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Beschreibung von Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, 8° Cod. Ms. philol. 123
Patrizia Carmassi: In Vorbereitung: Katalog der mittelalterlichen lateinischen Handschriften der SUB Göttingen, beschrieben von Patrizia Carmassi.

Quintus Horatius Flaccus

Pergament — II, 109, II Bl. — 15 × 10 cm — Italien (Florenz) — 15. Jh. Letztes Drittel

Lagen: V+1 (11). 9 V (101). V-2 (109). Reklamanten am Ende der Lagen, vertikal zum geschriebenen Haupttext. Moderne Foliierung (Bleistift), unregelmäßig ausgeführt. Ältere moderne Foliierung in schwarzer Tinte (nur fol. 1, 107, 109). Vorsatzblätter aus Papier nicht foliiert. Pergament teilweise wellig. Fol. 1r: Flecken und Fehlstelle am oberen rechten Rand. Blattgold gelegentlich abgesprungen. Kopfschnitt vergraut. Einspaltig. 18 Zeilen. Schriftraum: 9,5 × 6,5 cm Humanistische Rotunda von einer Hand. Der Schreiber scheint bemüht zu sein, Drucktypen aus frühen Inkunabeln in Antiqua Schrifttypen zu imitieren, wie z.B. Quintus Horatius Flaccus, Opera, Venedig, um 1471 (GW 13449). Ich danke Oliver Duntze für diesen Hinweis. In der Handschrift sind die Buchstaben getrennt, der Duktus wirkt künstlich und holperig, der Effekt einer gedruckten Seite wird gesucht. Sonst scheint die Schrift in der Tradition Florentiner Schreiber zu stehen. Vgl. beispielsweise Johannes Marcus Cynicus, Schüler von Piero Strozzi, in München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 11324 (1494); València, Universitat de València, Biblioteca Històrica, Ms. 720 (1472); Paris, BNF, MS latin 12947 (1471). Weitere Beispiele in Miniatura fiorentina del Rinascimento, hrsg. von A. Garzelli, Firenze 1985, 1-2. Rubriziert. Titel und erstes Wort der einzelnen Gedichten in hellblauer Capitalis quadrata. Ornamentale Initialen in Deckfarbe und Blattgold. I. Hauptinitialen. Fünf- bis sechszeiligen Felditialen zu Beginn der einzelnen Bücher. Schwarz konturierte Buchstaben, mit Blattgold gefüllt, auf viereckigem, schwarz konturierten, dunkelrotem Feld. Als Besatzornament innerhalb des Feldes symmetrisch angeordnete Ranken mit Kornblumen, Rosetten und Knospen. Auf fol. 63r auch Dreipunktmuster auf dem roten Hintergrund. Farben: Rot, Grün, Hellblau, Gelb, Violett, Weiß, Gold. II. Schlichtere Initialen zu Beginn der Satiren und Episteln. Zwei- bis dreizeilige Initialen in Deckfarben und Gold. Schwarz konturierter Stamm, mit Blattgold gefüllt, auf einem in drei Farben (Dunkelrot, Grün, Blau) geteilten, schwarz konturierten, viereckigen Feld. Weißlinienfiligran (Linien, Spiralen, Punkte, Ranken). Vergleichbar in der Typologie sind die Initialen in Blattgold mit Rankenbesatz in der Inkunabel, Padova, Biblioteca del Seminario vescovile, For. K. 2.1, mit Werken von Homer, gedruckt 1487-88 in Florenz und dort illuminiert. Vgl. F. Toniolo, in L. Armstrong, P. Scapecchi, F. Toniolo, Gli incunaboli della biblioteca del Seminario Vescovile di Padova. Catalogo e studi, a cura di P. Gios e F. Toniolo, introduzione di G. Mariani Canova, Padova 2008, Nr. 217, S. 158 (Miniaturen, Boccardino il Vecchio zugewiesen). Als Vergleich bieten sich auch die raffinierten monochromen Ranken aus den Florentiner Malerwerkstätten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an, die illuminierte Prachthandschriften u.a. für Matthias Corvinus produziert haben (vgl. Werkstatt von Attavante degli Attavanti, oder Giovanni Boccardi, sog. Boccardino il Vecchio, 1460-1529). Diese füllen teilweise die Rahmen der vollseitigen Miniaturen. Beispiele in Miniatura fiorentina del Rinascimento, hrsg. von A. Garzelli, Firenze 1985, Bd. 2 (Abbildungen). I. Hauptinitialen. 2r Q(ui). 32r S(unt). 63r P(rima). 92v C(um).

Moderner Einband aus dem 18. Jahrhundert. Pappdeckel mit braunem Leder überzogen. Vergoldeter Schnitt. Vier Bünde. Auf dem Rücken goldene Einprägungen (Blumen, Linien, Wellen) und Inhaltsangaben in goldenen Buchstaben: HORAT SERM. ET EPIST. Dazu aufgeklebter moderner vorgedruckter Papierzettel mit aktueller Signatur. Auf fol. 1r Spuren von zwei Metallschließen aus einem verlorenen früheren Einband. Dort auch Fraßspuren (Loch). VS, HS und Vorsatzblätter aus Papier, wobei VS, HS und das jeweils gegenüberliegende Blatt aus marmoriertes Papier, in den Farben Rot, Blau, Grün, Gelb und Schwarz (Placard pattern). Auf VS aufgeklebter Papierauschnitt aus Meyers Katalog über diese Handschrift. Lederüberzug weist Flecken, Kratzer und abgeriebene Stellen auf.

Herkunft: Italien. Auf Grund der Merkmale der Schrift und der Ausstattung ist die Produktion der Handschrift in Mittelitalien, höchstwahrscheinlich Florenz, zu lokalisieren. — Provenienz: Notiz fol. IIv (braune Tinte): d. 2 dec. 1784. Von der Hand von Thomas Christian Tychsen (1758-1834). Dieser studierte Theologie und Philologie in Kiel und Göttingen. Im Jahr 1783 erhielt er ein Reisestipendium (Frankreich, Spanien, Lombardei, Wien). Ab 1784 a.o. Professor der Theologie, ab 1788 o. Professor der orientalischen Sprachen in Göttingen. Vgl. dazu C. E. Carstens, Art. "Tychsen, Thomas Christian" in ADB 39 (1895), S. 51. Die Information, dass er die Handschrift von Spanien (ultima Hesperia) mitgebracht hätte, kommt von Christoph Wilhelm Mitscherlich (1760-1854) (s. unten). Das von ihm erwähnte Datum 1784 stimmt mit der handgeschriebenen Notiz Tychsens fol. IIv überein und bestätigt die Provenienz des Codex aus dessen Bibliothek. In seinem Werk De inscriptionibus Arabicis in Hispania repertis: commentatio, Göttingen ca. 1822, S. 119-121, berichtet Tychsen von seiner Reise nach Frankreich, Spanien und Italien zusammen mit dem Philologen und Professor Daniel Gotthilf Moldenhauwer: itineris literarum causa in Galliam, Hispaniam et Italiam instituti socius ac comes additus essem.... Zu dieser Person siehe E. Carstens, in ADB 22 (1885), S. 92. — Auf fol. 2r und 106r schwarzer ovaler Stempel: EX BIBLIOTHECA REGIA ACADEM. GEORGIAE AUG. (ab 1880 im Gebrauch). Siehe Bibliotheksstempel, S. 93. Im Jahr 1800 beschreibt Christoph Wilhelm Mitscherlich in seiner Horaz-Edition den Codex als einen Besitz der Bibliotheca Academica. Vgl. Q. Horatii Flacci Opera. Illvstravit Christ. Gvil. Mitscherlich Professor Pvbl. Ordin. In Academia Gottingensi. Tomvs Primvs, Lipsiae 1800, S. XXVII: ... alium Bibliotheca academica possidet Cod. membranaceum, Q. Oratii Flacci Sermones et Epistolas complexum. Est is nitidissime scriptus, caeterisque ornamentis librariorum satis liberaliter instructus, sed vix ultra typographicae incunabula adsurgit, ac vulgares fere lectionum discrepantias offert. Ad nostras terras perlatus est inde ab ultima Hesperia a Cel. Tychsenio a. 1784. Das Datum der Edition (1800) stellt damit ein Terminus ante quem für die Präsenz der Handschrift in der Göttinger Universitätsbibliothek dar. Karl Christian Jacob Kirchner (1787-1855) übernahm 1847 die Informationen zur Geschichte des Codex: C. Kirchneri novae quaestiones Horatianae. I. Quinquaginta codicum quibus usi sumus descriptio. II. De codicum Horatianorum stirpibus ac familiis. Numburgi 1847, S. 27-28, hier S. 27. Auf dem hinteren Vorsatzblatt (IVr) Angaben einer alten Signatur (Bleistift, getilgt): ... philol. 60 ... 133 (?). Vgl. dazu Bibliotheksarchiv, Kataloge, 67:3, fol. 62, wo die Handschrift mit der alten Signatur Cod. philol. 65, korrigiert in Cod. philol. 123, verzeichnet wird: Horatii sermones et epistolae. Codex membranaceus, elegantissime scriptus.

Göttingen 1, S. 29. — P. Carmassi, Manoscritti italiani nel progetto di nuova catalogazione dei codici latini medievali della SUB-Göttingen. Precisazioni e scoperte, in Rivista di Storia della miniatura 24 (2020), S. 83-94.

(Ir) leer (marmoriert). (Iv) leer, bis auf moderne Signatur (Bleistift). — IIr leer. (IIv) leer, bis auf handgeschriebene Notiz (siehe unter Provenienz). (1r-v) leer, nicht liniiert. Auf fol. 1v Spuren eines getilgten Eintrags in brauner Tinte (Besitzvermerk?), auch mit UV-Licht nicht mehr lesbar. (2r-62v) Quintus Horatius Flaccus: Sermones. Quinti Oratii Flacci sermonum liber primus ad Mece[natem]. Qui fuit Mecenas ut nemo quam sibi sortem … — … Canidia afflasset peior serpentibus Afris. – (63r-106r) Quintus Horatius Flaccus: Epistulae. Quinti Oratii Flacci Epistolarum liber primus. Quintus Oratius Flaccus Mecoenati s[alutem]. Prima dicte mihi … — … lasciva decentius aetas. — 106v leer. (107r) Anonymus: Vita Horatii. Q. Horatius Flaccus natus Venusie ante diem VI … — … in campo Exquilino in ortis Mecenatis. Anonyme vita, zuerst publiziert von Carl Kirchner: Novae quaestiones Horatianae, S. 28, Anm. 3, aus dieser Handschrift. (107v-109v) leer, liniiert. — IIIr-v leer. (IVr) leer bis auf bibliothekarische Angaben. (IVv) leer (marmoriert). Edition: Q. Horati Flacci Opera, ed. D. R. Shackleton Bailey, Stutgardiae 1985 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana).


Abgekürzt zitierte Literatur

ADB Allgemeine deutsche Biographie auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian II. hrsg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 2., unveränd. Aufl., Neudr. der 1. Aufl., Leipzig 1875–1912, Berlin 1967–1971
Bibliotheksstempel Bibliotheksstempel. Besitzvermerke von Bibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von A. Jammers, Wiesbaden 1998 (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz 6)
Göttingen 1 Die Handschriften in Göttingen, Bd. 1: Universitäts-Bibliothek: Philologie, Literärgeschichte, Philosophie, Jurisprudenz, beschrieben von W. Meyer, Berlin 1893 (Verzeichniss der Handschriften im Preussischen Staate, Abt. 1: Hannover. Bd. 1: Die Handschriften in Göttingen 1)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der abendländischen mittelalterlichen Handschriften der SUB Göttingen Lateinische Handschriften.
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