich hätten sie die Kirche in all den Jahren aufs heftigste geschmäht, indem sie
altgläubige Stände mit Krieg überzogen und vertrieben hätten. Nie hätten sie etwas um die Meinung der Altgläubigen bei der Einführung ihrer Neuerungen gegeben.
Detailliert widerlegt
Witzel die Kritik der Wittenberger Theologen, wobei die Übernahme der Gliederung des Wittenberger Bedenkens die Unterschiede ganz deutlich erkennen lässt und ihm die Themen vorgibt. Besonders scharf und
sehr umfangreich greift
Witzel die reformatorische Rechtfertigungslehre an. Mit dem Verweis auf den Glauben allein und die Negation der Notwendigkeit von guten Werken, schlössen die Protestanten die Liebe und deren aktive
Verwirklichung in guten Werken aus. Diese aber, so sage der Apostel Paulus, sei jedoch das Größte und Johannes schreibe sogar, dass sie Gott selber sei. Mit dem reformatorischen sola fide und dem Ausschluss der Liebe sei die Kirchenzucht gänzlich zerrüttet worden.
Gewissenlose Menschen und Übeltäter würden sich freilich über diese Lehre freuen, da sie nun ihren Glauben im Tun nicht mehr bewähren müssten und somit jede ethische Konsequenz des Glaubens fehle. Punkt für Punkt behandelt
Witzel zudem die Sakramentenlehre, Priesterweihe, Ehe, Messe und letzte Ölung. Sie werden nach altgläubiger Lehre als schriftgemäße Sakramente entfaltet und jeweils der, in
Witzels
Augen, falschen reformatorischen Lehre gegenübergestellt. Als entscheidender Maßstab für die Richtigkeit der eigenen Glaubensüberzeugungen und Lehrmeinungen gilt
Witzel der Rekurs auf die Kirchenlehrer.
4. Ausgaben
Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe, die in der Offizin des
Johann Quentel27 in Köln gedruckt wurde:
A:
Bestendige Ant= || wort wider der Luterischen || Theologen Bedencken / || welchs sie widers || Interim || geschrie= || ben / || GEOR. VICELII FACCHENSIS. || Gedruͤckt zu
Cln durch Johan Quentel / || im Mertz des Jars 1549. || Cum gratia & Privilegio Imperiali || ad Quadriennium. || [57] Bl. 4° (VD 16 W 3869)
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dg 4648
Budapest, Országos Széchényi Könyvtár (Nationalbibliothek): Ant. 2700
Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: 8 PATR LAT 274/6(9)
Gotha, Forschungsbibliothek: Theol.4 258/1(9)R
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Vg 1217,QK
Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4 Bud.Hist.eccl.271 (28)
Lutherstadt Wittenberg, Bibliothek des Lutherhauses: Ag 4 273 l, Kn A 152/848
München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Dogm. 529 Beibd.1 [benutztes Exemplar], 4 Dogm. 612 Beibd.3, 4 Polem. 3216 Beibd.1, 4 Polem. 3365-6
Trier, Stadtbibliothek: 2 an: B II 33.8
Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 11.V.21
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: J 732.4 Helmst.(3)
Aufgrund des späten Drucks der Schrift ist davon auszugehen, dass
Witzel zunächst wohl der erste Druck des
„Bedenkens“ als Vorlage für die Erwiderung gedient
hat. Aufgrund der langen Wartezeit zwischen der Fertigstellung und der Drucklegung, wurden von
Witzel wahrscheinlich nachträglich Korrekturen am Manuskript vorgenommen, als die zweite Auflage als Bedenken der
Wittenberger Theologen erschien. Dafür spricht jedenfalls der schwankende Gebrauch von „dir“ und „dein“ einerseits und „ihr“ und „euch“ andererseits.
In kleineren Auszügen ist die Schrift
Witzels – ohne jegliche editorische Anmerkungen – bereits abgedruckt worden bei:
Döllinger, Reformation I, 53, 77, 86f., 91,
95f., 116.