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Beschreibung von Cod. Guelf. 116 Gud. lat.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Calcidius, Übersetzung von Platons Timaios mit Kommentar

Essen, Kanonissenstift — 11. Jh., 3. Viertel

Provenienz: 1r Liber … pa … . Tollenti maledictio, servanti benedictio. Si quis abstulerit folium vel curtaverit anathem [!] sit (sehr ähnlicher Eintrag auch in 320 Gud. lat.; ohne Besitzangabe). Die Inschrift datiert etwas später als der Text (12./13. Jh.) und ist zum Teil durch Reagenzien des 19. Jh. zerstört (vgl. Wolfenbüttel Gud., Nr. 4420.). Dieselbe Inschrift befindet sich auch in der Essener Handschrift 149 Extrav., 30v; dort ist sie vollständig erhalten und lautet Liber sancte Marie et sancti Liborii in Patherburnen. Tollenti maledictio servanti benedictio. Si quis abstulerit vel curtaverit folium anathema sit. Für beide Handschriften gilt somit, dass sie sich im 12. /13. Jh. im Besitz der Paderborner Dombibliothek befunden haben (der Besitzvermerk wurde auch für die Benediktinerinnenabtei von Liesborn in Anspruch genommen; vgl. Schmieder Liesborn, 62). Von gleicher Hand auf 1v Plato cum calcidio. Ob es sich bei der Handschrift um den vom Jesuiten Johannes Gamans um 1640 beschriebenen Platon-Codex gehandelt hat, den ein gewisser Imad der Paderborner Dombibliothek schenkte, ist nicht gesichert (Bodarwé Sanctimoniales litteratae, 153 Anm. 341; K. Honselmann, Aus der Blütezeit der Paderborner Domschule, in: Von der Domschule zum Gymnasium Theodorianum in Paderborn, Paderborn 1962, 49–64, hier 50 Anm. 4). Der Codex wurde nachweislich von Bernhard Rottendorff (1594–1671) in der Benediktinerabtei Liesborn erworben (Lehmann Erforschung des Mittelalters, 125f.; Schmieder Liesborn, 62f.) und gelangte über ihn in die Sammlung Gude (vgl. Carmassi From the codex to the libraries, 272).

Pergament — 90 Bl. — 27 × 19,5 cm

Lagen: 5 IV (40). VI-3 (45). 5 IV (85). IV-3 (90). Vorsatzblätter Papier. Bl. 57–90 untere Blattränder mit Feuchtigkeitsschaden; Bl. 64–88 untere Blattränder vermodert (Blatt- und Schriftverlust). Buchblock stark beschnitten (Verlust von Glossen und Nachträgen). Schriftraum: 22 × 14 cm, einspaltig, 32 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Händescheidung (nach Hoffmann Schreibschulen, 67): Hand A: 1v Z. 2–4, 1v Z. 56r, 7r9r, 9v Z. 527r Z. 13, 36r Z. 20–37r Z. 25 und Z. 28, 40v, 82v Z. 3184r Z. 13. Hand B: 1v Z. 4-Z. 5. Hand C: 6v. Hand D: 9v. Hand E: 27r Z. 1332r; 32v Z. 933r Z. 6; 33r Z. 934r Z. 26; 34v–36r Z. 19; 46r49v; 50r Z. 1153v; 65v–66v Z. 2. Hand F: 32v Z. 1–9. Hand G: 33r Z. 6–9. Hand H: 34r Z. 27–32. Hand I: 36r Z. 19–20. Hand J: 37r Z. 25–28. Hand K: 41r–42r Z. 4; 42r Z. 17–20; 42r Z. 22–42v Z.24; 42v Z. 2644r Z. 29; 44r Z. 3145r Z. 5; 45r Z. 1245v; 86r88r; 88v Z. 3–90r. Hand L: 42r Z. 4-17. Hand M: 42r Z. 20–22; 44r Z. 29–30. Hand N: 42v Z. 24–26. Hand O: 45r Z. 6–11. Hand P: 50r Z. 1–11. Hand Q: 54r–58v Z. 28 (?); 58v Z. 3264r Z. 23; 64v Z. 1065r; 66v Z. 269v Z. 23; 69v Z. 27–71r Z. 23; 71r Z. 2777v Z. 17; 78r–82v Z. 31; 84r Z. 13–85v. Hand R: 58v Z. 29 (?)-32. Hand S: 64r Z. 24–64v Z. 10. Hand T: 69v Z. 24-27. Hand U: 71r Z. 23–27. Hand V: 77v Z. 17–32. Hand W: 88v Z. 1–2. Nach Hoffmann finden sich eine ähnliche Hand zu Hand H im Fragment Kassel, UBLMB, 2° Ms. theol. 165 (hier Hand I). Hand A ist eine ähnliche (identische?) Hand wie Hand H von 54 Gud. lat. (Hoffmann Schreibschulen, 66f.) und Hand M ist identisch mit der Hand B von 149 Extrav. (Hoffmann Schreibschulen 65f.). Beide Wolfenbütteler Vergleichshandschriften sind ebenso wie Gud. lat. 116 im Essener Kanonissenstift im 3. Viertel des 11. Jh. entstanden. Zur Händescheidung vgl. auch Bodarwé Sanctimoniales litteratae, 152f. Anm. 338. Zu den Kapiteln 3zeilige, rubrizierte, schmucklose Initialen, die Buchstaben des anschließenden Textbeginns mit roten Begleitstrichen. Lombarden, marginale Einträge, Ergänzungen und Diagramme, inkl. Bezeichnungen wurden zum Teil nachgetragen. 50r altsächsische Glosse (Hoffmann Schreibschulen, 67.).

Roter Pappeinband, beklebt mit einem spätmittelalterlichen Missalefragment (16. Jh.). Blaugesprenkelter Schnitt. Bindebänder. Ähnlicher Einband bei 51 Gud. lat.

INHALT

1r9v Calcidius: Übersetzung von Platons Timaeus cap. 1–23 (Teil II fehlt). 9v90r Calcidius: Kommentar zu Platons Timaeus Unvollständig, endet in cap. 330 (Edition der Übersetzung und des Kommentars: Magee Platon/Calcidius).

AUSSTATTUNG

Diagramme.

Diagramme (in den Text eingefügt, ungerahmt):

Calcidius, Kommentar zu Platons Timaeus:

11r Cap. 1,9, De genitura mundi. Arithmetik des Zweidimensionalen (Flächenverbindungen in der Arithmetik - Darlegung einer flächenhaften Verbindung). Zwei Diagramme mit jeweils drei Rechtecken, die durch eine fortlaufende Linie miteinander verbunden sind. Die Felder beinhalten im linken Diagramm die Zahlen vi, xii und xxiiii und im rechten Diagramm dieselben Zahlen aufgegliedert in ein Vielfaches der Ziffer i, entspricht iii / iii, iiii / iiii / iiii und iiiiii / iiiiii / iiiiii / iiiiii. Die Zahlen beziehen sich auf den vorausgehenden Satz: Sunt linea duodecim ut vides (es sind 12 Linien, wie du siehst), der die 12 Linien jedes Diagramms beschreibt. An den Seiten der äußeren Felder des linken Diagramms die Zahlen ii und iii (links) sowie iiii und vi (rechts). Sie erläutern die Zweidimensionalität des Diagramms. Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 39f., Abb. 1, 2. Text: Magee Platon/Calcidius, 134f., Diagr. 1. 10 × 2 cm.

11v Cap. 11 et 12, De genitura mundi. Geometrie des Zweidimensionalen (Flächenverbindungen in der Geometrie - gleiche Vierecke und gleiche Dreiecke). Obere Blatthälfte: Drei im rechten Winkel aneinander gefügte Quadrate. Untere Blatthälfte: Drei aneinander gefügte Dreiecke. Bei beiden Diagrammen sind Eck- und Schnittpunkte mit griechischen Buchstaben markiert. Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 42f., Abb. 2–5, Farbabb. 1. Text: Magee Platon/Calcidius, 136ff., Diagr. 2 und 3. Oben: 3,1 × 3,4 cm; unten: 4 × 4 cm.

12v Cap. 14, De genitura mundi. Arithmetik des Dreidimensionalen (die Beschaffenheit von festen Körpern in der Arithmetik). Beigefügte Überschrift: Descriptio solidarum figurarum cum numeris iuxta arithmeticam disciplinam). Vier kubische Formen (Würfel), denen Zahlen zugeordnet sind. Die jeweils rechte Seite des Kubus zeigt das jeweilige Produkt (xxiiii, xlviii, xcvi und cxcii). Die linke, die obere und die vordere Seite zeigen jeweils die Faktoren des Produktes (Beispiel o.l.: ii, iii und iiii). Die auf der unteren Fläche angegebene Zahl ist der Flächeninhalt (Beispiel: vi als Produkt der Faktoren ii und iii). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 44f., Abb. 3, 6 7. Text: Magee Platon/Calcidius, 140f., Diagr. 4. Gesamt: 7,3 × 7,4 cm, ein Würfel: 3,2 × 3,2 cm.

13r Cap. 16, De genitura mundi. Arithmetik des Dreidimensionalen. Arithmetische Verknüpfung von Körpern (Verbindungen, die durch proportionale Verhältnisse hergestellt werden, ergeben nicht immer ein zusammenhängendes Ganzes). Drei nach oben geöffnete Halbkreise (Bogenformen). Entlang des linken Bogens die Inschrift: Continuum competens in tribus finibus (das Fortlaufende, an drei Enden Zusammentreffende). Aufgeteilt auf die Innenflächen der beiden andern Halbkreise die Inschrift Distans competens in quator finibus. Die Enden des ersten Bogens belegt mit den Zahlen ii und viii. Am oberen Ende der hier eingefügten Mittelsenkrechten die Zahl (Mittelgröße) iiii (durch die Angabe der Mittelgröße 4 wird eine Verbindung der äußeren Punkte 8 und 2 geschaffen). Die Enden der anderen beiden Bögen belegt mit den Zahlen viii/iiii und vi/iii (hier befindet sich keine Mittelgröße - kein zusammenhängendes Ganzes; zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 47f., Abb. 8, 9). Text: Magee Platon/Calcidius, 142f., Diagr. 5. Gesamt: 3,6 × 12,2 cm; ein Halbkreis 3,6 cm.

13r Cap. 18, De genitura mundi. Geometrie des Dreidimensionalen. Struktur des Körpers in seinen Einzelteilen. In zwei Reihen angeordnet jeweils vier Würfelflächen. Die Ecken belegt mit griechischen Buchstaben. Die Flächen tragen Bezeichnungen, die auf ihre Platzierung im Gesamtkörper hinweisen. So ist z.B. die Würfelfläche o.l. als plana superficies (Oberfläche) bezeichnet. Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 46f., Abb. 9. Text: Waszink Platon/Calcidius 18, 68,23–71,9. 3,7 × 12 cm; eine Würfelfläche: 1,5 × 1,5 cm.

17r Cap. 33, De ortu animae. Bestandteile der Weltseele (forma triangularis). Ein Dreieck mit an beiden Seiten jeweils flankierend drei Stufen. Oben abschließend ein weiteres kleines Feld. Die seitlichen Stufen bez. mit den Zahlen ii, iiii und viii; rechts iii, viiii und xxvii (Potenzfolgen). Das obere Feld mit der Zahl i. Text: Ista ergo descriptio quae partium ex quibus anima constare dicitur genituram seu coagmentationem deliniat, ostendit rationem animae corporisque coniugii (diese Zeichnung also, die die Hervorbringung oder Verbindung der Teile, aus denen die Seele dem Vernehmen nach besteht, im Umriss zeichnet, zeigt die Regelhaftigkeit der engen Verbindung von Seele und Körper). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 51f., Abb. 11–13, 14 (diese. Hs.), Farbabb. 2. Text: Magee Platon/Calcidius, Kap. 33, 47, 95, 170f., 196f., 282f., Diagr. 7. 5,7 × 6,2 cm.

19v Cap. 41 et 47, De modulatione sive harmonia. Dreieckig angelegter Stufenturm mit zwei Zahlenabfolgen. Vgl. 17r. Text: Magee Platon/Calcidius, 184f., 196f., Diagr. 8. 6,5 × 5,6 cm.

22r Cap. 48, De numeris. Pyramide mit Zahlenabfolgen. Auf der Spitze ein Kreuz. Vgl. 17r. Text: Magee Platon/Calcidius, Kap. 48, 198f., Diagr. 9. Inkl. Kreuz: 6,4 × 10 cm.

26r Cap. 62, De stellis ratis et errantibus. Nachweis der Erdkrümmung. Sphärische Form des Meeres. Ein auf der Spitze stehendes Dreieck. Über der Basis ein Kreisbogen. Im Dreieck eine mittlere Senkrechte. Eck-, Kreuz und Scheitelpunkt bez. mit griechischen Buchstaben. Die Spitze des Dreiecks (bez. K) gilt als tiefergelegener Erdpunkt, die Basis des Dreiecks als flacher Meeresspiegel. Der gerade Blick von K zum Meeresspiegel ist der kürzeste, erst seine Verlängerung bis zum Scheitel des Kreisbogens (bez. H) gibt ihm die gleiche Länge, wie die Seiten des Dreiecks sie besitzen. Füllt man die Konstruktion gedanklich mit Wasser, wird dieses zum tiefsten Punkt streben und sich sodann gleichmäßig in die Form ergießen. So wird der Wasserpegel bis zum Punkt H anwachsen (vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 76). Text: Ex quo perspicuum est marinam quoque et totius aquae superficiem globosam esse, siquidem una eademque sit ratio uniuersitatis et partium. (Daraus geht hervor, dass auch das Meer und die Oberfläche allen Wassers kugelförmig sind, da das System des Universums und seiner Teile ein und dasselbe ist). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 75f., Abb. 26. Magee Platon/Calcidius, 220f., Diagr. 10. 9,8 × 4,9 cm.

27v Cap. 67, De stellis ratis et errantibus. Ordnung der äußersten, fixsterntragende Himmelssphäre. Kreis mit 6 horizontalen Zonen, einer teilenden Senkrechten, deren Enden jeweils mit Polus bez. sind. Bezeichnungen der Zonen: australis (Südhälfte), Tropicus brumalis (Wintersonnenwende) und Tropicus aestiuus (Sommersonnenwende). Innerhalb der mittleren beiden Zonen schräg verlaufend der Tierkreis, bez. Zodiakus. Der äußere Rand bez. mit orizo[nta] limi[tans] (begrenzender Horizont). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 78, Abb. 27, 28. Text: Magee Platon/Calcidius, 228f., Diagr. 11. 7,0 cm.

29r Cap. 73, De stellis ratis et errantibus. Anordnung der Wandelsterne. Kreis mit 8 Bahnen und Mittelpunkt. Die Bahnen werden durch drei Diagonalen in 6 Felder geteilt. Bezeichnungen (zum Teil durch Abrieb unleserlich): Äußerer Rand: Magnitudo. 1. Feld (oben): äußerer Rand i. Aplanes; Zonen: ii. Solis, iii. Lunae, iiii. Veneris, v. Iovis, vi. Saturni, vii. Mercurii. 2. Feld (u.l.), Zonen: i. Aplanes, ii. Saturni, iii. Iovis, iiii. Martis v. Mercurii vi. Veneris vii. Solis, viii. Lunae. 3. Feld., äußerer Rand: Aplanes maxima; Zonen: Saturni minima, Iovis penultima, Martis iiii., Mercurii tertia, Veneris tertia aequalis, Solis tertia aequalis, Lunae secunda. Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 80f., Abb. 29. Text: Magee Platon/Calcidius, 238, Diagr. 12. 7,5 cm.

30v Cap. 78, De stellis ratis et errantibus. Sonnenbahn. Kreis mit innerem Kreis und außen verlaufender, 12fach unterteilter Bahn. Ausgehend vom inneren Kreis eine mittlere Senkrechte und eine mittlere Waagerechte, mit denen der Kreis in vier Viertel geteilt wird. Bezeichnungen: In den 12 Feldern der äußeren Bahn die ersten Buchstaben der Tierkreiszeichen. In der Mitte des inneren Kreises Θ (im Text als Erde erklärt). In den vier Kreisfeldern die Benennung Anzahl der Tage in der jeweiligen Jahreszeit: XCIIII. S. (Frühjahr) XC ς. (Winter), LXXXVIII ς. (Herbst) und XCII S. (Sommer). Dort, wo die Senkrechte und die Waagerechte den Tierkreis treffen, die griechischen Buchstaben v.o. im Uhrzeigersinn: A, Δ, Γ und B (A/Γ Tag-und-Nacht-Gleiche sowie B/Δ Wendepunkte zu Sommer- und Winterbeginn). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 82f., Abb. 30. Text: Magee Platon/Calcidius, 246f., Diagr. 13. 8,5 cm.

31r Cap. 79, De stellis ratis et errantibus. Die exzentrische Sonnenbahn. Äußerer Kreis mit konzentrischem Innenkreis. Eine mittlere Senkrechte, die bis an den äußeren Kreis führt, eine mittlere Waagerechte die bis an den inneren Kreis führt. Der Mittelpunkt beider Kreise bez. mit M, die Schnittpunkte des inneren Kreises mit den Geraden bez. mit: E/A,Δ/K, H/Γ und B/Z (innerer Kreis = die Sonnenbahn). Unterhalb des Mittelpunkts, auf der mittleren Senkrechten die Bez. Θ (Erdmittelpunkt). Die Pole der mittleren Senkrechten bez. mit N (oben) und ς (unten). Analog zu 30v in den vier Kreisfeldern die Benennung Anzahl der Tage in der jeweiligen Jahreszeit. Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 84f., Abb. 31, 32. Text: Magee Platon/Calcidius, 248f., Diagr. 14. 7,1 cm.

32r Cap. 81, De stellis ratis et errantibus. Epizykel-Modell. Äußerer Kreis mit konzentrischem Innenkreis, der Kreismittelpunkt zusätzlich von zwei kleinen Kreisen umgeben. Die Kreise werden durch eine mittlere Senkrechte und eine mittlere Waagerechte durchschnitten. Die Schnittstellen der Geraden mit dem inneren Kreis markieren die Mittelpunkte von vier weiteren Kreisen, deren Mittelpunkte im Uhrzeigersinn bez. mit M, M (darunter korrigiert mit Ξ), M (darunter korrigiert mit N) und O. Dort, wo die Senkrechte und die Waagerechte den äußeren Kreis (Tierkreis) treffen, die griechischen Buchstaben im Uhrzeigersinn: A, Δ, Γ und B. Die Schnittstellen der kleinen Kreise mit den Geraden und dem inneren Kreis bez. mit E, K, H und Z (im Uhrzeigersinn). Der oberste kleine Kreis (solstitialis circulus) flankiert von zwei weiteren Geraden. Auf dem kleinen Kreis (im Text bez. als Epizykel) verläuft die Sonne von West nach Ost (von E nach K usw.). Der Kreis selbst wird auf der inneren Kreisbahn entgegengesetzt von Ost nach West bewegt. Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 86f., Abb. 33, 34. Text: Magee Platon/Calcidius, 254f., Diagr. 15. 8,1 cm. Abb. 66.

33r Cap. 85, De stellis ratis et errantibus. Richtungswechsel in den Planetenbewegungen. Äußerer Kreis mit einer mittleren Senkrechten. Auf dieser ein etwas nach oben versetzter Erdmittelpunkt (bez. Θ). Von diesem weg führen zwei Diagonalen bis zum Kreisrand. die Schnittpunkte der Geraden mit dem Kreis bez. mit A, Δ, Γ und B. Auf dem oberen Abschnitt der mittleren Senkrechten ein Epizykel (bez. analog zu 32r). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 87f., Abb. 35. Text: Magee Platon/Calcidius, 262f., Diagr. 16. 7,9 cm.

34r Cap. 87, De stellis ratis et errantibus. Sonnenfinsternis. Vertikale Achse mit drei Kreisen, von unten nach oben in der Größe zunehmend. Der mittlere bez. mit Luna, der obere mit Sol (Erde, Mond und Sonne). Seitlich des Mondes jeweils die Beschriftung Umbrae (Schattenumriss). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 70f., Abb. 24. Text: Magee Platon/Calcidius, 266f., Diagr. 17. 11,4 × 5,5 cm.

34v. Cap. 89, De stellis ratis et errantibus. Schattenformen. Oben: Zylindrischer Schatten (entsteht, wenn der Licht spendende und der beleuchtete Körper gleich groß sind). Senkrechte Achse mit zwei übereinander folgenden, gleich großen Kreisen (unten Lichtquelle, an den Rändern bez. mit A und B; oben Lichtempfänger, an den Rändern bez. mit Γ und Δ). Beide Kreise mit einer mittleren Waagerechten. Die Kreise werden seitlich von zwei Geraden eingefasst (Schattenränder). 10,4 × 3,8 cm. Unten: Becherförmiger Schatten (entsteht, wenn der beleuchtete Körper größer als die Lichtquelle ist). Gleich angelegtes Diagramm wie oben, nur mit kleinerer Lichtquelle unten (Schattenansätze bei der Lichtquelle bez. mit H und Θ, beim Empfänger mit Γ und Δ). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 71f., Abb. 25. Text: Magee Platon/Calcidius, 270f., Diagr. 18. 10 × 4,2 cm.

35r Cap. 90, De stellis ratis et errantibus. Mondfinsternis. Vertikale Achse mit drei Kreisen. Von unten nach oben in der Größe zunehmend, der untere Luna, der mittlere bez. mit Terra, der obere mit Sol (Mond, Erde und Sonne). Seitliche flankierend zwei Geraden (Schattenwurf). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 72f., Abb. 16. Text: Magee Platon/Calcidius, 272f., Diagr. 19. 13,6 × 4,5 cm.

35v Cap. 92, De stellis ratis et errantibus. Weltseele und Weltkörper. Links: Die Spaltung der Fügungsreihe der Weltseele und die anschließende kreisförmige Verbindung der beiden Teile. Links eine senkrecht stehende Gerade, ein I, mit den bez. Endpunkten a (oben) und B unten (vollständige Fügungsreihe). Rechts davon der Buchstabe Chi, bestehend aus den beiden kreuzförmig übereinander gelegten Teilen der Fügungsreiche. Die Endpunkte bez. mit E, Δ, Z und Γ. Rechts neben den Buchstaben zwei sich überschneidende Kreise - gemäß des Textes, die zum Kreis gekrümmten Geraden des Chi. Beide Teile der Weltseele (beide Kreise) werden von einem dritten Kreis umfangen, dem Weltkörper. Letzterer wird von Calcidius als kugelförmig und begrenzt durch die Fixstern tragende Himmelssphäre beschrieben. Zu den Diagrammen vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 62f., Abb. 16, 22 (diese Handschrift erwähnt), Farbabb. 3. Text: Magee Platon/Calcidius, 276., Diagr. 20. Gesamt: 7,5 × 14,2 cm. Kreis: 7,5 cm. Abb. 65.

39v und 40r Cap. 111, De caelo. Venus (Morgenstern) und Hesperus (Abendstern). 39v ein Kreis mit zwei Bahnen und einem kreisförmigen Zentrum. Unten, in der äußeren Bahn, der Punkt X (Erde und Himmel). Ausgehend von diesem, nach oben führend eine mittlere Senkrechte und zwei flankierende Schrägen. An den Schnittpunkten mit dem äußeren Kreis die Bez. A, B und Γ (Tierkreis). Auf der Hälfte der mittleren Senkrechten die Bez. K (Zentrum der Sonne) und darunter die Bez. E, Z und H für den Epizykel. Die linke Schräge XA zeigt den Verlauf der Venus im Osten und die Schräge XΓ im Westen den Verlauf des Hesperus. 40r Erde, Sonne und Venus zusätzlich als Kreisformen auf der mittleren Geraden markiert. Text: Magee Platon/Calcidius, 304f., Diagr. 22. 7,9 cm /8 × 6,9 cm.

60r Cap. 116, De caelo. Spiralförmige Planetenbewegung am Beispiel der Venus. Kreis, außen umrandet mit den Anfangsbuchstaben der Tierkreiszeichen. Innenliegend eine Bahn, die in der oberen Hälfte zwei zum Mittelpunkt ragende Schrägen aufweist. In dem sich ergebenden Feld eine fadenförmige Spiralform, deren Ende nach links ausschwingt und mit einem Stern (Venus) endet. Text: Magee Platon/Calcidius, 310f., Diagr. 23. 7 cm. Abb. 67.

61r Cap. 96, De stellis ratis et errantibus. Kreisbahnen der Planeten in Bezug zur Weltseele. Ein Kreis mit sieben konzentrischen Bahnen und einem kreisförmigen Mittelpunkt. Letzterer bez. mit Terra. durch den Mittelpunkt teilt eine mittlere Waagerechte den Kreis in zwei Hälften. In der oberen Hälfte sind die Bahnen bez. mit: Saturni, Iovis, Martis, Mercurii, Veneris, Solis, Lunae. In der unteren Hälfte mit den Zahlen: i, ii, iii, iiii, viii, viiii und xxviii (27?) gemäß der forma triangularis (vgl. 17r). Zum Diagramm vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, Abb. 17. Text: Magee Platon/Calcidius, 284f., Diagr. 21. 11 cm.

Farben: Diagramme in roter Federzeichnung; Beschriftung überwiegend tintenfarbig, teilweise rubriziert.

STIL UND EINORDNUNG

Der vorliegende Timaeus-Kommentar des Calcidius wurde von H. Hoffmann paläographisch dem Essener Kanonissenstift zugeordnet und entstand dort wohl im 3. Viertel des 11. Jhs. (Zusammenstellung der Essener Gruppe aus dem Umkreis des Theophanuevangeliars, Essen, Domschatz, Hs. 3, Theophanu-Evangeliar, vgl. 54 Gud. lat.; Hoffmann Skriptorium Essen, 125f; Bodarwé, 145–149 beurteilt diese Zusammenstellung unter kodikologischen Gesichtspunkten kritisch und hält die Schreibschule in Essen um die Mitte des 11. Jh. für fraglich. Die formale Schlichtheit seiner Ausstattung, ohne Initialen und ohne weiteren ornamentalen Schmuck, beruht auf dem Texttypus, der in nahezu allen überlieferten Codices schmucklos gehalten ist. Ein Beispiel des für Essen in der zweiten Hälfte des 11. Jh. typischen Initialstils gibt 54 Gud. lat. Insgesamt liegen aus dem 11. Jh. (1025–1075) 14 Handschriften mit der Timaeus-Übersetzung des Calcidius vor. 11 von ihnen beinhalten zusätzlich seinen Kommentar (Zusammenstellung vgl. Müller Visuelle Weltaneignung, 34 Anm. 20, 36). Beide Texte, Übersetzung und Kommentar, wurden im 11. und 12. für den Unterricht an Dom- und Kathedralschulen verwendet, wie es in diesem Fall für Paderborn zu vermuten ist (s. Provenienz).

Wolfenbüttel Gud., Nr. 4420. — Lehmann Erforschung des Mittelalters, Bd. 4, 125f. — Hoffmann Skriptorium Essen, 127, 129, Abb. 28, 29. — Bodarwé Sanctimoniales litteratae, 152f. — Müller Visuelle Weltaneignung, 34 Anm. 20, 45 Anm. 63, 47 Anm. 69, 58 und Anm. 103, 61 Anm. 116, 63 und Anm. 127 (hier falsche Folioangabe), 77 Anm. 168, 82 Anm. 186. — Hoffmann Schreibschulen, 67f.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bodarwé K. Bodarwé, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg, Münster/Westf. 2004 (Institut für Kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Quellen und Studien 10)
Bodarwé Sanctimoniales litteratae K. Bodarwé, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg, Münster/Westf. 2004 (Institut für Kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Quellen und Studien 10)
Carmassi From the codex to the libraries P. Carmassi, From the codex to the libraries. A Gudianus latinus palimpsest: Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 125 Gud. lat., in: Retter der Antike, Marquard Gude (1635-1689) auf der Suche nach den Klassikern, hrsg. von P. Carmassi, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Forschungen 147), 263-307
Hoffmann Schreibschulen H. Hoffmann, Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts, Hannover 2012 (MGH Schriften 65)
Hoffmann Skriptorium Essen H. Hoffmann, Das Skriptorium von Essen in ottonischer und frühsalischer Zeit, in: Kunst im Zeitalter der Kaiserin Theophanu, Akten des Internationalen Colloquiums veranstaltet vom Schnütgen-Museum, Köln, 13.-15. Juni 1991, hrsg. von A. von Euw, Köln 1993, 113-153
Lehmann Erforschung des Mittelalters P. Lehmann, Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 1–5, Stuttgart 1941–1962
Magee Platon/Calcidius On Plato's Timaeus/Calcidius, Latein-Englisch, hrsg. und übers. von J. Magee, Cambridge/London 2016 (Dumbarton Oaks medieval library 41)
Müller Visuelle Weltaneignung K. Müller, Visuelle Weltaneignung. Astronomische und kosmologische Diagramme in Handschriften des Mittelalters, Göttingen 2008 (Historische Semantik 11)
Schmieder Liesborn S. Schmieder, Quellen zur Geschichte des Klosters Liesborn, Beckum 1968 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Beckum 2)
Waszink Platon/Calcidius Platon/Calcidius, Timaeus, a Calcidio translatus commentarioque instructus, hrsg. von J. H. Waszink, London/Leiden 1962 (Corpus Platonicum Medii Aevi. Plato Latinus, 4)
Wolfenbüttel Gud. Die Gudischen Handschriften, beschrieben von F. Köhler und G. Milchsack, Wolfenbüttel 1913, ND 1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 9)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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