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Beschreibung von Cod. Guelf. 97 Weiss.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Lex Salica. Epitome Guelpherbytana der Lex Romana Visigothorum

Fleury, Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire (?) — um 800

Provenienz: Papiervorsatzblatt mit Gutachten über die Handschrift von Gerichtsrat Ernst Peter Johann Spangenberg (dat. 16.1.1823). Keine Besitzeinträge des Benediktinerklosters Weißenburg. sie gelanget jedoch zusammen mit den anderen Weißenburger Handschriften 1690 in den Besitz der Herzog August Bibliothek. Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. Wiener Liste 8°5 (Butzmann Weißenburg, 3–18).

Pergament — 87 Bl. — 21,5 × 12,5 cm

Lagen: 2 IV (17). V (27). IV-1 (34). IV (42). II (48). IV (56). IV-1 (63). 2 IV (7)). III (85). I (87). Lagenbezeichnungen A-L 8v–85v. Tintenfoliierung. Bl. 9 in der Zählung ausgelassen. Schriftraum: 19 × 12 cm, einspaltig, 18–24 Zeilen. Vorkarolingische Minuskel von einer Hand. Im Kolophon vermerkt der Schreibername Agambertus (87v). 13v eine 2. Hand mit älterem Charakter (B. Bischoff, in: K. A. Eckhardt, Zur Entstehungsgeschichte der Lex Salica, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., 1951, 1–34., 9, 10). Überschriften zu den Capitula, Zählung in römischen Zahlen und Überschriften in roter Unzialis. 34r in Gelb. Im Text gelegentlich farbig gefüllte Satzmajuskeln. Texte auf 1r und 87v überstrichen mit Galläpfeltinktur.

Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1963).

INHALT

1r Formula securitatis (MGH LL 5, 537–538, Nr. 8). 1v34r Lex Salica. Klasse A; 65-Titel-Text in 67 Titeln (MGH LL nat. Germ. 4,1, 18–232, 238–241, 246–249, 254, 258–260; Sigle A2; 14). 34r37r Pactus Childeberti I et Chlotarii I. LXXVII-LXL, ohne c. 1. Pactus Childeberti regis (MGH Capit. 1, Nr. 3, 4 Z. 29 - 7 Z. 19; MGH LL nat. Germ 4, 1 250–252). 37r37v Lex Salica , Klasse A; Epilog und Königsliste (MGH LL nat. Germ. 4, 1, 253; Sigle A2; Königsliste auch unter MGH SS rer. Merov. 7, 479 und 471). 37v87r Epitome Guelpherbytana der Lex Romana Visigothorum (G. Hänel, Lex romana Visigothorum, Berlin/Leipzig 1848, 80–82). 87v Schreiberverse: Quisquis nescit scribere - ora pro scriptore se abias deum adiutorem. Kolophon ora pro agamberto se te liberat (R. Buchner, Kleine Untersuchungen zu den fränkischen Stammesrechten I, mit einem Beitrag von F. Beyerle, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 9 (1952), 59–102, hier 102).

AUSSTATTUNG

50 Initialen.

Initialen: Zu den Textanfängen der Capitula insgesamt 50 verzierte und zahlreiche unverzierte 2–6zeilige Initialen (2–4,5 cm). Fisch-Vogel Ornament als Buchstabenersatz, teils als Zirkelschlagornament Die Initialstämme gefüllt mit einfachen Schnallen (15r, 25v, 26r, 37r, 38v), Flechtband (1v, 14r, 14v, 15v, 37r, 43v, 58v), Seilband (4r, 50v, 54r - in Schlangenköpfen endend), Stufenband (50v), Achterschlingen (22r, 28v, 32r, 36r, 36v, 55v) und sternförmigen Knoten (5v, 6v, 17r). Der Buchstabe wird durch Tiere - Schlangen (3v, 7r, 14v), Vögel (2v, 4r, 7v, 11v, 37v, 37r, 43v, 57r) und Fische (5r, 7r, 11v, 32r, 33r, 50v, 57v) - ersetzt. Die Vögel mit abgerundet, wellenförmig verlaufender Federstruktur und einer im Bauchbereich eingesetzten, gekernten Blase (Auge?; 2v und 3r). Fische mit angedeuteten Schuppen, gepunktetem Kopf und angesetzten dreieckigen Flossen (50v). Vögel halten häufiger einen Fisch im Schnabel (7v, 11v). Im Besatz Halbpalmetten (22r, 54r). Eine Initiale als Fabelwesen mit Hundekopf (5r). Als freistehendes Ornament die Initiale begleitend, Kreuze (30r, 68r - mit roter Punktrandung) und ein kleiner Baum mit spitzen Blättern (31v). Als Initialstammendung kleine Knospen (1v, 3v, 8r, 11r,12r, 15r, 16v, 30v, 31r, 31v, 47r, 47v, 48r, 57v) oder gerade abschließende Palmetten (2v, 14r, 15v, 16r, 23r, 25v, 29v, 32r, 33r, 54r), die Serifen spiralförmig gerollt. 58v tropfenfömiger, gekernter unterer Abschluss mit umschließendem Reif. Einige Initialen als Federinitalen mit roter Punktrandung (4r, 15r, 30v).

Farben: Rot/Orange, Braun und Gelb. Zum Teil stark verblichener Farbauftrag.

STIL UND EINORDNUNG

Da die in der Handschrift enthaltene Königsliste auf 37r mit Childerich III. (amt. 743–751) endet, ergibt sich für die vorliegende Rechtshandschrift der Terminus post quem 751 als Entstehungsdatum. Bischoff plädiert für eine Eingrenzung des Entstehungszeitraums auf 751–770 und nennt als paläographisch eng verwandte Handschrift Autun, BM, Ms. 3 (Gundohinusevangeliar), Fleury (?), 754 (B. Bischoff, in: Eckhardt Lex salica, 8, 10; L. Nees, The Gundohinus Gospels, Cambridge 1987 [Medieval Academy Books 95]; Autun, 9–13; Frankish Manuscripts, Nr. 9), dessen Entstehung in Fleury bereits von Zimmermann Miniaturen, 59 vorgeschlagen wurde, jedoch, wie die gesamte Zusammenstellung der Handschriftenguppe aus Fleury (8./9. Jh.), kontrovers dikutiert wird (vgl. CLA VI, XV). Bischoff lokalisierte die Handschrift nach Nord- oder Ostfrankreich (in: Eckhardt Lex salica), Lowe nach Burgund (CLA IX, Nr. 1395). Der in der Schreiberinschrift erwähnte Name Agambertus begegnet wieder in den Handschriften (Bern, BB, Cod. 118, Fleury(?), Anfang 9. Jh.; Homburger Burgerbibliothek, 42–44) und einer Handschrift heute in Valenciennes (Valenciennes, BM, Ms. 59, Fleury(?), Anfang 9. Jh.). Beide und eine weitere Handschrift der Burgerbibliothek (Bern, BB, Cod. 280, Fleury(?), Anfang 9. Jh.; Homburger Burgerbibliothek, 42–44) sind nach Homburger Burgerbibliothek, 43 paläographisch verwandt. Im Initialstil ähnlich zu Bern, BB, Cod. 118 lässt sich der Gruppe mit Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1597 (um 800; CLA V, Nr. 687) ein weiterer Codex hinzuzufügen. Die spätere Datierung der Handschriften ins beginnende 9. Jh., lässt bezweifeln, ob es sich bei Agambertus um dieselbe Schreiberpersönlichkeit handelt (vgl. Eintrag auf 87v). Bern, BB, Cod. 280 zeigt in den Initialen eine starke Ähnlichkeit zur Weißenburger Handschrift. Charakteristische Merkmale sind die gleich gestalteten Vögel mit identischer Kopfpartie und denselben wellenförmig verzierten Flügeln (vgl. 4r mit Bern, BB, Cod. 280, 1v). Auch der in 97 Weiss. vorhandene tropfenförmige, gekernte untere Initialabschluss (vgl. 58v) kehrt in den Handschriften wieder (vgl. Bern, BB, Cod. 118 , 113v; Homburger Burgerbibliothek, Taf. XV, 36). Weitere mit der Gruppe übereinstimmende Merkmale sind die gerade abschließende Palmette (vgl. 29v), die häufig spiralförmig endenden Serifen, der plastisch angelegte Reif, hier im unteren Initialabschluss (vgl. 58v mit Bern, BB, Cod. 49, 133v; Homburger Burgerbibliothek, Taf. XV, 35), die Vorliebe für eckig geführte Bänder und Knoten (vgl. 5v; Bern, BB, Cod. 280, 14v: Homburger Burgerbibliothek, Taf. XV, 34) sowie die beim Fisch vorhandenen dreieckigen, flossenähnlichen Ansätze (vgl. 50v mit Bern, BB, Cod. 118, 24v; Homburger Burgerbibliothek, Taf. XV, 33). Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1597 , Fleury, um 800 (CLA V, Nr. 687 und VI, 19) zeigt das in 97 Weiss. im Bauchbereich des Vogels eingesetzte übergroße Auge (4r); vgl. L. Delisle, Bibliothèque Nationale. Catalogue des manuscrits des fonds libri et barrois, Paris 1888, Nr. XX, Taf. V). Zusammen mit Paris, BnF, lat. 4404 und Leiden, UB, Cod. VLQ 119 (olim Voss. lat. q. 119) gehen die in 97 Weiss. enthaltenen Textversionen, Lex Salica und Pactus pro tenore pacis, auf eine gemeinsame Vorlage zurück (Eckhardt Pactus legis salicae I, 1, 133,132). Die Zugehörigkeit von 97 Weiss. zu der vorgestellten Gruppe und dem Skriptorium von Fleury ist kunsthistorisch evident. Der in 97 Weiss. vorhandene insulare Einfluss (vgl. die rotgepunkteten Initialen, 15r) untermauert die Lokalisierung, da dieser in Fleury nachweislich um die Jahrhundertwende deutlich zum Tragen kommt (vgl. Bern, BB, Cod. 207, Fleury, um 800; Homburger Burgerbibliothek, 32–39). Da eine ausführliche kunsthistorische Bearbeitung des Skriptoriums noch aussteht, erfolgt die Lokalisierung der Wolfenbütteler Handschrift nach Fleury jedoch unter Vorbehalt.

A. Holder, Lex Salica mit der Mallobergischen Glosse nach den Handschriften von Tours - Weissenburg - Wolfenbüttel und von Fulda - Augsburg - München, Leipzig 1879, 80–85. — M. Conrat, Geschichte der Quellen und Literatur des Römischen Rechts im frühen Mittelalter, Aalen 1963 (Neudruck der Ausgabe von 1891), 231, 232. — Wolfenbüttel Weiss., Nr. 4181 (Heinemann Nr.). — CLA, IX, Nr. 1395. — Lesne, 707. — K. A. Eckhardt, Zur Entstehungsgeschichte der Lex Salica, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., 1951, 1–34. — Homburger Burgerbibliothek, 43, 47 Anm. 4. — Butzmann Weißenburg, 278–282. — Holter Buchschmuck, 77 Anm. 9. — P. Classen (Hg.), Recht und Schrift im Mittelalter, Sigmaringen 1977 (Vorträge und Forschungen 23), 465, 466. — H. Mordek, Weltliches Recht im Kloster Weißenburg/Elsaß. Hinkmar von Reims und die Kapitulariensammlung des Cod. Sélestat, Bibliothèque Humaniste, 14 (104), in: M. Borgolte/H. Spilling (Hg.), Litterae Medii Aevi. Festschrift für Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geburtstag, Sigmaringen 1988, 69–85, hier 70 Anm. 7. — R. McKitterick, The Carolingians and the written word, Cambridge 1989, 44, 48, Tab. A. — Mostert Fleury, 289. — Krämer, Bd. 1,1.2, 824. — Mordek Bibliotheca, 958–960. — H. Reimitz, History, Frankish identity and the framing of Western ethnicity, 550–850, Cambridge 2015 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Ser. 4, 101), 106. — Kitzinger Wandalgarius' Letters, 301 Anm. 39, 302 Anm. 51, Abb. 20.


Abgekürzt zitierte Literatur

Autun Catalogue des manuscrits conservés à Autun, Bibliothèque municipale et Société éduenne, hrsg. von C. Maître, Turnhout 2004
Butzmann Weißenburg H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10)
CLA Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971
Eckhardt Lex salica K. A. Eckhardt, Zur Entstehungsgeschichte der Lex Salica, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., 1951, 1-34
Eckhardt Pactus legis salicae Pactus legis salicae, hrsg. von K. A. Eckhardt, Göttingen 1955 (Germanenrechte Ser. 1, 1)
Frankish Manuscripts L. Nees, Frankish Manuscripts. The Seventh to the Tenth Century, 2 Bde., London 2022 (A Survey of Manuscripts illuminated in France 2)
Holter Buchschmuck K. Holter, Der Buchschmuck in Süddeutschland und Oberitalien, in: Karolingische Kunst, hrsg. von W. Braunfels/H. Schnitzler, Düsseldorf 1965 (Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 3), 76-114
Homburger Burgerbibliothek O. Homburger, Die illustrierten Handschriften der Burgerbibliothek Bern. Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Bern 1962
Kitzinger Wandalgarius' Letters B. Kitzinger, Wandalgarius' Letters of the Law. Figural Initials and Book Cultures in the Late Eight Century, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 84,3 (2021), 291-324
Krämer S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1)
Lesne E. Lesne, Histoire de la proprieté ecclésiastique en France, Lille 1938
MGH LL Monumenta Germaniae Historica. Leges (in Folio), Bd. 1–5, Hannover 1835–1889
MGH SS Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in Folio), Bd. 1–, Hannover 1826–
Mordek Bibliotheca H. Mordek, Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta. Überlieferung und Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse, München 1995 (MGH Hilfsmittel 15)
Mostert Fleury M. Mostert, The library of Fleury. A provisional list of manuscripts, Hilversum 1989 (Medieval Studies and Sources 3), 289
Wiener Liste Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6)
Wolfenbüttel Weiss. Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443
Zimmermann Miniaturen E. Zimmermann, Vorkarolingische Miniaturen, Text- und Tafelband, Berlin 1916 (Deutscher Verein für Kunstwissenschaft. Denkmäler Deutscher Kunst)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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