Psalterium (Bernward-Psalter)
Hildesheim — 1000–1020
Provenienz: Die vermutlich auf Bischof Bernward von Hildesheim ausgerichtete Handschrift (vgl. Besonderheiten in den Bußpsalmen und der Heiligenlitanei) wurde nachträglich für den Gebrauch an das monastische Umfeld im Benediktinerkloster St. Michael in Hildesheim angepasst (vgl. Fürbittenformel der Litanei; Presulis Bernwardi (Ende 15./Anfang 16. Jh.). Der Hildesheimer Abt Johannes VI. Jacke (1614–1668) nannte Bernward 1615 im Zuge der Neubindung der Handschrift als Schreiber, vgl. 3v (Papier) Psalterium scriptum manibus sancti Bernwardi (vgl. Einband). Einem schriftlich überlieferten Exlibris zufolge, befand sich der Psalter im 17./18. Jh. im Besitz des Freiherren Dietrich Otto von Korff gen. Schmising zu Tatenhausen ( , Inventare der nichtstaatlichen Archive des Kreises Borken, hrsg. von der historischen Kommission der Provinz Westfalen, Münster 1901, Bd. 1, 100/156; , Handschriftenschätze westfälischer Bibliotheken, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Bd. 26 (1909), 338–359, 351). Schmising war ab 1669 Domherr zu Münster und seine Anwesenheit ist für das Jahr 1674 in Hildesheim belegt, wo er 1676 in das Kapitel aufgenommen wurde. Vermutlich aufgrund der engen Verbindungen Schmisings zum Haus Landsberg-Velen gelangte der Psalter in dessen Besitz, vermutlich über Theodor Franz Josef von Landsberg (1659–1727), der seine schulische Ausbildung ebenfalls in Hildesheim absolvierte. Der Psalter ist seit der ersten Registrierung des Landsbergischen Gesamtarchivs im 19. Jh. dort im Besitz des Adelshauses verzeichnet. 2007 wurde der Psalter von der Herzog August Bibliothek erworben. Miteigentümer ist die Ernst von Siemens-Kunststiftung.
, Nr. 17 [M. Müller]). Spätere Nachträge unterstreichen diese Bindung an Bischof Bernward (vgl. Kolophone), sowie auf 4r am Ende der Titelzeile der Zusatz des Michaeliskonventualen Henning RosePergament — 138 Bl. — 25,5 × 21,5 cm
Lagen: I+1 (3). IV-1 (10).3 IV-1 (34). IV-1 (41). 4 IV (73). IV-1 (80). 6 IV (128). I (130). IV-2 (136). III-1 (141). IV+1 (150). Die erste und die letzte Lage Papier (17. Jh.) in der Lagenformel berücksichtigt. Zwischen Bl. 4 und 5, Bl. 37 und 38 sowie nach Bl. 73 (den wesentlichen Gliederungsstellen zu Ps 1, 51 und 101 des Psalters) Blattverluste (ausführliche Besprechung des Buchblocks bei 5r–37v Z. 17, 38r–73r, 74r–128v, 131r–139v). Ergänzungen, Nachträge und Korrekturen von mehreren, etwas späteren Händen: Hand B: 4r–v, 37v Z. 18–22, 129r–130r Z. 15, Marginalglossen: 22v, 28v, 74v, 99v und 106v (um 1038); Hand C: 130r Z. 16–130v (Mitte 11. Jh.); Hand D: Marginalglossen: 5r–7v, 9r–11r, 12r, 14r–15v, 16v–20v, 22r–v, 23v, 24r, 25v, 27v, 28v, 29r, 30r, 31r–32r, 33r–35r, 36r, 37r, 38r–v, 39v–41r, 42r–45r, 46r, 47v, 49v, 51r, 52r, 53r, 54r–v, 55v, 58v–59r, 60r, 60v–62v, 63v–64v, 66v, 67v–68r, 69r, 70r–73r, 74v, 75v, 77r, 79r, 81r, 83r–v, 84v–85v, 97v (Mitte 11. Jh.); Hand E: 140r (zwischen 1014 und 1022); Hand F: 26r Z. 1 und 7, 58r Z. 8 und 10, 70r Z. 10; Hand G: 73v (Ende 12. Jh.); Hand h: 75v Z. 20, 125r Z. 3 (13. Jh.); Hand I: 140v (1. Drittel/1. Hälfte 12. Jh.). Zusammenstellung der Hände vgl. , 36, 37; Textbeispiele der Schreiber vgl. , Abb. 4–6. Zum Schräg-ovalen Stil in Regensburg und Hildesheim vgl. , 34f.; , 162; , Bd. 1, 276–285; , Bd. 1, 285–289, 297f. ( ). Besondere Parallelen finden sich, nach M. Müller, in einem Regensburger Sakramentar- und einem Missale-Fragment (München, BSB, Cgm 839, vorderes Vorsatzblatt; , 293 und Cod. Guelf. 9.7 Aug. 4°) sowie einem Evangelistar aus Stuttgart (Stuttgart, WLB, Cod. bibl. 4° 11, Regensburg /Salzburg, um 1000; , Nr. 39, Abb. 134–138) und insbesondere im Sakramentar Heinrichs II. (München, BSB, Clm 4456 (Sakramentar Heinrichs II.), Regensburg, zwischen 1002 und 1014; , Nr. 9, Abb. II-III, 10–17; Zusammenstellung vgl. , 57f.). Zu Beginn der Psalmen entweder Zierinitialen oder rubrizierte Initial- oder Satzmajuskeln mit silberfarbenen Binnengründen. Die ersten Worte jedes Psalms der Dekaden, anliegend an die Initiale, in Capitalis Quadrata, ausgeführt in Silbertinte. Zu Beginn der restlichen Psalmen die Worte Psalmus David in Capitalis Rustica rubriziert, anschließend der erste Vers in Tintenfarbe, ebenfalls in Capitalis Rustica. Am Textrand Interpunktionszeichen in Form von roten Kreuzen, nachgetragene Positurae und Neumen (zu den nachgetragenen Zeichen ausführlich , 208–220).
, 20ff.). Moderne Tintenfoliierung. Schriftraum: 21,5 × 15,5 cm, einspaltig, 23 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Die Handschrift wurde hauptsächlich von dem Regensburger Diakon Guntbald im sogenannten schräg-ovalen Stil geschrieben (Hand A:Neuer Einband von 1936 (Buchbinderei Dürselen Münster); Pappdeckel mit hellbraunem Leder überzogen und rautenförmiger Verzierung in Blindprägung. Im Aussehen sollte dieser vermutlich dem vorherigen, frühneuzeitlichem ähneln, welchen die Handschrift 1615 noch in Hildesheim erhielt. Ein Vermerk des Abtes Johannes Jacke von St. Michael (1614–1668) vermerkte den konservatorischen Vorgang auf einem neu vorgeheftetem Vorblatt, 3v Psalterium scriptum manibus sancti Bernwardi et fratre Johanne abbate de novo compactum et restauratum, 2° maij 1615. Vermutlich handelte es sich bei diesem um einen Holzdeckeleinband überzogen mit weißem, rollen- und stempelgeprägten Schweinsleder, wie er für zahlreiche andere Hildesheimer Prachtbände belegt ist (vgl. Hildesheim, Domschatz, Nr. 33 (Guntbald-Evangeliar) und Hildesheim, Domschatz, Nr. 61 (Bernward-Bibel)).
INHALT
Psalterium. (4r–v) Orationes. (5r–110v) Psalmen. (110v–119r) Cantica. (119r–120r) Te Deum laudamus. (120r–121v) Fides catholica Athanasii episcopi. (121v–122r) Oratio dominica. (122r) Symbolum apostolorum. (122v) Angelica Laus (zu den Texten vgl. , 140–146). (122v–125r) Bußoffizium (zu den Texten: , The Seven Penitential Psalms. Their Designation and Usages from the Middle Ages onwards, in: Ecclesia Orans, Bd. 17 (2000), 153–201, hier 196–199; , 177–201). (125r–128v) Allerheiligenlitanei ( , 39–41). (129r) ›A periculo mortis libera nos domine‹. (129v–130v) Orationes (ähnlich: 101, Sp. 596D-597B). (131r–136v) Offizien (zu den Texten vgl. , 41–42). (137r–139v) De sancta Trinitate (unvollständig, zu den Lectiones vgl. , 42–43). Nachgetragene Texte: 4v, 5r–7v, 9r–12r, 14r–15v, 16v–20v, 22r–v, 25v, 27v, 28v–29r, 30r, 31r–32r, 33r–35r, 36r, 37r, 38r–v, 39v–41r, 42r–45r, 46r, 47v, 49v, 51r, 52r, 53r, 54r–v, 55v, 58v–59r, 60r–62v, 63v–64v, 66v, 67v, 68r, 69r, 70r–73r, 74v, 75v, 77r, 79r, 81r, 83r–v, 84v–85v, 97v, 99v, 106v, 130r Marginalglossen (Mitte 11. Jh.). 73v Rätseltext (anonym - Ende 12. Jh.; Druck: , 44). 140r oberer Blattrand Federprobe; Psalmenvorrede, Origo prophetiae David (Nachtrag, um 1022; 414; , 203–204); 140v Mariengebete (Nachtrag, um 1140; Druck: , 44, 45, 207, 208); untere Blatthälfte Kolophon (Ende 14. Jh.; Druck: , 45). 141r Reliquien- und Schatzverzeichnis (Mitte 12. Jh.; Druck: , 47–48); Kolophon (erste Hälfte 15. Jh.; Druck: , 45).
AUSSTATTUNG
14 Zierinitialen.Zierinitialen: Zu den Dekadenstellen des Psalters bei den Psalmen 11 (9v), 21 (15v), 31 (22r), 41 (31r), 61 (43r), 71 (51r), 81 (60v), 91 (68r), 111 (85v), 121 (96v), 131 (99v) und 141 (105v), zum Canticum Esaiae Prophete (110v) und zum Osteroffizium (131r) randständige Spaltleisteninitialen (4–7,5 × 3,8–4 cm). Die Initialen mit goldfarbenen Buchstabenkörpern und farbig hinterlegten Binnenfeldern. Die Initialstämme teilweise farbig (15v, 22r) oder mit Minium (9v, 96v) gefüllt und durch Spangen geklammert, selten mit Knospenansätzen (vgl. 105v); die Enden gelegentlich als Rankenverlauf (60v) oder mit Profilpalmette (31r). In den Binnenfeldern aus dem Initialstamm und den Spangen entspringend eng spiralförmig verlaufende Ranken mit windmühlartig angeordneten, kurzen Trieben. Die Zweigstellen durch einfach genagelte Spangen gegegliedert. Als Endmotive der Ranken und der angefügten Rankentriebe dreiteilige, mittig zugespitze Blätter oder Knollen, teils gekernte Trifolien (9v, 85v, 99v, 131r) und Herzblätter (105v).
Farben: Initialen mit reichem Goldauftrag und mit Menningkontur umfasst. Rankenverläufe überwiegend in Silber (Silbertusche), teils aber auch in Gold (Goldtusche, vgl. 43r). Die Spangen des Initialkörpers in Silber und der Ranken in Gold gehalten. Das Silber der Spangen und Ranken oxidiert. Die Binnenfelder der Initialen grün (Kupfergrünpigment) und blau (Lapislazuliblau) hinterlegt (genauere Farb- und Malanalyse der Hildesheimer Bernwardhandschriften vgl. ).
STIL UND EINORDNUNG
Die Verbundenheit des vorliegenden Psalterium gallicanum non feriatum mit dem Hildesheimer Michaeliskoster und mit der Person Bischof Bernwards (amt. 993–1022) ist durch Einträge belegt (vgl. Provenienz). Die Patrone des Hildesheimer Domes und St. Michaels sind in der Litanei des Psalters aufgenommen; des weiteren auch Heilige aus dem süddeutschen Raum, wie Regensburg und der Reichenau - eine Verbindung, die sich auch paläographisch bestätigen lässt. Die im Psalter vorliegende Schrift des Regensburger/Hildesheimer Diakons Guntbald (s.o.) im schräg-ovalen Stil, die Bernhard Bischoff als Charateristikum des Skriptoriums St. Emmeram in Regensburg seit dem 1. Jahrzehnt des 11. Jh. ansieht, verbindet die Wolfenbütteler Handschrift mit 3 weiteren Codices (Hildesheim, Domschatz, Nr. 19 (Guntbald-Sakramentar), Hildesheim, um 1014; Hildesheim, Domschatz, Nr. 33 (Guntbald-Evangeliar), Hildesheim, 1011 und Nürnberg, GNM, Cod. 29770 (Guntbald-Perikopenbuch), Hildesheim, 1010; zu den Guntbald-Handschriften vgl. , 216, 233; , Bd. 1, 285–289 [ ]; , Nr. 14, 15, 16, 17 [M. Müller]; , hier andere Entstehungsreihenfolge: Evangelistar, Sakramentar, Perikopenbuch und Psalter). Monika Müller konnte nachweisen, dass der wohl urpsrünglich für Bischof Bernward bestimmte Psalter durch Änderungen im Wortlaut des Dedikationsgebetes (4rv) und Abänderungen der Fürbittenformel in der Litanei um das Jahr 1038 dem monastischen Kontext angepasst und für den allgemeinen Gebrauch im Michaelskloster eingerichtet wurde ( , 316). Strichförmige Vortragszeichen im gesamten Text des Psalters unterstreichen seine Nutzung in diesem Umfeld. Der von Guntbald geschriebene, unvollständig gebliebene Text der Homelie des Stundenoffiziums zur Ehre der Trinität (137r–139v) sowie das Fehlen zeitgleicher Neumen veranlasste Müller zu der Annahme, dass es sich beim Wolfenbütteler Psalter um die letzte der vier erhaltenen Guntbaldhandschriften handelt ( , 316). Die an den Dekadenstellen der Handschrift eingefügten Initialen bilden den einzigen Buchschmuck. Blattverluste an den zentralen Stellen des Palters (zu Ps 1, Ps, 51 und Ps 101, s.o.) lassen vermuten, dass hier ursprünglich vorhandene Zierseiten entfernt wurden (vermutlich Initialzierseiten). Ranken- und Besatzdetails der Spaltleisteninitialen haben, wie auch die Schrift, ihre Entsprechungen in den Guntbald-Handschriften (Detailvergleiche bei , 106). Die äußerst homogen gearbeiteten Ranken/Initialen lassen kaum eine Stilentwicklung erkennen und geben kaum Auskunft über die Entstehungsreihenfolge der Handschriften. M. Exner bemerkte im Sakramentar eine etwas lockerere und freiere Gestaltung der Rankenverschlingungen als im Evangelistar und datiert ersteres nach dem zweiten ( , 69). Die bisherigen Datierungen (s.o.) erfolgten auf textlichen Grundlagen. Berührungspunkte zur Regensburger Buchmalerei finden sich in München, BSB, Clm 4456 (Sakramentar Heinrichs II.), 33v, Regensburg, zwischen 1002 und 1014 ( , Nr. 9, Abb. II-III, 10–17). Äußerst ähnlich arbeitet eine Regensburger Hand in Lucca, SB, Ms. 1275 (Lucceser Sakramentar), Fulda mit Beteiligung Regensburger Schreiber, 2. Hälfte 10. Jh. ( , 224–232)., 235, 238. — , 85. — , Bd.1, 297f., 285–289 ( ) — , 216. — , 185f. — , 97. — . — . — , 188f., 200. — . — , Legitimation durch Tradition. Die Buchkunst der Ottonen und Erzbischof Egbert von Trier (977–993), in: , (Hg.), Kunst und Kultur in ottonischer Zeit, Regensburg 2013, 198 Anm. 50. — , 62. — , 139.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).