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Beständige Antwort (1549)
bearbeitet von Jan Martin Lies
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Seit 1545 tagte das Konzil von Trient, um die Kircheneinheit wiederherzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Sieg des Kaisers im Schmalkaldischen Krieg schien die Möglichkeit gegeben, die politisch-militärische Schwäche der Protestanten bei einem gemeinsamen Vorgehen von Kaiser und Papst zu einer Lösung in altgläubigem Sinne auszunutzen. Allerdings waren während des Krieges wieder einmal erhebliche Spannungen zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Oberhaupt der lateinischen Christenheit aufgetreten, denn Papst Paul III. hatte das Konzil mit Verweis auf den Ausbruch des Flecktyphus in Trient nach Bologna verlegt.1 Zwar verlangte Karl V. die Rückverlegung, doch entsprach diese kaiserliche Forderung nicht den Interessen des Papstes, da dieser die Konzilsväter nicht wieder aus seinem Einflussbereich entlassen wollte und der Kaiser ihm zu mächtig zu werden schien. Zwischen Kaiser und Papst herrschte somit keine Einigkeit.2 Die überaus günstige politische Situation nach seinem Sieg wollte Karl V. jedoch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes ergab sich für ihn nämlich scheinbar die Möglichkeit, durch die eigene politisch-militärische Übermacht den Religionsstreit bis zu einem endgültigen Entscheid des Konzils im Reich beizulegen. Mit dem Wissen um seinen erweiterten politischen Handlungsspielraum berief er für den 1. September 1547 einen Reichstag nach Augsburg ein. Dort präsentierte er den Ständen schließlich das Ergebnis der Beratungen zwischen dem Naumburger Bischof Julius von Pflug, dem Mainzer Weihbischof Michael Helding und dem kurbrandenburgischen Hofprediger Johann Agricola. Diese drei hatten in kaiserlichem Auftrag ein Schriftstück erarbeitet, auf dessen Grundlage die jahrzehntelangen Streitigkeiten im Reich vorläufig beigelegt werden sollten.3 Anders als Karl V. dies wohl erwartet hatte, regte sich aber nicht nur in den Reihen der geschlagenen Protestanten Widerstand gegen die Vorlage, auch Vertreter der Reichskirche und weltlicher, altgläubiger Stände erhoben Protest.4 Diese beschwerten sich über das Zugeständnis an die Protestanten, den Laienkelch und die Priesterehe vorläufig zu erlauben. Die Kurie wiederum opponierte generell gegen die kaiserliche Maßnahme. In Rom erkannte man darin nämlich nicht etwa einen Versuch theologischen Konsens zwischen den Streitparteien zu erlangen, sondern sah in den kaiserlichen Bestrebungen vielmehr den Versuch, den Konflikt gänzlich abseits des Konzils zu lösen, womit Rom den Blick auf die politischen Implikationen des kaiserlichen Gesetzesvorschlages lenkte. Eine Annahme des Inte

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rims durch den Papst war für die Kurie daher undenkbar.5 Jener Widerstand sollte den Kaiser dann schon während des Reichstags zu einer bedeutenden Änderung bewegen. Eigentlich vom Kaiser als Reichsgesetz mit allgemeiner Gültigkeit geplant, trat das Religionsgesetz schließlich nur für die Protestanten und ihre Territorien in Kraft.6 Die Ausnahme der altgläubigen Reichsstände sowie die Forderung, dass außer Laienkelch und Priesterehe7 alle von den Protestanten vorgenommen Änderungen in der Lehre und in den kirchlichen Zeremonien bis zu einem endgültigen Entscheid des Konzils zurückgenommen werden sollten, rief bei protestantischen Theologen heftigen Widerspruch hervor, während protestantische Reichsstände aufgrund der politischen Gegebenheiten eher zu lavieren versuchten.8 Hatte Karl V. eigentlich streng verboten, öffentlich über das Gesetz zu disputieren oder dagegen zu schreiben,9 so erschienen doch fortan unzählige Streitschriften und Spottlieder gegen das nun sogenannte Interim. Eine Verteidigung der kaiserlichen Maßnahme durch katholische Autoren unterblieb bis auf wenige Ausnahmen.10 Erst mit großer Verspätung sollte dann Georg Witzel auf die Flut protestantischer Schriften und Lieder antworten und der protestantischen Polemik etwas entgegensetzen. Die verspätete Reaktion lag dabei durchaus nicht an ihm. Bereits im Oktober 1548 hatte er offenbar zwei Schriften zur Verteidigung der kaiserlichen Religionspolitik fertiggestellt,11 von denen eine die hier abgedruckte gewesen sein soll.12 Sogar die Annahme, Witzel habe die hier edierte Schrift bereits bis Anfang September geschrieben, scheint gerechtfertigt zu sein.13 Wegen des kaiserlichen Druckverbots fand er jedoch zunächst keinen Drucker für seine Werke, worüber er sich beklagte, da die Gegenseite unablässig neue Drucke gegen das Interim herausbringe.14 Die Drucklegung erfolgte somit erst im März 1549 in Köln; dann aber mit kaiserlichem Druckprivileg. Angesichts der Wucht des Widerstands veränderte sich im Laufe des Jahres 1548 somit offenbar die kaiserliche Position in Bezug auf das Disputationsverbot, und Witzel wurde die öffentliche Verteidigung des Religionsgesetzes zugestanden. Dass er ein kaiserliches Druckprivileg erhielt, lag dabei höchstwahrscheinlich nicht un

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wesentlich an seiner Beratungstätigkeit15 für Karl V. auf dem Augsburger Reichstag und seiner deutlich postulierten Hoffnung auf den Kaiser, nicht den Papst, als Retter der Kirche und Vollender der Kircheneinheit. Allerdings stellt sich die Frage, warum dieser polemische Angriff auf die Wittenberger Theologen nach dem Leipziger Landtag vom Dezember 1548 überhaupt noch erfolgte, hätte Witzel die in Leipzig gemachten Zugeständnisse doch eigentlich als Erfolg für die altgläubige Seite ansehen und als deutliches Zeichen des Niederganges der reformatorischen Lehre werten können. Unkenntnis der Leipziger Vorgänge lassen sich Witzel nur schwer unterstellen, da der Druck der eigenen Schrift erst im März 1549 erfolgte. Allerdings hatte die Leipziger Landtagsvorlage noch keine Rechtskraft erlangt. Rechtlich bindende Beschlüsse sollten in Kursachsen erst im Juli 1549 getroffen werden.16 Fürchtete Witzel im März daher den Einfluss der Wittenberger Theologen und glaubte, deren Position – jetzt, kurzfristig durch politische Rücksichtnahmen verändert – könnte sich auf lange Sicht gesehen wieder der des melanchthonischen Bedenkens17 annähern? Hinzu trat bei ihm offensichtlich der Wunsch, selbst aktiv an der Überwindung der Kirchenspaltung mitzuwirken. Nach dem militärischen Sieg des Kaisers hoffte er wohl, die Protestanten auch theologisch und publizistisch überwinden zu können. Die hier vorliegende Schrift muss daher in den Gesamtzusammenhang des Witzelschen Œuvres und speziell seines publizistischen Schaffens 1548/49 eingeordnet werden. Sodann lässt sich feststellen, dass Witzel zahlreiche seiner älteren Werke zu den Fragen der guten Werke und der Rechtfertigung in der turbulenten Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg erneut auflegen ließ.18 Auch die hier edierte Schrift beschäftigt sich gerade mit diesen Fragen intensiv, was die Witzelsche Ambition, die reformatorische Lehre nach der physischen Niederlage auch geistig in den Kernfragen des Religionsdissenses zu besiegen, unterstreicht.

2. Der Autor

Georg Witzel wurde 1501 als Sohn des Schultheißen von Vacha, Michael Witzel, und seiner Frau, Agnes Landau, in Vacha geboren.19 Seine Mutter verlor er bereits früh im Alter von nur acht Jahren. Die Beziehung zu der zweiten Frau seines Vaters soll nicht gut gewesen sein. Erste schulische Erfahrungen sammelte er in seiner Heimatstadt. Ab seinem 13. Lebensjahr besuchte er dann die Schulen von Schmalkalden, Eisenach und Halle. Im Wintersemester 1516/17 immatrikulierte sich Witzel an der Universität Erfurt,

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wo er zwei Jahre lang studierte und den akademischen Grad eines Baccalaureus erlangte. Daraufhin wechselte er an die Universität Wittenberg, wo er jedoch nur wenig mehr als ein halbes Jahr blieb, um dann nach Vacha zurück zu kehren und dort das Amt eines Pfarrschulmeisters zu bekleiden. 1521 erfolgte auf Anraten seines Vaters die Priesterweihe unter Bischof Adolf von Merseburg. Danach war Witzel Vikar und Stadtschreiber in seiner Heimatstadt. Zu Beginn der zwanziger Jahre veränderte sich seine Situation aufgrund seiner Wendung zur reformatorischen Lehre grundlegend. Durch seine Heirat mit Elisabeth Kraus, die aus Eisenach stammte, lernte er vermutlich den reformatorisch gesinnten Pfarrer Eisenachs, Jakob Strauß, kennen, als dessen Mitarbeiter er an der Visitation Thüringens 1525 teilnahm. Auf Strauß’ Empfehlung hin, erhielt Witzel Anfang 1525 auch die Pfarrstelle im thüringischen Wenigen-Lüpnitz (Wenigenlupnitz). Dort versuchte er gegen die Unruhen zu wirken, welche der Bauernkrieg mit sich brachte. Sogar an Thomas Müntzer selbst schrieb Witzel und beschwor ihn, von seinem Tun Abstand zu nehmen. Diese Kontaktaufnahme brachte ihn jedoch in den Verdacht, selber mitschuldig an den Unruhen gewesen zu sein. Rufschädigende Beschuldigungen führten schließlich dazu, dass er seine Pfarrstelle in Thüringen aufgeben musste. Da er jedoch auf Luthers eigene Fürsprache verweisen konnte, wurde er ab Oktober 1525 Pfarrer in Niemegk bei Wittenberg. Diese räumliche Nähe zu Wittenberg führte jedoch nicht zu intensiveren Kontakten zu Luther und den anderen Wittenberger Reformatoren. Witzel betrieb stattdessen eigene patristische Studien und lernte Hebräisch. Der humanistische Hintergrund der theologischen Anschauungen Witzels wird dadurch deutlich. Schon 1527 wandte er sich in zwei heute verlorenen Schreiben an Melanchthon und Jonas, in denen er sich offenbar kritisch über die Verfassung der reformatorischen Kirche äußerte und deren Unterschiede zur Jerusalemer Urgemeinde aufzeigte. Während der großen Kirchenvisitation von 1529 trug Witzel dann seine Zweifel an der reformatorischen Lehre abermals vor, ohne jedoch Gehör zu finden. Am Religionsgespräch in Marburg nahm er zwar nur als Beobachter teil, verfasste dazu gleichwohl eine Schrift – einen Dialog über die Kirche. Nur ein Jahr später sollte die Affäre um Johannes Campanus, der mit seinen antitrinitarischen Überzeugungen öffentlich aufgetreten war, üble Folgen für Witzel zeitigen. Wie schon 1525 im Bauernkrieg geriet er abermals in einen für ihn schlimmen Verdacht. Bei einem Aufenthalt von Campanus in Niemegk 1528 hatte er nämlich Kontakt zu diesem gehabt und wurde nun beschuldigt, ebenfalls antitrinitarische Auffassungen zu vertreten. Man nahm ihn fest und ließ ihn erst nach langen Untersuchungen und wieder nur auf Fürsprache Luthers hin frei. Trotz des abermaligen Einsatzes des Reformators für ihn, war sein Bruch mit der reformatorischen Bewegung nicht mehr aufzuhalten. 1531 bat er um Entlassung aus dem Pfarrdienst in Niemegk und kehrte nach Vacha zurück. Seine Publikationen führten dort aber zur Ausweisung durch Landgraf Philipp von Hessen. Der Bruch zwischen Witzel und den Wittenberger Theologen war

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nun endgültig vollzogen, weshalb die Wittenberger einen Ruf Witzels auf die Hebräischprofessur in Erfurt erfolgreich zu hintertreiben wussten. So war ein Ergebnis der Rekonversion Witzels eine heftige publizistische Auseinandersetzung mit den Wittenbergern in den dreißiger Jahren – vor allem mit Justus Jonas. Seine Ehe wurde auch nach seiner Rückkehr zum alten Glauben vom Papst geduldet. Beruflich führte Witzel fortan ein Wanderleben. Nachdem er zunächst Priester in Eisleben geworden war, wohin ihn Graf Hoyer von Mansfeld gerufen hatte, folgte er nach dessen Tod einer Einladung Herzog Georgs nach Sachsen. Maßgeblich sollte er dort 1539 am Leipziger Religionsgespräch beteiligt sein. Die alte Kirche, die Urgemeinde stellte dabei für ihn das Vorbild dar, dem nachgeeifert werden und das als Grundlage für eine Einigung zwischen den Religionsparteien dienen sollte. Nach dem Tode Herzog Georgs im Jahre 1539 musste er das Herzogtum Sachsen gleichfalls verlassen und fand Anstellung beim Fürstabt von Fulda. Publizistisch ungeheuer rege, verschaffte er sich im Religionsstreit immer wieder Gehör. Auffällig dabei ist die humanistisch geprägte Positionierung Witzels in den Streitigkeiten. Die Missbräuche in der eigenen Kirche prangerte er genauso schonungslos an,20 wie er gegen die Reformatoren schrieb. So setzte er fortan seine Hoffnungen auf den Kaiser und nicht auf den Papst oder das Konzil von Trient.21 Gerade durch das Augsburger Interim sah er die Möglichkeit einer Einigung gekommen und verteidigte daher Karl V. und dessen Religionsgesetz durch die hier edierte Schrift. 1552 floh Witzel aus Fulda vor den heranrückenden Truppen des sächsischen Kurfürsten. Nach einem Aufenthalt in Worms siedelte er nach Mainz über, wo er bis zu seinem Tode lebte. In den fünfziger Jahren nahm Witzel an den Reichstagen von 1557 und 1559 teil und wurde von Kaiser Ferdinand I. immer wieder mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Darüber hinaus hielt er seine intensive publizistische Tätigkeit bis zu seinem Tod am 16. Februar 1573 aufrecht.

3. Inhalt

Witzel sucht mit seiner Schrift die Auseinandersetzung mit Melanchthon und den anderen Wittenberger Theologen. Dies mag zum einen daran liegen, dass das melanchthonische „Bedenken“ eine der ersten publizistischen Reaktionen der Protestanten auf das Interim war.22 Ein zweiter Grund wird wohl in der auch nach Luthers Tod immer noch bedeutenden Autorität der Wittenberger Theologen für die Protestanten im Reich zu suchen sein.23 Denn eigentlich hätte Witzel ebenso jede andere Schrift eines an der anti-interimistischen

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Publizistik beteiligten Theologen als Angriffsziel auswählen können, da ihm einige solcher Drucke durchaus bekannt waren, ihm teilweise sogar verwerflicher erschienen als das melanchthonische „Bedenken“.24 Wenn Witzel auf Melanchthon und die Wittenberger Theologen eingeht, so wohl deshalb, weil sie und ihre Autorität für ihn die Hauptgegner in einem Kampf um die Deutungshoheit über das Interim darstellten, die es zu widerlegen galt. Überdies waren die Wittenberger Theologen als Ratgeber des neuen Kurfürsten Moritz von Sachsen maßgeblich in die politischen Prozesse innerhalb Kursachsens eingebunden. Bei der engen Verbindung von Politik und Religion in der Argumentation seiner Schrift, kann es daher nicht verwundern, wenn Witzel die einflussreichen Wittenberger als Gegner auserkor. Neben dem „Bedenken“ war Witzel zudem auch das Meißner Gutachten der Wittenberger Theologen bekannt, in dem diese ausführlich die Mängel des Interims in Bezug auf die Rechtfertigungslehre darstellten.25 Dies scheint Witzel ebenfalls zum Anlass seiner Widerlegung genommen zu haben. Das „Bedenken“ ist somit nicht als der alleinige Ausgangspunkt und die einzige Referenz für Witzels Gegenschrift zu betrachten. Ein dritter Grund für den Angriff auf Melanchthon ist in der Intention der Witzelschen Schrift zu finden, bietet ihm die Übernahme der Gliederung der melanchthonischen Schrift doch die Möglichkeit, nicht nur das Interim allgemein gegen die Angriffe der Protestanten zu verteidigen, sondern die reformatorische Lehre insgesamt systematisch anzugreifen. Die ersten Seiten der Witzelschen Schrift sind – ohne dass es einen solchen Gliederungspunkt als Zwischenüberschrift gäbe – eine Einleitung. Witzel verbindet hier geschickt politische und religiöse Gesichtspunkte. Die Forderung nach Kaisertreue der Protestanten paart sich bei ihm mit der nach Kircheneinheit. Damit verschwindet eine klare Konturierung der politischen Maßnahmen einerseits und der theologischen Fragestellungen andererseits, ja die Begriffe „Kaiser“ und „katholische Kirche“ werden sogar synonym verwandt.26 Sodann wird die reformatorische Lehre in Gänze von ihm als falsch und abgöttisch dargestellt und ihre Widerlegung unternommen. Grundsätzlich wird den Angehörigen der Wittenberger Reformation vorgeworfen, Spaltung zu betreiben. Sie hätten sich in der Vergangenheit nie mit Kompromissen und Zugeständnissen zufrieden gegeben, und genauso würden sie auch jetzt handeln. Trotz des zugestandenen Laienkelchs und der erlaubten Priesterehe, trotz der stetigen Beteuerungen, sich den Beschlüssen eines Konzils unterwerfen zu

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wollen, trügen die Protestanten tatsächlich jedoch nichts zur Kircheneinheit bei. Das Interim wolle diese Einheit wieder herstellen und damit bestünde für die Protestanten nun die Gelegenheit zu beweisen, wie ernst es ihnen damit sei. Auch sei es falsch, wenn sie vorgäben, durch die Bestimmungen des Interims würde das wahre Evangelium verfolgt. Die Kirche könne nie eine Verfolgerin sein. Sie leite im Gegenteil stets zur Besserung, zum Evangelium und zum rechten Glauben. Immer wieder kommt Witzel daher in seiner Schrift auf die Frage nach der rechten Kirche zurück und entwickelt dabei einen strikten Dualismus, indem er nachzuweisen versucht, dass die reformatorische Lehre die einer Sekte, die altgläubige Lehre hingegen die der wahren Kirche sei. Dies werde, so Witzel, schon allein daran erkenntlich, dass die Wahrheit nicht seit der Geburt Christi verborgen gewesen sein könne, um dann von Luther wiederentdeckt zu werden. Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg seien die Protestanten wohl gemäßigter und verlangten nach Frieden, doch in der Sache würden sie keinen Fußbreit von ihren falschen Lehren abstehen. Nun begehrten sie, gehört zu werden, wenn Veränderungen zum Besseren, zur wahren Lehre vorgenommen werden sollten. Weshalb, so fragt Witzel, sollte aber der Kaiser auf ihre Wünsche eingehen? Schließlich hätten sie die Kirche in all den Jahren aufs heftigste geschmäht, indem sie altgläubige Stände mit Krieg überzogen und vertrieben hätten. Nie hätten sie etwas um die Meinung der Altgläubigen bei der Einführung ihrer Neuerungen gegeben. Detailliert widerlegt Witzel die Kritik der Wittenberger Theologen, wobei die Übernahme der Gliederung des Wittenberger Bedenkens die Unterschiede ganz deutlich erkennen lässt und ihm die Themen vorgibt. Besonders scharf und sehr umfangreich greift Witzel die reformatorische Rechtfertigungslehre an. Mit dem Verweis auf den Glauben allein und die Negation der Notwendigkeit von guten Werken, schlössen die Protestanten die Liebe und deren aktive Verwirklichung in guten Werken aus. Diese aber, so sage der Apostel Paulus, sei jedoch das Größte und Johannes schreibe sogar, dass sie Gott selber sei. Mit dem reformatorischen sola fide und dem Ausschluss der Liebe sei die Kirchenzucht gänzlich zerrüttet worden. Gewissenlose Menschen und Übeltäter würden sich freilich über diese Lehre freuen, da sie nun ihren Glauben im Tun nicht mehr bewähren müssten und somit jede ethische Konsequenz des Glaubens fehle. Punkt für Punkt behandelt Witzel zudem die Sakramentenlehre, Priesterweihe, Ehe, Messe und letzte Ölung. Sie werden nach altgläubiger Lehre als schriftgemäße Sakramente entfaltet und jeweils der, in Witzels Augen, falschen reformatorischen Lehre gegenübergestellt. Als entscheidender Maßstab für die Richtigkeit der eigenen Glaubensüberzeugungen und Lehrmeinungen gilt Witzel der Rekurs auf die Kirchenlehrer.

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4. Ausgaben

Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe, die in der Offizin des Johann Quentel27 in Köln gedruckt wurde: A: Bestendige Ant= || wort wider der Luterischen || Theologen Bedencken / || welchs sie widers || Interim || geschrie= || ben / || GEOR. VICELII FACCHENSIS. || Gedrckt zu Cln durch Johan Quentel / || im Mertz des Jars 1549. || Cum gratia & Privilegio Imperiali || ad Quadriennium. || [57] Bl. 4° (VD 16 W 3869) Vorhanden: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dg 4648 Budapest, Országos Széchényi Könyvtár (Nationalbibliothek): Ant. 2700 Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: 8 PATR LAT 274/6(9) Gotha, Forschungsbibliothek: Theol.4 258/1(9)R Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Vg 1217,QK Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4 Bud.Hist.eccl.271 (28) Lutherstadt Wittenberg, Bibliothek des Lutherhauses: Ag 4 273 l, Kn A 152/848 München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Dogm. 529 Beibd.1 [benutztes Exemplar], 4 Dogm. 612 Beibd.3, 4 Polem. 3216 Beibd.1, 4 Polem. 3365-6 Trier, Stadtbibliothek: 2 an: B II 33.8 Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 11.V.21 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: J 732.4 Helmst.(3) Aufgrund des späten Drucks der Schrift ist davon auszugehen, dass Witzel zunächst wohl der erste Druck des „Bedenkens“ als Vorlage für die Erwiderung gedient hat. Aufgrund der langen Wartezeit zwischen der Fertigstellung und der Drucklegung, wurden von Witzel wahrscheinlich nachträglich Korrekturen am Manuskript vorgenommen, als die zweite Auflage als Bedenken der Wittenberger Theologen erschien. Dafür spricht jedenfalls der schwankende Gebrauch von „dir“ und „dein“ einerseits und „ihr“ und „euch“ andererseits. In kleineren Auszügen ist die Schrift Witzels – ohne jegliche editorische Anmerkungen – bereits abgedruckt worden bei: Döllinger, Reformation I, 53, 77, 86f., 91, 95f., 116.

Kommentar
1  Vgl. Gerhard Müller, Art. Tridentinum 3.1–2, in: TRE 34 (2002), 65–68, bes. 67f.
2  Zum Streit zwischen Papst und Kaiser: Jedin, Konzil, III, 3–215.
3  Vgl. dazu: DRTA.JR XVIII, 2; ARC 5; Rabe, Reichsbund, 240–272, 407–449; Rabe, Entstehung des Ausgburger Interims.
5  Zu den Verhandlungen an der Kurie und den dort erstellten Gutachten: vgl. Jedin, Konzil III, 204f.
6Augsburger Interim (Vorrede), 32–34.
7Augsburger Interim XXVI (Von den ceremonien und gebrauch der sacramenten), 142.
8  Vgl. die als Nr. 13 edierte Antwort der Mansfelder Grafen an Karl V. und den im Anhang edierten Briefwechsel (unsere Ausgabe S. 723–726, 973978). Zu den Versuchen der Mansfelder, im Verbund mit Kursachsen zu handeln: vgl. Wartenberg, Interim in Mitteldeutschland, in: Schorn-Schütte, Interim, 233–254, bes. 235–242.
9Augsburger Interim (Vorrede), 34.
11Georg Witzel an Julius von Pflug. 8. Oktober 1548, in: Julius Pflug, 144–146.
12  Zu weiteren Stellungnahmen Witzels vgl. Herrmann, Das Interim in Hessen, 185–189; Richter, Schriften Georg Witzels, 152–156.
13  Vgl. Henze, Liebe zur Kirche, 211, Anm. 8.
14Georg Witzel an Julius von Pflug. 8. Oktober 1548, in: Julius Pflug, 145f.
16  Vgl. Wartenberg, Kirchen- und Religionspolitik, in: Blaschke, Moritz von Sachsen, 163–172, bes. 169f; PKMS IV, Nr. 396, S. 449f.
17  Vgl. das Bedenken Melanchthons, unsere Ausgabe Nr. 1, S. 59–75.
18  Vgl. Henze, Liebe zur Kirche, 110f; 209–242.
19  Vgl. zum folgenden: Henze, Liebe zur Kirche; Trusen, Reform und Einheit, 8-28; Bäumer, Witzel; Heinz Scheible, Art. Witzel, Georg, in: RGG4 8 (2005), 1672f; Ute Mennecke-Haustein, Art. Witzel, Georg, in: TRE 36 (2004), 257–260.
20  Vgl. Witzels Meinung über das Konzil von Trient in der hier edierten Schrift, Blatt G 4r (Seite 834).
21  Vgl. Henze, Liebe zur Kirche, 234–242.
22  Vgl. das Bedenken Melanchthons, unsere Ausgabe Nr. 1, S. 59–75.
23  Die sich am Interim entzündenden Streitigkeiten sollten, zusammen mit Luthers Tod 1546, zu einem erheblichen Autoritätsverlust der Wittenberger Theologen führen. Vgl. Kohnle, Wittenberger Autorität, bes. 197–200.
24  Bekannt waren ihm neben dem „Bedenken“ Melanchthons jedenfalls verschiedene unter Pseudonym erschienene Schriften des Flacius, sowie Schriften Bernhard Zieglers, Kaspar Aquilas, Antonius Corvinus` und das Meißner Gutachten der Wittenberger. Als gefährlichste Schrift bezeichnete er sogar Amsdorfs „Antwort, Glaub und Bekenntnis aufs Interim“, unsere Ausgabe Nr. 7, 213–236) Vgl. Georg Witzel an Julius von Pflug. 8. Oktober 1548, in: Julius Pflug, 145.
25  Vgl. Iudicum V. de libro Interim, in: CR 7, 12–45, bes. 16–24. Zur Drucklegung dieses Gutachtens vgl. unsere Ausgabe, Nr. 1, Einleitung, S. 45.
26  Vgl. zu dieser Auffälligkeit im Denken Witzels: Henze, Liebe zur Kirche, 211–234.
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