Einführung

Johann Ulrich Müller: Die durch Blut und Glut beängstigte Kriegs-Schaubühne
Flemming Schock

1. Titel
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Die durch Blut und Glut weit und beängstigte Kriegs-Schaubühne. d.i. accurate Vorstellung deß gantzen Rheins/ und anderer benachbarten Ströme/ woselbsten der jetztmalige entstandene Krieg/ zwischen Ih. Römis. Keyserl. Majest. und dero hohen Herren Alliirten einer seits/ und den verbündeten Cronen Franckreich und Spanien anderer seits geführet wird. Worinne nicht allein Die an diesen Flüssen liegende Chur- und Fürstenthümer/ Ober- und Unter-Elsaß/ Lotthringen/ Burgund und Schweitz/ sondern fürnemlich auch die gantze Spanische und vereinigte Niederlande/ deßgleichen das Hertzogthum Meyland mit etlich andern Italiänischen Staaten und einem grossen Theile von Franckreich in 48. Cärtlein dergestalt nett entworffen werden/ daß ein Passagier dieselbe zu seiner commodität entweder in ein Büchl. binden/ oder zu einer völligen Wappen kan aneinander fügen lassen. Neben einem nothwendigen Register der vornehmsten Stätte/ Festungen und andrer auch geringeren Oerther. Ulm/ Im Verlag Georg Wilhelm Kühnen/ 1703. Ulm: Georg Wilhelm Kühn, 1703. - Titelseite (Kupferblatt), 1 Ill. + 48 Ill., 8°. [opac ↗213389185] [vd18 ↗10263756]

2. Verfasser
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Da Die durch Blut und Glut beängstigte Kriegs-Schaubühne – abgesehen von der Vorrede – ausschließlich aus Kartenmaterial besteht, kann nicht von einem Urheber im engeren Sinn gesprochen werden. Stecher des Kartenmaterials ist der in der Vorrede erwähnte Johann Ulrich Müller, der biographisch nicht näher zu fassen ist.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschien 1703 beim Ulmer Buchdrucker und Verleger Georg Wilhelm Kühn, dem Erben von Balthasar Kühn. Dessen Offizin gehörte lange Zeit zu den wichtigsten in der Reichsstadt.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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3.2.1. Digitale Ausgabe
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4. Inhalt
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Die konzeptionelle Vorrede „An den Hochgeneigten Leser“ hebt zunächst allgemein auf das ‚Immerwährende’ kriegerischer Konflikte ab – und gerade das 17. Jahrhundert habe in dieser Hinsicht alle vorherigen Epochen überboten, wie „glaubwürdige Federn“ bezeugten. Der Herausgeber und Verleger Georg Wilhelm Kühn deutet hier vor allem den Beginn des spanischen Erbfolgekrieges (1710-1714) an: „Ist jemals von etlich hundert Jahren her einige Zeit gewesen/ worinnen durch Beläger- und Eroberung mancherley Städt und Länder/ sich viel und grosse Veränderungen begeben/ der grausame Mars getobet/ und gantze Provintzien mit Feuer und Blut überschemet hat/ so ist es leider! mehr als zu bekanter massen/ dieses nunmehr zu End eilende Jahrhundert/ in welchem gegen dem letzten Decennio, bey wenigen Jahren sich hero/ sich wieder ein solcher erschrecklicher Krieg in unserm gel. Vatterlande Teutscher Nationen entsponen/ der auch die Benachbarte mit begriffen/ und von denen darinn verübten Brand-Thaten so notabel ist/ dass man dergleichen fast in keinen Historien finden wird/ auch von den Nachkömlichen kaum geglaubt werden dörffte/ wofern selbige nicht durch glaubwürdige Federn auffgezeichnet/ auch durch andere bequeme Mittel dem Gedächtnus curioser Gemüther [...] vorgebildet und einverleibet würde“ (unpag.). Und zu diesem Zweck sei, wie der Vorredner fortfährt, neben der beschreibenden Leistung des Textes gerade auch die vermittelnde Leistung des Bildes bestens geeignet – erst das Bild gebe „eine eigentliche Vorstellung der Situation dieses Martialischen Schauplatzes/ welcher jetztmals den schon in alten Zeiten durch die Römer Blut-befärbten Edlen Rhein/ samt seiner angränzenden Nachbaren/ und andere/ begreifft und darstellet“. Der Herausgeber und Verleger hängt das mediale Potential des Bildes sogar noch höher als das des Textes: Denn während das jüngste Kriegsgeschehen in geographischer wie historischer Weise schon ausreichend und mit „rühmlichem Fleiß ausgearbeitet“ (unpag.) worden sei, könne eine Karte das, was ein Text linear und erzählerisch entfalten müsse, in seiner Totalität und Überblicksqualität „gleichsam in einem Augenblick [...] praesentiren“ (unpag.). Trotzdem bemüht Kühn in werbender Qualität auch die Autorität des Textes, und zwar jener Quellen, die für sein Werk herangezogen hat – „angemercket ich mich der allerbesten Erd-Beschreiber dabey bedienet“ (unpag.). Bemerkenswert weil selten ist der folgende Zusatz über den angedachten Rezeptions- bzw. Gebrauchsmodus des Kartenmaterials der durch Blut und Glut beängstigten Kriegs-Schaubühne. Man könne es dekorativ oder praktisch auf der Reise mitnehmen und es nach Belieben sogar aus seiner Buchform herauslösen (wie eine folgende Anweisung an den Buchbinder zeigt, wurde das Kartenmaterial der durch Blut und Glut beängstigten Kriegs-Schaubühne tatsächlich erst auf Wunsch des Käufers zusammengebunden): „Damit aber diese Carte sowol von verschiedenen Liebhabern in ihren Cabinetten/ als von denen Hrn. Passagiers auf Raisen bequem gebraucht werden könne/ so habe dieselbe in 48. Cärtlein vertheilet/ welche entweder hindereinander gebunden/ oder laut Anweisung deß kurtzen Begriffs mit No. VI. signirt/ nach behöriger Abschneidung der Graden aneinander gefüget/ und gleichsam zugleich übersehen werden kann“ (unpag.). Die Vorrede schließt mit einem Wunsch nach „der lieblichen Friedens-Sonne“ (unpag.). Es folgt das Titelkupfer, das den deutschen Werktitel ins Lateinische übersetzt („Theatrum Martis“). Anders als im deutschsprachigen Titelblatt wird hier auch erstmals der Name des Stechers genannt: „Joh. Ulrich Mülleri“. Das ‚theatrale’ Bildprogramm des Titelkupfers, angedeutet durch einen zurückgezogenen Vorhang, wird zumindest teilweise durch die gereimte „Erklärung des Kupffers“ ausgeführt; artikuliert wird ein starker Friedenswunsch. Auf dem Kupfer ist dementsprechend die erhöht sitzende, nicht näher bestimmbare Personifikation einer Stadt zu sehen, die zum einen von der Friedensgöttin Eirene und zum anderen von einer mit kriegerischen Attributen ausgestatteten Figur (möglicherweise Mars) flankiert wird. Analog zu der im Text formulierten Friedenssehnsucht neigt sich die Personifizierte deutlich der Eirene zu, während sie der martialischen Figur ein Schriftstück entgegen hält, auf dem „Tandem“ (schließlich, endlich) zu lesen ist – möglicherweise handelt es sich um die Darstellung eines Friedensvertrags. Dem folgenden Kupfer, einer kartographischen Gesamtansicht des Rheines und der angrenzenden Gebiete, kommt wesentlich orientierende und strukturierende Überblicksfunktion zu. Es ist in 48 Planquadrate unterteilt, deren Ausschnitte die 48 folgenden Karten im vergrößerten Maßstab in der Art eines Puzzles wiedergeben. Die Übersichtskarte macht also das synoptisch zugänglich, was die anschließenden Seiten in Einzelbestandteile zergliedern. Der Titel dieser Übersichtskarte lautet dementsprechend: „Kurtz gefaste Vorstellung Dieser gantzen Land-Carten“. Auf das Kupfer folgt die Abbildung einer weiteren Figur: Es ist Hermes (ausgewiesen durch die Attribute der Flügel an Füßen und Helm), in dessen Hand ein entrolltes Papier zu sehen ist, das zugleich als einzige Legende des Kartenwerks fungiert: Ausgewiesen sind die Symbole für „Erzbistümer, Bistümer, Föstungen, Stättlein, Fleken, Universitäten, Schlösser, Clöster, Schanzen“. Die folgenden 48 Einzelkarten präsentieren sich als schmucklose Sammlung zusammenhängender Landkarten der Rheinregion. Ihr ikonographisches Programm verzichtet vollständig auf inszenatorische Elemente; Schlachtenabbildungen oder ähnliches sucht man vergebens. Wie die knappe, von der Hermesfigur gehaltene Legende bereits angedeutet hat, kommt der Visualisierung von Festungsbauten („Föstungen“, „Schanzen“) kein höheres Gewicht zu als der Verzeichnung sonstiger Bauwerke und Landmarken. Die durch Blut und Glut beängstigte Kriegs-Schaubühne erweist sich so überraschend als unspezifisch-allgemeine Kartensammlung.

5. ↗Kontext und Klassifizierung
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Wie kaum ein zweites europäisches Ereignis war der spanische Erbfolgekrieg (1701-1714) an der Wende zum 18. Jahrhundert ein starker Katalysator für die Produktion vieler Theatra belli. Im verfügbaren publizistischen Spektrum wurden diese populären Kriegstheatra in verschiedenen Medientypen publiziert: in seriell-chronikalischer Form, in Form von Flugschriften oder in Form von lose oder gebundenen Kartenwerken. Die vorliegende durch Blut und Glut beängstigte Kriegs-Schaubühne gehört zu den verbreiteten kartographischen Kriegstheatra (Friedrich), mit einer signifikanten Ausnahme allerdings: Während der Großteil druckgraphischer Kriegspublizistik die mediale Repräsentation des Krieges durch eindeutige Schlachtendarstellungen konkret vor Augen führte und somit das affektive Potential des Kriegsthemas kommerzialisierte, findet dies in der Kriegs-Schaubühne gerade nicht statt. Die 48 einzeln oder gebunden erhältlichen Karten präsentieren sich vielmehr als nüchternes Materialkonvolut, das sich durch eine ‚Unsichtbarkeit’ des Krieges auszeichnet und auch auf Rahmentexte und Legenden vollständig verzichtet – der Kontrast zum reißerischen, nicht eingelösten Titel ist insofern denkbar groß. Das Etikett des Kriegstheatrums dürfte also primär aus absatzstrategischen Gründen gewählt worden sein. Stellt man die im Vorwort und der Ikonographie des Titelkupfers deutlich herausgestrichene Friedenssehnsucht in Rechnung, könnte zudem darüber spekuliert werden, ob diese ‚realistische’, an allgemeine Atlanten (Abraham Ortelius: Theatrum orbis terrarum, 1570) erinnernde Kartographie den Wunsch nach graphischer Darstellung vom Kriege verschonter Gegenden umsetzt. Dass die Karten de facto für einen wie auch immer gearteten Einsatz gedacht waren, wird auch durch das mitgelieferte Register der Kriegs-Schaubühne unterstrichen.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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