Sammelhandschrift
Hildesheim — um 1100
Provenienz: Die Handschrift stammt aus dem Besitz des Benediktinerkloster St. Michael in Hildesheim, Einträge: 2r Liber sancti Michahelis; 104r Sancti Michahelis archangeli; 128r Liber sancti Michahelis in Hildesheim und gelangte 1658/59 in den Besitz Herzog Augusts (Eintrag im Bücherradkatalog, p. 5110; , 117). Die ursprünglich 6 Faszikel wurden im 15. Jh. in Hildesheim in vorliegender Form zusammengestellt und gebunden.
Pergament — 200 Bl. — 26 × 16 cm
Lagen: Aus sechs Teilen zusammengesetzt: A: Bl. 1v–8v, B: Bl. 89r–103v, C: Bl. 104r–119v, D: Bl. 120r–128r, E: Bl. 128v–131v. Vorderes Schutzblatt (Pergament) nicht mitgezählt. 12 IV (96). III (102). IV+1 (111). 3 IV (135). III-1 (140). 2 IV (156). III+1 (163). II (187). VI (179). V (19). I (191). IV+1 (200). Lagenbezeichnungen am unteren Blattrand Mitte a-k (Bl.1–80). Spiegel und Vorsatzblatt aus einer liturgischen Handschrift (14. Jh.). Neuere Tintenfoliierung.
Heller Ledereinband mit doppelten Streicheisenleisten (Hildesheim, 15. Jh.). Im rautenförmigen Mittelfeld und den Ecken Stempelverzierungen (Hildesheim, Michael- und Bernwardskloster; geflügeltes Fabelwesen: s004646 und steigender Löwe: s002851).
, Nr. 2942 (Heinemann Nr.). — , Nr. III.7 ( , und ). — , Bd. 1,1.2, 354. — , 80–82, Abb. 28, 31, 34 und 35. — , Nr. 43, 372–374.
A
Hildesheim — 11. Jh., 4. Viertel
Schriftraum: 19,5–20 × 10,5–11 cm, einspaltig, 38–41 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. An den Rändern Kommentare von zeitgleicher Hand (insbesondere Ad Herennium (49v–88v). Auf 66v zusätzlich eine Zeigehand; auf 40r eine Pflanzendarstellung - beides als unkolorierte Federzeichnungen. An die Initialen anschließend rubrizierte Buchtitel in Capitalis Rustica. Versanfänge mit rubrizierten Initialmajuskeln, teils grün, gelb und blau hinterlegt. Textanfänge und Satzanfänge im Text rot nachgezogen (ab 49v grün-gelb hinterlegt).
INHALT
1v–42r De inventione rhetorica, Lib. II (Druck: Cicéron. De l'inventione, hrsg. und übers. von , Paris 2002 [2. Auflage], 142–234). 42r–46v : De topicis differentiis , Lib. IV ( 0889; 64, 1173–1216). 47r–49r leer. 49v–88v : Rhetorica ad Herennium , Lib. VI (Druck: Cicéron. Rhétorique à Herennius, hrsg. und übers. von , Paris 2003 [3. Auflage], 126–227).
:AUSSTATTUNG
Acht Spaltleisteninitialen. Eine Figureninitiale.Spaltleisteninitialen und Figureninitiale: Einleitend zu den 3 Abhandlungen (1v, 42r und 49v) und zu den Kapiteln der 1. beiden (1v und 20v) sowie den Büchern der 3. Abhandlung (Buch 2: 54r; Buch 3: 63v; Buch 5: 75r und Buch 6: 82r - zu Buch 4 vgl. Figureninitiale) jeweils eine Spaltleisteninitiale (2,7–6,5 cm). 6 Initialen als Rankeninitialen in roter und tintenfarbiger Federzeichnung mit nachträglicher Kolorierung (vgl. Farbe); zwei mit Metallauftrag (1v und 20v). Die Initialstämme gespalten, häufig jedoch eng gesetzt ohne sichtbares Initialstammfeld (auf 42r Spaltung aufgehoben), auf 49v mit großzügigen, genagelten Spangen. Die Metallinitialen (1v) mit kleinen Spangen. Initialstammenden und -gelenke in Verflechtungen übergehend (vgl. 49v, 54r, 63v). Von den Stämmen abzweigende, symmetrisch angelegte, üppig wuchernde Rankenabläufe (besonders 1v). Einige abzweigende Triebe eng anliegend und windmühlenartig angeordnet (vgl. 20v, 54r). Die Rankenenden häufig in Schlaufen um den Buchstabenkörper geschlungen (vgl. 1v, 75r- 81r hier zusätzlich ellenbogenförmig). Als Rankenendungen: Knollen, Knospen, Profilpalmetten mit lappiger Spitze (49v auch muschelförmig) und Fabelwesenköpfe (1v, 20v). Auf 75r und 81r die Rankenenden einfach schneckenförmig eingerollt oder schlaufenförmig angelegt, auf 63v im Besatz zusätzlich das fächerförmige Profilblatt, das Herzblatt und das Trifolium. Zu Buch 4 der dritten Abhandlung eine Figureninitiale (71r; 3,5 cm). Als Buchstabenersatz ein rückgewandter, sich selbst beißender Vierbeiner (Wolf?) - der Schwanz mit den Hinterläufen verflochten. Die Initialausstattung erscheint im Detail uneinheitlich, so dass von mehreren ausführenden Händen ausgegangen werden kann.
Farben: Die Rankeninitialen gezeichnet mit roter oder tintenfarbiger Federzeichnung. Farben: blasses Gelb (Rankenenden) sowie Grün und Blau für Gründe (54r unfertig). Die Figureninitiale auf 71r mit rotem Grund, Details hier in Blau (nachträglicher Farbauftrag). Die Initialen auf 1v und 20v mit Gold- und oxidiertem Silberauftrag. Die Initiale auf 42r mit dunkelrotem Grund.
STIL UND EINORDNUNG
Teil A der Handschrift beinhaltet in allen drei enthaltenen Abhandlungen Initialausstattungen, die zwar demselben Stil verpflichtet, jedoch in Details unterschiedlich erscheinen, so dass von mehreren ausführenden Händen ausgegangen werden kann. Die Kolorierung erfolgte teils nachträglich (vgl. Figureninitiale auf 71r). Insbesondere die beiden in der ersten Abhandlung verwendeten Metallinitialen (1v und 20v), aber auch die Initiale auf 54r zeigen im Stil und im Besatzornament deutliche Anklänge an die Ausstattungen der Hildesheimer Guntbald-Handschriften aus der ersten Hälfte des 11. Jh. (vgl. Cod. Guelf. 113 Noviss 4° (Bernward-Psalter) und Cod. Guelf. 427 Helmst.). Es handelt sich hierbei um enganliegende, windmühlenartig abzweigende Triebe (vgl. Bernward-Psalter, Cod. Guelf. 113 Noviss. 4°, 131r; Hildesheim, Domschatz, Nr. 33 (Guntbald-Evangeliar), Hildesheim, 1011; , Taf. 33), enge Flechtbandführung mit scharfkantigen Umbrüchen, bzw. Ellenbogenschlingen (vgl. 49v mit Hildesheim, Domschatz, Nr. 19 (Guntbald-Sakramentar), 2bv, Hildesheim, um 1014; , Taf. 48) und ähnliche Knospen- und Blattformen. Darüber hinaus finden sich Parallelen zur Regensburger Buchmalerei, die nachweislich bereits für die Guntbald-Handschriften stilbildend gewesen ist (vgl. Homiliar, München, BSB, Clm 14039, 12r, Regensburg, um 1025–1030; , Nr. 16, Abb. 32; hierzu vgl. Cod. Guelf. 113 Noviss 4° (Bernward-Psalter) und Cod. Guelf. 427 Helmst.). Über die erwähnten Stilmerkmale und Motive hinaus finden sich hier das in der Wolfenbütteler Handschrift verwendete Herzblatt (63v), das muschelförmig umgeschlagenen Profilblatt (49v) und ähnliche Fabelwesenköpfe (1v; vgl. München, BSB, Clm 14452, 135v; , Nr. 21, Abb. 49). Vor allen Dingen das einfach schneckenartig eingerollte Rankenende, das in späteren Regensburger Handschriften aus dem dritten Viertel des 11. Jh. vorkommt, zeigt Übereinstimmung (75r und 81r, vgl. Legendar, München, BSB, Clm 14031, Regensburg, um 1060/1080; , Nr. 27, Abb. 57, 58). Die schlanke, lebhaft verschlungene und häufig schlaufenförmig verlaufende Rankenführung, mit der sich die vorliegende Handschrift von den Regensburger Handschriften und den Guntbald-Handschriften unterscheidet, ist der späteren Entstehungszeit (4. Viertel 11. Jh.) geschuldet. Die von Müller aufgeführten Verweise auf Einflüsse aus dem Mosel-Gebiet überzeugen nicht ( , 89 Anm. 132). Nahezu sämtliche Stileigenheiten und Motive in der vorgelegten Beschreibung liegen in den aufgeführten Handschriften nicht vor (Ähnlichkeiten in der lebhaften Rankenführung sind dem Zeitstil zuzuschreiben).B
Hildesheim (?) — um 1100
Schriftraum: 22,3 × 13 cm, einspaltig, 43 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Zu Textbeginn 3–4zeilige rubrizierte Initialmajuskeln. Zu Textabschnitten randständige 1–2zeilige Initialmajuskeln mit roter Hinterlegung. Im Text rot hinterlegte Satzanfänge. Zahlreiche musiktheoretische Diagramme im Text eingefügt (zu Diagrammen in Musikhandschriften vgl. F. Hentschel, Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie. Strategien der Konsonanzwertung und der Gegenstand der Musica Sonora um 1300, Stuttgart 2000 [Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. 47], 89f.)
INHALT
89r–96r Micrologus ( 2, c. 2–24; 41, 379–406; Guidonis Aretini Micrologus, hrsg. von J. Smits van Waesberghe, o. O. 1955; 4, 514–515). 96r–98r : Regulae musicae rhythmicae. 98v–99v . Prologus in Antiphonarium. 99v–102v : Epistola ad Michaelem de ignoto cantu (zu diesen vier Werken Guidos: 4, 514f.). 102v–103r Mensura cymbalorum ( , Cymbala, Rom 1951). 103v leer.
:C
Hildesheim (?) — 12. Jh., 1. Viertel
Schriftraum: 24 × 14,3 cm, einspaltig, 60 Zeilen. Minuskel von einer Hand Textabschnitte beginnend mit randständigen Initialmajuskeln. Diese teils mit rot verzierten Binnengründen.
INHALT
104r–116v Glose super Priscianum maiorem vel potius Priscianus in compendium redactus (
, Priscien glosé. L'Ars grammatica de Priscien vue à travers les gloses carolingiennes, Turnhout 2015 [Studia Artistarum. Études sur la Faculté des arts dans la Universités médiévales, Bd. 41], 597f.). 116v–118r De litteris earumque ordine in alphabeto. 118r–118v De orthographia Alberici. 119r–v leer.D
Hildesheim (?) — 12. Jh., 1. Viertel
Schriftraum: 22 × 16 cm, einspaltig, 48 Zeilen. Minuskel von einer Hand Zu Textbeginn eine 1zeilige rubrizierte Initialmajuskel.
INHALT
120r–126r Incerti auctoris glossa in Boethii libris de consolatione philosophiae (Edition:
94; , Boethius. Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae, Düsseldorf u. a. 2002). 126v–128r leer.E
Hildesheim (?) — 11. Jh., Ende
Schriftraum: 22 × 14 cm, einspaltig, 30 Zeilen. Minuskel von einer Hand Zu Textabschnitten 1zeilige tintenfarbige Initialmajuskeln.
INHALT
128v–131v Ars Maior I , 1–5; (Druck mit deutscher Übersetzung: , Die Ars maior des Aelius Donatus, Frankfurt a. Main 2009, 13–36). 131v–134v : De finalibus (IV. 449–455). 134v–140v : De accentibus ([Prisciani] De accentibus. Introduzione, testo critico, traduzione e commento, berab. von C. Giammona, Hildesheim 2012, 5–67).
:F
Hildesheim (?) — um 1200
Schriftraum: 22,5 × 14 cm, zweispaltig, 52 Zeilen. Minuskel von einer Hand Abschnittsweise rubrizierte 4–5zeilige Initialmajuskeln mit Punktverdickungen.
INHALT
141r–199v Metamorphoses , Lib. XV (P. Ovidii Nasonis Metamorphoses, hrsg. von , Leipzig 1988 [4. Auflage], 358–387).
:Abgekürzt zitierte Literatur
C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999– | |
Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954– | |
Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina) | |
Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel) | |
M. Exner, Das Guntbald-Evangeliar. Ein ottonischer Bilderzyklus und sein Zeugniswert für die Rezeptionsgeschichte des Lorscher Evangeliars, Regensburg 2008 (Quellen und Studien zur Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim 1) | |
M. Gerbert, Scriptores Ecclesiastici De Musica Sacra Potissimum, Bd. 1–3, Sankt Blasien 1784 | |
Die ottonischen und frühromanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, beschrieben von E. Klemm, Wiesbaden 2004 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek 2) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
W. Milde, Die Erwerbungsjahre der Augusteischen Handschriften der Herzog August Bibliothek, Supplement zum Katalog von Otto Heinemann "Die Augusteischen Handschriften" Bd. 1-5, Wolfenbüttel 1890-1903, in: | 14 (2006), 73-144|
M. E. Müller, Ordnung der Bücher. Die Bibliothek von St. Michel in Hildesheim, in: | , 69–99|
Musikalischer Lustgarten. Kostbare Zeugnisse der Musikgeschichte, hrsg. von U. Konrad, A. Roth und M. Staehelin, Wolfenbüttel 1985 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 47) | |
Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865 | |
Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim, Ausstellung Wolfenbüttel 5. September 2010-27. Februar 2011, hrsg. von M. E. Müller, Wolfenbüttel 2010 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 93) | |
Die Augusteischen Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, Teil 1-5, Frankfurt/M. 1890–1903, ND 1965–1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 4–8) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).