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Beschreibung von Cod. Guelf. 323 Helmst.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Gregorius I papa, Moralia in Iob

Oberitalien — 9. Jh., 1. Hälfte

Provenienz: Die frühe Provenienz des Codex ist unklar. Sein Eintreffen in Niedersachsen > im Zuge einer Pilgerfahrt des sächsischen Herzogs Liudolf und seiner Frau Oda Billung nach Rom 845/46, bleibt Hypothese. Zum Ende des 15. Jh. befand sich die Handschrift nachweislich im Benediktinerinnenkloster St. Maria in Gandersheim (Wernerus Raphon hier 1477 als Stifter der Bibliothek bezeugt, vgl. vorderer Spiegel; Verwendung als Kettenband für den von Raphon als Kettenbibliothek geführten Bestand). Die Codices dieses Konventes gehörten zum Grundbestand der Helmstedter Universitätsbibliothek. Die Handschrift 323 Helmst. wurde 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 6v) erwähnt und als Gregorii Papae Moralium super Iob pars secunda in membrana unter den theologici in folio erwähnt und im Handschriftenverzeichnis von 1797 unter der Nummer 180 vermerkt (BA III, 52). Ausführlich zur Provenienz vgl. Wolfenbüttel Helmst. Lesser.

Pergament — 145 Bl. — 29 × 18 cm

Lagen: 8 IV (63)! IV-1 (70). 3 IV (94). I (96). IV (104). I (106). 2 IV (122). III-2 (125)! 2 IV (141). I (143) Lagenbezeichnungen in römischen Ziffern, mittig auf dem unteren Blattrand am Ende der Lage. Links daneben die Abkürzung qr. Beides häufig verziert mit kleinen Herzblättern (vgl. 78v). Moderne Bleistiftfoliierung. Zählfehler (je eine Blatt nach Bl. 34 und Bl. 125 übersprungen). Vorderer Spiegel (Pergamentstreifen): Wernerus Raphon Instrumentum notarii publici (1440, Einbeck). Hinterer Spiegel: Bertholdus Moller Instrumentum. und Conradus Roeper Testimonium notarii publici. Neben dem Text auf einem Sockel ein Hexamter mit einbeschriebener Blüte (Notarssignet des Conradus Roeper). Zu den Texten, vgl. Wolfenbüttel Helmst. 3 (in Vorb.). Schriftraum: 23–24 × 14 cm, einspaltig, 31–39 Zeilen (nach Händen wechselnd). Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Hand 1: 1r24v, Hand 2: 25r81r, Hand 3: 81r83v, Hand 4: 83v86v und 87v88v, Hand 5: 86v87v und 88v94v, Hand 6: 107r125v, Hand 7: 126r143v, mehrere Schreiber: 81r106v - darunter ein Lupus (106v in Capitalis) DEO GRATIAS EGO LUPUS FECIT[sic] MANIBUS MEIS. Buchtitel und Explicits in Capitalis.

Spätgotischer Holzdeckelband mit dunkelbraunem Kalbslederbezug. Rückenüberzug an Kopf und Schwanz abgerissen. Streicheisenlinien. Einzelstempel Laubstab ohne Astgabel: EBDB 00639. Ornament, Punkte: EBDB s003460. Ornament, Raute: EBDB s009203. Rosette, zwei Blattkränze, fünfblättrig: EBDB s00689. Rosette, ein Blattkranz, sechsblättrig: EBDB s007830. Wirbelfigur, Rosettenwirbel: EBDB s004671. Sämtlich aus der Werkstatt "Johannes Bernardi" in Braunschweig (EBDB w000217). Drei Doppelbünde. Zwei Langriemenschließen, Schließenösen mit Ring für Zugband. An VD und HD je zwei umgreifende, unverzierte umgreifende Eck- und Kantenbeschläge aus Messing, jeweils fünf Schonernägel entfernt. Liber catenatus, nur noch das Loch der Halteöse und Rostspuren auf dem HS erkennbar. Auf dem VD Titelschild (8 × 8 cm, Papier, 15. Jh., Bastarda): Moralia beati Gregorii pape super Iob pars secunda. Analoge Einbandgestaltung wie bei Cod. Guelf. 301 Helmst. und weiteren Bänden, vgl. Lesser/Prinsen, 72f. mit Abb. 34. Angaben zum Einband aus Wolfenbüttel Helmst. Lesser; vgl. auch Lesser/Prinsen, 71–73.

INHALT

1v143v Gregorius I papa: Moralia in Iob. Libri VI-X (CPL 1708; Stegmüller RB 2634; CALMA 4, 418f, Nr. 6; CC SL 143). Zum Text vgl. ausführlich Wolfenbüttel Helmst. Lesser [in Vorb.].

AUSSTATTUNG

Vier Initialen.

Initialen: Zu einigen Textanfängen unkolorierte Initialen in Federzeichnung (1v, 23r, 84r, 101v; 2,7–7,3 cm). Die Buchstabenstämme als gefüllte Hohlbuchstaben. Die Konturlinie des Buchstabenbogens auf 84r nach innen abzweigend und in zwei Profilpalmetten endend. Als Füllmotive werden der gewinkelte Flechtbandknoten, das Stufenband und die vierblättrige Blüte im Schrägkreuz (sämtliche Motive auf 84r, hier die initiale durch Querstriche in Segmente unterteilt) sowie angedeutete Fische mit gedoppelten Trennsegmenten (23r). Im Besatz die Profilpalmette (1v, 84r - mit fadenförmig auslaufender Spitze, 101v - als Cauda) und eine angefügte Perlenkette als oberer Initialabschluss (84r). Die Q-initiale auf 101v als Mönchsgesicht mit Tonsur und Bart.

Farben: Initialen in Tintenfarbe, unkoloriert.

STIL UND EINORDNUNG

Bischoff Katalog 3, 503, Nr. 7328 gibt den Wolfenbütteler Codex nach Oberitalien und datiert ihn in das 1. oder 2. Viertel des 9. Jh. Die Initialornamentik untermauert diese Einordnung. Für Italien (Oberitalien) sprechen unterschiedliche Stilelemente, wie die nach innen aufgerollte Kontur des Buchstabenbogens und die segmentartige Unterteilung des Buchstabenstammes auf 84r (vgl. Stuttgart, WLB, HB XIV 14, 2r, Mailand, 2. Hälfte 9. Jh.; Burkhart Ill. Hss. 1, Nr. 62, Abb. 254) und der nach oben gerade abschließende Initialstamm mit aufgelagerten Reihungen oder Verzierungen (84r, vgl. München, BSB, Clm 6344, 27r, Italien, 3. oder 4. Viertel 9. Jh.; Bierbrauer Ill. Hss., Nr. 267, Abb. 586). Ebenfalls auf den italienischen Raum verweist die auf 101v verwendete Kopfinitiale mit Palmettencauda (vgl. München, BSB, Clm 14008, 140r, 180v Rom, letztes Drittel 9. Jh.; Bierbrauer Ill. Hss., Nr. 268, Abb. 590, 591). Das Füllmotiv des Schrägkreuzes mit Blüte findet sich bereits in spätantiken Handschriften, wie dem Wolfenbütteler Arcerianus (Cod. Guelf. 36.23 Aug. 2° (Burghardsevangeliar), 78v - hier mit Kreis statt Blüte; Nordenfalk Zierbuchstaben, Taf. 38, b und g) und dem Evangeliar (Würzburg, UB, M. p. th. f. 68, 65r, Italien [Kampanien], 2. Hälfte 6. Jh.; Nordenfalk Zierbuchstaben, Taf. 44, b und c). Es ist jedoch auch ein beliebtes Füllmotiv süddeutscher Handschriften des 9. Jh. (u.a. München, BSB, Clm 4564, 1r, Benediktbeuern, um 800; Abb. in Bierbrauer Ornamentik, Taf. 22,10; Bierbrauer Ill. Hss., Nr. 88; Zusammenstellung für das Motiv des Schrägkreuzes mit Blüte, vgl. Bierbrauer Ornamentik, 65).

Wolfenbüttel Helmst., Nr. 358 (Heinemann Nr.). — Härtel Lamspringe, 116. — Bischoff Katalog 3, 503, Nr. 7328. — Lesser Johannes von Brakel, 114. — Wolfenbüttel Helmst. 2, 312–315 (Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).


Abgekürzt zitierte Literatur

Bierbrauer Ill. Hss. Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, 2 Bde., bearbeitet von K. Bierbrauer, Wiesbaden 1990 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 1)
Bierbrauer Ornamentik K. Bierbrauer, Die Ornamentik frühkarolingischer Handschriften aus Bayern, München 1979 (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. NF 48)
Bischoff Katalog 3 B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014
Burkhart Ill. Hss. 1 Die vorromanischen Handschriften in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, beschrieben von P. Burkhart, Wiesbaden 2016 (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek 1)
CALMA C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999–
CC SL Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954–
CPL Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina)
EBDB Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel)
Härtel Lamspringe H. Härtel, Lamspringe. Ein mittelalterliches Skriptorium in einem Benediktinerinnenkloster, in: Kloster und Bildung im Mittelalter, hrsg. von N. Kruppa und J. Wilke, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 218 = Studien zur Germania sacra 28), 115–153
Lesser/Prinsen B. Lesser, F. Prinsen, Gebunden, geheftet, vernäht. Vielfältige Einbände aus Frauenklöstern, in: Rosenkränze und Seelengärten, 71–78
Lesser Johannes von Brakel B. Lesser, Johannes von Brakel – Buchbinder und Schreiber im Benediktinerkloster Clus, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 38 (2014), 77–122
Nordenfalk Zierbuchstaben C. Nordenfalk, Die spätantiken Zierbuchstaben, Text- und Tafelband, Stockholm 1970 (Die Bücherornamentik der Spätantike 2)
Stegmüller RB F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980
Wolfenbüttel Helmst. O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
Wolfenbüttel Helmst. 2 Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften, Teil II: Cod. Guelf. 277 bis 370 Helmst., mit einem Anhang: Die mittelalterlichen Handschriften und Fragmente der Ehemaligen Universitätsbibliothek Helmstedt, beschrieben von B. Lesser, Wiesbaden 2022
Wolfenbüttel Helmst. 3 Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften, Teil III (in Vorb.)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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