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Beschreibung von Cod. Guelf. 1 Weiss.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Haimo Autissiodorensis, Homiliar pars hiemalis

Rom — 11. Jh., 2. Hälfte

Provenienz: 1r Benediktinerkloster Weißenburg, Besitzvermerk: Unterhalb der 1. Textspalte Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli in Wysßenburg (15. Jh.). 1r oberer Blattrand Weißenburger Signaturenbuchstabe: .C. Darunter Omelie I. p>Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig (Wiener Liste 2°33; Butzmann Weißenburg, 9–18).

Pergament — 24 Bl. — 41 × 30,5 cm

Lagen: 31 IV (248). Einige Lagen am Ende auf dem Blatt unten bezeichnet mit 8v QR I, 16v QR IIB, 56v QRVII, 72v QT Villi. Moderne Tintenfoliierung. Ab Bl. 116 neuere Bleistiftfoliierung, da in der Tintenfoliierung Bl. 116 doppelt gezählt. Vor- und Nachsatzblatt aus einem Missale (Metz, 2. Hälfte 11. Jh.; Hoffmann Schreibschulen Südwesten, 319). Durchgänge Knickfalte. Einige Blätter mit genähten Einschnitten/Einrissen. Schriftraum: 30 × 21 cm, zweispaltig, 32–36 Zeilen. Karolingische Minuskel (Romanesca) von mehreren Händen. Buchüberschriften in rubrizierter Minuskel und in tintenfarbiger Unzialis. Die Anfangszeilen der Texte hervorgehoben in Capitalis oder Capitalis Rustica.

Hellbrauner Schafsledereinband (Pertz und Wiedemann/Wolfenbüttel; 17. Jh.).

INHALT

1r24v Haimo Autissiodorensis: Homiliar. Pars hiemalis (zu den Texten vgl. ausführlich Butzmann Weißenburg, 81–85; CALMA 5, 266, Nr. 23).

AUSSTATTUNG

Zahlreiche Initialen. Eine Initialzierseite.

Initialen: 1r zum Beginn eine gerahmte Initialzierseite. Zu Beginn der Texte Flechtbandinitialen in Federzeichnung links neben der Textspalte, teils einfarbig abgesetzt. Der Initialschmuck stammt von zahlreichen Händen, wobei 2 Hände in der Qualität besonders hervorstechen (0,5–10 cm; Hand A: 1r, 71v, 75r und Hand B: 135v144r. Der Rest in teils in geringerer Qualität oder gar dilettantisch ausgeführt). Der Buchstabenkörper bestehend aus und umschlungen von Flechtranken, teilweise gehalten von Spangen (vgl. 49r) oder Reifen gefüllt mit Punktreihe (vgl. 11v). In vielen Binnenfeldern findet sich leinenbindiges Netz, das diagonal gelegt ist und mit lockeren Schlaufen den Initialstamm umschlingt (vgl. 20v, 40v, 49r, 53v, 59r). Ab 78r einige Initialstämme versehen mit unverzierten Segmentfeldern (vgl. 228r). Die Initialstämme gelegentlich gefüllt mit gereihten Herzblättern (vgl. 67r, 115v), Seilbändern (vgl. 16v und 231r), Stufenband (vgl. 161r) und Zickzackband (184r). Die Füllungen brechen häufig ab, wenn vom Initialstamm abzweigenden Ranken die Flächen queren (vgl. 67r). An den Abläufen und Ranken kleine Knospen, oder Trifolien (einzeln oder doppelt) sowie Palmettenansätze. Die Ranken und Abläufe enden mit Knospen, Lilien oder Palmetten (16v mit Äderung), selten mit kleinen Pfauen- (vgl. 5r, 51v und 71v) und Fabelwesenköpfen (vgl. 11v). Die Initialkörper teils durch Vierfüßer (Raubtier/Fabelwesen/Drachen) ersetzt (34v, 51v, 71v, 183r, 192v), auf 1r und 38r ein Vierfüßer in das Rankenwerk integriert. Ab 78r die Blattformen und gelegentlich mit Kernverzierungen (78r). Binnenfelder und Initialstämme farbig hinterlegt und teilweise mit Schraffuren versehen (vgl. 40v).

Initialzierseite: 1r Gerahmte Text- bzw. Initialzierseite in Federzeichnung (Rahmen: 28,3 × 20,6 cm, Initiale: 8,00 cm). Der Leistenrahmen ist unvollständig ausgeführt und nur im oberen Segment mit Ornament versehen. Hier wird als Füllmotiv die Palmettenranke mit einbeschriebenen/kletternden Vierbeiner verwendet (Hunde und Kaninchen). Die Rahmenecken versehen mit kreuzförmig angelegten Flechtbandknoten. Initiale von der Haupthand (A; vgl. Initialen).

Farben: Die Federzeichnungen ausgeführt mit unterschiedlich nuancierter Tinte oder rot und häufig unkoloriert. Zahlreiche Initialen mit roten oder hellgelben Gründen, die nicht oder kaum über die Initialsilhouette hinausragen. Einige Initialen mit gleichfarbigen Schraffuren im Hintergrund (vgl. 144r).

STIL UND EINORDNUNG

Das vorliegende Homiliar wurde von Butzmann ins 12. Jh. datiert und jeweils mit Fragezeichen nach Südwestdeutschland oder Ostfrankreich lokalisiert (Butzmann Weißenburg, 80–86). Hoffmann hingegen erkannte die italienische Schrift als Romanesca, sprach sich dementsprechend für die 2. Hälfte des 11. Jh. und Mittelitalien aus (Hoffmann Italienische Handschriften, 66). Vergleiche des Buchschmucks bestätigen die Einordnung Hoffmanns und lenken den Blick nach Mittelitalien. Hier orientierte sich die Buchmalerei ab der Mitte des 11. Jh. bis ins 1. Viertel des 12. Jh. im Stil an frühromanischen Handschriften, die aus dem nordalpinen Raum in italienische Klöster gelangten und dort als Vorlagen verwendet wurden (hierzu ausführlich W. Augustyn, Italien, in: Geschichte der Buchkultur, Bd. 4,2, Romanik, hrsg. von A. Fingernagel, 9–79, hier 20–30). Neben der Rezeption ottonischer Elemente, insbesondere aus der Buchmalerei des deutschsprachigen Raums, wurden jedoch bis zum 12. Jh. auch Initialformen des Frühmittelalters, bestehend aus Fisch- und Vogelkörpern verwendet. Besonders hervorzuheben sind die Klöster Farfa, Kloster Santa Scolastica Subiaco und römische Klöster, wie Santi Andrea e Gregorio sowie Santa Caecilia in Trastevere, die mit der Erstellung von Handschriften betraut waren. Stilistische Differenzierungen sind nur bedingt möglich, da die Skriptorien in der Forschung bisher kaum aufgearbeitet wurden.

Aus der qualitativ sehr heterogenen Ausstattung der Handschrift stechen 2 besonders gut arbeitende Hände hervor (s.o.). Sie und auch weitere Hände stellen imposante Vierbeiner (Löwen, Wölfe und Hunde) in den Initialzusammenhang (vgl. 1r, 34v, 38r, 51v, 71v). Der Blattbesatz und die Ranken sind uneinheitlich, teils dicht gesetzt mit kurzen Trieben, teils mit üppigen Palmetten. Äußerst ähnliche Initialen sowie das Nebeneinander derselben Stilausprägungen zeigen 2 römische Passionale aus dem späten 11. Jh. (Rom, BAV, Arch. Cap. S. Pietro A 4 und Rom, BAV, Arch. Cap. S. Pietro A 5; Garrison Italian painting, Bd. 1, 24 Anm. 24; vgl. 1 Weiss. 5r, 51v, 67r). Im Detail finden sich zudem Parallelen zu Handschriften einer römischen Handschriftengruppe, die in den 60er und 70er Jahren in Santa Cecilia in Trastevere geschrieben und ausgestattet worden sind. Zugehörig zu dieser Gruppe sind das Graduale Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 74 (zur Handschrift vgl. H. François, Les manuscrits liturgiques du canton de Genève, Freiburg 1990, 
(Iter Helveticum, Subsidia 19), 463–469; Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, Bd. II, Die Handschriften der Bibliotheken Bern-Porrentruy, bearbeitet von B. M. von Scarpatetti, Dietikon-Zürich 1983, Nr. 111, 46.), das Evangeliar Florenz, BML, Cod. Plut. 17.27, eine Bibel (1987 auf einer Auktion in London versteigert; C. de Hamel, Western Manuscripts and Miniatures, Sotheby's Auction Catalogue, 23. Juni 1987, London 1987, 74–83, lot 72) und ein Haimo-Kommentar zu den Paulusbriefen (Oxford, BodL, MS. Add. D. 104; zur Gruppe vgl. L. M. Ayres, Sources for the Renewal in Manuscript Illumination at Santa Cecilia in Trastevere in the Early Romanesque Period, in: Scrinium Berolinense, Tilo Brandis zum 65. Geburtstag, hrsg. von P. J. Becker, Wiesbaden 2000, 29–42). Verbindende Elemente sind die im Flechtwerk verwendeten Reifen mit Punktreihung (11v: vgl. Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 74, 79v), die zotteligen Vierbeiner (vgl. 34v, 192v: Oxford, BodL, MS. Add. D. 104) sowie die in 1 Weiss. begonnene Seitenrahmung der am Beginn stehenden Initialzierseite auf 1r (vgl. hierfür die gerahmten Initialzierseiten des Graduale Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 74). Für die leinenbindige Ausprägung des Flechtbandes finden sich Vergleichsbeispiele in folgenden italienischen Handschriften aus der 2. Hälfte des 11. Jh.: München, BSB, Clm 17181, 96r, Mittelitalien, 11. Jh., 2. Hälfte und Rom, BAV, Vat. lat. 576, 104v, Unteritalien, spätes 11. Jh. (vgl. Bauer-Eberhardt, Ill. Hss. italienischer Herkunft 1, Nr. 13, Abb. 268; freundl. Auskunft U. Bauer-Eberhardt). Die Vergleiche zu römischen Handschriften legen eine Lokalisierung der Handschrift dorthin nahe, zumal bereits Garrison darauf hinwies, dass gerade römischen Handschriften, wohl aufgrund der hohen Nachfrage, eine gewisse Sorgfalt vermissen lassen (Garrison Italian painting, Bd. 1, 23f.). Ein Vorgehen, das insbesondere in der 2. Hälfte der Wolfenbütteler Handschrift deutlich zutage tritt.

Wolfenbüttel Weiss., Nr. 4085 (Heinemann Nr.). — H. Barré, Les homéliaires carolingiens de l'ecole d'auxerre. Authenticité, inventaire, tableau comparatifs, initia, Rom/Vatikan 1962, 36 Anm. 12, 63. — Butzmann Weißenburg, 80–86. — Krämer, Bd. 1,1.2, 824. — Hoffmann Italienische Handschriften, 66. — Hoffmann Schreibschulen Südwesten, 319.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bauer-Eberhardt, Ill. Hss. italienischer Herkunft 1 U. Bauer-Eberhardt, Die illuminierten Handschriften italienischer Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek. Teil 1: vom 10. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, 2 Bde., Wiesbaden 2011 (Katalog der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek in München 6. Die illuminierten Handschriften italienischer Herkunft Teil 1)
Butzmann Weißenburg H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10)
CALMA C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999–
Garrison Italian painting E. Garrison, Studies in the history of medieval Italian painting, Bd. 1–4, Florenz 1953–1962, ND London 1993
Hoffmann Italienische Handschriften H. Hoffmann, Italienische Handschriften in Deutschland, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Jahrg. 65, Heft 1 (2009), 29-82
Hoffmann Schreibschulen Südwesten H. Hoffmann, Schreibschulen des 10. und 11. Jahrhunderts im Südwesten des Deutschen Reichs, 2 Bde., Hannover 2004 (MGH Schriften 53)
Krämer S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1)
Wiener Liste Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6)
Wolfenbüttel Weiss. Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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