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Beschreibung von Cod. Guelf. 54 Gud. lat.(
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Publius Papinius Statius, Thebais, Achilleis

Essen, Kanonissenstift — 11. Jh., 3. Viertel

Provenienz: Vermutlich gehörte Cod. Guelf. 54 Gud. lat. zum ehemaligen Bestand der Benediktinerabtei in Liesborn (vgl. S. Schmieder, Quellen zur Geschichte des Klosters Liesborn, Beckum 1968 [Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Beckum, Bd. 2], 63). Wann genau die Handschrift in den Besitz Gudes gelangte ist nicht bekannt. Lehmann geht von einer Vermittlung durch Bernhard Rottendorf aus (Lehmann Leben, Briefwechsel und Büchersammlung, 108ff. [Nachdruck]; Schmieder Liesborn, 62f.). 1r zeigt den Besitzvermerk für das Jahr 1683 MARQVARDI GUDII. ANNO M DC LXXXIII. 1710 gelangte die Handschrift in den Besitz der Herzog August Bibliothek (zur Sammlung Gude in Wolfenbüttel vgl. Lesser Ornamentum, 445–516).

Pergament — 163 Bl. — 29,5 × 22 cm

Lagen: 5 IV (39). IV-1 (46). 6 IV (94). II (98). 2 IV (114). I (116). 4 IV (148). III (155). IV-1 (162). Lagenbezeichnungen in römischen Ziffern am Ende jeder Lage, Blattmitte unten. Bl. 20 doppelt gezählt. Blattverluste mit Textverlust: Eine Lage zu Beginn, Bl. nach Bl. 54, zwei Lagen nach Bl. 94, eine Lage nach Bl. 106. Neuere Tintenfoliierung. Mehrere Blätter beschädigt (abgerissen oder eingeschnitten), teils mit Glossenverlust. Schriftraum: 24,0 × 12,0 cm, einspaltig, 29 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Hand A: 1r23v, 149r162v. Hand B: 24r54v. Hand C: 55r–65r Z. 5, 141r148v. Hand E: 65r Z. 578v, 107r ab Z. 18. Hand F: 79r–92r Z. 12 und Z. 16–98v, 111r115v, 116v. Hand G: 99r–107r Z. 17, 107v110v. Hand H: 117r140v, 92r Z. 13–15 (?). Mit Ausnahme von Hand E gehören nach H. Hoffmann sämtliche Hände zum Essener Skriptorium, in das Umfeld des Essener Theophanu-Evangeliars (Essen, Domschatz, Hs. 3; zur Handschrift vgl. Gass). Hand A erkennt er in dem Missalefragment Wiesbaden, HStA, Abt. 1105 Nr. 18a, Hand B in der Hand A der Leipziger Cassiodorhandschrift Leipzig, UB, Rep. II 51. Hand F schreibt Hoffmann dem Paderborner Skriptorium zu und weist sie im Evangeliar des Kestner-Museums nach (Hannover, Kestner-Museum, W. M. XXIa 37; zur Handschrift vgl. F. Stuttmann, Der Reliquienschatz der goldenen Tafel des St. Michaelisklosters in Lüneburg, Berlin 1937, 53–62; Der Bremer Dom. Handbuch und Katalog zur Sonderausstellung vom 17. Juni bis zum 30. September 1979 im Bremer Landesmuseum [Focke-Museum], 150f. Nr. 50; zu den Paderborner Bezügen vgl. Hoffmann Paderborner Schreibschule, 455 und Hoffmann Skriptorium Essen, 129f.; zur Händescheidung vgl. Hoffmann Schreibschulen, 66). Texte eingeleitet mit 2–5zeiligen unverzierten Initialmajuskeln. Incipits und Explicits der Bücher in rubrizierter Capitalis oder Capitalis Rustica. Zeilen im Text eingeleitet mit leicht abgerückten Initialmajuskeln in Schriftgröße (1r25v rubriziert; 24r54v Rot und Tintenfarbe zeilenweise alternierend; 120r162v tintenfarbig, anfangs rot hinterlegt). Marginale Ritzungen: 123r sitzende Taube, 151r Reiter mit Lanze, 157r Delphin (?).

Holzeinband (17. Jh.) bezogen mit einem Missalefragment (erst mit grüner, anschließend mit roter Grundierung). Im 19. Jh. Rücken aus Pergament erneuert. Bindebänder entfernt.

INHALT

1r146r Publius Papinius Statius: Thebais (Text beginnend mit Theb I, v. 389; Fehlstellen: Theb. IV v. 833–843; Theb. VIII, v. 127-IX, v. 230; Theb. IX, v. 454–903; Text interlinear und marginal glossiert. Edition: A. Klotz, P. Papini Stati opera, Leipzig 1973). 146r–163v Publius Papinius Statius: Achilleis (Edition: A. Marastoni, P. Papini Stati Achilleis, Leipzig 1976).

AUSSTATTUNG

6 Initialen.

Initialen: Buchanfänge und Textabschnitte mit zeitnah nachgetragenen, rubrizierten, unkolorierten Spaltleisteninitialen 32r 2x, 47r 2x, 92r, 117r; 2,5–9 cm. Ausgehend von den Initialstämmen schlanke, unregelmäßig verlaufende dünne Ranken mit variationsreichem Besatz. An den End- und Gabelstellen seitlich eingerollte Blätter, mittig mit großen üppigen Knospen und gelegentlich Profilblättern (vgl. 92r). Blatt- und Fruchtstände mit auffälligen breitem, zum Teil genageltem Spangenbesatz und tropfenförmigen Kernen (vgl. 47r). Die Früchte am oberen Ende häufig zipfelförmig umgeschlagen (vgl. 47r). Auf 32r als obere Initialbekrönung eine Kelchblüte. Blätter/Knospen teils mit gedrehten, spitz zulaufenden Aufsätzen (vgl. 47r).

STIL UND EINORDNUNG

Die paläographische Untersuchung des vorliegenden Statiuscodex ergab für H. Hoffmann eine enge Kooperation von Essener und Paderborner Händen, wobei, seiner Analyse folgend, der Hauptanteil des Textes im Skriptorium des Essener Kanonissenstifts ausgeführt wurde (zum Vergleich s.o.). Die Initialen scheinen kurze Zeit später nachgetragen, da sie Textabschnitte überschneiden. Nach seinen Beobachtungen schließen direkt an die Initiale auf 92r drei Zeilen Essener Schrift (z. T. in Capitalis Rustica), die sich deutlich von der umgebenden Paderborner Schrift abheben. Aus diesem Befund folgernd geht Hoffmann davon aus, dass die Zeilen für die Zierschrift und die Initiale zunächst freigelassen und kurze Zeit später von einer Essener Kanonisse ausgeführt worden sind. Als stilistisches Vergleichsbeispiel für die Initialen nennt Hoffmann das Theophanu-Evangeliar (Essen, Domschatz, Hs. 3; B.H. Gass, Das Theophanu-Evangeliar im Essener Domschatz (Hs. 3), in: B. Falk, T. Schilp und M. Schlagheck (Hrsg.): „… wie das Gold den Augen leuchtet“. Schätze aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007 [Essener Forschungen zum Frauenstift, 5].), mit ähnlicher Frucht- und Blattgestaltung auf der Initialzierseite zu Matthäus (11v; vgl. Gass). Dieser Vergleich lässt sich bestätigen. Das Evangeliar zeigt dieselben markanten zipfelförmigen Fruchtstände mit Spangenbesatz (wiederholt als Schaftfüllmotiv in den Kanonbögen (vgl. 4r; Gass, Abb. 1). Zudem findet sich auf der Incipitseite zum Matthäusevangeliar (11r; Gass, Abb. 2) dieselbe im Statiuscodex auf 32r (Initiale oben links) vorhandene Kelchblüte. Als weitere Handschriften aus dem Umkreis des Theophanuevangliars gelten nach Hoffmann: Ein Missalefragment Wiesbaden, HStA, Abt. 1105 Nr. 18a (s.o.), ein Augustinusfragment Kassel, UBLMB, 2° Ms. theol. 165 (hier Hand I), die Psalmenkommentare des Cassiodor und des Hieronymus Leipzig, UB, Rep. II 34a, 51 und 52 vielleicht ein Doppelblatt mit den Evangelienhomilien Gregors des Großen Stuttgart, WLB, Cod. Don. B III 19, ein Psalterfragment Jena, UB, Fragm. Lat. 24 und zwei weitere Wolfenbütteler Codices (Cod. Guelf. 149 Extrav. und Cod. Guelf. 116 Gud. lat.). Zusammenstellung der Essener Gruppe vgl. Hoffmann Skriptorium Essen, 125f. Bodarwé beurteilt diese Zusammenstellung unter kodikologischen Gesichtspunkten kritisch und hält die Schreibschule in Essen um die Mitte des 11. Jh. für fraglich (Bodarwé, 145–149).

Wolfenbüttel Gud., 114. — S. Schmieder, Quellen zur Geschichte des Klosters Liesborn, Beckum 1968 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Beckum, Bd. 2), 63. — Hoffmann Skriptorium Essen, 127, 129, 31, 133. — Bodarwé Sanctimoniales litteratae, 97, 146, 149f., 153, 276, 464f. — Hoffmann Paderborner Schreibschule, 455. — Klemm Helmarshausen, 468 Anm. 23. — Hoffmann Schreibschulen, 60, 66f. — Carmassi Übergänge, 418f., Abb. 5.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bodarwé K. Bodarwé, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg, Münster/Westf. 2004 (Institut für Kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Quellen und Studien 10)
Bodarwé Sanctimoniales litteratae K. Bodarwé, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg, Münster/Westf. 2004 (Institut für Kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Quellen und Studien 10)
Carmassi Übergänge P. Carmassi, Übergänge. Ornamente und Diagramme zwischen Text, Buchstabe und Bild in Handschriften des Frühmittelalters, in: Das Mittelalter 22,2 (2017), 408-430
Gass B. H. Gass, Das Theophanu-Evangeliar im Essener Domschatz (Hs. 3), in: … wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift, hrsg. von B. Falk, T. Schilp und M. Schlagheck, Essen 2007 [Essener Forschungen zum Frauenstift 5], 169–188
Hoffmann Paderborner Schreibschule H. Hoffmann, Die Paderborner Schreibschule im 11. Jahrhundert, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausstellung im Museum der Kaiserpfalz, im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und in der städtischen Galerie am Abdinghof zu Paderborn, 21. Juli - 5. November 2006, hrsg. von C. Stiegemann und M. Wemhoff, München 2006, 449-464
Hoffmann Schreibschulen H. Hoffmann, Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9.–11. Jahrhunderts, Hannover 2012 (MGH Schriften 65)
Hoffmann Skriptorium Essen H. Hoffmann, Das Skriptorium von Essen in ottonischer und frühsalischer Zeit, in: Kunst im Zeitalter der Kaiserin Theophanu, Akten des Internationalen Colloquiums veranstaltet vom Schnütgen-Museum, Köln, 13.-15. Juni 1991, hrsg. von A. von Euw, Köln 1993, 113-153
Klemm Helmarshausen E. Klemm, Die Anfänge der romanischen Buchmalerei von Helmarshausen, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausstellung im Museum der Kaiserpfalz, im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und in der städtischen Galerie am Abdinghof zu Paderborn, 21. Juli - 5. November 2006, hrsg. von C. Stiegemann und M. Wemhoff, München 2006, 465-41
Lehmann Leben, Briefwechsel und Büchersammlung P. Lehmann, Aus dem Leben, dem Briefwechsel und der Büchersammlung eines Helfers der Philologen, in: Archiv für Kulturgeschichte 28 (1938), 163ff., ND: P. Lehmann, Erforschung des Mittelalters, Bd. 4, Stuttgart 1961, 107-127
Lesser Ornamentum B. Lesser, Longe maximum vero Bibliothecae Augustae ornamentum, in: Retter der Antike, Marquard Gude (1635-1689) auf der Suche nach den Klassikern, hrsg. von P. Carmassi, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Forschungen 147), 445-516
Schmieder Liesborn S. Schmieder, Quellen zur Geschichte des Klosters Liesborn, Beckum 1968 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Beckum 2)
Wolfenbüttel Gud. Die Gudischen Handschriften, beschrieben von F. Köhler und G. Milchsack, Wolfenbüttel 1913, ND 1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 9)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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