Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung
Eberhardus Bremensis
Papier — 59 Bl. — 22,5 × 16 cm — Mitteldeutschland / Süddeutschland — 1476
Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Augen, darüber zweikonturige Stange, darüber Krone, darüber zweikonturiges Kreuz: DE8100-PO-70663 (1471), DE6300-PO-70675 (1472). Ochsenkopf mit Augen, darüber einkonturige Stange, darüber Krone, darüber Blume, Balken an Stange, darunter Antoniuskreuz: DE0960-Mlf819_107 (1489, nur Schaltzettel Bl. 40). Lagen: V+3 (13). 2 VI (37). V+1 (48). VI–1 (59). Reklamanten. Bleistiftfoliierung modern: 1–59. Drei gez. Schaltzettel: Bl. 2 (11 x 16 cm), Bl. 12 (11 x 16 cm, leer Gegenstück zu Bl. 2) und Bl. 40 (11 x 16 cm). Schriftraum: 14,5 × 9 cm, einspaltig, mit breitem Rand für Kommentar, Text 12 Zeilen mit vergrößertem Abstand für die Interlinearglossierung, Kommentar und übrige Texte bis zu 54 Zeilen. Der Text und der Großteil des marginalen und interlinearen Kommentars wurden in einer sehr regelmäßige Bastarda mit Merkmalen der Humanistica von einer Hand geschrieben; einige Ergänzungen des Kommentars sowie der Textnachtrag auf den Schaltzettel 40r–v stammen dagegen von mehreren weiteren Händen in Bastarda und jüngerer gotischer Kursive. Die Bl. 4r–9r, 14v–16r und 26r–30r rubriziert, teilweise rote, kunstvoll geformte Lombarden (16r mit brauner federgezeichneter Sitzfigur im Binnnenfeld, die von einem Hund begleitet wird), 19r, 34v, 35r, 38v und 41r nur die offenbar vom Schreiber angelegten Vorzeichnungen der Lombarden. Mehrere Initialen in detaillierter und kunstvoll ausgeführter Federzeichnung: 4r Initiale P über 4 Textzeilen; Buchstabenkörper rot konturiert und golden gefüllt, im Buchstabenkörper zusätzlich links ein ausgespartes vegetabiles Ornament, rechts ein zurückgewendeter zweifüßiger geflügelter Drache. Im Binnenfeld steht auf einem Podest eine federgezeichnete männliche Gestalt mit langem Obergewand, Schnabelschuhen und roter Mütze, die in der Rechten ein Spruchband über dem Kopf schwingt und sich damit wohl als Autorbild zu erkennen gibt. Der Buchstabenstamm läuft in in eine geschwungene, abwechselnd rot und golden gestaltete vegetabile Ranke aus, die den gesamten linken Rand des Textspiegels einnimmt und unten von einem hundeartigen Drachen, oben von zwei kämpfenden Einhörnern und einem bewaffneten Reiter drolerieartig bewohnt ist. 7r Figureninitiale N über 2 Textzeilen: Eine nackte menschliche Gestalt mit gelocktem Haar schlägt mit einer schwertartigen Waffe auf einen zweifüßigen Drachen ein, der sich um ihren Hals geschlungen hat. 13r Figureninitiale H über 2 Textzeilen, Gestaltung wie vorige: Den Buchstabenstamm bildet ein auf den Hinterbeinen aufgerichteter Hirsch mit nach hinten gewendetem Kopf, in dessen Brust sich ein ebenfalls auf den Hinterpfoten aufgerichteter Jagdhund verbissen hat. 14v Figureninitiale L in einem dünnen roten quadratischen Rahmen über 2 Textzeilen; den Buchstabenstamm bildet ein rot gekleideter, kopfstehender gelockter Gaukler, der mit einer Hand einen kleinen, schildkrötenartig wirkenden, rot konturierten Drachen berührt, der sich auf ihn zubewegt und den Querbalken des Buchstabens bildet. 17r Figureninitiale R: Der Buchstabenstamm besteht aus einem langgestreckten, vom unteren Blattrand heraufschreitenden Löwen, aus dessen Maul filigrane vegetabile Ranken hervorwachsen, die den Löwen mit einem rotfüßigen und rotgezungten Basilisken verbinden, aus dessen Leib, zwei Drachenhälse hervorwachsen, die zusammen den restliche Buchstabenkörper bilden und sich in die Ranken verbeißen. 21r Figureninitiale S über 2 Textzeilen: Der Buchstabenkörper besteht aus dem gewundenen Leib der Paradiesesschlange; der Baum der Erkenntnis und Eva befinden sich in der inneren, großenteils durch die moderne Heftung verdeckten inneren Marginalspalte.
Der ursprüngliche Einband, wahrscheinlich ein spätgotischer Koperteinband, ist verloren. Jetzt in einen schlichten grauen Pappumschlag des 19. Jh. geheftet.
Herkunft: Der Codex wurde nach der im Text befindlichen und von den Wasserzeichen gestützten Dateierung 1476 im mittel- oder süddeutschen Raum geschrieben oder wenigstens dort benutzt. Den einzigen erhaltenen Hinweis darauf bietet der Sprachstand der volkssprachlichen Federprobe, während Besitzvermerke o. ä. fehlen und möglicherweise mit dem originalen Einband verlorengegangen sind. — Wann und über welche Vorbesitzer die Hs. in die Universitätsbibliothek Helmstedt gelangte, ist ebenfalls unbekannt. — Sie ist erstmals eindeutig im Handschriftenkatalog der Helmstedter Universitätsbibliothek von P. J. Bruns (1797, BA III, 52) unter Nr. 626 zu identifizieren und folgendermaßen beschrieben: Carmen latinum cum glossis interlinearibus. Incipit: Pierius me traxit amor iusssitque camoena | Scribere materiam me dedit ipsa mihi | Viribus ingenii discussis utpote parvis | Mens opus invictum depositura fuit. Codex scriptus 1476. ch. 4°.
Nr. 667. — , Funde in Braunschweigs Bibliotheken und Archiven: Nachtrag zu Nr. I bis XII, in: Braunschweigisches Magazin 18 (1912), 56–58, hier 56.
1r Probationes pennae. Versus. Die von mehreren Händen z. T. übereinander angelegten Federproben enthälten Konjugationsbeispiele, aber auch Verse wie 18042 und 4893, das astronomische Distichon , 802.4 sowie folgende Merkverse ("pons asinorum") zur Auffindung des Mittelbegriffs in den verschiedenen Formen des Syllogismus: Fecana cageti dafenes hebare gedacon | Gebali stant sed non stant hedas febas et hecas | H d sunt extra g c presunt f bque sequuntur | Predicat a subit e sic exemplum trahis inde. Vgl. dazu , Later history of the pons asinorum, in: Contributions to logic and methodology in honor of J. M. Bocheński, hrsg. von und , Amsterdam 1965, 142–150, hier 147. Unter bzw. neben den Versen finden sich unvollständig ausgeführte Angaben zu den Aufgaben der Parzen: Officium Clothonis est … Officium Latesis est trahere filum. Officium Atropos est incidere filum vel occare … Mitten im Text die verblassten und durch Überschreibung nur noch unsicher lesbaren Schriftzüge: Werner [?] dar mach neckenn vnnd nicht irer verdencken. – 1v leer.
2r–55r Laborintus cum commento marginali glossaque interlineari.
(2r–v) Accessus ad Laborintum. Et secundo penthametro. Cuius causa est ad ostendendum in modo suo procedendi miseriam et laborem rectoris scolarium … — … emendare idem est quod vicium exstirpare aut malum dimittere sive pro malo satisfacere etc. Der nach Art eines Accessus ad auctorem gegliederte, ungedruckte Text wurde von zwei Händen auf einem Schaltzettel nachgetragen.
(3r–55r) Commentum. Quare presens liber intitulatur Laborintus: Nota secundum quod recitant antiqui textus et tunc dicitur sic a domo Dedali unde ut recitat Ovidius VIIIo libro Methamorphoseos et Theodolus recitat fabulam … — … nemo ex omni parte beatus id est perfectus quia omnium habere memoriam est magis divinum quam humanum. Die marginale Kommentierung ist bis zum Schluss des Textes durchgeführt.
(4r–55r) Textus. Pierius me traxit amor iussitque camena | Scribere materiam me dedit ipsa michi … — … Ex omni parte mala sunt vicina petendis | De quo fine benedictus sit trinus et unus ›Amen‹. Der Text ist marginal in drei Traktate gegliedert, deren Anordnung auch der nach dieser Leiths. angefertigte Druck Leysers (s. unten) übernimmt und durch eine separate Zeilenzählung wiedergibt. Der hinzugefügte Schaltzettel 12r–v ist leer geblieben, 31r–v wurde ohne Textverlust und ohne erkennbaren Grund freigelassen. Die Datierung des Textes befindet sich 54v am Schluss des Verses III.683: Langwida segnicies hodiernos crastinat actus. 1476. Die Verse I.64–66 stehen in der Reihenfolge 65, 67, 66, die Verse I.76 und 77 sind vertauscht, aber durch die vorangestellten Minuskelbuchstaben a und b korrigiert. 39v wurden die Verse III.217–228 vom Hauptschreiber irrtümlich ausgelassen und von anderer Hand auf dem Schaltzettel 40r–v nachgetragen.
(4r–55r) Glossa interlinearis. 'Pyereus' id est dilectio Pigerii sive poetica. 'Me' id est Eberhardum sive autorem. 'Traxit' id est monit. 'Iussit' id est precepit … — … 'Ex omni' id est complete. 'Vicina' id est propinqua ipsis bonis. 'Petendis' id est desiderandum. Mit jeweils abweichendem Kommentar auch in Cod. Guelf. 608 Helmst., 89v–114r; 622 Helmst., 319r–344r (beide aus dem Benediktinerkloster Clus); 965 Helmst., 193r–210v (unvollständig, mit dem Kommentar des Nicolaus de Dybin); 18.30 Aug. 4°, 250r–263v (unvollständig, ebenfalls mit Dybins Kommentar); Fragmente in Cod. Guelf. 1070 Helmst., VS; 33.1 Aug. 2°, 80v–81r und 187v. Ebenfalls über das Benediktinerkloster Clus gelangte die 1461 in Tangermünde von Tilomannus Bothe († 1497, siehe zu ihm bei Cod. Guelf. 612 Helmst.) angefertigte Abschrift des "Laborintus" mit Dybins Kommentar nach Helmstedt, vgl. Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 30v, unter den Miscellanei MSSti in quarto als Fabulæ Æsopi carminicè cum Commentario. Labyrinthus sive lamentacio diversarum miseriarum Rectoris Scholarium, carminicè. Sie wurde 1786 im Nachlass von H. von der Hardt nach Göttingen verkauft (vgl. , 32 Nr. 151), wo sie heute mit der Signatur Göttingen, SUB, 8° Cod. Ms. philol. 106, 37r–62v ( , 23) aufbewahrt wird. Druck: , 795–854 Nr. XI (mit dieser Hs. als Leiths. der Ausgabe, im Apparat als Msc. I bezeichnet, die Traktat- und Kapitelzählung der Hs. ist ebenso im Apparat vermerkt wie die vom Kommentator angegebenen marginalen Schlagwörter); , Les arts poétiques du XIIe et du XIIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Âge, Paris 1924 (Bibliothèque de l'École des hautes études. Sciences historiques et philologiques 238), ND Genf 1982, 336–377. Literatur: , 366 Nr. 6 (Anm. 2 Hs. genannt); , 134 Nr. 96; 1613, 9148 und 14114; 2, 273–276; , Zum Stand der Forschung über Warnerius von Basel, in: Mittellateinisches Jahrbuch 33/2 (1998), 45–54 (53 Anm. 37 Hs. genannt); , 368 (Hs. genannt, Sigle Wo4).
55v–57v De coniugatione verborum secundum doctrinam Alexandri de Villa Dei. Nudius diei ocia inter cetera dum mente notarem memorie. Qualiter prolixitas inimica sit imbecillo tedium afferat intellectui studiique modum impediat … — … comperio comperui compertum in supinis sepelio sepelivi sepultum etc. Amen. Bei dem bislang nur hier nachgewiesenen Text handelt es sich um eine knappe Zusammenfassung jener Regeln zur Bildung der Verbstammformen, die im ersten Teil des "Doctrinale" Alexanders de Villa Dei präsentiert werden (Iuxta ea que in prima parte Allexandri de Villa Dei compacta sunt …). Die ausgewählten Beispiele zeigen aber, dass vermutlich noch andere Quellen, vielleicht das "Speculum doctrinale" des Vinzenz von Beauvais, benutzt wurden (vgl. 2, Sp. 147–157). – 58r–59v leer.
Abgekürzt zitierte Literatur
Briefwechsel des Cola di Rienzo, hrsg. von K. Burdach und P. Piur, Teil 2: Kritische Darstellung der Quellen zur Geschichte Rienzos. Mit einer Abhandlung über die Briefsammlungen Petrarcas, Berlin 1928 (Vom Mittelalter zur Reformation 2,2) | |
P. Glorieux, La Faculté des Arts et ses maîtres au XIIIe siècle, Paris 1971 (Études de philosophie médiévale 59) | |
Die Handschriften in Göttingen, Bd. 1: Universitäts-Bibliothek: Philologie, Literärgeschichte, Philosophie, Jurisprudenz, beschrieben von W. Meyer, Berlin 1893 (Verzeichniss der Handschriften im Preussischen Staate, Abt. 1: Hannover. Bd. 1: Die Handschriften in Göttingen 1) | |
T. Haye, Der Laborintus Eberhards des Deutschen. Zur Überlieferung und Rezeption eines spätmittelalterlichen Klassikers, in: Revue d'histoire des textes N.S. 8 (2013), 339–369 | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
Polycarpi Leyseri… Historia Poetarum Et Poematum Medii Aevi Decem Post Annvm A Nato Christo CCCC Seculorum…, Hallae 1741 | |
L. Thorndike, P. Kibre, A catalogue of incipits of mediaeval scientific writings in latin, revisited and augmented edition, London 21963 (Mediaeval Academy of America publication 29) | |
Bibliotheca mundi seu speculi maioris Vincentii Burgundi præsulis Bellovacensis, ordinis Prædicatorum, Bd. 1–4, Douai 1624 | |
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 12 Bde., hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin/New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin/New York 2005–2015 | |
H. Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum, Göttingen 1959 (Carmina medii aevi posterioris Latina 1) | |
H. Walther, Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi, Bd. 1–6; P. G. Schmidt, Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi. Nova series, Bd. 7–9, Göttingen 1963–1986 (Carmina medii aevi posterioris Latina 2,1–9) | |
Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften Teil IV.