Evangeliar (Fragment)
Chelles, Benediktinerinnenkloster — 9. Jh., Anfang
Provenienz: Die Fragmentblätter wurden 1967 von 14.2 Theol. 2° abgelöst.
Pergament — 2 Einzelblatt — 40 × 28 cm
Neuere Bleistiftfoliierung. Schriftraum: 35 × 25 cm, zweispaltig, 43 Zeilen. Frühe karolingische Minuskel von einer Hand. Das Incipit in Capitalis und anschließender Unzialis, rubriziert. Versanfänge mit rubrizierten Initialmajuskeln. Zu Beginn des Textes auf 1v ein unverzierter Hohlbuchstabe.
INHALT
Evangeliar. (1r) Kanontafel. (1v) Capitula zu Mt (51 Kapitel). (2r–v) Mt (5,5–6,20).
AUSSTATTUNG
Eine Kanontafel.1r eine Kanontafel mit vier Bögen (36,5 × 25,7 cm). Die fünf hohen Säulen oben verbunden durch dünne, niedrige Bögen. An den Seiten jeweils eine hakenförmig angedeutete Arkade. Den oberen Abschluss bilden abgerundete dünne Kapitelle, die Basen als einfache rechteckige Stufe. Die Säulenschäfte inklusive Basis gerahmt durch eine breite Randleiste, das Mittelfeld gefüllt mit Seilband, perlenförmiger Kreisreihung und gereihten Kreuzblüten. Die Muster setzten sich bis in die Basen fort.
Farben: Helles Orange, Dunkelgrün, Gelb, Blasslila, Dunkelbraun. Sämtliche Muster und Motive in wechselndem Farbspiel.
STIL UND EINORDNUNG
Die beiden Fragmentblätter wurden in der Forschung bisher kaum berücksichtigt. Datierung und Lokalisierung erfolgten paläographisch durch B. Bischoff (Chelles, 8./9. Jh. - Anfang 9. Jh.; , Nr. 7346). Für das Skriptorium des bei Paris gelegenen Benediktinerinnenklosters in Chelles ist ein Tätigkeitszeitraum von ca. 740–800/Anfang 9. Jh. belegt (zur Gruppe ). Für die Jahre 750/760 liegt eine Gruppe von Handschriften um das sogenannte Sakramentar von Gellone (Rom, BAV, Reg. lat. 316; , Le sacramentaire gélasien de Chelles, in: Art de l'enluminure, Bd. 58 [2016], 2–55). Nach Zimmermann umfasst diese Gruppe folgende Handschriften: Oxford, BodL, MS. Laud Misc. 126; Autun, BM, Ms. 20; Montpellier, BM, Ms. 3; Paris, BnF, lat. 12240–12241. Etwas später folgen das Evangeliar Oxford, BodL, MS. Douce 176 und der Psalmenkommentar Köln, Dombibliothek, Cod. 63, 65, 67 (zur Kölner Handschrift: , Nr. 3; zur Gruppe: , 212–221, Abb. 127–143). B. Bischoff ergänzt diese ausgehend von der Kölner Handschrift um weitere Codices, geschrieben in der Zeit 785–810 ( , Die Kölner Nonnenhandschriften und das Skriptorium von Chelles, in: Karolingische und ottonische Kunst. Werden, Wesen, Wirkung, bearb. von F. Gerke, Wiesbaden 1957 [Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 3], 395–411, hier 399). Die Ornamentik des Wolfenbütteler Evangeliarfragments reiht sich in das Repertoire des Skriptoriums ein. Hierzu gehören das Füllmotiv der vierblättrigen Blüte (vgl. , Sp. 47; vgl. Oxford, BodL, MS. Laud Misc. 126, 96v) und das Perlenmotiv ( , Sp. 42; vgl. Rom, BAV, Reg. lat. 316, 4r; zur Handschrift vgl. , Nr. 8). Ähnlich angelegte Kanonbögen, mit schlanken, hohen Säulenschäften finden sich in Montpellier, BM, Ms. 3 (vgl. , Abb. 15, 16). Als besonders charakteristisch gilt die kräftige, motivabhängig wechselnde Farbgebung mit einer von Ziegler als solche bezeichneten "Leitfarbe", bei der es sich in vielen Fällen um Orange/Menning handelt ( , Sp. 55). Dieses Vorgehen ist auch im Wolfenbütteler Fragment gegeben, wo das in den Randleisten der Säulen auftretende Orange wechselnd mit den anderen Farben auch im Füllornament auftritt. Für eine späte Zeitstellung um 800 oder kurz danach spricht das Fehlen der Farbe Blau, die von Ziegler als charakteristisch für die frühen Chelles-Handschriften beschrieben wird ( , Sp. 55). Das in dem Wolfenbütteler Fragment so prominent gebrauchte Seilband hingegen nennt Ziegler typisch für die späteren Codices ( , Sp. 54)., 177. — , Nr. 7346.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).