Hieronymus, Martyrologium
Weißenburg, Benediktinerkloster — 8. Jh., 2. Hälfte (772)
Provenienz: 1r Bendiktinerkloster Weißenburg, Besitzvermerk: Codex monasterii S. Petri in Wissenburg Zeitangaben:Iuxta Eusebii chronicam anni mille v ccxxciii compotacio Grecorum seu Romanorum …. 1v … ab incarnatione Christi dcclxxii. Die Handschrift wurde von Heinrich Julius von Blum um 1665 an den aus Lucca stammenden Botaniker und Arzt Francesco Maria Fiorentini verliehen (ein Brief von Fiorentini an Heinrich Julius von Blum vom 1.1.1666 befindet sich in den Wolfenbütteler Bibliotheksakten). Erst zu einem späteren Zeitpunkt als die anderen Weißenburger Handschriften, am 4. Oktober 1692, gelangte die Handschrift nach Wolfenbüttel ( , 3–18, 242–244).
Pergament — 102 Bl. — 22 × 15,5 cm
Lagen: III (6). IV+1 (15). 8 IV (79). IV-1 (86). 2 IV (102). Am Ende der ersten beiden Lagen rechts unten die Buchstaben a (6v) und b (15v). Bl. 1–20 Tintenfoliierung. 21–102 neue Bleistiftfoliierung (vgl. Blattverlust zwischen Bl. 20/21). Guter Zustand. Blattverlust ohne Textverlust zwischen Bl. 80/81 und 20/21. Schriftraum: 19 × 11 cm, einspaltig, 20 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Dieselbe Hand auch in 24 Weiss. Zur Adallandus-Gruppe gehörig: 10 Weiss., 14 Weiss., 17 Weiss., 18 Weiss., 24 Weiss., 13 Weiss., 43 Weiss., 67 Weiss. (?). Ergänzungen und Randnotizen von weiteren, zum Teil zeitgleichen Händen (u.a. 1r–v), 1v, 2r und 102r Federproben (9. Jh.); , 51–59). Incipits und Explicits in Zierschrift aus kolorierten Hohlbuchstaben. Die Textanfänge in roter Unzialis. Satzmajuskeln rot hinterlegt. Capitalis, Unzialis
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1969).
INHALT
7r–101r : Martyrologium Hieronymianum ( , Nov. 2,2, 1931). Dem Text beigefügt Notae Weissenburgensis (vgl. 1, 111). 1r–1v Zeitbestimmung (zum Text vgl. , 243). 2r leer. 2v–3r Horologium (in Tabellenform). 3v Horologium (in fortlaufendem Text). 4r–6v Ostertafeln mit Weißenburger Annalen , für die Jahre 772–854 (erweitert von einer zweiten Hand rückwärts bis 763 und vorwärts bis 858; zu den Annalen, vgl. , Nov. 2,1, XVII; , Weissenburger Aufzeichnungen vom Ende des 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 13, 492 mit Neuausgabe in Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 73, 404–406).
AUSSTATTUNG
Eine Zierinitiale. 10 kleinere Initialen.Initialen: Die Zierinitiale (7,0 cm) zu Textbeginn als Randleisteninitiale mit Flechtbandfüllung. In den Flechtbandzwischenräumen gestreifter Grund. Die Zierschrift zu Beginn des Textes (7r) bestehend aus kolorierten Hohlbuchstaben und hohlen Federbuchstaben mit roter Punktrandung. Hier als Tituli und Füllornament zwischen den Wörtern verschiedene Blattformen (geschachtelte Herzblätter und eine Halbpalmette). Die Hohlbuchstaben und Federinitialen zu den Textanfängen in KL-Ligaturen (12r, 18v, 25r, 41r, 50v, 58r, 67v, 84r, 89v, 96r), teils kombiniert mit farbig unterlegten Initialen mit Flechtbandfüllung (12r,40r, 49v, 58r). Im Besatz Halbpalmetten (7r), Vogelköpfe (7r, 41r) und ein Fabelwesenkopf (50v Hund?).
Farben:
Kolorierte Hohlbuchstaben, Initialen und das Ornament in Dunkelgrün und Minium.STIL UND EINORDNUNG
Das Martyrologium 81 Weiss. zählt zu den frühesten Handschriften aus dem Kloster Weißenburg. Seine Lokalisierung nach Weißenburg ist gesichert, da Butzmann seine Schreiberhand auch in 24 Weiss. identifizieren konnte und somit eine paläographische Verbindung zur Adallandus-Gruppe besteht ( , 51–59; für eine Lokalisierung nach Maastricht aufgrund des hervorgehobenen Eintrags für Sankt Servatius in Maastricht auf 45v plädiert , 47, Anm. 11; Dank an D. Ganz, Cambridge für Hinweise bezgl. Datierung und Literatur). Der Text beinhaltet Angaben zur Entstehungszeit der Abschrift (1v, Textende mit Jahresangabe 772), die von einer anderen, zeitgleichen Hand, als derjenigen des Haupttextes stammen (Blatt ist in den Lagenverbund eingefügt). Des weiteren ist die Ostertafel, die die Jahre 772–854 angibt, von einer weiteren Hand rückwärts bis 763 (4r) und vorwärts bis 858 (6v) ergänzt. Am Rand dieser Tafel befinden sich annalistische Randnotizen von verschiedenen Händen, die sich mit Ereignissen bezüglich der Abtei Weißenburg befassen ( , 123, 125). Das anschließende Martyrologium des Hieronymus gibt in kalendarischer Reihenfolge zum Todesdatum des jeweiligen Heiligen auch den Ort des Geschehens an (vgl. , Les martyrologes du Moyen Âge latin, Turnhout 1978 [Typologie des sources du Moyen Âge occidental 26], 31 [unter der Signatur 23]; , Weissenburger Aufzeichnungen vom Ende des 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 34 [1919], 401–421). Butzmann zählt die Handschrift zur sogenannten Adallandus-Gruppe (10 Weiss., 14 Weiss., 17 Weiss., 18 Weiss. und 24 Weiss.) und erkennt die Schrift in 24 Weiss. wieder ( , 242). In Anlehnung an die Nennung des Jahres 772 datiert er das Martyrologium in die 2. Hälfte des 8. Jh. Bischoff hingegen schlägt eine Datierung 8./9. Jh.; 9. Jh., Anfang; 9. Jh., 1. Viertel vor. Füll- und Besatzmotive sowie Initialformen der Handschrift mit Vogelköpfen (7r und 41r, vgl. 72 Weiss.) und dreieckig erweiterten Serifen (vgl. 67 Weiss.) entsprechen dem Weißenburger Skriptorium. Der kreisförmig ausgesparte Initialstamm auf 7r hat seine Parallelen in 24 Weiss., 181v und 14 Weiss., 27v (hier viereckig). Der Fabelwesenkopf als obere Initialstammendung mit herausgestreckter Zunge (50v) begegnet in einem eventuell in Weißenburg in der Zeit 783–793 unter Abt Erembertus entstandenen Psalter Rom, BAV, Pal. lat. 67, 14r, 23r (zur Handschrift vgl. , Eine frühkarolingische Dedicatio in der Lindisfarne-Tradition, in: Diversarum Artium Studia. Beiträge zu Kunstwissenschaft, Kunsttechnologie und ihren Randgebieten. Festschrift für Roosen-Runge zu, 70. Geburtstag, hrsg. von und , Wiesbaden 1982, 19–32; , Nr. 32).Nov. 2,1, 1894, 15–17; Nov. 2,2, 1931, 11. — , Nr. 4165 (Heinemann Nr.). — IX, Nr. 1393. — , 706. — , 242–244. — , 77. — , 123–128, 126 Anm. 579. — , Les martyrologes du Moyen Âge latin, Turnhout 1978 (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 26), 31 (unter der Signatur 23). — , 19. — , Bd. 1,1.2, 824. — , 29, 32, 33, 50. — , Nr. 17 ( ). — , 46. — , Nr. 7422a. — , 360, 362.
Abgekürzt zitierte Literatur
Acta Sanctorum, quotquot toto orbe coluntur, vel a Catholicis scriptoribus celebrantur…, Bd. 1–67, Antwerpen u. a. 1643– | |
Bibliothèque monastique (IXe-XIIe s.). Le scriptorium oublié de Wissembourg. Exposition de photos des manuscrits de Wissembourg conservés à la Herzog-August-Bibliothek de Wolfenbüttel (R.F.A.), organisée par la Mission Historique Française en Allemagne et le Cercle d'histoire de l'Alsace du nord avec la collaboration de la Bibliothèque de Wolfenbüttel et de la Société Thierry Alix de Nancy, Wissembourg du 15 septembre au 8 octobre 1991, Wissembourg 1991 | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
G. Cames, Dix siècles d'enluminure en Alsace, Contades 1989 | |
Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971 | |
Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Wolfenbüttel 28. November - 31. Juli 2005, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83) | |
L. Nees, Frankish Manuscripts. The Seventh to the Tenth Century, 2 Bde., London 2022 (A Survey of Manuscripts illuminated in France 2) | |
K. Holter, Der Buchschmuck in Süddeutschland und Oberitalien, in: Karolingische Kunst, hrsg. von W. Braunfels/H. Schnitzler, Düsseldorf 1965 (Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 3), 76-114 | |
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Aufbau des Evangelienbuches, Bern/München 1971 (Bibliotheca Germanica 14) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
E. Lesne, Histoire de la proprieté ecclésiastique en France, Lille 1938 | |
F. Lifshitz, The name of the saint. The martyrology of Jerome and access to the sacred in Francia, Notre Dame/Indiana 2006, 627-827 | |
Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in Folio), Bd. 1–, Hannover 1826– | |
S. Westphal, Karolingische Buchmalerei aus dem elsässischen Kloster Weißenburg, in: Die Handschriften der Hofschule Karls des Großen. Individuelle Gestalt und Europäisches Kulturerbe, Tagung Trier 2018, Trier 2019, 357–391 | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).