Rosenkränze und Seelengärten
Bildung und Frömmigkeit in niedersächsischen Frauenklöstern
Ausstellungsdauer: 3. März bis 25. August 2013
Ausstellungsort: Augusteerhalle, Schatzkammer und Kabinett der Bibliotheca Augusta
Ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam? – Im Mittelalter waren die Erfahrungen niedersächsischer Nonnen wesentlich vielseitiger. Spuren in Jahrhunderte alten Dokumenten geben oft überraschende Einblicke in ihre gemeinschaftsorientierte Lebenswelt. Dazu gehören vor allem die Hand- und Druckschriften aus den historischen Büchersammlungen der Frauenklöster, die in den letzten Jahren intensiv erforscht wurden und jetzt erstmals öffentlich zu bewundern sind.
Die Klöster waren Orte einer vielfältigen Frömmigkeitspraxis, deren Ausgestaltung sich aus dem Zusammenspiel ausgewählter Medien und Praktiken ergab. Dies waren zum Beispiel der gemeinsame Gottesdienst, Prozessionen oder die persönliche Andacht. Deshalb sind zusätzlich zu den Büchern weitere wertvolle Objekte aus den ehemaligen Kirchenschätzen zu sehen. Dazu gehört die Madonna aus dem Augustiner-Chorfrauenstift Dorstadt, die als Symbol der ausgeprägten Marienverehrung der Nonnen den Wunsch nach sichtbarer Tradition und zeitgenössischer Kunst verdeutlicht.
Frauenbildung fand im Mittelalter fast ausschließlich in den Klöstern statt. Die Ausbildung der Novizinnen bereitete auf ein Leben vor, in dem Kenntnisse im Schreiben und Lesen sehr wichtig waren. Neben der Landessprache gehörte dazu auch die Beherrschung des Lateinischen. Begabte Mädchen erlernten außerdem praktische Fähigkeiten, darunter den für Frauenkonvente typischen Klosterstich, und entwarfen später prächtige Textilien wie das ‚Osterkissen’ aus dem Museum im Schloss Wolfenbüttel. Andere befassten sich mit Notenschriften zur Aufzeichnung der liturgischen Gesänge.
Schreiberinnen und Buchmalerinnen bereicherten die klösterlichen Büchersammlungen, indem sie Texte kopierten, neu zusammenstellten und mit passenden Bildern ausstatteten. In den Werkhäusern entstanden aus Pergament und Textilien kreativ gestaltete Bucheinbände. Elisabeth von Bortfeld aus dem Zisterzienserinnenkloster Wöltingerode und andere Äbtissinnen gaben Bücher in Auftrag. Gelehrte Nonnen ergänzten die geistlichen Schriften mit handgeschriebenen Kommentaren oder klebten kleine Andachtsbilder, wie den Holzschnitt mit dem Bild der heiligen Dorothea, an passende Stellen.
Besonders lebensnah sind unerwartete Fundstücke aus den Büchern: Lesezeichen, eingelegte Rezepte, kurze Gebete oder Notizen. Ein faszinierendes Meditationsobjekt ist ein kleiner Zettel, auf den eine Nonne in leuchtenden Farben die Seitenwunde Christi malte. Diese umgibt ein Fragment aus einem mittelalterlichen Hymnus, der eines der Schlüsselthemen des Glaubens veranschaulicht, das Leiden Christi und sein Opfer zur Erlösung der Menschheit.
Der Tod war im Denken der Menschen des Mittelalters allgegenwärtig. Am ältesten norddeutschen Rosenkranz, einer Gebetskette, die auf dem Nonnenchor des Klosters Wienhausen gefunden wurde, hängt daher ein kleiner Totenkopf. Noch heute gemahnt er an die Vergänglichkeit des Lebens. Die Frage, wie es nach dem Tod weitergehen würde, beschäftigte alle Gläubigen. Trost fanden sie im Hortulus animae, dem Seelengärtlein. Dieser „Bestseller“ der spätmittelalterlichen Erbauungsliteratur enthält nicht nur Gebete oder Heiligenlegenden, sondern auch beeindruckende Bilder. Ein Holzschnitt zeigt die Errettung der Seelen aus dem Fegefeuer durch einen Engel, der allen Erwählten die helfenden Hände reicht.
Alle hier angesprochenen Aspekte der Klosterkultur finden im reich bebilderten Katalog zur Ausstellung Berücksichtigung. Dieser gliedert sich in flüssig und allgemeinverständlich geschriebene Essays zu übergreifenden Themen und anschauliche Erläuterungen zu einzelnen Exponaten. Geschrieben wurden diese Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die aktuell darüber forschen, manche bisher verbreitete Annahme korrigieren und viele Einzelphänomene genau in den Blick nehmen. Wer sich fragt, wie Jahrhunderte alte Bücher und Objekte nach heutigen Fragestellungen, Methoden oder modernen technischen Möglichkeiten ihre Besonderheiten preisgeben, wird in Ausstellung und Katalog dazu anschauliche und überzeugende Antworten, interessante Einsichten und neue Ergebnisse finden.
Katalog
Rosenkränze und Seelengärten. Bildung und Frömmigkeit in niedersächsischen Frauenklöstern. Herausgegeben von Britta-Juliane Kruse. Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek Nr. 96. 2013. 348 Seiten mit 193 Farbabbildungen. ISBN: 978-3-447-06813-0. Broschierte Ausgabe (nur in der Ausstellung): € 20,–; Hardcover (in Kommission beim Harrassowitz Verlag Wiesbaden): € 39,80
Übersichtskarte
Ausgestellte Handschriften
Signatur | Handschriftentitel | Entstehungsort | Entstehungszeit | Faksimile |
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Cod. Guelf. 368 Helmst. | Robertus Holcot: Postilla | Hamburg | 1443 | |
Cod. Guelf. 649 Helmst. | Liber ordinarius | Kloster Heiningen | um 1460 | |
Cod. Guelf. 875 Helmst. | Responsoria de passione domini | 15. Jh. | ||
Cod. Guelf. 877 Helmst. | Institutio sanctimonialium Aquisgranensis | Kanonissenstift Heiningen | 12. Jh. | |
Cod. Guelf. 1130 Helmst. | Gebetbuch, niederdt. | nach 1479 | ||
Cod. Guelf. 1146 Helmst. | Passionstraktate | um 1400 | ||
Cod. Guelf. 1180 Helmst. | De passione Christi | Kloster Heiningen | 1476 | |
Cod. Guelf. 1271 Helmst. | Ordo receptionis novitiarum | 15. Jh. |