Lex Salica. Epitome Guelpherbytana der Lex Romana Visigothorum
Fleury, Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire (?) — um 800
Provenienz: Papiervorsatzblatt mit Gutachten über die Handschrift von Gerichtsrat Ernst Peter Johann Spangenberg (dat. 16.1.1823). Keine Besitzeinträge des Benediktinerklosters Weißenburg. sie gelanget jedoch zusammen mit den anderen Weißenburger Handschriften 1690 in den Besitz der Herzog August Bibliothek. Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig.
8°5 ( , 3–18).Pergament — 87 Bl. — 21,5 × 12,5 cm
Lagen: 2 IV (17). V (27). IV-1 (34). IV (42). II (48). IV (56). IV-1 (63). 2 IV (7)). III (85). I (87). Lagenbezeichnungen A-L 8v–85v. Tintenfoliierung. Bl. 9 in der Zählung ausgelassen. Schriftraum: 19 × 12 cm, einspaltig, 18–24 Zeilen. Vorkarolingische Minuskel von einer Hand. Im Kolophon vermerkt der Schreibername Agambertus (87v). 13v eine 2. Hand mit älterem Charakter (B. Bischoff, in: , Zur Entstehungsgeschichte der Lex Salica, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., 1951, 1–34., 9, 10). Überschriften zu den Capitula, Zählung in römischen Zahlen und Überschriften in roter Unzialis. 34r in Gelb. Im Text gelegentlich farbig gefüllte Satzmajuskeln. Texte auf 1r und 87v überstrichen mit Galläpfeltinktur.
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1963).
INHALT
1r Formula securitatis ( 5, 537–538, Nr. 8). 1v–34r Lex Salica. Klasse A; 65-Titel-Text in 67 Titeln ( nat. Germ. 4,1, 18–232, 238–241, 246–249, 254, 258–260; Sigle A2; 14). 34r–37r Pactus Childeberti I et Chlotarii I. LXXVII-LXL, ohne c. 1. Pactus Childeberti regis (MGH Capit. 1, Nr. 3, 4 Z. 29 - 7 Z. 19; nat. Germ 4, 1 250–252). 37r–37v Lex Salica , Klasse A; Epilog und Königsliste ( nat. Germ. 4, 1, 253; Sigle A2; Königsliste auch unter rer. Merov. 7, 479 und 471). 37v–87r Epitome Guelpherbytana der Lex Romana Visigothorum ( , Lex romana Visigothorum, Berlin/Leipzig 1848, 80–82). 87v Schreiberverse: Quisquis nescit scribere - ora pro scriptore se abias deum adiutorem. Kolophon ora pro agamberto se te liberat … ( , Kleine Untersuchungen zu den fränkischen Stammesrechten I, mit einem Beitrag von , in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 9 (1952), 59–102, hier 102).
AUSSTATTUNG
50 Initialen.Initialen: Zu den Textanfängen der Capitula insgesamt 50 verzierte und zahlreiche unverzierte 2–6zeilige Initialen (2–4,5 cm). Fisch-Vogel Ornament als Buchstabenersatz, teils als Zirkelschlagornament Die Initialstämme gefüllt mit einfachen Schnallen (15r, 25v, 26r, 37r, 38v), Flechtband (1v, 14r, 14v, 15v, 37r, 43v, 58v), Seilband (4r, 50v, 54r - in Schlangenköpfen endend), Stufenband (50v), Achterschlingen (22r, 28v, 32r, 36r, 36v, 55v) und sternförmigen Knoten (5v, 6v, 17r). Der Buchstabe wird durch Tiere - Schlangen (3v, 7r, 14v), Vögel (2v, 4r, 7v, 11v, 37v, 37r, 43v, 57r) und Fische (5r, 7r, 11v, 32r, 33r, 50v, 57v) - ersetzt. Die Vögel mit abgerundet, wellenförmig verlaufender Federstruktur und einer im Bauchbereich eingesetzten, gekernten Blase (Auge?; 2v und 3r). Fische mit angedeuteten Schuppen, gepunktetem Kopf und angesetzten dreieckigen Flossen (50v). Vögel halten häufiger einen Fisch im Schnabel (7v, 11v). Im Besatz Halbpalmetten (22r, 54r). Eine Initiale als Fabelwesen mit Hundekopf (5r). Als freistehendes Ornament die Initiale begleitend, Kreuze (30r, 68r - mit roter Punktrandung) und ein kleiner Baum mit spitzen Blättern (31v). Als Initialstammendung kleine Knospen (1v, 3v, 8r, 11r,12r, 15r, 16v, 30v, 31r, 31v, 47r, 47v, 48r, 57v) oder gerade abschließende Palmetten (2v, 14r, 15v, 16r, 23r, 25v, 29v, 32r, 33r, 54r), die Serifen spiralförmig gerollt. 58v tropfenfömiger, gekernter unterer Abschluss mit umschließendem Reif. Einige Initialen als Federinitalen mit roter Punktrandung (4r, 15r, 30v).
Farben: Rot/Orange, Braun und Gelb. Zum Teil stark verblichener Farbauftrag.
STIL UND EINORDNUNG
Da die in der Handschrift enthaltene Königsliste auf 37r mit Childerich III. (amt. 743–751) endet, ergibt sich für die vorliegende Rechtshandschrift der Terminus post quem 751 als Entstehungsdatum. Bischoff plädiert für eine Eingrenzung des Entstehungszeitraums auf 751–770 und nennt als paläographisch eng verwandte Handschrift Autun, BM, Ms. 3 (Gundohinusevangeliar), Fleury (?), 754 (B. Bischoff, in: , 8, 10; , The Gundohinus Gospels, Cambridge 1987 [Medieval Academy Books 95]; , 9–13; , Nr. 9), dessen Entstehung in Fleury bereits von , 59 vorgeschlagen wurde, jedoch, wie die gesamte Zusammenstellung der Handschriftenguppe aus Fleury (8./9. Jh.), kontrovers dikutiert wird (vgl. VI, XV). Bischoff lokalisierte die Handschrift nach Nord- oder Ostfrankreich (in: ), Lowe nach Burgund ( IX, Nr. 1395). Der in der Schreiberinschrift erwähnte Name Agambertus begegnet wieder in den Handschriften (Bern, BB, Cod. 118, Fleury(?), Anfang 9. Jh.; , 42–44) und einer Handschrift heute in Valenciennes (Valenciennes, BM, Ms. 59, Fleury(?), Anfang 9. Jh.). Beide und eine weitere Handschrift der Burgerbibliothek (Bern, BB, Cod. 280, Fleury(?), Anfang 9. Jh.; , 42–44) sind nach , 43 paläographisch verwandt. Im Initialstil ähnlich zu Bern, BB, Cod. 118 lässt sich der Gruppe mit Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1597 (um 800; V, Nr. 687) ein weiterer Codex hinzuzufügen. Die spätere Datierung der Handschriften ins beginnende 9. Jh., lässt bezweifeln, ob es sich bei Agambertus um dieselbe Schreiberpersönlichkeit handelt (vgl. Eintrag auf 87v). Bern, BB, Cod. 280 zeigt in den Initialen eine starke Ähnlichkeit zur Weißenburger Handschrift. Charakteristische Merkmale sind die gleich gestalteten Vögel mit identischer Kopfpartie und denselben wellenförmig verzierten Flügeln (vgl. 4r mit Bern, BB, Cod. 280, 1v). Auch der in 97 Weiss. vorhandene tropfenförmige, gekernte untere Initialabschluss (vgl. 58v) kehrt in den Handschriften wieder (vgl. Bern, BB, Cod. 118 , 113v; , Taf. XV, 36). Weitere mit der Gruppe übereinstimmende Merkmale sind die gerade abschließende Palmette (vgl. 29v), die häufig spiralförmig endenden Serifen, der plastisch angelegte Reif, hier im unteren Initialabschluss (vgl. 58v mit Bern, BB, Cod. 49, 133v; , Taf. XV, 35), die Vorliebe für eckig geführte Bänder und Knoten (vgl. 5v; Bern, BB, Cod. 280, 14v: , Taf. XV, 34) sowie die beim Fisch vorhandenen dreieckigen, flossenähnlichen Ansätze (vgl. 50v mit Bern, BB, Cod. 118, 24v; , Taf. XV, 33). Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1597 , Fleury, um 800 ( V, Nr. 687 und VI, 19) zeigt das in 97 Weiss. im Bauchbereich des Vogels eingesetzte übergroße Auge (4r); vgl. , Bibliothèque Nationale. Catalogue des manuscrits des fonds libri et barrois, Paris 1888, Nr. XX, Taf. V). Zusammen mit Paris, BnF, lat. 4404 und Leiden, UB, Cod. VLQ 119 (olim Voss. lat. q. 119) gehen die in 97 Weiss. enthaltenen Textversionen, Lex Salica und Pactus pro tenore pacis, auf eine gemeinsame Vorlage zurück ( I, 1, 133,132). Die Zugehörigkeit von 97 Weiss. zu der vorgestellten Gruppe und dem Skriptorium von Fleury ist kunsthistorisch evident. Der in 97 Weiss. vorhandene insulare Einfluss (vgl. die rotgepunkteten Initialen, 15r) untermauert die Lokalisierung, da dieser in Fleury nachweislich um die Jahrhundertwende deutlich zum Tragen kommt (vgl. Bern, BB, Cod. 207, Fleury, um 800; , 32–39). Da eine ausführliche kunsthistorische Bearbeitung des Skriptoriums noch aussteht, erfolgt die Lokalisierung der Wolfenbütteler Handschrift nach Fleury jedoch unter Vorbehalt., Lex Salica mit der Mallobergischen Glosse nach den Handschriften von Tours - Weissenburg - Wolfenbüttel und von Fulda - Augsburg - München, Leipzig 1879, 80–85. — , Geschichte der Quellen und Literatur des Römischen Rechts im frühen Mittelalter, Aalen 1963 (Neudruck der Ausgabe von 1891), 231, 232. — , Nr. 4181 (Heinemann Nr.). — , IX, Nr. 1395. — , 707. — , Zur Entstehungsgeschichte der Lex Salica, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., 1951, 1–34. — , 43, 47 Anm. 4. — , 278–282. — , 77 Anm. 9. — (Hg.), Recht und Schrift im Mittelalter, Sigmaringen 1977 (Vorträge und Forschungen 23), 465, 466. — , Weltliches Recht im Kloster Weißenburg/Elsaß. Hinkmar von Reims und die Kapitulariensammlung des Cod. Sélestat, Bibliothèque Humaniste, 14 (104), in: / (Hg.), Litterae Medii Aevi. Festschrift für Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geburtstag, Sigmaringen 1988, 69–85, hier 70 Anm. 7. — , The Carolingians and the written word, Cambridge 1989, 44, 48, Tab. A. — , 289. — , Bd. 1,1.2, 824. — , 958–960. — , History, Frankish identity and the framing of Western ethnicity, 550–850, Cambridge 2015 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Ser. 4, 101), 106. — , 301 Anm. 39, 302 Anm. 51, Abb. 20.
Abgekürzt zitierte Literatur
Catalogue des manuscrits conservés à Autun, Bibliothèque municipale et Société éduenne, hrsg. von C. Maître, Turnhout 2004 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971 | |
K. A. Eckhardt, Zur Entstehungsgeschichte der Lex Salica, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., 1951, 1-34 | |
Pactus legis salicae, hrsg. von K. A. Eckhardt, Göttingen 1955 (Germanenrechte Ser. 1, 1) | |
L. Nees, Frankish Manuscripts. The Seventh to the Tenth Century, 2 Bde., London 2022 (A Survey of Manuscripts illuminated in France 2) | |
K. Holter, Der Buchschmuck in Süddeutschland und Oberitalien, in: Karolingische Kunst, hrsg. von W. Braunfels/H. Schnitzler, Düsseldorf 1965 (Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 3), 76-114 | |
O. Homburger, Die illustrierten Handschriften der Burgerbibliothek Bern. Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Bern 1962 | |
B. Kitzinger, Wandalgarius' Letters of the Law. Figural Initials and Book Cultures in the Late Eight Century, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 84,3 (2021), 291-324 | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
E. Lesne, Histoire de la proprieté ecclésiastique en France, Lille 1938 | |
Monumenta Germaniae Historica. Leges (in Folio), Bd. 1–5, Hannover 1835–1889 | |
Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in Folio), Bd. 1–, Hannover 1826– | |
H. Mordek, Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta. Überlieferung und Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse, München 1995 (MGH Hilfsmittel 15) | |
M. Mostert, The library of Fleury. A provisional list of manuscripts, Hilversum 1989 (Medieval Studies and Sources 3), 289 | |
Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6) | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 | |
E. Zimmermann, Vorkarolingische Miniaturen, Text- und Tafelband, Berlin 1916 (Deutscher Verein für Kunstwissenschaft. Denkmäler Deutscher Kunst) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).